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Mali:

 

Hunger, Unterdrückung und Hoffnung


 
   
Länder-Fallstudie
Oktober 2015
Foto: Jens Grossmann/Welthungerhilfe, Mopti, Mali. Wegen des bewaffneten Konflikts mussten 2012 zahlreiche Menschen ihre Heimat verlassen und sich entweder innerhalb des Landes oder in Nachbarländer auf die Flucht begeben. Die beiden Frauen versuchen in einem übergangslager in Mopti ihren Familien eine Mahlzeit zuzubereiten, 2012. Ausblenden

map of Mali Siehe Quellen

Hadi Hadi Mahamane aus Toya, einem kleinen Dorf südwestlich von Timbuktu

Inmitten der Sanddünen der Sahara liegt Toya, ein kleines Dorf südwestlich von Timbuktu und nahe dem Fluss Niger im nördlichen Mali. Die Menschen sind auf den Fluss angewiesen, denn seine Nebenflüsse bewässern ihre Felder. Zudem fischen sie in ihm und lassen ihr Vieh an seinen Ufern grasen.

Im Jahr 2012 wurde das alltägliche Leben jäh durchbrochen, als gewalttätige Rebellen in das Dorf einfielen und alle Menschen attackierten, die nicht fliehen konnten. Die 65-jährige Hadi Mahamane erinnert sich noch genau:

Ich versuchte auch zu fliehen. Aber bald ging mir das Geld aus und ich musste nach nur zwei Monaten zurückkommen. Ich ging wieder nach Hause und kümmerte mich um meine Enkelkinder. Wir wohnten zu zehnt in einem Haus und lebten von dem, was zurückgelassen worden war, und von der Solidarität unserer Nachbarn. Jeder, der ein Schaf oder einen Sack Reis besaß, teilte mit den anderen. In den Gärten konnten wir nichts anpflanzen. Selbst wenn es den Frauen erlaubt gewesen wäre, das Haus zu verlassen, hätte ihnen doch die Tatkraft gefehlt. Wir waren am Leben, körperlich anwesend, aber die Angst lähmte uns. Ich habe mich nie satt gegessen, damit ich den Kindern etwas geben konnte. Aber es reichte nie aus. Sie waren schwach, also ging ich mit ihnen zum Gesundheitszentrum. Dort sagten sie mir, dass die Kinder nicht krank seien, sondern hungrig.

Ihre Geschichte sagt viel über die Krise in Mali aus, in deren Zuge Frauen und Kinder isoliert in ihren Häusern blieben, während die Männer sich auf die Suche nach Geld und Lebensmitteln machten. Andere Männer verließen die Dörfer aus Scham darüber, dass sie den Waffen der Rebellen nichts entgegensetzen konnten und machtlos zuschauen mussten, wie diese ihre Frauen und Kinder drangsalierten.

Die Sicherheit im Norden zerfällt

Foto: MINUSMA/Marco Dormino; Auf dem Boden des früheren Gerichtsgebäudes wurden Gewehrkugeln gesehen, bevor das Gebäude während des Konflikts in Gao, 1200 km nördlich von Bamako, Mali, schwer beschädigt wurde. Ausblenden

4.1%

der malischen Bevölkerung sind unterernährt.

12.7%

der Kinder unter 5 Jahren sind ausgezehrt (engl. „wasted“).

38.3%

der Kinder unter 5 Jahren sind in ihrer Entwicklung zurückgeblieben (engl. „stunted“).

12.3%

der Kinder sterben, bevor sie 5 Jahre alt werden.

Fatimata Fatimata Dicko, eine Gemeindeführerin beim Gesundheitszentrum von Kabara, einem Dorf sieben Kilometer südlich von Timbuktu.

Als Militärs im März 2012 einen Staatsstreich gegen die Regierung verübten, gerieten die nördlichen Gebiete Malis unter die Kontrolle von Tuareg- Separatisten. Rangniedere Offiziere waren mit der Untätigkeit der Regierung unzufrieden gewesen und fühlten sich nun für den Kampf gegen die Tuareg-Rebellion im Norden des Landes nicht ausreichend gerüstet. Die Tuareg leben traditionell als Hirtennomaden in der Sahara und der nördlichen Sahelzone. Im April 2012 nutzten Tuareg-Separatisten im Zusammenschluss mit kriminellen Netzwerken und zum Teil aus den Nachbarländern stammenden islamistischen Extremisten das bestehende Machtvakuum, griffen größere Städte im Norden an und rückten Richtung Süden vor.

