Wie die Nachfrage nach Land in Sierra Leone die ländliche Existenz bedroht
Gerechter Zugang zu Land und natürlichen Ressourcen ist ein wesentlicher Bestandteil des Rechts auf Nahrung für die ländliche Bevölkerung im Allgemeinen und für benachteiligte und marginalisierte Gruppen im Besonderen.
FAO Right to Food, 2008
Seit Ende des Bürgerkriegs (von 1991 bis 2002), bemüht sich Sierra Leone, extreme Armut und Ernährungsunsicherheit zu überwinden. Trotz dieser Bemühungen bleibt die Ernährungslage jedoch sehr ernst (der WHI-Wert des Landes beträgt 24,7). Die Inlandsproduktion einiger Nahrungsmittel kann die örtliche Nachfrage nicht decken und Sierra Leone ist heute, im Gegensatz zu den Jahrzehnten vor dem Bürgerkrieg, Nettoimporteur von Lebensmitteln. Gleichzeitig sind 50 bis 60 Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig. Es handelt sich zum Großteil um Kleinbauern, die ihre Böden im Wanderfeldbau einige Jahre lang bearbeiten, bis jene nicht mehr fruchtbar sind, und sie dann zehn bis 15 Jahre lang brach liegen lassen.
Ausreichend Flächen für Kleinbauern und ausländische Großinvestoren?
Um der niedrigen Produktivität und der Ernährungsunsicherheit zu begegnen, setzt die Regierung Sierra Leones auf die Modernisierung der Landwirtschaft durch Technisierung und Kommerzialisierung. Im Jahr 2010 wurde ein Smallholder Commercialisation Programme (Kommerzialisierungsprogramm für Kleinbauern, SCP) im Wert von 400 Millionen US-Dollar aufgelegt, das Kleinbauern in die Wertschöpfungsketten einbinden soll. Im Rahmen einer neuen Ausrichtung auf großflächige kommerzielle Landwirtschaft versucht die Regierung, ausländische Direktinvestitionen für diesen Sektor zu gewinnen. Delegationen, unter anderem aus China, wurden vom Präsidenten empfangen und Foren zu Handel und Investitionen in London (2009) und Freetown (2011) abgehalten. Mit Unterstützung der Europäischen Gemeinschaft und mit Mitteln weiterer Geber verspricht die Sierra Leone Investment and Export Promotion Agency (Sierra-leonische Agentur zur Investitions- und Exportförderung, SLIEPA) „unkomplizierten Zugang zu Land und reibungslose Prozessabläufe“ (2012a).
SLIEPA argumentiert, es stünden weite Flächen ungenutzten Agrarlandes zur Verfügung, da „noch bis 2003 nur 15 Prozent des nationalen Gesamtvolumens von 5,4 Millionen Hektar anbaufähigen Lands bewirtschaftet wurden“ (SLIEPA 2012b). Die Zahlen stehen im Gegensatz zu einer Untersuchung des deutschen Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), die nahelegt, dass ein Großteil des Landes bereits überbeansprucht ist und es kaum Raum für eine Ausweitung der Landwirtschaft gibt (Bald und Schroeder 2011).
Wer profitiert vom „Big Push“, also dem Investitionsschub?
Von 2008 bis Mitte 2012 wurde in Sierra Leone landesweit beinahe eine Million Hektar Agrarfläche verpachtet oder war Gegenstand von Pachtverhandlungen. Die Investoren sind hauptsächlich an ölpalmen, Zuckerrohr und Nahrungsmittelpflanzen wie zum Beispiel Reis interessiert. Dies verdeutlicht, wie sehr der Landerwerb besonders durch die Krisen in den Nahrungsmittel- und Energiesektoren angefeuert wird. Die meisten Projekte sind exportorientiert. Mindestens einer der Investoren, das schweizerische Unternehmen Addax Bioenergy, das 44.000 Hektar Land im nördlichen Bezirk Bombali gepachtet hat, will Ethanol für den Export in die Europäische Union produzieren, wobei gleichzeitig Strom aus Nebenprodukten in Sierra Leone verkauft werden soll (Anane und Abiwu 2011).
