Malawi:
Die Ernährung auf solide Grundlagen stellen
Der Binnenstaat Malawi, dessen Bevölkerung auf 17,2 Millionen geschätzt wird, hat im Agrarsektor kürzlich ein rasantes Wachstum erfahren. Der Anteil unterernährter Kinder bleibt jedoch weltweit einer der höchsten. Mit einem WHI-Wert von 26,9 für 2016 ist die Hungersituation in Malawi als „ernst“ einzustufen.
20.7%
der Bevölkerung sind unterernährt, weil sie ihren Kalorienbedarf nicht decken können.
37%*
der Kinder unter 5 Jahren sind in ihrer Entwicklung zurückgeblieben (engl. „stunted“; zu geringe Körpergröße für ihr Alter), ein Beleg für chronische Unterernährung.
Die landwirtschaft ist die tragende säule des lebensunterhalts in Malawi. über 80 Prozent der Bevölkerung sind auf Subsistenzwirtschaft angewiesen, das Hauptnahrungsmittel ist Mais.
Die gesamtwirtschaftliche Instabilität hat in Kombination mit den Auswirkungen des Klimawandels und vor allem des Wetterphänomens El Niño das Land in den vergangenen Jahren schwer getroffen. überflutungen und Dürren hatten verheerende Folgen für die malawischen Kleinbauern und erhöhten die akute Unterernährung in der Bevölkerung. Es ist zwar erklärtes Ziel der malawischen Regierung, die Sortenvielfalt auf dem Acker zu erhöhen; die Erreichung dieses Ziels und die Schritte zu einem verbesserten Ernährungszustand gestalten sich jedoch schwierig, wie auch das Internationale Forschungsinstitut für Ernährungs- und Entwicklungspolitik (International Food Policy Research Institute, IFPRI, 2015) betont. Hohes Bevölkerungswachstum und hohe Geburtenraten (3,07 Prozent und eine durchschnittliche Gesamtgeburtenrate von 4,4 im Jahr 2014 laut Weltbank) bei jungen Frauen erschweren die Ernährungssicherung und Grundversorgung gefährdeter Bevölkerungsgruppen.
Der Welthunger-Index 2016 bezeichnet die Hungersituation in Malawi als „ernst“. Der malawischen SMART-Studie zur Bewertung der Gesundheitssituation zufolge leidet einer von drei Haushalten unter einem unzureichenden Konsum von Nahrungsmitteln, und das malawische Komitee zur Beurteilung der Gefährdung der Bevölkerung (Malawi Vulnerability Assessment Committee, MVAC) kommt in seiner jährlichen Einschätzung und Analyse zu dem Ergebnis, dass 6,5 Millionen Menschen – oder jeder dritte Malawier – ihren minimalen Nahrungsbedarf 2016/17 nicht werden decken können. Auch die chronische Unterernährung gibt Anlass zu großer Besorgnis. Nach den vorläufigen Erkenntnissen im kürzlich veröffentlichten Bericht des Demographic Health Survey (Demografische Gesundheitsstudie, DHS) sind 37 Prozent aller Kinder unter fünf Jahren zu klein für ihr Alter, leiden also unter Wachstumsverzögerung. Bei elf Prozent der Kinder sind diese Wachstumsverzögerungen sogar schwerwiegend. Auch wenn dieser Prozentsatz verglichen mit 2014 (42 Prozent) und 2010 (47 Prozent) gefallen ist, bleibt er besorgniserregend.
Concern Worldwide arbeitet seit 2002 in Malawi und unterstützt die Regierung bei ihren Anstrengungen zur Hungerbekämpfung, kooperiert aber auch mit den Gemeinden in einer Reihe von Programmen, darunter Nothilfemaßnahmen zur Sicherung der Lebensgrundlagen, Gesundheit, Ernährung und Bildung. Im Laufe des Jahres 2015 konnte Concern Worldwide mehr als 380.000 Menschen direkt erreichen. Die Bauern werden dabei unterstützt, ihre Produktivität zu steigern; der Fokus liegt allerdings zunehmend auf Ernährungsbildung zur Verbesserung des Nahrungskonsums. Malawi war eines der ersten Länder, die einen gemeindebasierten Ansatz zur Bekämpfung der Unterernährung entwickelten und einführten und sich der Bewegung „Scaling Up Nutrition“ (SUN) anschlossen. Damit bekräftigt das Land seinen politischen Willen zur Beseitigung der Unterernährung. Außerdem ging Malawi im Jahr 2013 bei der Veranstaltung „Nutrition for Growth“ in Großbritannien eine Reihe finanzieller und politischer Verpflichtungen ein, die diverse Regierungswechsel überstanden und offensichtlich breite politische Unterstützung genießen. Die bereitgestellten Mittel sind allerdings weiterhin knapp.
