en de

Die Auswirkungen von Preisspitzen und Volatilität auf arme Kleinbauern:

 

ein Fallbeispiel aus dem ländlichen Tadschikistan


 
   
Länder-Fallstudie
Oktober 2011
Foto: Dan Lundberg, 2014; Ein Teeverkäufer im Shah-Mansur-Basar, auch als Green Bazaar bekannt, in der Innenstadt von Dushanbe, Tadschikistan. Ausblenden

Neben einer Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft müssen alternative Verdienstmöglichkeiten für die städtische und ländliche Bevölkerung geschaffen werden.

Foto: Asian Development Bank, 2010; Der Fahrer Kanoat Negmatov lädt Eier in seinen Wagen, um sie auf der neuen Grenzstraße Dushanbe-Kyrgyz zu transportieren. Ausblenden

Anmerkung: Dieses Kapitel wurde von der Welthungerhilfe und Concern Worldwide verfasst und gibt die Ansichten und Analysen beider Organisationen wieder. Es wurde keinem Peer Review durch das Publications Review Committee von IFPRI unterzogen und kann IFPRI nicht zugeschrieben werden.

Welthungerhilfe in Tajikistan

Kurz nachdem die weltweiten Nahrungsmittelpreise im Februar 2011 ihren historischen Höchststand erreicht hatten, begannen auch die Preise in Tadschikistan auf Rekordniveau zu klettern: Im Mai 2011 erreichten sie den höchsten Stand seit Aufzeichnung der Nahrungsmittelpreise nach dem Bürgerkrieg in den 90er-Jahren. Der Preis für Weizen, das wichtigste Grundnahrungsmittel des Landes, stieg um 60 bis 70 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (WFP 2011). Weizen macht in Tadschikistan etwa 60 Prozent der täglichen Nahrungsmittelkalorien aus; zu jeder Mahlzeit wird Brot gegessen.

Tadschikistan ist das ärmste und ernährungsunsicherste Land unter den GUS-Staaten (bei einem WHI-Wert von 17,0 wird die Hungersituation als „ernst“ eingestuft). Die erheblichen Anstiege bei Nahrungsmittelpreisen sind für die Menschen in Tadschikistan nicht die einzige Herausforderung. Auch Preisschwankungen haben zugenommen. Die dargestellten Daten zu den Nahrungsmittelpreisentwicklungen seit 2002 legen nahe, dass sowohl die weltweite Nahrungsmittelpreiskrise von 2007/08 als auch diejenige von 2011 auf die lokale Ebene übertragen wurde (siehe Abbildung unten). Ein maßgeblicher Unterschied zur globalen Preisentwicklung liegt allerdings darin, dass die Preise in Tadschikistan zwischen 2008 und 2010 nicht wieder fielen.

Die Hauptursache für diese übertragung von den globalen Märkten auf die nationale Ebene ist Tadschikistans Abhängigkeit von den globalen Nahrungsmittelmärkten: Das Land importiert etwa 58 Prozent seines Nahrungsmittelbedarfs. So hat vermutlich auch die Entscheidung der Russischen Föderation, im Sommer 2010 Ausfuhrbeschränkungen für Weizen zu verhängen (siehe Kapitel 03), indirekt zur Steigerung des Weizenpreises in Tadschikistan beigetragen. Wenngleich nur wenig Weizen von Russland auf die zentralasiatischen Märkte exportiert wird, so stieg doch in den Monaten nach der Ausfuhrbeschränkung der Weizenpreis in Kasachstan, woher Tadschikistan 90 Prozent seiner Weizen- und Mehlimporte bezieht.