Auch wenn die Investitionen hauptsächlich dazu dienen, den Konsumbedarf in den Ländern des Nordens zu decken, wird argumentiert, dass großangelegte Auslandsinvestitionen in die Landwirtschaft auch der örtlichen Bevölkerung Nutzen bringen können (siehe zum Beispiel Weltbank 2011a). Die folgende Fallstudie der Welthungerhilfe und der sierra-leonischen Nichtregierungsorganisation Green Scenery beleuchtet die Wirklichkeit hinter den Versprechungen und untersucht die Auswirkungen der Großinvestitionen auf die Sicherheit von Nahrung und Lebensunterhalt armer Menschen im ländlichen Sierra Leone.
Fallstudie: SAC-Investition im Stammesgebiet Malen, Bezirk Pujehun
“Heute gehört mir nur noch ein Viertel dessen, was ich früher besessen habe. Die Nahrungssituation ist viel schlechter, weil wir nichts mehr anbauen. Früher haben wir zweimal am Tag gegessen – heute nur noch einmal. Wir müssen alles einkaufen. Ich habe dem Socfin-[SAC]-Vorarbeiter 200.000 SLL gegeben, damit meine vier Kinder Arbeit bekommen. Ich habe ihnen [den Kindern] gesagt, dass wir schwierige Zeiten zu überstehen haben und dass sie arbeiten müssen; jetzt arbeiten meine vier Söhne für die Firma. Einen Sohn habe ich dafür aus der Schule genommen.” S. J., Dorf Sinjo, Stammesgebiet Malen, Sierra Leone
“Manchmal muss unsere Familie einen Kredit oder ein Darlehen aufnehmen. Wir haben momentan Schulden von 1.100.000 SLL. 200.000 SLL sind für Nahrungsmittel. Wir haben früher nie für Nahrungsmittel Schulden gemacht. In den letzten beiden Monaten konnte ich nichts zurückzahlen. Wir haben jährliche Zahlungen für unsere Plantagen erwartet, aber diese sind ausgeblieben.
Ich war bei Socfin angestellt, aber dann wurde ich krank und musste aufhören. Früher habe ich auf unserem eigenen Land gearbeitet, jetzt sitze ich nur zu Hause herum. Ich sehe den kurzfristigen Nutzen dieser Entwicklung nicht. Langfristig ist er mir auch nicht klar. Ich verstehe wenig von dem, was sie erreichen wollen. Wenn ich es verstehen würde, könnte ich vielleicht sagen, worin der Vorteil für die Zukunft liegt. Wir verstehen nicht viel, weil wir sehen, dass unser Stammesoberhaupt, die Firma und die Behörden enger miteinander arbeiten als mit uns.” Betty Sengeh, Dorf Sinjo, Stammesgebiet Malen, Sierra Leone
“Die Ressourcen, die wir noch von unseren Plantagen hatten, sind erschöpft. Früher gab es zum Beispiel das ganze Jahr über Kassava und Reis. Ich habe das ganze Jahr Palmöl und Erdnüsse eingelagert und sie verkauft, wenn wir Nahrungsmittel brauchten… Heute verbraucht unsere Familie acht Tassen Reis pro Tag, früher aßen wir 20 Tassen. Wir versuchen aber, trotzdem zweimal am Tag zu essen.” Sama Amara, Stammesgebiet Malen, Dorf Kortumahun, Sierra Leone
“Es gibt keine andere Möglichkeit, den Lebensunterhalt zu verdienen. Wenn es eine Alternative gäbe, würde ich nicht für Socfin [SAC] arbeiten. Als ich selbstständige Bäuerin war, konnte ich selbst entscheiden, wie viel ich essen und wie viel ich verkaufen wollte. Jetzt muss ich alles einkaufen und dabei mit sehr wenig Geld auskommen.
Es ist ziemlich schwierig, weil jetzt alles abgemessen wird. Als wir selber gewirtschaftet haben, brauchten wir nichts abzumessen. Und die Lebenshaltungskosten steigen.” Memai Charles, Stammesgebiet Malen, Dorf Kortumahun, Sierra Leone
Bereits seit 2007 arbeitet die Welthungerhilfe im Bezirk Pujehun zusammen mit den örtlichen Kleinbauern an der Wiederherstellung der ländlichen Infrastruktur und unterstützt Maßnahmen zur Einkommenssteigerung und zur Förderung der Ernährungssicherheit durch effizienten und umweltschonenden Gebrauch der verfügbaren natürlichen Ressourcen. Im Jahr 2011 pachtete die Firma Socfin Agricultural Company Sierra Leone Ltd (SAC), ein Tochterunternehmen des luxemburgischen Konzerns Socfin, in der Region 6.500 Hektar Land für die Pflanzung von ölpalmen und Kautschuk. Der Pachtvertrag betrifft ungefähr ein Viertel der Fläche des in Pujehun gelegenen Stammesgebietes Malen und umfasst 24 Dörfer (siehe Karte auf Seite 37). Er gilt für 50 Jahre, mit einer Verlängerungsoption für weitere 21 Jahre. Als unmittelbare Folge dieser Verpachtung haben Kleinbauern nun keinen Zugang mehr zu Agrarland oder Waldflächen und der Großteil der Projekte, die die Welthungerhilfe gemeinsam mit den örtlichen Landwirten durchgeführt hatte, musste eingestellt werden.