Die Ursachen der Unterernährung in Malawi sind vielschichtig und zahlreich; sie reichen von direkten Faktoren bis zu tiefer liegenden Zusammenhängen. Um „Zero Hunger“ zu erreichen, ist ein übergreifender Ansatz nötig, bei dem die verschiedenen Sektoren und Interessengruppen an einem Strang ziehen und der sich mit der gesamten Bandbreite von Ursachen befasst. Prävention und Behandlung von Unterernährung wirksam auszubauen ist bei dieser Arbeit von zentraler Bedeutung. Im Folgenden wird eine spezifische Initiative zur Behandlung der Unterernährung betrachtet, die Concern Worldwide und die malawische Regierung gemeinsam entwickelten und in die sie umfangreich investierten. Aus dieser Maßnahme sind zahlreiche Lehren zu ziehen. Die vorliegende Studie reflektiert die Erfolge und Herausforderungen, bevor sie sich der Zukunft und damit dem Fokus auf Prävention von Unterernährung durch Programme, Partnerschaften, veränderte politische Rahmenbedingungen und verbesserte Versorgung mit Gesundheitsdiensten für Mütter und Kinder zuwendet. Die Studie basiert auf Sekundärforschung und einer Reihe von Interviews, die im Juli 2016 landesweit und im Bezirk Mchinji geführt wurden. Angeregt wurde sie durch das erklärte Ziel von Concern Worldwide Malawi, dass „extrem arme Haushalte höhere Ernährungssicherheit und eine gesteigerte Widerstandsfähigkeit gegen Schocks und Gefährdungen erhalten sollen“ (Strategieplan 2014–2018).
Umgang mit akuter Unterernährung
Es macht mir Spaß, andere Mütter in meiner Gemeinde zu unterrichten. Ich habe viel über gute sanitäre Einrichtungen, Hygiene und Ernährung gelernt. Ich weiß jetzt, wie wichtig die sechs Nahrungsmittelgruppen sind, und ich konnte dieses Wissen an andere Mütter weitergeben. Josephine Oscar, Multiplikatorin im SNICProjekt des Dorfs Zizwa, Bezirk Mchinji
Früher bestand die Nahrung der Kinder nur aus Mais. Wir haben Saatgut bekommen, uns wurde gezeigt, wie man verschiedene Pflanzen anbaut, und nun ist ihre Ernährung abwechslungsreicher. Lustilla Mathew, Dorf Mbachundu, Bezirk Mchinji
3%*
der Kinder unter 5 Jahren sind ausgezehrt (engl. „wasted“; zu geringes Gewicht für ihre Körpergröße), ein Beleg für akute Unterernährung.
6.4%
der Kinder sterben, bevor sie 5 Jahre alt werden.
Zwischen 2002 und 2006 entwickelte Concern Wordwide gemeinsam mit Valid International einen gemeindebasierten Ansatz zur Bekämpfung akuter Unternährung in Malawi. Er besteht aus vier Schlüsselkomponenten:
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MOBILISIERUNG DER GEMEINSCHAFT: Initiativen zur Bewusstseinsbildung, Früherkennung und Identifizierung betroffener Kinder mithilfe eines Spezialmaßbandes, mit dem der Umfang des Oberarmes (Mid-Upper Arm Circumference, MUAC) gemessen wird, sowie Verlaufskontrollen mit Betreuern und unterernährten Kindern.
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PROGRAMM ZUR NAHRUNGSERGäNZUNG: Nahrungsmittelrationen für den Verzehr in den Haushalten (zum Beispiel gemischte, angereicherte Nahrungsmittel) und regelmäßige medizinische Versorgung von Kindern mit moderater akuter Unterernährung.