Die Anfälligkeit Tadschikistans gegenüber den Veränderungen der Weltmarktpreise wird durch geopolitische Faktoren noch verschärft. Da Tadschikistan keinen Meerzugang hat, müssen die meisten Waren das benachbarte Usbekistan durchqueren. Im Frühjahr 2011 verschärften sich die politischen Spannungen zwischen den beiden Ländern und die Zölle für den Transit von tadschikischen Waren stieg um 15 bis zu 74 Prozent. Zudem ist Tadschikistan auf Benzin- und Dieselimporte aus Russland angewiesen. Als Russland die ohnehin gestiegenen ölpreise durch die Einführung eines Ausfuhrzolls noch weiter nach oben schraubte, kletterten im Juni 2011 die Kraftstoffpreise in Tadschikistan auf Rekordniveau. Hohe Benzin- und Dieselpreise treiben die Transportkosten in Tadschikistan nach oben, da das Land extrem bergig (über die Hälfte des Landes liegt in über 3.000 Meter Höhe) und nur mit einer unzureichenden Infrastruktur ausgestattet ist. Hohe Transportpreise schlagen direkt auf Nahrungsmittelpreise durch. Darüber hinaus ist der Markt nicht zum Vorteil der Konsumenten strukturiert: die Einfuhrmärkte einiger Nahrungsmittel, vor allem für Weizenmehl, sind in den Händen einiger weniger einflussreicher Firmen konzentriert, wodurch das Risiko von Preisabsprachen enorm steigt (siehe zum Beispiel WFP 2005).

ENTWICKLUNG VON NAHRUNGSMITTEL- UND KRAFTSTOFFPREISEN IN TADSCHIKISTAN (DURCHSCHNITTSWERTE VON 5 MäRKTEN), JANUAR 2002 BIS JULI 2011

Quelle: Welternährungsprogramm Tadschikistan.
Anmerkung: WFP Tadschikistan beobachtet wöchentlich die Nahrungsmittel- und Kraftstoffpreise auf den fünf wichtigsten Märkten in Tadschikistan: Duschanbe, Kurgan-Tuybe, Khujand, Gharm und Khorog. Die Welthungerhilfe dankt dem WFP für die geleistete Unterstützung und für die Erlaubnis, diese Daten zu verwenden.

Months of Food Shortages at the Household Level Quelle: Die Daten wurden durch die tadschikische NRO Advisory Information Network (AIN) in Zusammenarbeit mit der Welthungerhilfe erhoben. Anmerkung: Mehrfachnennungen waren möglich.

Odinamo
Odinamo Amirshojeva,
Dorf Dektur, Distrikt Baljovan

Momentan kostet ein Sack Weizen [50 Kilogramm] auf dem Basar 120 bis 130 Somoni [26,50 US-Dollar]. Wenn der Händler damit in unser Dorf kommt, kostet der Sack 140 bis 150 Somoni [30,70 US-Dollar]. Der Händler sagt, es liege daran, dass das Benzin so teuer ist.

Coping Strategies in View of Increasing Food Prices

Malik
Malik Alimovich Zakirov,
Dorf Revomurtk, Kohistani-Mastchu, Provinz Sughd

Um die Preisspitzen einzudämmen, sollte die Regierung die Dorfläden stärker kontrollieren. Im Laden in unserem Dorf sind die Preise immer noch hoch, obwohl die Preise auf dem Basar in Khujand [der nächsten Stadt] schon vor einem Monat gefallen sind. Die Preise im Dorfladen sind viel höher als auf dem Basar. Der Basar bedeutet Preiskontrolle.

Tajikistan Times Die explodierenden Preise machen Schlagzeilen im Mai/ Juni 2011. Um die aufkommende Wut der betroffenen Menschen zu besänftigen, setzte das Büro des Bürgermeisters von Duschanbe eine Höchstgrenze der Händlerpreise für Weizen und Fleisch fest.

Die ländliche Bevölkerung leidet unter Nahrungsmittelpreisschwankungen.

Im Vergleich zur städtischen Bevölkerung sind große Teile der ländlichen Bevölkerung in Entwicklungsländern weniger in die tägliche Marktdynamik integriert. Dies ist auch in Tadschikistan der Fall, wo viele ländliche Gemeinden sehr isoliert liegen und teilweise zu bestimmten Jahreszeiten gar nicht erreichbar sind. In diesen Gebieten ist die Landwirtschaft die Haupteinkommensquelle und die bäuerlichen Familienbetriebe bestreiten zumindest einen Teil ihres Bedarfs mit der eigenen Produktion. In vielen Dörfern gehören Tauschgeschäfte nach wie vor zum Alltag.