Wie in zahlreichen anderen Fällen stellen sich auch bei diesem Landgeschäft zwei wesentliche Fragen: Wie wird über den Erwerb des Landes entschieden und welche Auswirkungen hat er auf die Sicherheit von Ernährung und die Lebensgrundlagen der örtlichen Bevölkerung (Anseeuw et al. 2012b).
„Wir hatten nie eine Chance, das Geschäft auszuschlagen: wir fühlten uns genötigt.“
In den ländlichen Regionen Sierra Leones gehört das Land meist wenigen Familien, wobei das System der Stammesführerschaft eine wichtige Rolle bei der Verwaltung und Pflege des Landes spielt. Der Landbesitz von Großfamilien und die Rolle der Stammesautoritäten bei der Landverwaltung sind Teil des sozio-kulturellen Gefüges; das eine ist mit dem anderen untrennbar verbunden. Dementsprechend wird Land herkömmlicherweise nicht verpachtet, sondern zugeteilt. In den Gesetzen ist jedoch ein Verfahren verankert, mit dem Ausländer Pachtbesitz erwerben können. Dazu ist das Einverständnis sowohl der Stammesführer als auch der lokalen Autoritäten notwendig. Die Investoren können das Land entweder direkt von den Landbesitzern pachten oder die Regierung kann es als Hauptpächter wiederum unterverpachten.
Im Stammesgebiet Malen wurde die Investition der SAC zunächst als weitaus kleiner dargestellt, als sie tatsächlich war. örtliche Landbesitzer und -nutzer wurden erst informiert, als die Stammesführung die Entscheidung über die Landvergabe schon getroffen hatte. Sie wurden aufgefordert, ihre Unterschrift oder ihren Daumenabdruck unter die Vereinbarung zu setzen, ohne dass sie deren Details kannten oder verstanden. Tatsächlich vergingen nach Vertragsunterschrift drei ganze Monate, bevor der vollständige Text in der öffentlichkeit verlesen und vor Ort in die Stammessprache übersetzt wurde (siehe Box 4.1).
Die jährliche Pacht für das Land beträgt fünf US-Dollar pro Morgen (12,50 US-Dollar pro Hektar). Sie wurde von der Regierung festgelegt und nicht mit den Landwirten verhandelt. Die Landbesitzer erhalten lediglich 50 Prozent der jährlichen Pachtzahlungen; die andere Hälfte wird unter verschiedenen Ebenen der Verwaltung aufgeteilt (Bezirk und Stammesführung erhalten je 20 Prozent, die verbleibenden 10 Prozent gehen an die Staatsregierung).
Trotz dieser geringen Mitbestimmung stimmten manche Dorfgemeinschaften der Landvergabe in der Hoffnung auf neue Arbeitsmöglichkeiten und Bildungsangebote zunächst zu. Die erwarteten Vorteile blieben jedoch aus. Zwei weitere Dorfgemeinschaften, die die Vereinbarung zu Beginn befürwortet hatten, standen ihr im August 2011 kritisch gegenüber.
„Früher hatten wir viel mehr zu essen.“
In früheren Zeiten war das Stammesgebiet Malen eine bäuerliche Gesellschaft mit einem hohen Grad an Selbstversorgung. Heute ist in den Dorfgemeinden nur noch wenig Land verfügbar. Die ehemaligen bäuerlichen Familienbetriebe sind nun auf eine unsichere und unregelmäßige Nachfrage nach Arbeitskräften angewiesen und leiden unter den Sorgen und der Unsicherheit, die mit einer solchen Abhängigkeit einhergehen.