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AMBULANTE THERAPIEPROGRAMME: Versorgung mit kalorienreichen therapeutischen Nahrungsmitteln sowie regelmäßige Kontrolluntersuchungen für Kinder, die stark unterernährt sind, aber ansonsten keine medizinischen Komplikationen aufweisen. Hierbei ist es wichtig, dass die Kinder zu Hause in ihren Gemeinden behandelt werden.
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EINRICHTUNGEN ZUR ERNäHRUNGSREHABILITATION: Bereitstellung stationärer Versorgung für akut unterernährte Kinder mit medizinischen Komplikationen.
Bis 2004 konnte das malawische Pilotprojekt hervorragende Behandlungsergebnisse vorweisen. Es erzielte eine große Reichweite und hohe Akzeptanz in den Gemeinden und erwies sich als günstige Alternative zu kostspieligen stationären Behandlungen.
Im Jahr 2006 erklärte das Gesundheitsministerium seine Absicht, diesen als gemeindebasierte Behandlung akuter Unterernährung (Community-based Management of Acute Malnutrition, CMAM) bekannt gewordenen Ansatz zum allgemeinen Standard zu erheben und seine Anwendung auf alle 29 Bezirke des Landes auszuweiten. Concern Worldwide Malawi und die Regierung gingen eine auf fünf Jahre angelegte Partnerschaft ein, die umfassende Instrumentarien zur Umsetzung der CMAM-Dienste entwickeln sollte, unter anderem mit der Einführung von Richtlinien und Strategien sowie der Standardisierung der Versorgungsangebote. Außerdem setzten sich die Partner für die Ausweitung des Ansatzes und seine Integration in das staatliche Gesundheitssystem ein. Um diese Arbeit voranzutreiben, wurde der CMAM-Beratungsservice (CMAM Advisory Service, CAS) mit finanzieller Unterstützung der United States Agency for International Development (USAID) gegründet. 2013 übernahm das Gesundheitsministerium alle Schlüsselfunktionen und Concern Worlwide zog sich teilweise aus dem Projekt zurück.
Zu diesem Zeitpunkt waren CMAM-Dienste in allen Distrikten verfügbar. Der Ansatz war in nationale Strategien und Richtlinien sowie hinsichtlich Ausbildung, Vorratsmanagement und Aufsicht auch in die bestehende Gesundheitsinfrastruktur integriert worden. Auf allen Ebenen wurden Schwerpunktzentren identifiziert, landesweit und in den Bezirken Ausbildungsteams aufgestellt, in den Bezirksgesundheitsbehörden ein Supervisionssystem eingeführt und die gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen dokumentiert. Den Bezirksärzten wurde vermittelt, wie das Budget für CMAM kalkuliert und die Kosten in den Umsetzungsplänen der Bezirke berücksichtigt werden.
Damit war schon einiges erreicht. Neben diesen Erfolgen und Leistungen stellten sich jedoch auch neue Fragen, vor allem als die externe Unterstützung endete. Dabei ging es insbesondere um die Nachhaltigkeit des Ansatzes und die vergleichbar geringen Kapazitäten, um CMAM in die bestehenden staatlichen Systeme zu integrieren. Ende 2013 wurde auf Anregung von USAID und der kanadischen International Development Agency (Canadian International Development Agency, CIDA) eine abschließende Evaluierung von CMAM in Malawi durchgeführt, deren Ergebnisse eine Reihe von Schwierigkeiten verdeutlichten:
- Der CMAM-Beratungsservice (CAS) konnte zwar dazu beitragen, die Reichweite und den Umfang der CMAM-Angebote auf nationaler Ebene auszuweiten, aber diese Angebote wurden noch nicht vollständig institutionalisiert beziehungsweise in das Gesundheitssystem integriert.
- Um beratende und technische Projektaufgaben auf subnationaler Ebene übernehmen zu können, hätte das Gesundheitsministerium organisatorische Veränderungen vornehmen müssen. Diese Anpassung wurde bei der Projektplanung nicht berücksichtigt und fand somit auch nicht statt.
- Die CAS-Maßnahmen wurden nicht ausreichend mit dem Dezentralisierungsprozess abgestimmt.