Als die gewaltsamen Aufstände im Norden begannen, waren ungefähr 4,6 Millionen Malier ohnehin bereits wegen zu geringer Regenfälle im Jahr 2011 von Nahrungsunsicherheit betroffen (UN OCHA 2012). Diese Dürre löste in Verbindung mit der Rückkehr entlassener und schwer bewaffneter Tuareg-Soldaten aus Libyen schließlich die Krise im Norden aus. Die Tuareg streiten seit jeher für mehr Autonomie im Norden Malis und erklärten ihr traditionelles Gebiet in der Sahara und der Sahelzone zur unabhängigen Region Azawad – eine Forderung, die bis in die Kolonialzeit zurückreicht. Wenige Tage nach Beginn der Aufstände marschierte die von den Tuareg geführte Nationale Bewegung für die Befreiung des Azawad (Mouvement National pour la Libération de l’Azawad, MNLA) mit Unterstützung islamistischer Extremisten in Gao, Kidal und Timbuktu ein. Die Extremisten übernahmen das Kommando und verhängten ihre eigenen islamischen Gesetze und Regeln über die örtliche Bevölkerung. Es gab zahlreiche Berichte über Menschenrechtsverletzungen. Die Misshandlungen, die verübt wurden, schwächten indes den sozialen Zusammenhalt und untergruben das Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit.

Während die Rebellen der MNLA im April 2012 in Toya einfielen, nahmen sie alles mit, was sie finden konnten: Motorpumpen, Treibstoff, Motorräder, Werkzeuge usw. Die Menschen hatten große Angst. Manche flohen, andere wurden in ihren Häusern eingesperrt. Niemand schlief.

...erzählt der Dorfvorsteher Yacouba Mahamane Touré....

Der Großteil der Dorfbewohner sind Bauern und damit auf Ackerbau angewiesen. Alle bewirtschaften Land, auch die Peul [Viehhirten] und die Bozo [Fischer]. Aber selbst wenn einem nicht alles weggenommen worden war, bestellte niemand mehr sein Land. Niemand traute sich auf die Felder in der Nähe des Dorfes. Diejenigen, die außerhalb ein bisschen isoliert lebten, suchten in unserem Dorf Schutz. Das Vieh war sehr begehrt, und die Rebellen stahlen es oft für den eigenen Verzehr.

Während der neunmonatigen Belagerung des Nordens wurden Vorräte nur sorgsam verbraucht und nicht verkauft. Benzin- und Wasserpumpen für die Bewässerung der Reisfelder wurden entfernt oder zu Bargeld gemacht. Felder wurden aufgegeben, chemische Dünger rationiert und die Infrastruktur, wie zum Beispiel Deiche zur Vermeidung von überflutungen durch den Niger, vernachlässigt. Die Nutztiere wurden gestohlen oder starben an Schwäche oder Krankheiten – eine Folge mangelnden Auslaufs und Weidegangs sowie fehlender tierärztlicher Versorgung. Fischer verloren ihre Lebensgrundlage ebenso wie diejenigen, die mit ihnen zusammenarbeiteten. Angestellte der Behörden flohen, darunter auch Polizisten und Lehrer. Es gab kein Bargeld mehr. Geschäfte und Banken schlossen. Entwicklungsprojekte wurden ausgesetzt.

Frauen traf es besonders hart.

Die strengen Regeln und Kleidervorschriften der Rebellen machten uns große Angst, und wir verließen kaum unsere Häuser. Wir wurden gezwungen, zu Hause zu bleiben. Dadurch hatten wir weder genügend Wasser noch andere Lebensmittel im Haus. Irgendwie kamen wir mit dem Wenigen zurecht, das wir zum überleben hatten. Bei den meisten von uns gab es statt drei Mahlzeiten am Tag nur noch eine. Gemüse gab es nicht.

...beschreibt Fatimata Dicko, eine Gemeindeführerin beim Gesundheitszentrum von Kabara, einem Dorf sieben Kilometer südlich von Timbuktu. Viele Kinder waren so geschwächt, dass sie Durchfall oder Fieber erlagen. Ungefähr ein Viertel der 45.000 Bewohner Timbuktus begab sich 2012 auf die Flucht (UN OCHA 2013).

