Sambia:
Das Projekt Realigning Agriculture to Improve Nutrition (RAIN)
Die Steigerung der Ernährungsvielfalt zählt zu den effektivsten Methoden zur nachhaltigen Vorbeugung von verborgenem Hunger.
Thompson und Amoroso, 2010
Box 4.1
Grundlegende Informationen zum Programm RAIN
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Das Programm erreicht mehr als 4.490 Haushalte mit schwangeren Frauen und/oder Kindern unter zwei Jahren.
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Es wurde ein System entwickelt, in dem Gemeindegesundheitshelfer und ausgewählte Kleinbauern Frauengruppen schulen.
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Partner in der Durchführung sind das Ministerium für Landwirtschaft und Viehzucht, das Ministerium für Gesundheit, die Behörde für kindliche Entwicklung in Mumbwa sowie das Internationale Forschungsinstitut für Ernährungs- und Entwicklungspolitik (IFPRI).
Das Projekt Realigning Agriculture to Improve Nutrition (Neuausrichtung der Landwirtschaft zur Verbesserung der Ernährung, RAIN) in Sambia wurde entwickelt, um dem Problem der chronischen Unterernährung mit nachhaltigen und ausweitbaren sektorübergreifenden Lösungskonzepten zu begegnen und damit die Lebensqualität der ärmsten und am meisten gefährdeten Menschen Sambias entscheidend zu verbessern.
Mehr als 60 Prozent der 13 Millionen Sambier leben in ländlichen Gebieten und verdienen ihren Lebensunterhalt in der Landwirtschaft (Zambia 2012). Im Welthunger-Index (WHI) 2014 steht Sambia an 68. Stelle und weist damit eine „sehr ernste“ Hungersituation auf. Geschätzte 45 Prozent aller sambischen Kinder unter fünf Jahren zeigen Wachstumsverzögerungen (engl.: „stunting“) und sind chronisch unterernährt (UNICEF 2014b). Die unzureichende Aufnahme von Nährstoffen zeigt sich durch mangelnde Ernährungsvielfalt: Laut einer Grundlagenstudie von 2011 (Disha et al. 2012) erfüllte nur ein Viertel der untersuchten Kinder das Minimalkriterium für eine vielseitige Ernährung, nämlich den Verzehr von vier oder mehr Nahrungsmittelgruppen am Vortag.
Im Jahr 2010 nahmen Concern Worldwide Zambia und das Internationale Forschungsinstitut für Ernährungs- und Entwicklungspolitik (IFPRI) zusammen die Arbeit an einem fünfjährigen Forschungsprojekt auf, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, wie die Landwirtschaft zum Zwecke der Ernährungssicherung optimiert werden kann. Das Projekt, das Mitte 2011 begann, verfolgt drei Ziele:
- Die Verbreitung chronischer Unterernährung bei Kleinkindern soll reduziert und der Ernährungszustand schwangerer und stillender Frauen im Bezirk Mumbwa durch gezielte Maßnahmen während des kritischen Zeitraums von der Empfängnis bis zum zweiten Geburtstag der Kinder (die ersten 1.000 Tage des Lebens) verbessert werden.
- Die Arbeit der Ministerien für Landwirtschaft und Viehzucht sowie für Gesundheit soll, vor allem auf Bezirksebene, strategischer ausgerichtet und besser aufeinander abgestimmt werden, damit eine nachhaltige und vielfältige Ernährung wirksam und effizient erreicht werden kann.
- Die auf Bezirksebene gewonnenen Erkenntnisse sollen geteilt und genutzt werden, um damit Einfluss auf lokale, nationale und internationale Strategien zur Vermeidung kindlicher Wachstumsverzögerungen zu nehmen.
