Südsudan:
Rinder, Konflikte und Bewältigungsstrategien
Die Prognose für die Ernährungssicherheit im Südsudan fällt im Juli 2015 denkbar schlecht aus. Dies wird auch in der übersicht über die Ernährungsunsicherheit deutlich, die zeigt, dass viele Bundesstaaten sich schon jetzt in einer Krise befinden und in einigen bereits Notstand herrscht. Es besteht zwar keine genau zu quantifizierende Korrelation zwischen Konfliktereignissen und Hungerwerten, aber wie die Karte zeigt, gibt es offensichtliche Verbindungen und Einflüsse.
Früher kämpften nur die Soldaten gegeneinander. Die Zivilbevölkerung, Kinder, Kühe, Gärten und Häuser waren nicht in Gefahr. Bei diesem Konflikt ist das völlig anders. Naditne Thoch aus Guit
Der Südsudan birgt ein enormes Potenzial. Das Land ist mit reichen natürlichen Ressourcen und immensen landwirtschaftlichen Möglichkeiten gesegnet. Seine junge und dynamische Bevölkerung bricht gerade in eine nunmehr unabhängige Zukunft auf. Großflächige und oft erbittert geführte bewaffnete Konflikte hindern jedoch die Südsudaner daran, ihre Hoffnungen und Träume zu verwirklichen.
Mitte des Jahres 2015 steht der Südsudan erneut vor einer Hungerkrise, verursacht durch spät einsetzende Regenfälle und die zahlreichen Folgen bewaffneter Konflikte, darunter eine ausufernde Inflation, unterbrochene Handelsbeziehungen und der vertreibungsbedingt ausbleibende Pflanzenanbau. Diese Verkettung unglücklicher Umstände hat dazu geführt, dass ein großer Teil der Bevölkerung von extremem Hunger bedroht ist. Die Menschen erinnern sich noch sehr gut an vergangene Hungerjahre, und es herrscht große Angst, dass 2015 sich in die schlimmsten Jahren einreihen könnte, die bisher erfasst wurden.
Konflikt im Südsudan: Die Geschichte im Schnelldurchgang
Die Bevölkerung im Südsudan lebt seit den 1950er-Jahren nahezu ununterbrochen mit bewaffneten Konflikten. Mehr als 2,5 Millionen Menschen kamen dabei ums Leben, und die Lebensgrundlagen von Dutzenden Millionen wurden vor allem in zwei Phasen besonders heftiger Konflikte schwer in Mitleidenschaft gezogen (MOHDAM 2010).
Die erste Phase umfasst den Bürgerkrieg zwischen der Regierung der Republik Sudan und der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee/- bewegung (Sudanese People’s Liberation Army/Movement, SPLA/M) von 1983 bis 2005. Dieser Krieg galt allgemein als Nord-Süd-Konflikt, in dem es um die Kontrolle über Bodenschätze ging und, aus Sicht der SPLA/M, um politische Autonomie, Selbstbestimmung und Säkularismus. Der Konflikt verschärfte sich, nachdem im Süden in den 1980er- Jahren öl entdeckt worden war. Politische Verhandlungen führten zunächst zur Unterzeichnung eines umfassenden Friedensabkommens im Jahr 2005 und später zu einem Referendum über die Unabhängigkeit des Südsudan. 2011 erklärte der Südsudan schließlich seine Unabhängigkeit und ist damit der jüngste Staat der Welt.
Der zweite und derzeit noch anhaltende Konflikt, nunmehr innerhalb der unabhängigen Republik Südsudan, brach im Dezember 2013 nach einer Spaltung der SPLA-Regierung aus. Zugrunde liegt ihm ein Zerwürfnis zwischen den Volksgruppen der Dinka, unter der Führung von Präsident Salva Kiir, und der Nuer, die vom früheren Vizepräsidenten Riak Machar angeführt werden. Mitte des Jahres 2015 halten die Kämpfe im gesamten Südsudan weiterhin an, vor allem in den Bundesstaaten Unity/Western Upper Nile und Upper Nile, die im Norden des neuen Landes liegen. Große Teile der Bevölkerung wurden vertrieben.