Um Wirksamkeit und Reichweite von CMAM zu überprüfen, führte die Regierung im Jahr 2014 eine Engpassanalyse durch, die einige weitere Herausforderungen offenlegte, darunter:
- unzureichende Versorgung mit CMAM-Bedarfsgütern;
- zu wenig ausgebildetes Personal für die Umsetzung von CMAM: Nur wenige Klinikärzte, Krankenschwestern und medizinische Kontrollassistenten (Health Surveillance Assistants, HSA) hatten ein umfassendes CMAM-Training erhalten;
- niedrige Effektivitätsraten: Werte von 36 Prozent akut Unterernährter und 15 Prozent moderat akut Unterernährter (MAM), die als geheilt entlassen werden konnten, sind Belege für unzureichendes Fallmanagement.
Die Interviews, die für die vorliegende Studie geführt wurden, bestätigten viele dieser Ergebnisse und warfen weitere Probleme auf, die zu denken geben – beispielsweise die Herausforderung, Finanzmittel für die Gesundheitsdienste aufzubringen und damit die institutionellen Schwierigkeiten zu beseitigen. Andere Probleme sind eher praktischer Natur: Viele medizinische Kontrollassistenten (HSAs) und andere medizinische Mitarbeiter sind überlastet und unmotiviert. Die Beschaffung und pünktliche Lieferung von Nachschub gestalten sich schwierig und therapeutische Fertignahrungsmittel (Ready-to-usetherapeutic foods) sind mitunter nicht verfügbar. Außerdem besteht eine große Abhängigkeit von der Bereitstellung nötiger Vorräte durch externe Stellen und Organisationen.
Auch durch unzureichende Verkehrswege und Treibstoffengpässe wird die Arbeit des medizinischen Personals auf Bezirksebene behindert. Die HSAs sollen das Wachstum der Kinder in den Dörfern einmal monatlich überprüfen und die Gemeinden gemeinsam mit den Bezirksernährungsbeauftragten in regelmäßigen Abständen besuchen, um die CMAM-Maßnahmen zu kontrollieren. Da es keine ausreichenden öffentlichen Verkehrsmittel gibt, ist es schwierig für sie, aktiv Fälle von Unterernährung zu identifizieren, Vorsorgeuntersuchungen durchzuführen und stationäre Aufnahmen einzuleiten.
Die Erhebung von Daten und ihre Verwendung bei Entscheidungsprozessen verursachen weitere Probleme. Die CMAM-Daten durchlaufen mehrere Schritte und Kanäle, und wenn sie nicht rechtzeitig geliefert werden, kann dies dazu führen, dass Maßnahmen zu spät eingeleitet werden. Die Bezirkskomitees zur Koordination in Ernährungsfragen (District Nutrition Coordination Committees, DNCC), die die wichtigsten Akteure im Bereich der Ernährung zusammenbringen, sollten von den Gesundheitsstationen fundierte Informationen zu Fällen akuter Unterernährung erhalten und diskutieren. Dies geschieht aber aufgrund zeitlicher Einschränkungen und einer ungeregelten Sitzungsstruktur nicht immer.
Außerdem sind die vom medizinischen Personal auszufüllenden Kontroll- und Aufnahmeformulare so komplex, dass manche Mitarbeiter sich nicht in der Lage fühlen, sie vollständig auszufüllen. Zwar stehen jedem HSA ungefähr zehn ehrenamtliche Helfer aus der Gemeinde zur Seite; deren Ausbildungsstand kann aber stark variieren, denn sie werden je nach Geber und Projekt unterschiedlich geschult. In einem Team von zehn Helfern sind gegebenenfalls nur drei in CMAM qualifiziert. Ein einheitliches „Ausbildungspaket“ fehlt.
Herausforderung: Ernährungsstrategie bis 2020
Die Regierung hat diese Schwierigkeiten und die Notwendigkeit ihrer Behebung erkannt und arbeitet an einer neuen nationalen Ernährungspolitik für den Zeitraum 2016– 2020. Sie hat außerdem einen ergänzenden operativen Plan entwickelt, der sich explizit mit den Schwierigkeiten bei der Institutionalisierung und effektiven Umsetzung von CMAM beschäftigt und umfassend nach Lösungen sucht.