Ein Schlüsselelement des Projekts ist es, die Koordination zwischen den Verantwortlichen in den Sektoren Landwirtschaft, Gesundheit und Gemeindeentwicklung neu zu organisieren. Unterernährung ist ein vieldimensionales Problem mit zahlreichen unmittelbaren und zugrunde liegenden Ursachen. Um es zu bewältigen, muss sektorübergreifend gearbeitet werden, denn stringentere Koordination und Abstimmung zwischen den Ressorts und Ministerien sind für eine nachhaltige Verbesserung der Ernährungssituation unerlässlich. Die Veränderungen beginnen in Mumbwa auf Bezirksebene und setzen sich bis in die Gemeinden fort. In Mumbwa wurde ein Bezirkskomitee zur Ernährungskoordination (District Nutrition Coordination Committee, DNCC) etabliert, das Vertreter der Ministerien für Landwirtschaft und Viehzucht und Gesundheit, die Zuständigen für kommunale Entwicklung und die Gesundheit von Müttern und Kindern sowie Vertreter der Zivilgesellschaft zusammenbringt.
Dieses Koordinierungsmodell gilt als innovative und effiziente Unterstützung der Zusammenarbeit zwischen Ministerien. Es soll in allen 14 Bezirken übernommen werden und mit Unterstützung des Scaling- Up-Nutrition-(SUN-)Fonds das Projekt „The First 1000 Most Critical Days“ (Die kritischen ersten 1.000 Tage) umsetzen.
Ansätze des Projekts Realigning Agriculture to Improve Nutrition (RAIN)
Box 4.2
Saatgut, Nutztiere und Schulungen führen zu einer abwechslungs- und nährstoffreicheren Ernährung
Esnart Shibeleki zieht ihre fünf Kinder alleine groß. Bevor sie sich 2011 dem RAIN-Projekt anschloss, nahm ihre Familie nur zwei Mahlzeiten täglich zu sich und baute zwei Nutzpflanzen an: Mais und Baumwolle.
Das Projekt stellte ihr Samen für mikronährstoffreiche Pflanzen wie Amarant, Tomaten, Karotten, Sojabohnen, Augenbohnen und Erdnüsse zur Verfügung. Heute baut Esnart in ihrem Garten 14 verschiedene Pflanzensorten an und nutzt außerdem ein solarbetriebenes Dörrgerät, um ihr Gemüse für den späteren Verzehr zu trocknen.
„Mit diesen neuen Pflanzen kann ich meine Familie besser ernähren“, sagt sie. „Jetzt bekommen meine Kinder fünfmal am Tag etwas zu essen – drei Hauptmahlzeiten und zwei Zwischenmahlzeiten. Sie trinken Ziegenmilch und ernähren sich abwechslungsreicher und gesünder.“
Mithilfe der Hühner und der Ziege, die Esnart erhielt, konnte sie die Ernährung ihrer Familie mit tierischen Proteinen ergänzen und den Dünger zur Verbesserung des Bodens in ihrem Garten nutzen. Damit sie angemessene Ernteerträge erreicht, wird Esnart von Elly unterstützt, einem Kleinbauern, der an dem Modellprojekt teilnimmt. Er begleitet ihre Arbeit und kontrolliert, ob die Pflanzen gut wachsen.
Ernährungssysteme
Hausgärten und Kleinviehzucht. Wie in großen Teilen Sambias ist auch im Bezirk Mumbwa Mais die wichtigste Nahrungspflanze. Da der Verzehr selbst produzierter Lebensmittel in den Haushalten zu den Schwerpunkten des Projekts zählt, konzentrieren sich die landwirtschaftlichen Aktivitäten insbesondere auf Hausgärten und Kleintierhaltung. Das Projekt fördert den Anbau von Nutzpflanzen mit hohem Nährwert, darunter Hülsenfrüchte (Augenbohnen, Erdnüsse und mit Eisen angereicherte Bohnen), Gemüse (Amarant, grüne Bohnen, Karotten, Kürbis und Kürbisblätter, Paprika, Raps, Spinat, Tomaten), Obst (Bananen, Granadillas, Passionsfrüchte und Wassermelonen) und orangefleischige Süßkartoffeln. Da die mit Eisen angereicherten Bohnen früh erntereif sind, rasch gar werden und gut schmecken, sind sie bei der Bevölkerung beliebt. Auch ihre Blätter werden gegessen.
Ehrenamtliche Gemeindegesundheitshelfer und ausgewählte Kleinbauern, die am Modellversuch des Programms teilnehmen, bieten kontinuierliche Schulungen zu Landwirtschaft und Ernährung für Frauengruppen mit 15 bis 20 Teilnehmerinnen an, die schwanger sind oder Kleinkinder unter zwei Jahren haben. Die Kurse vermitteln landwirtschaftliche Verfahren zur Ertragssteigerung – darunter die Verwendung organischen Düngers, bewährte Praktiken des integrierten Pflanzenschutzes sowie Anleitungen zur Kleinviehzucht (Box 4.2).