Als SAC das Land übernahm, bekamen die Bauern eine einmalige Zahlung von einer Million Leones (SLL), das entspricht ungefähr 220 US-Dollar, für jeden Morgen ölpalmen-Plantage, der verloren ging. Für andere Pflanzen wurde keine Entschädigung geleistet. Diese Zahlung ist in Relation zum jährlichen Einkommen, das die Bauern sonst hätten verdienen können, gering. Dieses Einkommen hatten die Familien zuvor häufig genutzt, um den Schulbesuch ihrer Kinder zu finanzieren.
Im Anbausystem der Kleinbauern trug jedes Familienmitglied zum Erfolg des Betriebs bei. Heute ist der Arbeitskräftebedarf auf den großen Plantagen deutlich geringer und einstige Bauernfamilien sind auf das Einkommen einzelner Familienmitglieder angewiesen. Es handelt sich dabei zumeist um Gelegenheitsarbeiten, für die die Arbeitskräfte von Tag zu Tag angestellt werden. Die Plantage zieht zahlreiche Arbeiter aus anderen Regionen an, während keine vertraglichen Vorkehrungen getroffen wurden, die der lokal ansässigen Bevölkerung einen Vorzug bei der Vergabe der Arbeitsmöglichkeiten einräumen würden.
Obwohl die Bezahlung auf den Plantagen derjenigen bei vergleichbaren Investitionsprojekten in Sierra Leone entspricht, reicht ein Tageslohn von 2,20 US-Dollar (das entspricht SLL 10.000) nicht aus, um eine Familie davon zu ernähren – schon gar nicht angesichts der steigenden Verbraucherpreise. Von Mai 2011 bis Mai 2012 stiegen die Marktpreise für Nahrungsmittel in der Region, die vom groß angelegten Landerwerb betroffen ist, durchschnittlich um 27 Prozent (vgl. Tabelle 4.1).
Angesichts eines Verlusts an Selbstversorgungskapazitäten und eines parallelen Anstiegs der Nahrungsmittelpreise sorgen sich immer mehr Menschen um den Zugang zu ausreichender Nahrung. Alle Gesprächspartner, die im Mai 2012 befragt wurden, gaben an, dass sowohl die Menge als auch die Qualität der konsumierten Nahrung seit der Großinvestition durch die SAC abgenommen haben. Die Interviewten sagten, dass sie vor allem weniger Fleisch äßen, da durch die Rodungen bewaldeter Flächen für die SAC-Plantagen kaum noch Buschfleisch zu finden sei.
Die Umwandlung von früheren Agrarflächen und Buschland zu Plantagen hat noch weitere ernste Folgen. Die Menschen sind zunehmend besorgt darüber, dass es kaum noch Brennholz gibt (wie in den meisten Gebieten von Afrika südlich der Sahara ist Brennholz auch hier die Hauptenergiequelle der Haushalte, siehe Kapitel 3, S. 24) und dass auch pflanzliche Heilmittel immer schwieriger zu finden sind.
Box 4.1
Chronik der Investition der Socfin Agricultural Company Sierra Leone Ltd. (SAC) im Stammesgebiet Malen
2009
In der Region wird eine Machbarkeitsstudie vorgenommen (unter anderem werden Bodenproben entnommen und Landvermessungen durchgeführt). Die Bevölkerung wird nicht informiert.
September 2010
Bei einer Versammlung der Stammesführung in Sahn Malen teilt der Paramount Chief (Stammesoberhaupt) den Vertretern der lokalen Dorfgemeinschaften mit, dass ein Unternehmen die frühere Regierungsplantage übernehmen wird.
Februar 2011
Bei einem Treffen der Stammesführung in Sahn Malen teilt der Paramount Chief den Vertretern der Kommunen mit, dass die gesamte Fläche des Stammesgebiets von SAC übernommen wird, um ölpalmen und Kautschuk anzubauen. Die Landbesitzer von Malen erklären ihren Widerwillen dagegen, das Land zu verpachten.
Februar/März 2011
Das Dorfoberhaupt von Semabu beruft eine Versammlung ein. Die Dorfgemeinschaft ist besorgt und fürchtet um ihre Plantagen und ihre Nahrungsmittelproduktion. Der Paramount Chief erklärt ihnen, dass das Unternehmen das Land mit oder ohne Zustimmung der Bewohner übernehmen werde. Auf die Frage, woher die Menschen ihre Nahrung nehmen sollen, antwortet er, dass sie dafür das Geld verwenden sollen, das sie bekommen werden.