Die neue politische Strategie stellt auf die geringe Kapazität und Beteiligung von ärzten an der Behandlung schwerer akuter Unterernährung, die ungenügende Einbindung und Mobilisierung der Gemeinden, unzureichendes Versorgungsmanagement und die allgemein geringe Qualität der Versorgung mit CMAM-Diensten ab. Wichtige strategische Handlungsbereiche sind unter anderem:
- die Erhöhung der institutionellen und personellen Kapazitäten der Leistungsträger;
- bessere Verfügbarkeit und leichterer Zugang zu Nachschub und Ausrüstung aus dem CMAM-Programm;
- die übernahme größerer Verantwortung für Maßnahmen zur Bekämpfung akuter Unterernährung und die Bereitstellung notwendiger Finanzmittel seitens der Regierung;
- die Aus- und Weiterbildung des Personals, die in der neuen Strategie Priorität haben wird.
Der operative Plan zielt auch darauf ab, die derzeitigen institutionellen Regelungen zur Koordination von CMAM landesweit, in den Bezirken, den Gesundheitseinrichtungen und Gemeinden zu verbessern und die Verbindungen zwischen CMAM und anderen ernährungsspezifischen und ernährungssensitiven Maßnahmen zu stärken. Auch die Generierung und Verwendung genauer und verlässlicher Kontroll- und Evaluationsdaten wird im Mittelpunkt stehen.
Die neue Politik und der neue Plan enstehen zu einer Zeit, in der ambitioniertes Handeln vonnöten ist, besonders angesichts der jahreszeitlichen, durch den Klimawandel bedingten extremen Wetterereignisse. Ein temporärer Anstieg akuter Unterernährung wird zwar immer genauer vorhersagbar, aber es fehlt noch ein System auf Bezirksebene, mithilfe dessen man eine schnelle Reaktion („surge mechanism“, Mechanismus für Fälle plötzlichen Anstiegs) planen und umsetzen könnte, anstatt auf kurzfristige Notfallreaktionen der Regierung und der Partner angewiesen zu sein.
Ansatzpunkte für langfristige Strategien
Um dieses Problem zu lösen und die Anstrengungen der Regierung weiter zu unterstützen, entwickelt Concern Worldwide Malawi derzeit das Programm CMAM-Surge, das Instrumente zur Verfügung stellt, mit denen staatliche Gesundheitsteams effektiver auf eine plötzliche Zunahme akuter Unterernährung reagieren und gleichzeitig langfristig die Widerstandsfähigkeit des Gesundheitssystems aufbauen können.
Reaktionen auf Ernährungsnotlagen laufen häufig als disparate Episoden externer Hilfe parallel zum Gesundheitssystem ab. Mit dem Surge-Programm sollen erstens die Kapazitäten der Gesundheitsstrukturen auf Bezirksebene gestärkt und zweitens die Koordinationsstellen dazu ermutigt werden, frühzeitige Warnungen in ihren Entscheidungsprozessen und Reaktionen zu berücksichtigen. Die Maßnahmen konzentrieren sich auf zwei Bereiche: die Lagebeobachtung in den Gesundheitsstationen und die Koordination auf Bezirksebene. Das Personal in den Gesundheitsstationen wird angeregt, die Ursachen des jahreszeitlich bedingten Anstiegs akuter Unterernährung zu analysieren und in ihrem Zusammenhang zu betrachten. Es setzt die Schwellenwerte fest, die zusätzliche Unterstützung auslösen sollen, und führt ein monatliches Monitoring durch. Die Schwellenwerte werden von jeder einzelnen Gesundheitseinrichtung festgelegt. Wenn sie überschritten werden, benachrichtigt die Einrichtung die Bezirksverwaltung, mobilisiert ihre eigenen Ressourcen und fordert, wenn nötig, zusätzliche Unterstützung an. So kann die Einrichtung eine größere Fallzahl bewältigen, ohne dass die Qualität der Gesundheitsdienste darunter leidet. Vor Einführung dieses Programms wird auf Bezirksebene über die Bereitstellung von Unterstützung im Falle eines plötzlichen Anstiegs akuter Unterernährung, über Art und Umfang der Unterstützung und darüber, wie und wann diese ausgebaut oder verringert wird, entschieden.
Vorbeugen ist besser als Heilen
61%
der Säuglinge werden während der ersten sechs Lebensmonate ausschließlich gestillt.
