Pakistan:
Dürre, Ungleichheit und Hunger bekämpfen
Pakistan ist eines der weltweit am stärksten von Naturkatastrophen und dem Klimawandel betroffenen Länder, und über 39 Prozent der Bevölkerung sind nach wie vor von mehrdimensionaler Armut betroffen
Pakistanische Regierung, 2016
Pakistan ist seit der Erlangung der Unabhängigkeit im Jahr 1947 einen weiten Weg gegangen: Die Bevölkerung ist von 33 Millionen auf 200 Millionen angewachsen, die Alphabetisierungsrate von 11 auf 58 Prozent gestiegen und das BIP des Landes nimmt stetig zu (Government of Pakistan 2017; World Bank 2016). Pakistan ist aber auch eines der weltweit am stärksten von Naturkatastrophen und dem Klimawandel betroffenen Länder, und über 39 Prozent der Bevölkerung sind nach wie vor von mehrdimensionaler Armut betroffen (Government of Pakistan 2016). In einigen Distrikten des Landes sind die Auswirkungen der Dürre und Armut kaum spürbar, in anderen Regionen jedoch leiden die Menschen unter diesen Ursachen des Hungers.
Im Welthungerindex 2017 belegt Pakistan unter 119 Ländern den 106. Platz. Mit einem Wert von 32,6 ist die Hungersituation in diesem Land als „ernst“ (an der Grenze zu „sehr ernst“) einzustufen (von Grebmer et al. 2017). 2011 lieferte die nationale Ernährungsstudie (National Nutrition Survey) einen umfassenden überblick über die Ernährungssituation in Pakistan. Dabei zeigte sich, dass die Zahlen, die am meisten Anlass zu Sorge gaben, vielfach aus der Provinz Sindh kamen. 50 Prozent der Kinder unter fünf Jahren waren hier von Wachstumsverzögerung („stunting“), 19 Prozent von Auszehrung („wasting“) betroffen (Aga Khan University 2011). Die Ernährungsprobleme im Sindh haben viele Ursachen, angefangen bei den relativ geringen Investitionen in die Bevölkerung, in die Infrastruktur und die öffentlichen Einrichtungen dieser Provinz bis hin zu den Auswirkungen der Flutkatastrophe von 2010, die im Sindh besonders starke Verwüstungen hinterließ.
Zwischen 2013 und 2015 herrschte im Sindh eine schlimme Dürre, unter der insbesondere das Wüstengebiet Thar zu leiden hatte. Zu diesem Gebiet gehören ein großer Teil des Distrikts Umerkot und der Distrikt Tharparkar. Der jüngste Index für menschliche Entwicklung für Pakistan ordnete Tharparkar in die unterste Kategorie ein. Eine eingehende Analyse hat 2015 ergeben, dass nahezu die gesamte Bevölkerung von Thar unter der internationalen Armutsgrenze von 1,9 USDollar pro Person und Tag lebte. Thar leidet unter den unwirtlichen geografischen Bedingungen einer Wüstengegend, hat aber dennoch vergleichsweise weniger Ressourcen für die Entwicklungsförderung erhalten als andere Teile des Landes. Den reichsten Distrikten Pakistans wurden im Durchschnitt fünf Mal so viele öffentliche Gelder zugesichert wie den ärmsten (Hassan 2016).
Als sich die Dürre zur Jahreswende 2014/15 verschlimmerte, reagierten etliche Geldgeber auf die Krise: Die deutsche Bundesregierung unterstützte die Aktivitäten der Welthungerhilfe (WHH) und – die vielleicht wichtigste Reaktion – die Generaldirektion Humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz der Europäischen Kommission (ECHO) finanzierte einen gemeinsamen humanitären Einsatz, der von Concern Worldwide (Concern) und der WHH geplant wurde.