Weizenanbau macht nahezu die Hälfte von Tadschikistans Bewässerungslandwirtschaft und beinahe zwei Drittel des Regenfeldbaus aus. Allerdings wird im Bereich der Bewässerungslandwirtschaft der qualitativ hochwertigste Boden für den Anbau von Baumwolle verwendet und nahezu alle im Weizenanbau tätigen Kleinbauern sind auf Regenfeldbau angewiesen. Um genauer zu erfahren, wie lokale Kleinproduzenten mit schwankenden und steigenden Preisen umgehen, befragte die Welthungerhilfe im Mai und Juni 2011 300 Weizen-Kleinbauern in der Provinz Chatlon im Süden Tadschikistans – dem führenden Weizenanbaugebiet des Landes. Anliegen der Interviews war es, herauszufinden, ob die geringe Marktintegration dazu beiträgt, die Auswirkungen von Nahrungsmittelpreisspitzen abzufedern, und ob höhere Nahrungsmittelpreise aus Perspektive der Bauern eher ein Problem oder eine Chance darstellen.

Die im Weizenanbau tätigen Kleinbauern berichteten, dass Preisschwankungen üblich sind und gewöhnlich einem jahreszeitlichen Muster folgen: Während der Erntezeit sind die Preise meist niedrig, doch steigen sie während der Folgemonate, in denen die Vorräte immer knapper werden, kontinuierlich an. Kleinere Preisspitzen wurden an Feiertagen beobachtet, so zum Beispiel während des Ramadan. Drei Viertel der befragten Bauern gaben allerdings an, noch nie zuvor solche Preissteigerungen wie im Frühjahr 2011 erlebt zu haben. Auch wenn Kleinbauern an gewisse Preisschwankungen gewöhnt sind, versetzt sie das nicht automatisch in die Lage, besser mit extremen Preisausschlägen umzugehen – weder als Produzenten von Nahrung noch als Konsumenten.

In ihrer Rolle als Produzenten fehlen den meisten Kleinbauern die Mittel, um strategisch auf die Marktdynamik zu reagieren. Einige von ihnen bauen nur für den eigenen Bedarf an und sind zur Sicherung des Lebensunterhalts auf weitere Einkommensquellen wie überweisungen aus dem Ausland, Sozialtransferzahlungen, irreguläre Arbeit oder eine Kombination daraus angewiesen. Diejenigen Bauern, die ihre Waren verkaufen, haben durch fehlende Transportmöglichkeiten, lange Wege und unzureichende Infrastruktur nur begrenzten Zugang zum Markt. Kleinbauern haben nur einen kleinen potenziellen Käuferkreis und daher wenig Verhandlungsspielraum. Obwohl die Bauern normalerweise gut über die Marktpreise informiert sind, gab die Hälfte von ihnen an, beim Verkauf keine profitablen Preise zu erzielen. Ein Drittel sagte, dass sie überhaupt keine Verhandlungsmöglichkeiten hätten.

Auch wenn die Hälfte der Kleinbauern angab, über Lagermöglichkeiten zu verfügen, so verkauft doch die Mehrheit ihre überschusswaren bald nach der Ernte, um Einkommen zu erzielen, Schulden zu bezahlen und diejenigen Lebensmittel einzukaufen, die sie nicht selbst anbauen (so zum Beispiel Zucker und öl). Während der Durchführung der Interviews (Mai und Juni 2011) besaß keiner der Bauern mehr überschüsse, die zu den damals herrschenden Rekordpreisen hätten verkauft werden können.

Die meisten Bauern glaubten, dass die Warenpreise hoch bleiben oder sogar steigen würden (83 Prozent), aber nur wenige Kleinbauern (3,25 Prozent) sahen darin eine Chance. Im Gegenteil, mehr als zwei Drittel der Befragten missbilligten die hohen Preise. Eine einleuchtende Erklärung für dieses Ergebnis ist die Tatsache, dass viele Weizen-Kleinbauern tatsächlich mehr Waren einkaufen, als sie verkaufen. Daher würden selbst Rekordpreise für Weizen nicht genügend Einnahmen einbringen, um den ebenfalls hohen Preis der anderen Nahrungsmittel auszugleichen.