Im Januar 2013 erlangte die malische Armee mit Unterstützung französischer Truppen die Kontrolle über die nördlichen Territorien zurück. Die Menschen feierten diese „Befreiung“. Rasch wurde eine afrikanisch geführte internationale Unterstützungsmission für Mali (African-led International Support Mission to Mali, AFISMA) aufgebaut, die später in der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (Mission multidimensionnelle intégrée des Nations Unies pour la stabilisation au Mali, MINUSMA) mit einer Stärke von etwa 12.000 Angehörigen aufging. Um zu einer konstitutionellen Demokratie zurückzukehren, wurden unter großem internationalem Druck im Juli 2013 Präsidentschaftswahlen abgehalten. Erste Friedensgespräche fanden 2013 in Burkina Faso statt, und im Sommer 2014 wurde eine Waffenruhe vereinbart. Beide scheiterten wiederholt. Nach Monaten intensiver Gespräche in Algier unterschrieben die Tuareg-Separatisten und die malische Regierung die derzeitig gültige Friedensvereinbarung. Dies ist ein Zeichen der Hoffnung für die Bevölkerung, aber es wird einige Zeit dauern, bis die Friedensvereinbarung in allen Teilen der weitläufigen nördlichen Territorien umgesetzt werden kann. Die MINUSMA ist gefangen in einem asymmetrischen Konflikt zwischen diversen Parteien. Bei ihren Bemühungen um die Umsetzung der Friedensvereinbarung ist sie bereits selbst Ziel gewalttätiger Attacken geworden. Mit fast 60 Todesopfern seit 2013 ist sie aktuell die gefährlichste Friedensmission der Vereinten Nationen (UN MINUSMA 2015).

 

Die Hälfte der malischen Bevölkerung ist jünger als 15 Jahre

Sory Sory Ibrahim, aus Diré, einer kleinen Stadt am linken Ufer des Nigers

Seit der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1960 musste die Bevölkerung Malis enorme Entbehrungen ertragen, die auf chronische Nahrungsunsicherheit und politische Krisen zurückgingen. Regionale Ungleichheit und schwache Regierungsführung haben vor allem im Norden zu wiederholten Zyklen von Gewalt geführt. Naturgewalten wie Dürren, Sturzfluten und Heuschreckenplagen wiederholen sich in immer kürzeren Abständen. Sie gefährden bereits erzielte Fortschritte und verstärken die Verwundbarkeit der Bevölkerung gegenüber Krisen, die ihre Ernährungssicherheit bedrohen.

Mali gilt noch immer als eines der ärmsten Länder der Welt, die Hungersituation wird im WHI 2015 als „ernst“ eingestuft. Das Land ist in einem Teufelskreis aus chronischem Hunger und Armut gefangen. Das Bevölkerungswachstum ist in Mali höher als in den meisten anderen Ländern, und beinahe jeder zweite Malier ist jünger als 15 Jahre. Fast die Hälfte der Bevölkerung hat keine Beschäftigung; damit ist ihr Kampf um angemessene Ausbildung und ein Einkommen, mit dem sie ihre Familien ernähren können, nahezu aussichtslos. Das Wirtschaftswachstum kann mit der steigenden Bevölkerung nicht Schritt halten. Die Hälfte der Bevölkerung lebt von weniger als 1,25 US-Dollar am Tag und damit unterhalb der Armutsgrenze (Breisinger et al. 2015, von Grebmer 2015, UNDP 2014, Wee et al. 2014).

Während der Belagerung musste jeder seine Familie unterstützen. Ich war früher Schneider, bis ich meine Arbeit verlor. Danach stellte ich Ziegelsteine her. Wir mussten schließlich etwas verdienen. Mit dem bisschen, das wir bekamen, kauften wir Lebensmittel für unsere Familie.

...berichtet der 32-jährige Sory Ibrahim aus Diré, einer kleinen Stadt am linken Ufer des Nigers. Er unternahm die eintägige Reise ins 120 Kilometer entfernte Timbuktu per Boot. Im Juli 2015 sind die Straßen immer noch nicht sicher, die meisten Menschen bevorzugen die langsamere, aber weniger gefährliche Fahrt auf dem Niger.

Junge Menschen sind von der Krise in Mali besonders betroffen und mit enormen sozialen und wirtschaftlichen Belastungen konfrontiert. Sie sind motiviert, sich in der Gesellschaft zu engagieren, aber ihnen fehlen sogar die einfachsten behördlichen Unterlagen, wie zum Beispiel Geburtsurkunden, ohne die sie keine offiziellen Personalausweise beantragen können. Nicht registriert und ohne Beschäftigung, werden die jungen Menschen weiterhin von jeglicher aktiven sozialen Teilhabe und wirtschaftlichen Entwicklung ausgeschlossen. Damit bleiben sie besonders empfänglich für Angebote, die schnelle und gute Bezahlung versprechen. Zwischen wirtschaftlichem Druck und schwindender Sicherheit gefangen, sahen sich viele junge Menschen gezwungen, mit den gewalttätigen Rebellen zu kollaborieren.

Immer knappere Ressourcen heizen den Konflikt an

Foto: Ferdinand Reus, 2008; Junge Dogon in Mali tragen Stroh, das als Tierfutter verwendet wird. Ausblenden

Mali Conflict

Die Sahara macht zwei Drittel des malischen Hoheitsgebiets aus und beherbergt circa zehn Prozent der Bevölkerung von 16 Millionen. Allein die geografischen Dimensionen stellen bereits eine Herausforderung dar: Die Versorgung dieses unüberschaubaren Gebiets mit grundlegender Infrastruktur wie Straßen, Gesundheitsdiensten und Bildung sowie die Anbindung an den Süden des Landes sind kompliziert und kostspielig.