5. März 2011
Bei einem Stammestreffen in Sahn Malen soll der Pachtvertrag unterschrieben werden. Bewaffnete Polizisten sind anwesend. Dorfoberhäupter, die die Vereinbarung unterschreiben, erhalten Geld zur Weiterverteilung an die Landbesitzer in ihrem Dorf. Dorfbewohner und Dorfoberhäupter, die nicht unterschreiben wollen, bleiben der Versammlung fern. Laut Pachtvertrag wird die Vereinbarung nur von fünf der neun Stammesverwaltungen in Malen unterschrieben.
Ab April 2011
Die Palmölplantagen der Landwirte werden zur Berechnung von Entschädigungszahlungen vermessen. Bestehende Palmölplantagen werden gerodet. Eine Baumschule wird in Betrieb genommen. Die Infrastruktur wird eingerichtet.
30. Mai 2011
Bei einem Treffen aller Interessengruppen erklären die Konfliktparteien ihren Streit für beendet und drücken ihre Absicht aus, zum Wohle der Menschen zusammenzuarbeiten.
4. Juni 2011
Bei einem Stammestreffen in Sahn Malen wird der Vertrag zum ersten Mal vollständig öffentlich verlesen und teilweise in die lokale Sprache, Mende, übersetzt. Die Rechtmäßigkeit des Vertrags wird hinterfragt.
Oktober 2011
Besorgte Landbesitzer veröffentlichen eine Erklärung und führen darin ihre Beschwerden aus (Malen Land Owners Association, „Grievances of Land Owners in Malen Chiefdom [Beschwerden der Landbesitzer im Stammesgebiet Malen], Brief an den Bezirksleiter des Bezirks Pujehun, 2. Oktober 2011, zu finden unter www.greenscenery.org). über 100 Landbesitzer blockieren den Zugang zum von SAC gepachteten Land. 40 werden verhaftet, gegen 15 von ihnen wird Anklage wegen Randalierens, Verschwörung und Drohungen erhoben.
Förderung der Diskussion über alternative Investitionsformen
Es ist die Aufgabe nationaler Regierungen, das Recht ihrer Bevölkerung auf ausreichende Ernährung zu respektieren und zu schützen. Immer wieder werden jedoch Einwände derjenigen nicht beachtet, die vor Fehlentwicklungen und damit vor Ernährungsunsicherheit warnen. Daher müssen in solchen Fällen zivilgesellschaftliche Organisationen dabei unterstützt werden, ihre Regierungen zu einem Dialog über die ersichtlichen Folgen politischer Entscheidungen zu bewegen.
Um Belege für die Auswirkungen der SAC-Investitionen in Pujehun zu erfassen, haben die Welthungerhilfe und Green Scenery die Bevölkerung des Stammesgebiets Malen dabei unterstützt, ein gemeinschaftsbasiertes Monitoringsystem aufzubauen und so die längerfristigen Veränderungen der Lebensgrundlagen zu beobachten. Seit Mitte 2012 richtet Green Scenery zudem eine Datenbank ein, die alle groß angelegten Landgeschäfte in Sierra Leone registriert. Dies ist Teil einer umfassenden Initiative, die gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen für mehr Transparenz bei großflächigen Landakquisitionen sorgen soll. Anhand der so gesammelten Informationen soll das Gespräch über die Folgen dieser Geschäfte mit Politikern auf Regierungsebene und mit den nationalen Medien gesucht werden. Diese und zahlreiche weitere Initiativen sollen die Risiken großflächiger Landgeschäfte bewusst machen und alternative Modelle landwirtschaftlicher Investitionen fördern.
Im östlichen Sierra Leone sind Kleinbauern, die Kakao und Kaffee anbauen, mit ähnlichen Einschränkungen konfrontiert, wie sie in Pujehun und anderen ländlichen Gebieten Sierra Leones auftreten. Da sie mit wenig produktiven Sorten und Methoden arbeiten und ein Großteil der Bäume schon recht alt ist, erwirtschaften sie nur geringe Erträge. Die schlechte Qualität ihrer Produkte führt wiederum dazu, dass sie bei den Zwischenhändlern nur geringe Preise erzielen. Es fehlt ihnen an Anreizen, in bessere Methoden zur Ernte, Fermentierung, Trocknung und Vermarktung zu investieren, und viele von ihnen sind in Kreditsysteme eingebunden, die es ihnen nicht ermöglichen, den Status quo zu durchbrechen.