Mit Stand von Juli 2015 gibt es 1,6 Millionen Binnenvertriebene, bisher wurden 607.608 Südsudaner registriert, die Zuflucht in Nachbarländern gefunden haben. 4,6 Millionen Menschen leiden im Land selbst unter großer Ernährungsunsicherheit. 166.142 Zivilisten haben in PoC-Einrichtungen (Protection of Civilians, Schutz der Zivilbevölkerung) an UNMISS-Stützpunkten (United Nations Mission in the Republic of South Sudan) Zuflucht gesucht, darunter 103.913 in Bentiu. Das bedeutet einen Zuwachs von 64.000 Menschen seit Dezember 2014 (UNOCHA, Juli 2015).
Der Zusammenhang zwischen bewaffnetem Konflikt und Hunger
über das wechselseitige Verhältnis zwischen bewaffnetem Konflikt und Hunger wurde bereits viel geschrieben, sowohl über die offensichtlichen Auswirkungen eines Konflikts auf die Hungersituation als auch über Ernährungsunsicherheit als Triebfeder von Konflikten (Messer et al. 2001, Teodosijevic´ 2003, Messer und Cohen 2006, Weltbank 2010, Brinkmann und Hendrix 2011, Simmons 2013, Breisinger et al. 2014, Breisinger et al. 2015, de Waal 2015).
Die Tufts University und das Overseas Development Institute haben in der Vergangenheit zahlreiche Untersuchungen über die Situation im Sudan und Südsudan veröffentlicht. Im Fokus standen das Themenfeld sicherer Lebensgrundlagen im Kontext lang andauernder Konflikte (Maxwell et al. 2012, Gordon 2014, Maxwell und Santschi 2014, Santschi et al. 2014, d’Errica et al. 2014) und die Erfahrungen bei der Operation Lifeline Sudan (Maxwell et al. 2014, 2015). Die Erkenntnisse aus diesen und anderen Publikationen dienten als Grundlage für die in dieser Fallstudie gestellten Fragen.
Ein erster Eindruck der Situation im Südsudan
Auf den folgenden Seiten soll ein Eindruck der Erinnerungen, Erfahrungen und überlebensstrategien durchschnittlicher Südsudaner vermittelt werden, die in einer ära der Gewalt leben. Ihre Perspektiven wurden in Gesprächen festgehalten, die im Sommer 2015 mit mehr als 150 Menschen geführt wurden, einige im Rahmen von Diskussionen mit Fokusgruppen, andere in Einzelinterviews. Der Austausch fand in oder in der Nähe von Nymlel, Aweil und Bentiu statt. Im vorliegenden Text soll auf die Ansichten und äußerungen der Mitglieder dieser Dorfgemeinschaften über den Zusammenhang zwischen Hunger und bewaffneten Konflikten eingegangen und gezeigt werden, welche Möglichkeiten sie haben und wie sie angesichts derer Begrenztheit Entscheidungen treffen.
Kontext 1:
Indirekt von Konflikten betroffen: der Bundesstaat Northern Bahr el Ghazal
"Geld rinnt leicht durch die Finger, aber Rinder bleiben ewig." Sprichwort der Dinka
“Die Menschen finden leicht Gründe zu streiten. Nahrung zu finden ist schwieriger.” Nuer proverb
...derzeit befürchten wir vor allem zwei Hauptauswirkungen der Konflikte: dass wir hungern müssen und dass unsere Kinder sterben könnten... Angelina Abuk Nyibek aus dem Dorf Langich, Mariel Bai
Northern Bahr el Ghazal ist ein Bundesstaat im Nordwesten des Südsudan und grenzt an den Bundesstaat Süd-Darfur in der Republik Sudan. Er liegt im westlichen überschwemmungsgebiet, die Lebensgrundlage der meisten Menschen bilden die Viehhaltung und der Anbau von Sorghumhirse.