Wenn die Straße von Douentza nach Timbuktu gesperrt ist, wird Timbuktu zum Gefängnis. Nichts gelangt hinein oder hinaus. Aber man muss bedenken, dass die Bewohner Timbuktus Nomaden und Händler sind. In unserer ganzen Geschichte haben wir uns immer frei bewegt. Bauern aus den umliegenden Dörfern, sogar aus der ganzen Region, kommen nach Timbuktu, um ihre Produkte zu verkaufen.

...erinnert sich der Bürgermeister von Timbuktu, Hallé Ousmane Cissé. Weil er die Einwohner seiner Stadt nicht im Stich lassen wollte, blieb er während der gesamten Krise vor Ort.

Die Menschen hatten Angst, ihre Häuser zu verlassen. Sie waren beschämt und demoralisiert.

...fügt Cissé hinzu. Er räumt ein, dass er sich damals nicht mit der Interimsregierung in Malis Hauptstadt Bamako verbunden fühlte.

Dieses Gefühl, abgehängt worden zu sein, charakterisiert das Verhältnis zwischen dem Norden und dem Süden und führt immer wieder zu Unruhen. Obwohl durch den Dezentralisierungsprozess wichtige Verbesserungen erreicht werden konnten, ist es bisher nicht gelungen, alle strukturellen und geografischen Hürden zu überwinden. Vor allem die traditionell nomadisch lebenden Tuareg waren mit der mangelnden Autonomie der nördlichen Territorien unzufrieden und standen damit in einer Tradition des Aufstands verschiedener Tuareg-Gruppen seit der Unabhängigkeit (Etang-Ndip et al. 2015, Institute for Economics and Peace 2015, Wee et al. 2014).

Trotz aller demografischen, sozioökonomischen und geografischen Schwierigkeiten weist Mali unter den Ländern des Sahelgebiets das größte Potenzial auf. Ungefähr 80 Prozent der Bevölkerung arbeiten in der Landwirtschaft. Viele von ihnen sind Kleinbauern, die Regenfeldbau betreiben, Rinder oder Schafe züchten oder ihren Lebensunterhalt mit Fischerei bestreiten (Wee et al. 2014). Da nur drei Prozent der Ackerflächen entweder bewässert sind oder am Ufer des Nigers liegen, sind die Erträge der malischen Landwirtschaft vorwiegend von Niederschlägen abhängig. Während die Menschen im trockeneren Norden des Landes Nutzvieh halten und auf der Suche nach fruchtbarem Land umherziehen, leben die Bewohner des Südens vor allem vom Pflanzenbau.

Die Regenzeit zwischen Juni und September sorgt normalerweise für genügend Wasser für die Versorgung im restlichen Jahr (WFP 2015, USAID 2014). Der Klimawandel bringt jedoch verlagerte Regenperioden und steigende Temperaturen mit sich. Buschland und Felder werden zu Wüsten, und die Menschen müssen größte Anstrengungen unternehmen, um ausreichende Ernten einzubringen und ihre Tiere zu ernähren. Es kommt zu immer mehr Konflikten um die knappen Ressourcen. Auch die Auseinandersetzungen um Land und Wasser zwischen Bauern und Hirten nehmen zu. Wenn nach schwachen Ernten oder ungewöhnlich hohen Nutzviehverlusten die Lebensmittelpreise ansteigen, wird es für die Menschen noch schwieriger, sich und ihre Familien zu ernähren. Fehlendes Einkommen sowie Arbeitslosigkeit verringern die Kaufkraft und verschärfen die Hungersituation.

Der Konflikt weitet sich in Richtung Süden aus

Foto: UN Photo/Marco Dormino 2014; Ein ruandischer Blauhelm der UN Multidimensional Integrated Stabilization Mission in Mali (MINUSMA), Polizeieinheit (FPU), patrouilliert die Straßen von Gao, Mali. Ansicht des Mannes aus einem gepanzerten Fahrzeug heraus. Ausblenden

Ein flexibler Ansatz in Zeiten bewaffneter Konflikte

Im Jahr 2013 gehörten die Welthungerhilfe und ihre malischen Partner zu den Ersten, die ihre Arbeit im Norden wieder aufnahmen. Sie leisteten Nahrungsmittelhilfe und unterstützten zurückkehrende Flüchtlinge und Gemeinden beim Wiederaufbau ihrer Lebensgrundlagen. Die Bereitstellung landwirtschaftlicher Geräte und „Cash for work“-Programme ermöglichten es den Menschen, ihre landwirtschaftliche Infrastruktur wiederherzurichten und ein erstes Einkommen zu verdienen. Gemeindegesundheitszentren werden bei der Vorbeugung und Behandlung von Fällen akuter Unterernährung und der Ernährungsbildung für Mütter unterstützt. Neben der Ernährungssicherung zielen die Projekte der Welthungerhilfe und ihrer Partner auch auf Konfliktprävention ab und sollen den Jugendlichen Zukunftsperspektiven eröffnen. Jene nahmen an beruflichen Trainings teil, engagierten sich in Theater- und Musicalprojekten und erlernten Methoden zur gewaltfreien Konfliktbewältigung.