Während der „HungerPeriode“ verschärfen hohe Preise den Druck auf landwirtschaftliche Haushalte , die mehr zu- als verkaufen.

In ihrer Rolle als Konsumenten berichteten die Bauern, dass sie selbst in Zeiten der „normalen“ jahreszeitlich bedingten Preisvolatilität regelmäßig Nahrungsmittelknappheit erleben. Für viele von ihnen beginnt die Zeit des Hungerns im Februar und März, wenn die Vorräte zu Ende gehen, und endet mit der neuen Ernte Ende Juni (vgl. linke Abbildung Seite 40).

Die Preiseskalation von 2011 fiel im ländlichen Tadschikistan mit der Periode der saisonal bedingten Lebensmittelknappheit, also der Zeit zwischen zwei Ernten, zusammen. Die Folgen für arme ländliche Haushalte waren daher besonders hart: Mehr als die Hälfte der Bauern gab an, keine Nahrungsmittelvorräte mehr zu haben, nahezu alle Haushalte (94 Prozent) hatten ihre Geldeinnahmen aufgebraucht und über die Hälfte hatte bereits neue Schulden gemacht. In dieser Situation waren die Kleinbauern gezwungen, benötigte Nahrungsmittel zu Rekord-preisen zuzukaufen. Insgesamt wurden „steigende Nahrungsmittelpreise“ als zweitwichtigste Ursache der aktuellen Ernährungsunsicherheit auf Haushaltsebene angegeben (nach „Geldmangel“).

Es gibt Anzeichen dafür, dass die Erhöhungen der Nahrungsmittelpreise in Dorfläden und bei fahrenden Händlern sogar noch deutlicher waren als auf dem nächstgelegenen lokalen Markt. Hohe Kraftstoffpreise trieben die Transportkosten in die Höhe und damit auch die Preise für die Endkonsumenten in ländlichen und oft abgelegenen Dörfern.

Die Bauern selbst gaben „Hohe Transport-/Benzinkosten“ als eine der drei Hauptursachen für die aktuellen Preissteigerungen an. Fast ebenso viele jedoch nahmen an, dass „Absprachen unter Händlern und Monopole“ hinter dem Preisanstieg steckten. Die Befragten hielten daher eine verstärkte Kontrolle der Händler für die effektivste Maßnahme zur Preisstabilisierung.

Ländliche Haushalte gehen zu schädlichen Anpassungsma SSnahmen über.

Kleinbauern verfügen bereits über Strategien zum Umgang mit zyklischer Nahrungsmittelknappheit. Saisonale Arbeitsmigration (vor allem nach Russland) ist sehr üblich und viele Haushalte sind auf Zahlungen aus dem Ausland angewiesen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Während die Nahrungsmittelpreise Anfang 2011 auf ein Rekordniveau kletterten, ergriffen die Haushalte jedoch weitere Maßnahmen, um die verschärfte Nahrungsmittelknappheit zu bewältigen (vgl. rechte Abbildung Seite 40).

Auch wenn verspätete Zahlungen für Nahrungsmittel nicht unüblich sind, berichteten doch viele Kleinbauern, dass die Schuldenlast ihrer Haushalte sich durch die höheren Nahrungsmittel- und Kraftstoffpreise vergrößert habe. Dies dürfte dazu führen, dass Kleinbauern noch weniger Möglichkeiten haben, auf Markttrends zu reagieren, und dass sie noch schlechter gewappnet sein werden, mit zukünftigen Schocks umzugehen. Vor diesem Hintergrund ist es besorgniserregend, dass mehr als zwei Drittel der Bauern für 2011 eine schlechtere Ernte als im Vorjahr (einem „normalen“ Jahr) erwarten. Bis Juli 2011 lag eine erwartete Prognose zu den Ernteerträgen des Winterweizens von der FAO und dem tadschikischen Landwirtschaftsministerium noch nicht vor. Die Regenzeit 2010/11 war jedoch kaum ergiebig genug: Zwischen September und Juni lag die Niederschlagsmenge in Chatlon 73 Prozent unter dem Fünfjahresdurchschnitt (FEWSNET 2011).