Erinnerungen an den Hunger
Die Bewohner des Bezirks Aweil erinnern sich nur zu gut an die schlimmsten Jahre, in denen sie direkten überfällen aus dem Norden ausgesetzt waren. Sie erlebten traumatische Ereignisse: Sie mussten fliehen, um ihr Leben zu retten, oder sahen mit an, wie ihre Familien und Freunde umgebracht, ihre Häuser abgebrannt und ihr Vieh geraubt wurden. Die schlimmsten Jahre waren in ihren Erinnerungen diejenigen, in denen der Regen ausblieb oder überflutungen zu kargen Ernten führten und sie zusätzlich überfallen und daran gehindert wurden, ihr Land zu bewirtschaften. Auf diese Perioden folgte jeweils eine schwere Nahrungsmittelknappheit.
Im Jahr 1993 waren die Angriffe besonders gravierend. Die Betroffenen berichten, dass das gesamte Vieh geraubt, die Dorfoberhäupter getötet, die Häuser abgebrannt und die Menschen somit gezwungen wurden, unter Bäumen zu leben. Der derzeitige oberste Führer erklärt:
Ich kann Ihnen sagen, dass in diesem Dorf früher 1.543 Menschen lebten; nach den überfällen blieben nur noch 89.
Aufzeichnungen zufolge war das Jahr 1998 noch schlimmer. Es gab direkte Todesfälle durch Hunger, als Folge einer schweren Dürreperiode in Kombination mit gewaltsamen Angriffen, bei denen das Getreide verbrannt wurde.
Der Meinung vieler Gesprächspartner zufolge war das Jahr 1988 das schlimmste, in dem eine massive Invasion durch die Misseriye stattfand (einen arabischen Stammesverband von Rinderhirten aus Kurdufan, die häufig nach Süden, in das Stammesgebiet der Dinka, zogen). Die Invasoren raubten die Rinder und verbrannten Ernten und Kornspeicher. Darauf folgte im Juli eine Flut. Zahlreiche Menschen hatten ihre Heimat verlassen und verhungerten auf den Straßen, auf dem Weg in den Nordsudan. Die verbleibende Gemeinschaft musste die SPLA versorgen, was eine weitere Belastung der Ernährungssituation bedeutete. In jenen Tagen vergruben die Menschen ihre Lebensmittel unter ihren Häusern oder im Busch, um sie vor der Armee zu schützen.
Die aktuelle Konfliktsituation
Die Menschen in Aweil sind derzeit von zwei verschiedenen Konflikten betroffen, den internen Kämpfen im Südsudan und den sporadischen Angriffen von Gruppen aus der Republik Sudan oder ihren Verbündeten.
Beide Konflikte haben schwere indirekte Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit auf Haushaltsebene. Der Erfahrungsbericht des Food Security and Nutrition Monitoring System (Nahrungssicherheitsund Ernährungs-Kontrollsystem, FSNMS R15) für das Jahr 2015 beschreibt die vier Monate von Mai bis August als eine Phase besorgniserregender Ernährungsunsicherheit. Schlüsseldaten und Ergebnissen monatlicher Marktumfragen zufolge führen Faktoren wie magere Ernteerträge im Jahr 2014 durch unregelmäßige Regenfälle, Unsicherheit der Versorgungsrouten, Mehrfachbesteuerung und hohe Lebensmittelpreise sowie hohe Inflation in der Kombination zu einer ausgesprochen düsteren Nahrungsmittelsituation.
Außerdem wirkt sich negativ aus, dass Bargeldüberweisungen ausgewanderter oder in der Armee dienender Familienmitglieder nicht durchgeführt werden können und dass zu wenige (männliche) Arbeitskräfte vor Ort vorhanden sind, um das Land zu bewirtschaften.