Ein Projektentwurf, der Vulnerabilitäten und Ungleichheiten beseitigt
Das Team von Concern/WHH tauschte sich mit den technischen Beratern von ECHO sowie den jeweiligen lokalen Partnerorganisationen in Thar (NGOs Development Society, Research and Development Foundation und Thardeep Rural Development) aus und führte eine eingehende Analyse der verschiedenen Dimensionen von Hunger und Ungleichheit in der Region durch. Das Team kam zu dem Schluss, dass ein integrierter und multisektoraler Ansatz am besten geeignet sei, um die Mangelernährung in Thar zu bekämpfen. Dazu gehörten ernährungsspezifische Maßnahmen, um unmittelbare Folgen auszugleichen, sowie ernährungssensitive Aktivitäten, um zugrunde liegende Ursachen zu beheben. Konkret sollten die Verfügbarkeit von Trinkwasser und der Zugang zu einer gesunden Ernährung verbessert und die Haushaltseinkommen erhöht werden. Als das Projekt 2015 begann, lag die GAM-Rate (Globale Akute Mangelernährung) im Projektgebiet bei 19,1 Prozent, also deutlich über dem Notfallgrenzwert von 15 Prozent.
Was die Ungleichheit betrifft, stellte sich die Situation schwieriger dar. Angesichts der begrenzten Dauer und Finanzierung des Projekts, konnten viele Dimensionen der Ungleichheit in Thar nicht berücksichtigt werden. Ein Beispiel ist die Ungleichverteilung des Landbesitzes, die viele BewohnerInnen von Thar, die sogenannten Tharis, auf den Status landloser Bäuerinnen und Bauern beschränkt und ihnen somit wenig Chancen belässt, sich zu entfalten. Nichtsdestotrotz gab es drei Bereiche, in denen das Projekt die Ungleichheit verringern konnte.
Dazu gehörten durch die Dürre zusätzlich verschärfte sozioökonomische Ungleichheiten. Die ärmsten Menschen in Thar mussten feststellen, dass ihre Bewältigungsstrategien mit der anhaltenden Dürre zunehmend ineffektiv wurden: Sie gaben das wenige Vieh auf, das sie besaßen und das für sie ein wertvolles Gut darstellte, doch wegen des schlechten Gesundheitszustands der Tiere brachte dies wenig ein. Da mehr Menschen nach Gelegenheitsarbeit suchten, entstand ein überangebot, das zu rasant schrumpfenden Löhnen führte. Als das zweite Jahr der Dürre anbrach, wurde es für die ärmsten Tharis nahezu unmöglich, Kredite zu erhalten, da es in der stark regenabhängigen Landwirtschaft zu Missernten gekommen und die Erträge gegenüber normalen Jahren um die Hälfte geschrumpft waren.
Die zweite Dimension der Ungleichheit betraf die Geschlechterfrage und die weitreichenden Auswirkungen asymmetrischer Machtverhältnisse und entsprechender gesellschaftlicher Normen auf Frauen und Mädchen. Die Probleme reichen von eingeschränkter Mobilität über frühe Heirat und Schwangerschaft sowie mangelnde Teilhabe an Entscheidungsprozessen und Märkten bis hin zu geringer Kontrolle über materielle Vermögensgegenstände. Wenn die Männer auf der Suche nach Arbeit migrieren, tragen die Frauen die Last, sich um die zurückgebliebene Familie zu kümmern. Und wenn die Tiere zu schwach und zu krank sind, um Wasser aus dem Brunnen zu ziehen, müssen die Frauen und Kinder dies ohne ihre Hilfe bewerkstelligen, oft aus Brunnen, die mehr als 90 Meter tief sind.
Die dritte Dimension der Ungleichheit betrifft die Aufteilung von Ressourcen und Hilfe auf die Regionen. Während sich das internationale Interesse auf die Vertriebenen und die aufnehmenden Gemeinden, Städte oder Familien in der Provinz Khyber Pakhtunkhwa konzentrierte, waren Concern und die WHH bemüht, die Aufmerksamkeit auf die sich verschärfende Situation in Thar zu lenken und humanitäre Mittel von UN-Organisationen und anderen Geldgebern für die Region zu gewinnen.