Andere Bewältigungsstrategien, wie zum Beispiel der Konsum billigerer Nahrungsmittel, können schwerwiegende Folgen für die Ernährung nach sich ziehen. Dies spiegelt sich auch in den Aussagen der Bauern wider: Nahezu die Hälfte aller Befragten gab an, dass in ihren Haushalten in der vergangenen Woche kein Fleisch verzehrt worden war. Eine Studie, die im März 2011 in ausgewählten Distrikten Chatlons und benachbarten Regionen durchgeführt wurde, ergab, dass über 40 Prozent der Kinder bereits Anzeichen von akuter Fehlernährung aufwiesen (Walker und Lynch 2011).

Politische Massnahmen zur Eindämmung der Preisausschläge erreichen die Kleinbauern nicht.

Die Ergebnisse der Interviews legen nahe, dass arme ländliche Haushalte kaum Spielraum haben, um sich aus Armut und Ernährungsunsicherheit zu befreien. Angesichts dessen dürfte es den meisten armen ländlichen Haushalten schwerfallen, dem wiederholten Aufruf des tadschikischen Präsidenten Emomali Rahmon zu folgen, angesichts der anhaltend schwierigen Wirtschaftslage Grundnahrungsmittel für die beiden nächsten Jahre zu horten (Central Asia Economy Newswire Document 3 2011).

Insgesamt scheinen die Bemühungen der Regierung, den Preisspitzen und ihren Folgen zu begegnen, an den Kleinbauern auf dem Land vorbeigegangen zu sein. Im Februar 2011 beschloss die tadschikische Regierung, ihre strategischen Getreidereserven einzusetzen, um die Getreidepreise auf den Märkten vorübergehend um 15 Prozent zu senken. 90 Prozent der befragten Bauern wussten von dieser Initiative nichts und nur ein Dutzend Bauern (4 Prozent) gaben an, davon profitiert zu haben. Die Reserven wurden auf den zentralen städtischen Märkten verkauft; dennoch hätten Preiserleichterungen durch Weitergabeeffekte auch in ländlichen Gebieten ankommen können. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass viele Händler die niedrigen Preise in der Stadt nicht an die Konsumenten auf dem Land weiterreichen. Im April 2011 gab die Regierung 3.000 Tonnen subventionierten Dieselkraftstoff frei, um dadurch die Auswirkungen der rasant steigenden Produktionskosten abzumildern. Laut Wirtschaftsministerium war dieser Kraftstoff jedoch nicht für lokale Kleinproduzenten von Nahrungsmitteln bestimmt, sondern für die größeren Betriebe, die Baumwolle für den Export anbauen. Die tadschikische Regierung kündigte an, finanzielle Mittel für die Unterstützung armer Familien bereitzustellen, um der Nahrungsmittelpreisinflation zu begegnen. Im Juli 2011 war jedoch noch nicht klar, wer von diesen Zahlungen am Ende tatsächlich profitieren würde.

Im Mai 2011 legten einige Stadtverwaltungen Obergrenzen für die Preise fest, die Markthändler für Mehl und Fleisch verlangen durften. Einige Händler wurden wegen Verstoßes gegen diese Bestimmungen festgenommen, andere schlossen ihre Geschäfte und gaben an, bei diesen künstlich niedrigen Preisen ihre Kosten nicht decken und schon gar keine Gewinne machen zu können. Es schien, als sollte diese Strategie der „subventionslosen Subventionierung“ eher die öffentliche Debatte beeinflussen als tatsächlich die Ursachen der drastischen Preissteigerungen bekämpfen.

Dass sich die Regierung mehr mit der armen Stadtbevölkerung als mit den Armen in den ländlichen Gebieten beschäftigt, mag daran liegen, dass sie eine drohende Destabilisierung aus den Metropolen fürchtet. Am 15. Februar stellte Weltbankpräsident Robert Zoellick fest, dass die weltweiten Nahrungsmittelpreise ein „gefährliches Niveau“ erreicht hätten, und warnte, dass dies negative Auswirkungen für Zentralasien haben könnte: „Es besteht eine ernst zu nehmende Belastung, die soziale und politische Folgen haben könnte“ (Wroughton 2011).