Die Bewegungsfreiheit der Rinder ist für das überleben im Südsudan von großer Bedeutung; die sogenannten „Rinder-Camps“ bilden einen wichtigen Bestandteil des südsudanesischen Gesellschafts- und Kulturgefüges. Durch die bewaffneten Konflikte können die Rinder nicht wie gewohnt zu ihren jahreszeitlichen Weidegründen getrieben werden, und diese Störungen führen zu sozialen und kulturellen Kettenreaktionen.
überlebensstrategien
Der Hunger ist eine immer wiederkehrende Lebensrealität für die Menschen in Northern Bahr el Ghazal. Sie sind regelmäßig mit eintretenden mageren Perioden konfrontiert, verursacht vor allem von Dürre oder überflutungen, die die Ernten zerstören.
Es gibt zahlreiche Arten, einer Nahrungsmittelknappheit zu begegnen. Zunächst reduzieren die Menschen die Mengen, die sie essen, danach gibt es statt zwei nur noch eine Mahlzeit am Tag. Sie sammeln Feuerholz, das sie auf dem Markt verkaufen, um Bargeld für Lebensmittel zu verdienen. Auch wild wachsende Nahrungsmittel wie Palmsaaten oder wilde grüne Gemüse aus dem Wald werden gesammelt. Einen Teil davon essen die Menschen selbst, den Rest verkaufen sie. Eine weniger verbreitete Strategie besteht darin, wild wachsende Nahrungsmittel und Sorghum abzuwechseln, damit Letzteres länger vorhält. Manche Menschen borgen Lebensmittel oder Geld bei Verwandten oder Nachbarn, teilweise gegen Arbeit wie etwa die Erschließung von Land oder Unkrautjäten. Dafür erhalten sie Geld oder Nahrung. Zu den weiteren überlebensstrategien zählt der Verkauf von Hühnern, dann von Ziegen und schließlich von Rindern. Angesichts der kulturellen und wirtschaftlichen Bedeutung von Rindern wird ihr Verkauf als ausgesprochen negative Strategie betrachtet, die aber zum Erwerb von Grundnahrungsmitteln unumgänglich ist. Eine ebenso extreme überlebensstrategie bildet das Sammeln wilden Manioks in Sumpfgebieten, die zwei bis drei Tagesmärsche entfernt liegen. Der Maniok wird zu Hause zu Mehl verarbeitet. Einigen Berichten zufolge kann dieser wilde Maniok bei Kindern zu Durchfällen führen.
Wenn all diese überlebensstrategien ausgeschöpft sind, wandern die Menschen ab. Im Normalfall gehen die Männer der Familie fort, um Saisonarbeit zu verrichten und Geld nach Hause zu schicken. Im schlimmeren Fall sind die Menschen gezwungen, ihr Land völlig aufzugeben und dauerhaft fortzuziehen. Seit der Unabhängigkeit ist es immer schwieriger geworden, Geld aus der Republik Sudan zu überweisen, und seit 2013 werden auch die überweisungen innerhalb des Südsudan komplizierter.
Ernährungssicherheit heute
Im Juli 2015 waren die Sorghumpflanzen wegen spät einsetzender Regenfälle in einem sehr schlechten Zustand. Es ist unwahrscheinlich, dass sie sich noch in diesem Jahr erholen werden, und die Menschen in Northern Bahr el Ghazal verkaufen schon jetzt Ziegen, Kälber und Kühe, um sich Lebensmittel vom Markt leisten zu können. Händler geben keine Nahrungsmittel mehr auf Kredit aus, weil sie wissen, dass die Menschen das Geld nicht zurückzahlen können. Viele Befragte berichteten von aktuell hoher Inflation. Der Preis für einen 3,5-kg-Sack (Malwa) Sorghum stieg in den ersten sechs Monaten des Jahres 2015 von 10 bis 15 auf 35 südsudanesische Pfund (SSP). 1,5 kg Erdnüsse verteuerten sich von 5 SSP im Jahr 2014 auf mittlerweile 20 SSP.