57/60
Lebenserwartung (m/f)
Als wir begannen, dieses Programm zu vermitteln, hatten nur wenige Häuser in meinem Dorf eine Toilette. Jetzt kennen wir die Vorteile und viele von uns haben Toiletten gebaut. Außerdem gingen früher nur sehr wenige schwangere Frauen zur Vorsorgeuntersuchung. Jetzt wissen viele, wie wichtig sie ist, und gehen zum Arzt, wenn sie schwanger sind. Ich wurde Gesundheitsberater, weil ich meinen Leuten helfen möchte, gesünder zu leben. Gift Kamanga, Bauer und ehrenamtlicher Gesundheitsberater im Dorf Mkanda, Bezirk Mchinji
Concern Worldwide engagiert sich auch über die Behandlung von Unterernährung hinaus. Die Organisation konzentriert sich zunehmend auf die Prävention und die diesbezügliche Zusammenarbeit mit der Regierung. Die malawische Regierung weiß, dass ein umfassender, nachhaltiger Ansatz zur Bekämpfung der Unterernährung benötigt wird, und hat daher ihre Unterstützung der kürzlich verabschiedeten Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) zugesichert. Die Prävention von Unterernährung und die Behandlung unterernährter Kinder wurden von der Regierung zu maßgeblichen Entwicklungsprioritäten erklärt und in die malawische Wachstums- und Entwicklungsstrategie II, 2011–2016 (Malawi Growth and Development Strategy II) aufgenommen. Der Umgang mit akuter Unterernährung ist auch ein Schlüsselziel des Strategieplans des malawischen Gesundheitssektors für die Jahre 2011–2016 (Malawi Health Sector Strategic Plan), der nationalen Ernährungspolitik für 2016–2020 (National Nutrition Policy) und der Strategie zur Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern von 2009 (Infant and Young Child Feeding Policy). Die Prävention von Unterernährung ist außerdem der wichtigste Aktionsbereich in der überarbeiteten nationalen Ernährungspolitik, die auf den Erkenntnissen und Erfolgen der letzten zehn Jahre aufbaut und die Einführung und Integration hochwirksamer, ernährungsspezifischer und ernährungssensitiver Maßnahmen in den Strategien, Umsetzungsplänen und Budgets aller relevanten Schlüsselsektoren vorsieht.
Die Regierung arbeitet mit der Weltbank und der kanadischen Behörde für internationale Entwicklung (CIDA) zusammen, die seit 2012 das Ernährungs- und HIV/AIDS-Projekt unterstützt. Ein Aspekt dieses Projekts ist die „Komponente zur Verbesserung der Ernährung“ („Support for Nutrition Improvement Component“, SNIC), die in 15 Bezirken des Landes umgesetzt und von einer Reihe von Partnern unterstützt wird. In diesem Projekt sollen der Zugang zu und die Nutzung von Leistungen verbessert werden, die bekanntermaßen Wachstumsverzögerung von Kindern und Anämie bei Müttern und Kindern verringern. Im März 2014 begann auch Concern Worldwide, SNIC zu unterstützen, und wurde im Bezirk Mchinji zum Partner bei der Umsetzung des Projekts. Dieser Bezirk weist laut der demografischen Gesundheitsstudie von 2010 mit 54 Prozent den landesweit vierthöchsten Anteil von Kindern auf, die an Wachstumsverzögerung leiden. Mit der Unterstützung der SNIC realisiert Concern Worldwide einen multisektoralen Ansatz, der Ernährungsbildung, sozialen Wandel und Verhaltensänderungen, Wasser- und Sanitärversorgung, Ernährungssicherheit und die Stärkung lokaler Kompetenzen miteinander verbindet.