Auch die Vermehrung und Weitergabe von Nutztieren wird gefördert. Zu Beginn des Projekts wurden allen Kleinbauern, die an dem Modellversuch teilnahmen, eine Ziege und ein Ziegenbock zugeteilt. Ein Drittel der Teilnehmerinnen der Frauengruppen erhielt eine weibliche Ziege und gab deren ersten weiblichen Nachwuchs an andere Frauen der Gruppe weiter. Außerdem erhielt jede Frau ein Huhn. Durch die Milch, die Eier und gelegentlich das Fleisch der Tiere wird der Konsum von Mikronährstoffen und Proteinen in den Familien gesteigert; der Dünger, den die Tiere produzieren, verbessert zudem die Bodenfruchtbarkeit der Gemüsegärten. Zur Bewässerung in der Trockenzeit wurden im Rahmen des Programms auch Brunnen rehabilitiert.
Verarbeitung und Lagerung von Nahrungsmitteln. Damit den Frauen möglichst viel Zeit für die Kinderbetreuung bleibt, wird versucht, einerseits den Kochaufwand zu minimieren und andererseits die Zubereitung und Haltbarmachung von Nahrungsmitteln zu verbessern. Außerdem wurde den Frauengruppen jeweils ein solarbetriebenes Dörrgerät zur Verfügung gestellt, mit dem sie Obst und Gemüse trocknen können und damit ganzjährigen Zugang zu mehr mikronährstoffreichen Nahrungsmitteln wie Augenbohnenblättern, Kürbisblättern, Tomaten und Okra haben. Gemüse an der Sonne zu trocknen, ist eine traditionelle Methode der Haltbarmachung; die solaren Dörrgeräte können diesen Prozess beschleunigen und dabei die Verunreinigung und den Nährstoffverlust auf ein Minimum reduzieren.
Verhaltensänderung
Ein Ziel des RAIN-Projekts ist es, die Nahrungsverwertung zu optimieren. Darunter versteht man üblicherweise die Art und Weise, wie der Körper die verschiedenen in der Nahrung enthaltenen Nährstoffe so gut wie möglich nutzt (FAO 2008). Schlüsselbotschaften zu Veränderungen von Verhaltensweisen (Social and Behavior Change, SBC) zielen darauf ab, Verbesserungen bei der Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern (Infant and Young Child Feeding, IYCF) sowie Veränderungen geschlechtsspezifischer Verhaltensweisen herbeizuführen. Die Botschaften unterstreichen die Wichtigkeit von mehr Ernährungsvielfalt, gesunder Ernährung während der Schwangerschaft, dem frühen und ausschließlichen Stillen, der angemessenen Menge und Qualität von Beikost sowie präventiver Gesundheitsleistungen wie Impfungen und Schwangerenvorsorge. Grundlage für diese Aktivitäten sind Lehrpläne der Regierung und leicht verständliche Beratungsmaterialien zur Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern.
Bei den Botschaften zu landwirtschaftlicher Diversifizierung, Ernährung und Gesundheit spielen auch Genderfragen eine Rolle. über 40 Prozent der landwirtschaftlichen Erwerbsbevölkerung in den Entwicklungsländern sind Frauen, und in Afrika beträgt der Anteil sogar mehr als 50 Prozent (FAO 2011). Und doch lassen Maßnahmen, die den Gemeinden zu mehr Nahrungs- und Ernährungssicherheit verhelfen sollen, oft außer Acht, wie viele verschiedene Aufgaben die Frauen in einer gewissen Zeit erfüllen müssen und welchen spezifischen Zwängen sie ausgesetzt sind. Das Projekt versucht, dieses Versäumnis wettzumachen, nicht zuletzt, indem auch die Ehemänner gefordert sind, bei der häuslichen Landwirtschaft und Ernährung mitzuhelfen.