Derzeit ist die Sicherheitslage im Norden desolat, und der Zugang zu der Region bleibt schwierig. Um die Risiken gewaltsamer Angriffe und des Verlusts von Hilfsgütern zu minimieren, werden die Transporte entweder in Konvois oder auf dem Niger durchgeführt und die Verteilung von Gütern erst kurzfristig angekündigt. Bewaffnete Konflikte fordern der internationalen Gemeinschaft höhere Flexibilität ab; Nothilfemaßnahmen müssen mit längerfristigen Maßnahmen kombiniert werden. Die malische Regierung und die Zivilgesellschaft sollten in ihren Anstrengungen um einen dauerhaften Frieden im Land unterstützt werden.

Seit den 1990er-Jahren ist in den nördlichen Gebieten Malis ein Zustrom krimineller und extremistischer Netzwerke zu beobachten, die das Verhältnis zwischen Regierung und Gesellschaft unterminieren. Illegale Finanzströme, zunächst durch den Schmuggel von Zigaretten und Waffen, später durch Drogen- und Menschenschmuggel, führten zum Aufbau paralleler Herrschaftsstrukturen auf lokaler Ebene. Diese illegalen Geschäfte gefährdeten den Frieden und legten das Fundament für die gewaltsamen Aufstände von 2012.

In der Vergangenheit waren Unruhen vor allem ein Thema des Nordens. Im Jahr 2015 gewann die Krise allerdings eine neue Dimension, als islamistische Extremisten Städte wie Sikasso angriffen, die zweitgrößte Stadt Malis und Wirtschaftszentrum des Landes, weniger als 400 Kilometer südlich von Bamako gelegen.

Schon vor Beginn der Krise litten viele Menschen in den südlichen Regionen des Landes unter struktureller Armut und Ernährungsunsicherheit.

Aber nun hat sich die gesamte Situation verschlimmert. Die Ernährungssituation hat sich verschlechtert.

...erklärt André Kanambaye, Koordinator von Molibemo, einer lokalen Partnerorganisation der Welthungerhilfe mit Sitz in Bandiagara.

Und der Konflikt hat das Misstrauen unter den Menschen extrem verschärft. Sie trauen nur noch denjenigen, die sie schon lange kennen. Jeder Fremde wird misstrauisch beäugt oder kurzerhand der Polizei gemeldet.

Folgen des bewaffneten Konflikts

Foto: UN Photo/Marco Dormino 2013; Ein tschadischer Blauhelm der UN-Mission in Mali (MINUSMA) steht neben einer von einer Granate getroffenen Mauer, während der Untergeneralsekretär für Friedenssicherungseinsätze, Hervé Ladsous, den Ort eines Selbstmordanschlags auf zwei tschadische Soldaten in Tessalit, Mali, besucht. Ausblenden

Bis zur Mitte des Jahres 2013 verließen mehr als

520,000

Menschen ihre Heimat im Norden.

Rund

170,000

flüchteten in die angrenzenden Nachbarländer.

Mehr als

350,000

wurden zu Binnenvertriebenen, die bei Familienmitgliedern Unterschlupf suchten.

In der Folge der politischen Krise von 2012 verschlechterte sich die Ernährungssicherheit vieler Malier. Sie verloren ihre landwirtschaftlichen Erträge und hatten in den schwierigen Monaten um die Mitte des Jahres geringere Vorräte. Durch Vertreibungen und fehlende Investitionen verpassten sie Mitte 2013 den Zeitpunkt, ihre Felder zu bestellen. Die Unruhen in Gao und Kidal waren gewaltsamer als jene in Timbuktu, 520.000 Menschen verließen ihre Heimatorte im Norden. 32 Prozent von ihnen flohen in die Nachbarländer Burkina Faso, Mauretanien oder Niger, während 68 Prozent bei Freunden oder Verwandten in Mopti, Ségou oder Bamako Zuflucht suchten (OCHA 2013). Im Gegensatz zu anderen Ländern wurden in Mali selbst auf dem Höhepunkt der Krise keine großen Flüchtlingslager eingerichtet. Nichtsdestotrotz verloren die Menschen ihre Habseligkeiten und waren durch die erlittenen Demütigungen traumatisiert. Auch die Möglichkeiten, ihre Kinder zu ernähren, waren während der Aufenthalte bei Gastfamilien und Verwandten eingeschränkt. Die gefährdetsten Menschen, jene, die nicht die Mittel zur Flucht hatten, blieben in den Dörfern. In den drei nördlichen Regionen ging die Verfügbarkeit von Grundnahrungsmitteln enorm zurück. über 90 Prozent der Binnenvertriebenen und 75 Prozent derjenigen, die in andere Länder flohen, verloren ihre Nutztiere. Am Ende des Jahres 2013 waren zwischen 70 und 90 Prozent der Bevölkerung im Norden auf Lebensmittelrationen angewiesen, die sie von internationalen Hilfsorganisationen erhielten (Etang-Ndip et al. 2015, WFP 2015, Coulibaly 2014, Kimenyi et al. 2014, Wee et al. 2014).