Zwar sind maßgebliche politische Strategien auf nationaler Ebene klar formuliert, allerdings haben lokale Regierungsstellen ihre Rolle bei der Umsetzung dieser Strategien noch nicht ausreichend verinnerlicht und nehmen ihre entsprechende Funktion unzureichend wahr. Beispielsweise hat die Einführung von „Farmer Field Schools“ (Schulungsprogramme für Landwirte) im Rahmen des Smallholder Commercialisation Programme den Großteil der Haushalte noch nicht erreicht. Der Kakaosektor wird nicht genügend durch Beratungsdienste unterstützt und die Kakaoexporte stagnieren seit vielen Jahren wieder weit unter dem Vorkriegsniveau.
Vor diesem Hintergrund zeigt die Erfahrung der Welthungerhilfe in Sierra Leone, dass die kleinbäuerliche Landwirtschaft mit angemessener Unterstützung sehr wohl ein kommerzielles Potential aufweist, das über die Steigerung der Nahrungsverfügbarkeit auf lokalen und regionalen Märkten hinausgeht.
Mit Unterstützung der Europäischen Kommission arbeiten die Welthungerhilfe, die Agro Eco Louis Bank und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) mit drei nationalen Kooperativen zusammen, um im östlichen Sierra Leone „durch bessere Produktion und Vermarktung von Kakao und Kaffee Gesundheit und Wohlbefinden von Bauernfamilien zu verbessern“. Seit dieses Projekt im Jahr 2007 begonnen wurde, konnten ungefähr 10.000 Kleinbauern erreicht werden, die durchschnittlich 2,4 Hektar bewirtschaften. So wurde klar bewiesen, dass erhebliche Verbesserungen von Menge und Qualität auch dort möglich sind, wo die Produktion unter einer Vielzahl von Kleinbauern aufgeteilt ist. Von 2007 bis 2009 stieg das durchschnittliche Haushaltseinkommen der beteiligten Produzenten aus Kaffee und Kakao um 81 Prozent (190 US-Dollar); 15 Prozent dieses Anstiegs können direkt auf das Projekt zurückgeführt werden (indem Preise in Dörfern innerhalb und außerhalb des Projekts verglichen werden). Auch die Qualität des Kakaos, der durch die drei Projekt-Kooperativen verkauft wurde, ist deutlich gestiegen (vgl. Abbildung 4.1).
Diese Daten zeugen vom wirtschaftlichen Potential der Kleinbauern. Mit angemessener und ausreichender Unterstützung und mit kostengünstigen Fortbildungsmethoden wie zum Beispiel den Farmer Field Schools können Kleinbauern Einschränkungen entlang der Wertschöpfungskette überwinden und gleichzeitig die diversen und nachhaltigen Strukturen der kakaoproduzierenden Agroforstwirtschaft bewahren.
Allerdings hängen die Expansion und die Nachhaltigkeit solcher Erfolgsgeschichten zum großen Teil davon ab, was die Regierung von Sierra Leone unter „landwirtschaftlicher Modernisierung“ versteht und welche Priorität der Unterstützung der Kleinbauern dabei eingeräumt wird.
Fußnoten
- Das geplante Budget des Programms beträgt 403 Millionen US-Dollar. Zum Stand von Juli 2012 waren dem SCP 50 Millionen US-Dollar aus dem von mehreren Gebern finanzierten und von der Weltbank verwalteten Global Agriculture and Food Security Program (GAFSP) bewilligt worden. Die Islamische Entwicklungsbank hatte zudem einen Beitrag von 20 Millionen US-Dollar angekündigt. Eine Reihe weiterer Programme mit einem Gesamtvolumen von 83 Millionen US-Dollar werden teilweise zum SCP gezählt, weil sie einige Komponenten des Programms unterstützen (das Rural Private Sector Program der Weltbank, das Agricultural Rehabilitation Program der Afrikanischen Entwicklungsbank sowie das Rural Finance and Community Improvement Program und das Community-Based Poverty Reduction Project des Internationalen Fonds für Landwirtschaftliche Entwicklung).
- Diese Daten stammen von der sierra-leonischen Nichtregierungsorganisation Green Scenery.
- Im August 2011 gab die Welthungerhilfe eine unabhängige Fallstudie in Auftrag, um einen genaueren Einblick in die Perspektive der lokalen Bauern und ein besseres Verständnis der Auswirkungen der Landgeschäfte zu erlangen. Die vollständige Studie ist auf der Website der Welthungerhilfe zu finden (Melsbach 2012).