Die Dorfgemeinschaft rechnet in den kommenden Monaten mit beträchtlichem Hunger. Schon jetzt sind ihre überlebensstrategien weitgehend ausgeschöpft; eine schlechte Ernte wird sie vor gravierende Probleme stellen.
Kontext 2:
Direkte Auswirkungen von Konflikten: PoC-Lager in Bentiu
Den schlimmsten Hunger hatten wir 1988. Die Flut vernichtete unsere Ernte. Außerdem gab es zu viele Tsetsefliegen, die das Vieh belästigten, und die Kälber ertranken im Wasser. Mary Nyakuan aus Langich, Marial Bai.
Wenn ich keine Angst um mein Leben haben müsste, wäre ich bei den Kühen im Dorf geblieben. Ntabuok Wated aus Guit
Bentiu ist die Hauptstadt des Bundesstaats Unity im Norden des Südsudan und grenzt an den Bundesstaat Kurdufan in der Republik Sudan sowie an die umstrittene Region Abyei. Die Kleinstadt liegt in der Nähe des Nils und seiner Nebenflüsse in einem wasserreichen überschwemmungsgebiet, wo die Menschen ihren Lebensunterhalt mit Viehhaltung, Fischerei und dem Anbau von Sorghumhirse, Mais und Sesam bestreiten. Concern Worldwide leistet bereits seit Anfang 2014 humanitäre Hilfe für die vertriebenen Menschen im PoC-Lager der UNMISS in Bentiu. 2015 wurden die Bemühungen um die Verbesserung des Ernährungszustands der Bevölkerung auf ländliche Regionen des Bundesstaats Unity ausgeweitet.
Erinnerungen an den Hunger
Den Bewohnern des PoC-Lagers sind zahlreiche Dürreperioden und überflutungen noch gegenwärtig. Nach einer schweren Flut im Jahr 1988 aßen sie traditionelle flutbeständige Pflanzen wie Chesh (verwandt mit der Kokosnuss), Kokosnüsse, Seerosen und Blätter. Sie tranken Kuhmilch und schlachteten Kühe, um das Fleisch essen zu können. Mary Nyakuan aus Bentiu erinnert sich:
Den schlimmsten Hunger hatten wir 1988. Die Flut vernichtete unsere Ernte. Außerdem gab es zu viele Tsetsefliegen, die das Vieh belästigten, und die Kälber ertranken im Wasser.
Auch an Dürreperioden können die Menschen sich erinnern. Ntabuok Wated, 30 Jahre alt, sagt:
In den letzten zehn Jahren war es viel zu trocken. Manchmal konnten wir überhaupt nichts anbauen, aber wir hatten immer unsere Kühe bei uns und konnten uns auf ihre Milch verlassen.
Die derzeitige Konfliktsituation
Alle Bewohner des PoC-Lagers gaben an, dass sie sich nur aus Angst um ihr Leben unter den Schutz der UN gestellt hätten. Sie fühlten sich von Verschleppung und Ermordung bedroht. Vor allem aber bemerkten sie, dass sich dieser Konflikt von anderen unterscheidet, da nun auch Zivilpersonen gezielt angegriffen werden. Sowohl bei den Kämpfen zwischen der SPLA und den sudanesischen Streitkräften (1982–2005) als auch bei früheren Konflikten innerhalb der SPLA zielten die Kampfhandlungen vor allem auf gegnerische Kombattanten ab, auch wenn es durchaus einige „kollaterale“ Todesopfer unter der Zivilbevölkerung gab. In diesem Konflikt dagegen, so berichteten die Befragten, wurden Häuser niedergebrannt, Ernten absichtlich vernichtet, Rinder und andere Nutztiere geraubt und ältere Menschen, Frauen und Kinder entführt oder getötet. Es gab auch Berichte über Vergewaltigungen von Frauen.