Durch unsere Arbeit der Ungleichheit entgegenwirken
Vor Beginn des Projekts erfuhr unsere Gemeinde keinerlei Unterstützung. Durch die Cash-for-Training- Programme lernen Mütter ihre Kinder angemessen zu versorgen und auf Ernährung, Gesundheit und Hygiene zu achten. Durch das zusätzliche Geld können wir zudem sichergehen, immer genug zu essen zu haben. Auf diese Weise konnte das Durchschnittsgewicht der Kleinkinder um 0,5 bis 1 kg erhöht werden. Sonari, Ernährungssicherheits-Promoterin in Aqlo Beel Village, Distrikt Umerkot
Das Projektteam implementierte eine Reihe von Maßnahmen, um die Widerstandsfähigkeit der ärmsten Familien zu stärken. Gemeinsam mit den für Viehwirtschaft zuständigen lokalen Regierungsbehörden wurden groß angelegte Impf- und Entwurmungsaktionen organisiert, um die Gesundheit von über 125.000 Ziegen, Schafen und Kamelen zu sichern. Die Tiere sind für viele Tharis der wichtigste Besitz und versorgen sie mit Fleisch, Milch und auch Arbeitsleistung (Kamele werden eingesetzt, um Felder zu pflügen und Wasser aus Brunnen zu ziehen). Derweil wurden den Gemeinden durch Cash-for-Training und Cash-for-Work 1,25 Millionen Euro zur Verfügung gestellt: Durch den Bau von Speicherbecken und Tanks für Regenwasser wurde der durch Missernten und fehlende Arbeitsgelegenheiten entstandene Verlust an Einkommen und Nahrung ausgeglichen. Da weniger Männer migrieren mussten, konnten sie sich stattdessen intensiver um die Tiere kümmern. Dadurch verbesserte sich deren Gesundheitszustand; und durch die Möglichkeit, mehr Regenwasser zu sammeln bzw. in der Nähe zu speichern, wurde die Arbeitslast der Frauen verringert.
Andere Maßnahmen richteten sich direkt an Frauen: Im Rahmen der gemeindebasierten Behandlung akuter Mangelernährung (Community-based Management of Acute Malnutrition, CMAM) wurde das Ausmaß der Mangelernährung reduziert. Mangelernährte Mütter und Kinder unter fünf Jahren erhielten Ernährungstherapien und Nahrungsergänzungsmittel. Außerdem wurden Frauen über bewährte Fürsorgepraktiken für Ungeborene, Säuglinge und Kleinkinder und über Ernährungs- und Hygienemaßnahmen aufgeklärt. Angesichts der geringen Ernteerträge und der begrenzten Arbeitsgelegenheiten in der Landwirtschaft stellten Conditional Cash Transfers (an Bedingungen geknüpfte Geldzahlungen) durch Cash-for-Training – in Form von Sensibilisierungsveranstaltungen mit wichtigen ernährungsrelevanten Botschaften zu Ernährung sowie Vieh- und Landwirtschaft – die einzige Möglichkeit dar, den Zugang zu einer ausgewogeneren Ernährung rasch zu verbessern. 95 Prozent der so Ausgebildeten waren Frauen, die das Geld verwendeten, um Nahrung zu kaufen, und für die es eine Ermächtigung bedeutete, das Geld persönlich zu erhalten.
Das Projekt begann im Mai 2015 mit einer Finanzierung von 3,7 Millionen Euro für ein Jahr. Insgesamt wurden 61.693 Kinder unter fünf Jahren und 27.494 schwangere oder stillende Frauen auf Mangelernährung untersucht. Infolgedessen erhielten 6.070 schwer akut mangelernährte Kinder, 11.398 mäßig akut mangelernährte Kinder und 2.901 mangelernährte schwangere und stillende Frauen eine Behandlung. Insgesamt profitierten 15.288 Haushalte von Cash-for-Training- bzw. Cash-for-Work-Programmen und 8.117 vom verbesserten Zugang zu sauberem Trinkwasser.
Schwerpunkt Hunger und Ungleichheit beibehalten
Die Situation der Familien in den von der Dürre betroffenen Gebieten bleibt prekär: 2016 begann die Sindh-Regierung mit Unterstützung der Weltbank ihre ernährungsbezogenen Hilfsmaßnahmen auszuweiten. Allerdings waren die Regenfälle während der Monsunzeit in den Jahren 2015 und 2016 ungleich verteilt; Tausende von Haushalten, deren Vermögen erschöpft ist, sind nach wie vor gefährdet.