Der Konflikt wirkt indirekt weiter

Die unsichere Lage wirkte sich auch negativ auf die Ernährungssicherheit in anderen Regionen aus. Der Handel mit Gemüse und Obst zwischen Süd und Nord wurde unterbrochen, wie Mamoudou Nantoumé aus Toignon bei Bandiagara erklärt:

Früher haben wir hier in Toignon unser Gemüse, vor allem Tomaten, Auberginen, Gurken und Zwiebeln, nach Gao verkauft. Wir haben die Produkte an die Händler in Bandiagara veräußert, die sich dann um den Transport und den Handel mit dem Norden kümmerten. In der Vergangenheit haben sie jeden Preis akzeptiert, den wir vorschlugen. Aber wegen der Krise fehlen ihnen jetzt die Mittel. Früher verkauften wir Zwiebeln für 500 FCFA [0,80 US-Dollar] pro Kilo. Heute ist der Preis auf 300 FCFA [0,50 US-Dollar] oder höchstens 360 FCFA [0,60 US-Dollar] zurückgegangen. Es gibt keine Händler mehr. Alle hatten Angst vor Angriffen, die Händler blieben zu Hause. Bis heute hat sich das nicht geändert. Die Menschen haben Angst. Sie reisen nicht mehr.

Auch die Preise auf dem überregionalen Nutztiermarkt wurden verzerrt. Der Preis für Rinder stieg zwischen 2011 und 2013 um mehr als das Dreifache, der für Schafe verfünffachte sich, und Ziegen wurden mehr als doppelt so teuer wie zuvor (Kimenyi et al. 2014).

Der Tourismus, ein weiterer wichtiger Wirtschaftsfaktor in Mali, ist durch die Krise im Norden völlig zusammengebrochen. Das atemberaubende Dogon- Plateau und die beeindruckenden Spuren der Dogon-Kultur, die zum UNESCO-Welterbe erklärt wurden, hatten vor der Krise viele ausländische Besucher in die Gegend von Bandiagara gelockt.

Die Touristen bleiben Bandiagara und dem Dogon-Plateau fern. Gästehäuser und Restaurants sind geschlossen; Guides, Fahrer und andere Dienstleister haben nichts zu tun. Viele von ihnen verloren ihre Stellung, hatten kein Geld mehr und keine Möglichkeit, Lebensmittel auf dem Markt zu kaufen. Sie kehrten gezwungenermaßen zur Feldarbeit zurück oder machten sich auf die Suche nach Arbeit in den großen Städten.

...erklärt Molibemo-Koordinator André Kanambaye.

Ein zerbrechlicher Frieden

Foto: UN Photo/Ian Steele; Frauen, die Feuerholz für das Kochen sammeln, pausieren auf dem rissigen Flussbett des Niger. Ausblenden

Zarin Zarin Yattara - Präsidentin einer Frauengruppe, die im Peace Garden arbeitet

Zarin Tita Maïga - eine der Frauen, die im Peace Garden in Timbuktu arbeitet

Im Jahr 2014 setzte eine Verbesserung der Ernährungssituation ein. Die Menschen kehrten in ihre Heimatorte zurück und begannen, ihr Land wieder zu bewirtschaften. Viele humanitäre Organisationen nahmen ihre Arbeit, die sie wegen der Krise hatten einstellen müssen, wieder auf. Anfang 2015, vor Beginn der Friedensgespräche in Algier, verschlechterte sich die Lage jedoch ein weiteres Mal. Es kam erneut zu Gewalt und Angriffen auf Zivilisten, Polizisten und Mitarbeiter der UN-Friedensmission. Mehr als 100.000 Menschen begaben sich innerhalb des Landes auf die Flucht, zusätzlich zu den 137.000, die in die Nachbarländer flohen (UN OCHA 2015).