Dies sind die schlimmsten Folgen bewaffneter Konflikte, die man sich vorstellen kann, während der Hunger lediglich als zweitrangige Auswirkung angesehen wurde.
überlebensstrategien
Auf der Flucht vor derartigen Schrecken standen den Menschen nur wenige überlebensstrategien zur Verfügung. Als die Kampfhandlungen sie erreichten, so sagten sie, seien sie in den Busch geflohen, und als die Kämpfe auch dort ankamen, in das PoC-Lager. Um in den Schutz des PoC-Lagers der UN zu kommen, dauerte es zwischen einem und 20 Tagen. Sie kamen unter anderem aus den Orten Koch, Guit, Nhialdiu und sogar aus Leer im Süden des Staates. Auf diesen gefährlichen Wanderungen ernährten sich die Menschen von Seerosen aus den Flüssen und wild wachsenden Nahrungsmitteln aus dem Wald, litten aber auch oft tagelang Hunger. Sie beschrieben, wie sie das Harz der Bäume aßen, den Teil, der sichtbar wird, wenn man einen Ast diagonal einschneidet. Zeitweise hatten sie nur dieses Harz zu essen. Außerdem ernährten sie sich von Blättern von den Bäumen, Erwähnung fanden der Lalup-Baum, der Buaw- Baum, der Nyat-Baum, der Koat-Baum sowie Mangoblätter. Die Menschen gaben an, dass ihnen einige dieser wild wachsenden Nahrungsmittel bekannt gewesen seien, aber längst nicht alle, da sie bisher in Zeiten des Mangels immer Milch gehabt hätten. Wasser fanden sie nur in Sümpfen und konnten es weder kochen noch filtern. Den Erzählungen zufolge haben einige miterlebt, wie eine Frau auf dem langen Marsch zum PoC-Lager verhungerte, auch von weiteren Todesopfern sei zu hören gewesen.
Vor ihrer Flucht griffen die Menschen bereits auf verschiedene überlebensstrategien zurück. Sie aßen die gleichen Nahrungsmittel wie üblich, allerdings in geringeren Mengen. Nachdem sie die Portionsgrößen verkleinert hatten, gingen sie dazu über, nur noch eine Mahlzeit am Tag zu verzehren. Wenn die Nahrung noch knapper wurde, entschieden sie, wer das Wenige bekommen sollte. Die Kinder zwischen zwei und fünf Jahren bekamen als Erste zu essen, dann die Großeltern, die Männer und zuletzt die Frauen. Auch die Nähe zum Fluss war wichtig:
Im Sommer haben wir angepflanzt und bewässert. Wir haben in der Nähe der Flussufer angebaut, damit sich die Bewässerung einfach gestaltete. In den Flussbetten haben wir Brunnen gegraben, für Trinkwasser und zur Bewässerung. Wir sind nicht fortgezogen.
Die gefährlichste überlebensstrategie war die Suche nach Feuerholz oder Gras im Busch, wo Angriffe wilder Tiere drohten.
Ernährungssicherheit
Die Auswirkungen des Konflikts auf die Ernährungssicherheit haben sich im Laufe der Zeit gewandelt. Bevor die Menschen flüchteten, standen ihre Ernten und Nutztiere buchstäblich unter Beschuss. Die Streitkräfte vernichteten absichtlich Feldfrüchte, stahlen Tiere und verfolgten offenbar eine Strategie der „verbrannten Erde“. Als die Frauen und Kinder das Lager erreichten, waren sie ausgehungert, aber nicht akut vom Hungertod bedroht. Sie mussten sich registrieren lassen und erhielten eine biometrische Lebensmittelkarte, mit der sie sich dann in die Schlange stellten. Während sie warteten, gaben ihnen Bekannte etwas zu essen, es wurde ausgeliehen und geteilt. Diejenigen, die bereits länger als drei Monate im Lager waren, erklärten sich mit den Rationen zufrieden, hatten also genügend Nahrungsmittel. Allerdings waren sie nun auf die Unterstützung der humanitären Organisationen angewiesen, sowohl hinsichtlich ihres Schutzbedürfnisses als auch für Nahrung und Wasser.