Mittel- bis längerfristig könnte das kürzlich verabschiedete tadschikische Gesetz zur Ernährungssicherung die Aufmerksamkeit wieder auf die lokalen Nahrungsmittelproduzenten lenken. Das Gesetz, das Ende Dezember 2010 im Parlament angenommen wurde, sieht vor, dass 80 Prozent des tadschikischen Nahrungsmittelbedarfs im Land selber produziert werden sollen. Die Verabschiedung dieses Gesetzes deutet darauf hin, dass die Regierung anerkennt, dem Druck der weltweit steigenden und volatilen Nahrungsmittelpreise nur wenig entgegensetzen zu können.

Die Strategien der Welthungerhilfe: Unterstützung einer nachhaltigen kleinbäuerlichen Landwirtschaft und Ausbau von Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft

Foto: Ronan Shenhav, 2016; Herbstschnee in Pastigow, Leninobod, Tadschikistan. Ausblenden

In Tajikistan’s rural areas wheat flour is usually sold in 50-kilogram bags. In den ländlichen Gebieten Tadschikistans wird Weizenmehl gewöhnlich in 50-kg-Säcken verkauft. Eine durchschnittliche, siebenköpfige Familie benötigt etwa zwei Säcke Weizenmehl pro Monat. Der Anstieg der Preise um 30 Prozent innerhalb eines halben Jahres führte auch zu einem Anstieg der Armut. Die Menschen haben die Wahl: Sie können ihr Weizenmehl entweder auf dem lokalen Basar zu einem etwas günstigeren Preis kaufen, müssen dann aber den Transport in ihr Heimatdorf organisieren. Oder sie kaufen das Weizenmehl im Dorfladen, wo es teurer verkauft wird.

Die jüngsten Nahrungsmittelpreisausschläge in Tadschikistan ereigneten sich in einem Umfeld, das bereits von vielen Faktoren gekennzeichnet ist, die es Kleinbauern schwer machen sich aus Armut und Hunger zu befreien. Die Folgen des Klimawandels werden die Herausforderungen, denen sich arme Kleinbauern in Tadschikistan ausgesetzt sehen, voraussichtlich noch verschärfen.

Neben den zahlreichen strukturellen Produktionsschwierigkeiten mangelt es den bäuerlichen Familienbetrieben auch an Kenntnissen über nachhaltige Anbaumethoden und kosteneffektive Maßnahmen zur Ertragssteigerung. Wenn das Potenzial der ländlichen Kleinbauern besser genutzt wird, kann die Verwundbarkeit der in Armut lebenden Haushalte reduziert und gleichzeitig das Nahrungsmittelangebot auf den lokalen Märkten gesteigert werden. Damit wird die Einkommenslage verbessert und eine breitere ländliche Entwicklung ermöglicht.

Die Welthungerhilfe arbeitet mit Bauern in den Provinzen Chatlon und Sughd. Sie unterstützt die Bauern bei einer nachhaltigen und klimaunabhängigeren Steigerung ihrer landwirtschaftlichen Produktion durch Maßnahmen wie Bodenschutz, geplante Fruchtfolge, eingeschränktes Pflügen und effizientere Wassernutzung. Die Welthungerhilfe hilft zudem Bauernverbänden dabei, ihren Zugang zu Produktionsmitteln auszubauen und den Austausch neuer Kenntnisse zu fördern. Dabei wird vor allem auf geringe Kosten der Maßnahmen geachtet, damit sie vor Ort problemlos replizierbar sind. In den vergangenen Jahren konnte die landwirtschaftliche Produktion in ausgewählten Projektgebieten innerhalb der Provinz Chatlon um bis zu 50 Prozent gesteigert werden (je nach angewandter Maßnahme, vor allem aber durch die Kombination von hochwertigem Saatgut und organischem Dünger). Gleichzeitig konnten durch Programmkomponenten zur Einsparung von Energie die Lebenshaltungskosten der ausgewählten ländlichen Haushalte um bis zu 30 Prozent reduziert werden.