Wenn Menschen erneut aus ihrem Alltag gerissen werden und Land und Vieh zurücklassen müssen, werden die kleinen Fortschritte, die sie seit dem Ausbruch der Krise 2012 erreicht haben, zunichte gemacht. Die Regenfälle haben ebenso wie die Pflanzperiode spät eingesetzt, und das Vieh findet nicht genug Futter. Die wiederholten Erschütterungen durch Dürre und Gewalt nagen an den geringen Mitteln, die die Menschen vor dem bewaffneten Konflikt zum Leben hatten.

Brücken bauen und das Nahrungsmittelangebot verbreitern

Trotz der Krise kämpfen die Menschen darum, die Kontrolle über ihr Leben zurückzugewinnen. Als dieser Bericht geschrieben wurde, hatte sich die Lage in Timbuktu beruhigt. In der Stadt sind wieder Motorräder und Autos zu sehen, die Stromversorgung ist stabil, der Bankverkehr funktioniert, Geschäfte und Märkte sind wieder geöffnet und sogar das alte Rathaus wurde renoviert und wieder in Betrieb genommen. Mit Unterstützung des deutschen Auswärtigen Amts wurde der 1996 eingeweihte Peace Garden am Stadtrand Timbuktus von der Welthungerhilfe und ihrer Partnerorganisation Association Malienne pour la Survie au Sahel (AMSS) 2013 wiederaufgebaut. Der Garten ist ein positives Symbol: Frauen unterschiedlicher Herkunft kommen zusammen, um das gegenseitige Misstrauen zu überwinden, gemeinsam Gemüse anzubauen, die Vielfalt ihrer eigenen Nahrung zu steigern und ihre Erzeugnisse auf dem Markt zu verkaufen, was ihren Familien Einnahmen einbringt.

Wenn man sich den Eingang ansieht, könnte man meinen, man sei mitten im Busch. Als wir vor der Regenzeit Mitte 2013 damit begannen, den Garten wiederherzurichten, gab es da nur Sand, alte und tote Bäume, aber keinen Garten.

...erinnert sich Zarin Yattara, die Präsidentin der Frauengruppe Alhamdouhlaye. Heute gehört sie zu den 460 Frauen, die den Peace Garden das ganze Jahr hindurch bewirtschaften. Um ihn wiederaufzubauen, wurden Barzahlungen gegen Arbeit (cash for work) organisiert, Frauengruppen wiederbelebt, Bargeldüberweisungen und Material zur Verfügung gestellt.

Heute essen unsere Familien wieder Gemüse. Ein Teil davon wird an Nachbarn verteilt oder auf dem Markt in Timbuktu verkauft. Unsere Kinder sind wieder gesund. Sogar die Männer wollen heute Gemüse essen. Früher haben sie alles außer Fleisch und Reis abgelehnt. Wir haben sie probieren lassen, und es hat ihnen geschmeckt. Mit dem Geld, das wir verdienen, können wir unsere Kindzur Schule schicken oder Medikamente kaufen.

sagt Zarin. Der Garten versorgt die Märkte in Timbuktu mit Bohnen, Salat, roter Bete, Möhren, Tomaten und Kartoffeln.

In der ganzen Stadt finden Sie jetzt Gemüse aus dem Peace Garden. Sein Wiederaufbau hat die Gemüseversorgung im ganzen Bezirk verbessert.

...fügt Bürgermeister Cissé hinzu. Heute ist der Peace Garden in Timbuktu überregional bekannt. Vier Hektar Land werden bewirtschaftet, 42 Frauenverbände sind beteiligt. Aber bei dem Garten geht es nicht nur um die Produktion von Gemüse, wie die 42-jährige Tita Maïga lebhaft beschreibt:

Der Gedanke hinter dem Peace Garden ist es, Menschen zusammenzubringen. Frauen aller Bevölkerungsgruppen wirtschaften gemeinsam, egal ob sie Ansässige, Vertriebene oder Rückkehrerinnen sind. Wir kommen alle sehr gut miteinander aus und haben unsere Würde zurückbekommen. Vor allem wir Frauen haben unter den Belästigungen und der Unfähigkeit gelitten, unsere Familien zu ernähren.

Von ihrem Erfolg ermutigt, hoffen die Frauen, dass sich der Geist des Peace Garden im ganzen Land verbreiten möge.