Die Mobilisierung der Gemeinschaften ist eine Schlüsselstrategie für das Ziel der Entwicklung nachhaltiger Ernährungsmaßnahmen; diese sollen von den Gemeinden angenommen werden, eine rege Beteiligung erfahren und zur Verankerung optimaler Vorgehensweisen führen. Concern Worldwide fördert den Aufbau von Gemeindestrukturen und -gruppen sowie den Ausbau von Wissen und Kompetenzen. Die Einrichtung von Fürsorgegruppen, die aus etwa einem Dutzend Multiplikatorinnen bestehen, hat sich als geeigneter Weg erwiesen, den Müttern in der Gemeinschaft Zugang zu einer Minimalversorgung mit Fürsorge und Dienstleistungen zu verschaffen. Die Betreuer der Fürsorgegruppen unterstützen die Mütter und ermöglichen Gruppentreffen sowie Einzelberatungen und Hausbesuche. Ausgebildet werden die Betreuer in den Bereichen Hygiene und Gesundheit, Ernährung der Mütter, ausschließliches Stillen und angemessene Beikost. Diese Ausbildung geben sie an die Multiplikatorinnen weiter, die dann wiederum anderen Müttern in der Gemeinschaft helfen können.
Obwohl die Multiplikatorinnen in den Fürsorgegruppen wie auch die Gruppenbetreuer ihren Gemeinden gerne helfen wollen, ist es schwer, sie über längere Zeit zu halten und zu motivieren, da sie einen finanziellen Vorteil erwarten. Auf die Frage, zu welchen weiteren Themen sie gerne Informationen hätten, nannten die Betreuer die Bereiche geschlechtsspezifische Gewalt und Malaria. Sie wiesen zudem auf ihre überlastung hin; es war ihnen klar, dass sie oft nicht genug Unterstützung leisten können. Ein Betreuer schätzte, dass er nur ungefähr 80 Prozent der Gemeinde erreicht. Die Fürsorgegruppen haben zudem ihre ganz eigenen Probleme. Zunächst waren die Mütter, mit denen sie zusammenarbeiteten, den vermittelten Maßnahmen gegenüber skeptisch. Ein weiteres Hindernis, auf das die Multiplikatorinnen hinwiesen, war der Mangel an verfügbaren, vielfältigen Nahrungsmitteln und Saatgut. Er erschwerte es den Gruppenmitgliedern, ihre Nahrung so abwechslungsreich zu gestalten, wie man es ihnen erklärt hatte. Um hier Abhilfe zu schaffen und einen umfassenderen Ansatz zu verfolgen, erhalten die Fürsorgegruppen nun Saatgut, unter anderem für orangefleischige Süßkartoffeln, Erdnüsse und Obstbaumsetzlinge. Außerdem haben einige Frauen Ziegen bekommen, deren Nachwuchs sie nun an andere weitergeben.
Als Teil eines lückenlosen Fürsorgesystems gehört es zu den Schlüsselzielen des Programms, an akuter Unterernährung leidende Kinder zu erkennen und behandeln zu lassen. Ehrenamtliche Helfer im Gesundheitsdienst und dörfliche Entwicklungskomitees (Village Development Committees, VDC) werden dazu ausgebildet, aktiv nach Krankheitsfällen zu suchen. Außerdem werden gemeindebasierte Kinderbetreuungszentren (Community-based Child Care Centres, CBCC) unterstützt, die sich um die frühkindliche Entwicklung von Kindern unter fünf Jahren kümmern. Die CBCCs haben sich als sehr nützlich erwiesen, wenn es darum geht, die Reichweite von Gesundheits- und Ernährungsmaßnahmen zu vergrößern und Kinder mit den Gesundheitsdiensten in Berührung zu bringen. Concern Worldwide hat Material für Gemüsegärten zur Verfügung gestellt, damit die Kinder durch CBCC-Mitarbeiter nährstoffreiches Essen erhalten konnten. Die Unterstützung besteht außerdem aus Wasserfiltern und Trainingsprogrammen zu Hygiene und Wachstumskontrolle. Zahlreiche weitere Maßnahmen, die gemeinsam von Nichtregierungsorganisationen (NROs) in Zusammenarbeit mit der Regierung umgesetzt wurden (darunter das Schulspeisungs-Programm der Welthungerhilfe und Fürsorgegruppenprojekte anderer Organisationen), zeigten gute Resultate und Lerneffekte und haben ein großes Potenzial, weiterverbreitet zu werden.
Blick in die Zukunft
Ich habe gesehen, wie anders die Gruppenmitglieder und die Multiplikatorinnen jetzt mit Hygiene und sanitären Anlagen umgehen. Es macht mir Freude, die Frauen dabei zu ermutigen, ihre Verhaltensweisen zum Besseren zu verändern und so meiner Gemeinschaft zu helfen. Ireen Chinglanda, ehrenamtliche Gesundheitsberaterin im Dorf Mkanda, Bezirk Mchinji
8%
der Kinder zwischen 6 und 23 Monaten entspricht den Mindestanforderungen an eine ausgewogene Ernährung.