Eines der wichtigsten Ergebnisse des Projekts war die Analyse der Wirtschaftsweise in Privathaushalten (Household IMPRESSUM Deutsche Welthungerhilfe e. V. Friedrich-Ebert-Straße 1 53173 Bonn www.welthungerhilfe.de Concern Worldwide 52-55 Lower Camden Street Dublin 2, Irland www.concern.net Autor Richard Blane (Welthungerhilfe Pakistan) Druck DFS Druck Brecher GmbH, Köln Gestaltung und Produktion muehlhausmoers corporate communications gmbh, Köln Bildnachweise Titelbild: Sharjeel Arif/Black Box Sounds, 2017. Frauen tragen Wasser in Lehmtöpfen aus dem Gemeinschaftsbrunnen. Distrikt Umerkot, Provinz Sindh, Pakistan. Seite 3: Omer Bangash/ Welthungerhilfe Pakistan, 2017: Sonari, Hausfrau und Ernährungssicherheits-Promoterin in Aqlo Beel Village, Distrikt Umerkot, Provinz Sindh. Bonn/Dublin, Oktober 2017 Diese Veröffentlichung ist eine Beilage der europäischen Version des Welthunger-Index 2017 und wird von Concern Worldwide und Welthungerhilfe herausgegeben. www.welthunger-index.org Hinweis Die in dieser Publikation abgebildeten Grenzen und Ländernamen sowie die auf den Karten verwendeten Länderbezeichnungen stellen keine offizielle Stellungnahme oder Zustimmung vonseiten der Deutschen Welthungerhilfe oder Concern Worldwide dar. Economy Analysis, HEA). Concern hat diesen Prozess in Zusammenarbeit mit der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) und unter Beteiligung anderer UN-Organisationen und NROs, einschließlich der WHH, koordiniert. Acht Wochen intensiver Arbeit vor Ort und Interviews mit von der Dürre betroffenen Familien in vier Gebieten der Provinz Sindh, zwei davon in Thar, bildeten die Grundlage für diese Analyse, die umfassender war als jede vorherige Studie zur Dürre.
Die Haushaltsanalyse (HEA) machte deutlich, wie Ungleichheiten durch die Dürre verstetigt werden. Denn die Bewältigungsstrategien, welche armen Familien zur Verfügung stehen, sind weniger effektiv als die der bessergestellten Familien. Die Analyse ist zu einem Referenzdokument für die Regierung und für verschiedene UN-Organisationen geworden. Außerdem diente sie als Grundlage für die Planung eines Folgeprojekts von Concern/WHH, das abermals von ECHO finanziert wird und die ernährungsbezogenen Hilfsmaßnahmen der Regierung des Sindh unterstützen soll.
Vor allem jedoch zeigt die Haushaltsanalyse auf, welche resilienzfördernden Maßnahmen in Zukunft notwendig sein werden. Es bleibt noch viel zu tun, doch die jüngsten Fortschritte zeigen, dass es möglich ist, Armut, Hunger und Fehlernährung im Sindh zu verringern. Diese Fortschritte müssen nun nachhaltig unterstützt und verstärkt werden, damit der Hunger weiter bekämpft und niemand zurückgelassen wird.
Bibliografie
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Government of Pakistan. 2017.
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Escaping the Inequality Trap
Development Advocate Pakistan 3 (1): 1.
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Development Advocate 3 (2). Islamabad, Pakistan.
von Grebmer, K., J. Bernstein, N. Hossain, T. Brown, N. Prasai, Y. Yohannes, F. Patterson, A. Sonntag, S.-M. Zimmermann, O. Towey, C. Foley. 2017.
2017 Global Hunger Index: The Inequalities of Hunger.
Bonn, Washington, DC, and Dublin: Welthungerhilfe, International Food Policy Research Institute, and Concern Worldwide.
World Bank. 2016.
Pakistan Development Update: From Stability to Prosperity.
Washington, D.C.: World Bank Group.
Hinweis
Die in dieser Publikation abgebildeten Grenzen und Ländernamen sowie die auf den Karten verwendeten Länderbezeichnungen stellen keine offizielle Stellungnahme oder Zustimmung vonseiten der Deutschen Welthungerhilfe oder Concern Worldwide dar.
Autor
Richard Blane (Welthungerhilfe Pakistan)