Fazit

Foto: Thomas Martinez / Welthungerhilfe 2013; Eine Frau trägt Wasser zu ihrem Garten in einem Welthungerhilfe-Gartenprojekt in der Nähe von Bandiagara, Mali. Ausblenden

Mali ist ein beunruhigendes Beispiel dafür, wie ein Land durch wiederholte Krisen destabilisiert werden kann. Langjährige Konflikte zwischen Bauern und Viehhaltern werden durch Naturkatastrophen wie Dürreperioden zusätzlich verschärft. Die Lebensgrundlagen im Norden des Landes sind ohnehin gefährdet, und fehlende Lebensmittel, Wirtschaftsgüter, Vieh oder Basisdienstleistungen verschlimmern die Situation noch. Menschen, die daran gewöhnt sind, mit knappen Mitteln zu überleben, können vielleicht eine einzelne Krise verkraften. Wenn sie aber in Jahren des Mangels zusätzliche Belastungen durch bewaffnete Konflikte bewältigen müssen, sind sie jedem weiteren Schock umso hilfloser ausgeliefert. Vertriebene und anderweitig benachteiligte Menschen finden keine Gelegenheit, genügend Lebensmittel für das Folgejahr anzubauen.

Bewaffnete Konflikte destabilisierten die ohnehin schwache Regierungsstruktur weiter. Extremisten und Kriminelle nutzten das bestehende Machtvakuum. Es herrscht eine explosive Situation: Unter Millionen junger Menschen in ganz West- und Nordafrika ohne jegliche Zukunftsperspektive finden Extremisten und Kriminelle leicht neue Gefolgsleute.

Die Unterzeichnung des Friedensabkommens durch alle Parteien bedeutet einen wichtigen Schritt nach vorn. Um es mit Leben zu füllen, müssen nun politische und institutionelle Reformen umgesetzt werden. Neben den bereits laufenden Versuchen, Malis Struktur zu dezentralisieren, müssen die Menschen im Norden an eine Basisinfrastruktur angeschlossen werden, um dort nicht vom Rest des Landes abgehängt zu sein. Außerdem bleibt ohne Zugang zu den notleidenden Regionen die Bewertung und Bekämpfung der Ernährungsunsicherheit eine schwierige Herausforderung.

Die Wiederherstellung von Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit sollte höchste Priorität erhalten, damit der Teufelskreis aus Hunger und bewaffneten Konflikten in Mali beendet werden kann. Ohne Gerechtigkeit und die Gewährleistung der Menschenrechte ist ein nationaler Versöhnungsprozess kaum denkbar.

Ebenso wichtig ist es, die Abhängigkeit von Nothilfe zu beenden. Die Menschen müssen befähigt werden, sich selbst zu ernähren und sich zum Beispiel mithilfe von Saatgut und Nutzvieh ihre Lebensgrundlagen wiederaufzubauen. Langfristige und der jeweiligen Situation angepasste Lösungen sollten eine verbesserte Infrastruktur zum Ziel haben und zu einer sozioökonomischen Entwicklung führen, die den arbeitslosen jungen Menschen eine Perspektive bietet.

Die Kombination dieser Entwicklungsmaßnahmen mit Initiativen zur Friedensförderung und Konfliktbearbeitung ist ein entscheidender Schritt. Es ist aber weit mehr nötig, damit die Menschen in Mali ein Leben in Frieden und Würde führen können.

 

Footnotes

  1. Ernährungssicherheit: CILSS Juni 2015; ausgewählte Gewaltakte 2012–2015: ACLED 2015; Flüchtlinge/Binnenvertriebene: UNHCR Juli 2015.  

über diese Fallstudie

Zum zehnten Jubiläum des Welthunger-Index untersuchen wir die Fäden, die die beiden menschlichen Tragödien Hunger und bewaffnete Konflikte verknüpfen. Wenn Menschen unter bewaffneten Konflikten leiden, die sie von ihren Häusern und Feldern vertreiben, den Rhythmus ihrer Feldarbeit unterbrechen oder Ernten zerstören, wird zwangsläufig ihre Ernährungssicherheit geschwächt. Obwohl schon erhebliche Fortschritte erreicht werden konnten, fällt es der internationalen Gemeinschaft weiterhin schwer, Konflikte so rasch zu lösen, dass Hunger und die Notwendigkeit humanitärer Hilfe minimiert werden.

Die Welthungerhilfe arbeitet an den herausforderndsten und entlegensten Orten der Welt. Wir erleben dort die Verquickung von Hunger und bewaffneten Konflikten. Die Welthungerhilfe ist seit 1968 in Mali tätig. In diesem Land begegnet man den Herausforderungen, die die Arbeit in sogenannten „fragilen Staaten“ mit sich bringt: schwacher Regierungsführung, fortdauernden Krisen, wiederkehrenden extremen Wettereignissen, mangelnder Sicherheit und unterentwickelter Infrastruktur.

Doch Mali ist auch von enormer Schönheit, und die Bevölkerung legt große Leidenschaft und Widerstandsfähigkeit angesichts unglaublicher Beschwernisse an den Tag. In dieser Fallstudie werden die Herausforderungen geschildert, die sie zu bewältigen haben, und die Anstrengungen, die dazu jeden Tag aufs Neue notwendig sind.