Während der letzten zehn Jahre hat Malawi gezeigt, dass es die Ernährungssicherheit im Land mit einer innovativen Strategie voranbringen will. Die überarbeitete nationale Ernährungspolitik und der dazugehörige operative Plan bieten eine klare Weichenstellung für den Weg nach vorne.
Die Allianz zivilgesellschaftlicher Organisationen für Ernährung (Civil Society Organisations Nutrition Alliance, CSONA) und Save the Children analysierten den nationalen Haushalt für 2016/2017 und stellten fest, dass die Regierung Malawis ihrer „Nutrition for Growth“- Verpflichtung nachgekommen ist, 0,3 Prozent des Gesamthaushalts für Ernährung auszugeben. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung. Trotzdem besteht noch ein großer Bedarf an zusätzlichen staatlichen Finanzmitteln. Bei geschätzten 1,268 Millionen Kindern mit Wachstumsverzögerung in Malawi (CoHA 2015) gibt die Regierung durchschnittlich MWK 268 (0,35 US-Dollar) pro Kind für Ernährungsmaßnahmen aus. Außerdem ist die Bevölkerung bei der Umsetzung der CMAM-Programme und der aktiven Suche nach Krankheitsfällen noch immer stark auf die Unterstützung externer Stellen und Organisationen angewiesen.
Die malawische Regierung sieht sich in der Pflicht, die Qualität ihrer Ernährungsprogramme zu verbessern. Die bisherigen Erfahrungen verdeutlichen, wie wichtig es ist, formale Strukturen und Arbeitsabläufe zu etablieren. Angesichts der zyklisch wiederkehrenden Krisen ist es von großer Bedeutung, das staatliche Gesundheitssystem einzubinden und zu stärken. Derzeit werden die Richtlinien des CMAM überarbeitet und eine Reihe von Trainingsprogrammen wird als Teil seiner Neuausrichtung konzipiert. So kann das medizinische Personal besser betreut werden. Die Regierung setzt nun einen deutlicheren Schwerpunkt auf eine lückenlose Versorgung und ist daher bemüht, die Verbindungen zwischen Programmen auf Sektorenebene und solchen verschiedener Akteure auf Bezirksebene zu stärken. Für diesen Zweck und um die Gesamtwirkung und Qualität zu verbessern, sind Planung und Koordination von Maßnahmen in den Gesundheitsstationen von zentraler Bedeutung. So sollten zum Beispiel stabile Verbindungen zwischen den CMAM-Programmen und den Fürsorgegruppen hergestellt werden. Dafür ist es unerlässlich, Kinder, die aus CMAM-Programmen entlassen werden, in örtliche Fürsorgegruppen aufzunehmen. Das setzt wiederum voraus, dass die regelmäßigen Früherkennungsuntersuchungen klarer als Routineaufgabe der HSAs definiert werden. Das bestehende System könnte besser genutzt werden, wenn diese gemeindeweiten Früherkennungsuntersuchungen im Rahmen von Kindergesundheitstagen oder anderen Gelegenheiten, wie zum Beispiel den CBCC, durchgeführt und die Kommunikation über Ernährungsfragen zwischen den Ebenen verbessert würden.
Malawis nationaler Entwicklungsplan wird derzeit fertiggestellt. Er kann auf den bisherigen Erkenntnissen und Erfahrungen aufbauen, das Engagement für die Bekämpfung der Unterernährung nachhaltig verankern und so dafür Sorge tragen, dass die Ernährung eine Priorität in Strategien und Programmen bleibt. Der neue Plan konsolidiert die Entwicklungsanstrengungen, die das Land zur Erreichung der SDGs leisten muss. Die Grundsteine sind gelegt. Mit einer anhaltenden Priorisierung des Themas und einer Bereitstellung umfangreicherer nationaler und internationaler Ressourcen kann Malawi den Zielen für nachhaltige Entwicklung und dem Ziel „Zero Hunger“ mit großen Schritten entgegengehen.