Der Ernährungszustand von Kindern scheint sich einige Wochen nach der Ankunft zu verschlechtern. Mitarbeiter von Concern Worldwide haben besorgt festgestellt, dass die Werte globaler akuter und schwerer akuter Unterernährung (global acute malnutrition, GAM, und severe acute malnutrition, SAM) bei Ankunft unter den Notfallgrenzwerten lagen, diese aber nach maximal einem Monat überschritten. Das könnte unter anderem an Verzögerungen bei der Versorgung mit den PoC-Rationen zusammenhängen. Die Mütter sagten, dass Umgebung und Wetter im PoC-Lager anders seien als zu Hause und die Kinder daher Durchfall, Fieber und Augenschmerzen bekommen hätten. Es wurde auch berichtet, dass Mütter, die viele Einheiten von PlumpyNut (eine therapeutische Fertignahrung zur Behandlung schwerer akuter Unterernährung bei Kindern über sechs Monaten) oder PlumpySup (eine lipidbasierte Nahrungsergänzung für Kinder zur Behandlung mäßiger akuter Unterernährung) erhielten, diese zum Teil auf dem Markt verkauften, um Lebensmittel für ihre älteren Kinder zu erwerben. Damit wurden natürlich die mit diesen Produkten verfolgten Ernährungsziele untergraben.
Fazit
Massnahmen von Concern
Concern arbeitet an der Verbesserung der Ernährungssicherheit in Northern Bahr el Ghazal und trägt zur Stärkung der Gesundheitsdienste in West- und Nordaweil bei. In Bentiu wurden Notunterkünfte sowie Trinkwasser- und Sanitärversorgung in einem Lager mit über 100.000 Vertriebenen bereitgestellt. Außerdem werden Maßnahmen zur Verbesserung des Ernährungszustands von Säuglingen und Kleinkindern durchgeführt und schwer unterernährte Kinder versorgt. Diese Notmaßnahmen zur Ernährungssicherung weitete Concern auch auf ländliche Gebiete des Bundesstaats Unity aus. In Juba arbeitet Concern ebenfalls in diesem Bereich und führt außerdem Verteilungen von Lebensmitteln und Gutscheinen im PoC-Lager durch.
Die Reaktion auf die Hungerkrise von 1998 im Südsudan führte zu Debatten und erlaubte Concern, sich weiterzuentwickeln und neue Ansätze auszuprobieren. Es erwies sich als äußerst schwierig, den betroffenen Gemeinschaften Zugang zu therapeutischen Ernährungszentren zu verschaffen und Lebensmittel in die überfluteten Gebiete zu bringen. Also wurde darüber nachgedacht, wie man schwere akute Unterernährung effektiver bekämpfen könnte. Als ein neuer Ansatz zur gemeindebasierten therapeutischen Versorgung vorgeschlagen wurde, war Concern bereit, ihn auszuprobieren und umzusetzen. Dies führte zum Durchbruch für CMAM (Community Management of Acute Malnutrition), einem Modell der gemeindebasierten Bekämpfung akuter Unterernährung. Zahlreiche Gesundheitszentren haben diesen Ansatz im Südsudan bereits aufgegriffen und umgesetzt.
Im Südsudan sehen sich die Mitarbeiter mit allen Herausforderungen eines sogenannten „schwachen Staats“ konfrontiert: ein anhaltender Konflikt, zyklisch auftretende Extremwetterereignisse, geringe staatliche Kapazitäten in entlegenen ländlichen Gegenden, unterentwickelte Infrastruktur und eine schwache Zivilgesellschaft. Concern möchte realistische und stabile Lösungen für diese Herausforderungen finden und gleichzeitig dazu beitragen, den Menschen bei akuten Krisen das überleben zu sichern.