Durch die Arbeit mit speziellen Kommunikationsmaterialien soll die Sichtweise auf bestimmte gesellschaftliche Traditionen und überzeugungen in Bezug auf Geschlechterrollen und -verhalten bei den Zielgruppen und in den teilnehmenden Gemeinden verändert werden. Diese Botschaften unterstützen die Entscheidungsautonomie von Frauen ebenso wie eine gerechtere Verteilung der Aufgaben in Landwirtschaft und Kinderbetreuung. Angesichts der entscheidenden Rolle der Männer unterstreicht das Programm, wie wichtig es ist, Männer und Jungen für die Unterstützung der Frauen bei ihren Aufgaben in der Produktion und der Kinderbetreuung zu gewinnen. Die Schlüsselbotschaften werden kreativ vermittelt, zum Beispiel durch Theaterstücke oder Kochvorführungen. Verschiedene Akteure in diesem Veränderungsprozess, wie Gesundheitspersonal oder landwirtschaftliche Berater, verstärken diese Botschaften ebenfalls.
Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens
Das Projekt baut auf den existierenden Strukturen auf, erweitert ihre Kapazitäten und bemüht sich gleichzeitig, die Nachfrage nach Gesundheitsdiensten zu steigern. Mitarbeiter der Regierung und ihrer Partner schulen die freiwilligen Gemeindegesundheitshelfer im Thema Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern. Außerdem führen die Mitarbeiter der Gesundheitseinrichtungen nach dem „Train the trainer“-Konzept monatliche Auffrischungsseminare für die Freiwilligen durch, in denen Themen wie Müttergesundheit, die Durchführung von Kochvorführungen und die Bekämpfung von Mikronährstoffmangel vermittelt werden. Die Gemeindegesundheitshelfer mobilisieren zudem die Bevölkerung, an den halbjährlich stattfindenden Kindesgesundheitswochen und weiteren nationalen Thementagen zur öffentlichen Gesundheit teilzunehmen.
Nahrungsergänzung
Das Projekt unterstützt die ergänzende Verabreichung von Mikronährstoffen durch Eisen- und Folsäuregaben für schwangere Frauen und die Ausgabe von Vitamin-A-Supplementen an Kinder zweimal pro Jahr. Außerdem wird die Entwurmung von Kindern und Schwangeren gefördert. über die Kommunikation zur Verhaltensänderung wird die Bevölkerung aufgefordert, diese Angebote wahrzunehmen. Das Projekt verfolgt ein langfristiges Ziel und will die Menschen dabei unterstützen, dass sie den Großteil ihres Ernährungsbedarfs durch ein vielseitiges Ernährungssystem nachhaltig decken können.
Erste Wirkungen
Die vorläufigen Ergebnisse des Programms sind vielversprechend. Den ersten Berichten zufolge hat innerhalb von weniger als drei Jahren die Produktion vielfältiger und mikronährstoffreicher Nahrungsmittel signifikant zugenommen, und die Nahrungsvielfalt bei Kindern und Müttern, einer der Behelfsindikatoren für Nahrungsqualität, konnte verbessert werden. Zudem hat der Anteil von Frauen zugenommen, die gemeinsam mit ihren Männern oder völlig eigenständig Entscheidungen zu Nahrungsproduktion und Haushaltsausgaben treffen.
Die Ergebnisse der Grundlagenstudie von IFPRI zeigen, dass es Frauen mit einem hohen Grad an Empowerment mit größerer Wahrscheinlichkeit gelingt, ein Minimum an Nahrungsvielfalt für ihre Kinder zwischen sechs und 23 Monaten zu erreichen, und dass sie außerdem eher zu denjenigen gehören, die in den vergangenen sechs Monaten ein Gesundheitszentrum aufgesucht haben. Der Anteil der Frauen, die mitentscheiden, welche Pflanzen angebaut werden, und die Gewinne aus dem Verkauf der Ernten ausgeben, hat sich nahezu verdoppelt. Allerdings ist noch immer ungefähr die Hälfte der Frauen nicht an diesen Entscheidungsprozessen beteiligt, sodass hier weitergehende Anstrengungen nötig sind. Diese und andere Erfahrungen fließen kontinuierlich in Projekte in Sambia sowie in die breiter angelegten Programme zu Landwirtschaft und Ernährung von Concern Worldwide in Mosambik, Ruanda, Sierra Leone, Tansania und Uganda ein.