Allerdings sind die Möglichkeiten der tadschikischen Landwirtschaft begrenzt: nur etwa 7 Prozent der Landfläche Tadschikistans sind kultivierbar. Das Land weist schon jetzt mit durchschnittlich 0,14 Hektar landwirtschaftlicher Fläche pro Person eine der höchsten Bevölkerungsdichten weltweit auf. Das macht deutlich, dass in ländlichen Gegenden die Schaffung zusätzlicher Einkommensmöglichkeiten dringend notwendig ist. Um Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft zu fördern, begann die Welthungerhilfe 2007, den entstehenden Tourismussektor zu unterstützen, der beträchtliches Potenzial birgt. Derzeit ist die Welthungerhilfe dabei, gemeinschaftsbasierte Systeme des öko- und Agrartourismus im Zerafschan-Tal wieder zu beleben (www.ztda-tourism.tj/en). Als erster Schritt wurde ein Netzwerk von Dienstleistungsanbietern auf Dorfebene aufgebaut. Heute kümmert sich das Projekt hauptsächlich um die Qualitätsoptimierung im Tourismus.

Diese Aktivitäten finden im Rahmen eines breiter angelegten Projekts der Welthungerhilfe, des European Center for Eco- and Agro- Tourism und der Aga Khan Stiftung zur Förderung des Tourismus in ganz Tadschikistan statt. Das Projekt „Strengthening Tourism Business for Sustainable Development in Tajikistan“ (Förderung des Tourismus zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung in Tadschikistan) soll letztlich höhere Einkünfte für die Einwohner ländlicher und bergiger Regionen generieren und zur Einführung von Tourismusstrategien führen, die ökonomisch, sozial und ökologisch nachhaltig wirken. Einige lokale Dienstleister, die bei der Existenzgründung unterstützt worden waren (wie zum Beispiel Anbieter von Privatunterkünften, Fremdenführer, Fahrer, Köche und Portiers), konnten zusätzliche Einkünfte von bis zu 1.800 Euro (etwa 2.500 US-Dollar) erzielen. So sind sie in geringerem Maße auf Einkommen aus der Landwirtschaft angewiesen und weniger von ökonomischen oder wetterbedingten Schocks bedroht.

Angesichts der weitverbreiteten Ernährungsunsicherheit in ländlichen Gebieten, der voraussichtlichen Auswirkungen des Klimawandels und des anhaltend hohen Bevölkerungswachstums ist die Förderung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft zur Erlangung nachhaltiger Ertragssteigerungen ebenso wichtig wie die Schaffung alternativer Verdienstmöglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft.

Arme in städtischen und ländlichen Gebieten sind kaum gewappnet, um krisenhaften Entwicklungen etwas entgegenzusetzen, denn ihre Lebensgrundlage ist oft sehr fragil. Die Reduzierung dieser Verwundbarkeit erfordert ein entschlossenes Agieren von Seiten der Regierungen und eine Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen, den Vereinten Nationen und anderen wichtigen Institutionen. Kenia und Tadschikistan sind zwar mit unterschiedlichen geologischen und soziopolitischen Herausforderungen konfrontiert, beide Länder sehen sich aber immer häufiger den Folgen von wetterbedingten oder ökonomischen Schocks wie Dürren und Nahrungsmittelpreisspitzen ausgesetzt.

 

Fußnoten

  1. Eine neue Studie legt nahe, dass die Märkte heute weniger stark konzentriert sind als noch vor einigen Jahren. Die höhere Volatilität der Märkte scheint in den vergangenen Jahren dazu geführt zu haben, dass sich immer mehr Händler einen Gewinn vom Weizenhandel versprechen (Chabot und Tondel 2011).  
  2. Die tadschikische Nichtregierungsorganisation Advisory Information Network führte die Interviews in zufällig ausgewählten Haushalten von Weizenbauern aus drei Bezirken der Provinz Chatlon durch (Distrikte Baljuvon, Temurmalik und Vakhsh). Die Anzahl der Interviews pro Dorf wurde proportional zur Größe des jeweiligen Dorfs bestimmt.