Im Bundesstaat Unity kehren die Bewohner des PoCLagers vor allem deshalb nicht nach Hause zurück, weil es keinen gesicherten Frieden gibt. Wenn es zu einer anhaltenden Waffenruhe kommen sollte, dann wären sie zuversichtlich, innerhalb von sechs Monaten ihre ursprünglichen Lebensgrundlagen wiederaufbauen zu können. Das erscheint überraschend zügig, hängt aber auch davon ab, wie die Pflanzzeiten genutzt werden können.
Die verarmten Menschen der Gemeinschaft von Northern Bahr el Ghazal sehen das Wechselspiel zwischen Risiken und Chancen für die Ernährungssituation ihrer Haushalte ausgesprochen analytisch. Sie leben auf einer Achterbahn zwischen ausreichender Nahrungsversorgung und der Bildung von Reserven, gefolgt vom Verlust dieser Reserven, von nicht nachhaltigen überlebensstrategien und schwerem Hunger. Der Tiefpunkt dieser Kurve scheint dann erreicht, wenn Klimaschwankungen mit den Auswirkungen bewaffneter Konflikte zusammenfallen. Der Hoffnungsschimmer in diesem Zyklus wiederholter Katastrophen und häufiger Rückschläge liegt in der Fähigkeit der Gemeinschaft, sich wieder aufzurappeln und ein Grundvermögen aufzubauen, das sie vor künftigen Katastrophen schützt.
Justinos (2008) Einschätzung, dass die indirekten Auswirkungen von Konflikten auf Haushalte durch die Märkte, die politischen Institutionen und die sozialen Netzwerke gelenkt werden, erscheint plausibel. Märkte und soziale Netzwerke operieren recht dynamisch weiter, die politischen Institutionen erscheinen dagegen weit entfernt und ineffektiv. Das spiegelt Beschreibungen wider, denen zufolge die staatlichen Institutionen in vielen afrikanischen Ländern nur schlecht funktionieren (Andrews et al. 2012, Andrews 2013). Die Schlussfolgerung von Alinovi et al. (2007), dass dysfunktionale Institutionen die Grundlage struktureller Nahrungsunsicherheit darstellen, scheint im Kontext des Südsudan zuzutreffen. Konflikte haben zahlreiche und komplexe Gründe, die mit vielfältigen Aspekten des menschlichen Lebens zusammenhängen, darunter Identität, wirtschaftliche Not, Habgier und Unsicherheit. Oft werden kleinere Differenzen von denjenigen unnötig verstärkt, die nach Macht streben – dieser Umstand wird in der Formulierung „Narzissmus kleinerer Differenzen“ treffend ausgedrückt (Ignatieff 1998). Vor allem die Vermeidung und Beendigung bewaffneter Konflikte stellen enorme Aufgaben dar, die Führungs- und Vermittlungsfähigkeiten mit großem politischem Geschick erfordern. Stabilität und wirtschaftliches Wachstum sind vielleicht die besten Motoren für Frieden und Sicherheit. Der Vermeidung, Minderung und Lösung von Konflikten muss von der internationalen Gemeinschaft eine weitaus höhere Priorität eingeräumt werden.
Die lokalen Gemeinschaften sind in der Lage, wiederholte Erschütterungen, sei es durch das Klima oder Konflikte, zu bewältigen und ihre überlebensstrategien bis zu einem gewissen Grad daran anzupassen. Allerdings ist es ihnen nicht gelungen, ihre Lebensgrundlagen so maßgeblich zu verändern, dass diese Risiken ausgeschaltet oder minimiert worden wären. So viel ist deutlich geworden: Wenn diese beiden Arten von Krisen – Klimaextreme und Konflikte – zusammenfallen, stehen die Gemeinschaften vor riesigen Herausforderungen und brauchen erheblich länger, um sich wieder zu erholen. Die Situation im Südsudan um die Mitte des Jahres 2015 legt leider nahe, dass uns wieder eine solche Verkettung unglücklicher Umstände bevorsteht.