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Sierra Leone:

 

Ungleichheit überwinden – gesunde Ernährung fördern


 
   
Länder-Fallstudie
Oktober 2017
Foto: Jennifer Nolan/Concern 2017. Kadiatu Bangura (35) mit ihrem einjährigen Sohn Sheku Conteh beim Pflücken wildwachsender essbarer Pflanzen in einem Wald nahe ihrem Dorf im Tonkolili-Distrikt. Ausblenden

Trotz der Fortschritte, die in den letzten Jahrzehnten erreicht wurden, leidet der westafrikanische Staat Sierra Leone nach wie vor schwer unter der Last des Hungers.

Bild: Success Kamara. Junge Teilnehmer beim Treffen einer Ernährungsgruppe im Rahmen des durch USAID finanzierten Feed the Future Sierra Leone Agriculture Projekts. Ausblenden
Welthungerhilfe and Concern programme areas in Sierra Leone

 

Trotz der Fortschritte, die in den letzten Jahrzehnten erreicht wurden, leidet der westafrikanische Staat Sierra Leone nach wie vor schwer unter der Last des Hungers. Laut Welthunger-Index (WHI) war die Hungersituation im Land bereits vor der verheerenden Ebola-Epidemie zwischen 2014 und 2016 „sehr ernst“, und die aktuellsten Daten des WHI 2017 zeigen, dass die Hungerwerte nach wie vor als „sehr ernst“ einzustufen sind (von Grebmer et al. 2017). Hinzu kommen die Auswirkungen der verschiedenen Formen von Ungleichheit, ob nach geografischer Lage, Geschlecht, sozioökonomischem Status oder beim Zugang zu Dienstleistungen. Um die Unterernährung wirksam zu bekämpfen, sind daher Konzepte erforderlich, welche die unterschiedlichen Dimensionen von Ungleichheit in den Blick nehmen.

LANN (Linking Agriculture and Natural Resource Management towards Nutrition Security – Verknüpfung von Landwirtschaft und Management natürlicher Ressourcen für Ernährungssicherheit) wurde in Sierra Leone im Jahr 2013 von der Welthungerhilfe und Concern Worldwide ins Leben gerufen. Es handelt sich um einen multisektoralen, ernährungssensitiven Ansatz, der die Verbindungen zwischen Hunger und Ungleichheit in einer Gemeinschaft erkennt und beides bekämpft, wobei die lokal verfügbaren Ressourcen gezielter genutzt werden. Das Programm legt den Schwerpunkt auf jene Aspekte des täglichen Lebens, die sich letztlich auf die Ernährungssituation eines Haushalts auswirken. Dazu gehören Ernährung und Fürsorge für Mütter und Kinder, die Hygienepraxis in Haushalten, besserer Zugang zu Wasser und Sanitäranlagen, diversifizierte Landwirtschaft und nachhaltiges Management natürlicher Ressourcen. In Sierra Leone wird dieser Ansatz in den Distrikten Kenema und Tonkolili implementiert. Dort leben in Waldrandgebieten ländliche Gemeinden mit beschränkten wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten. Das Programm arbeitet mit 51 Frauengruppen in 40 Gemeinden und hat dadurch etwa 1.400 Frauen und deren Haushalte (rund 11.589 Personen) erreicht.

Im Zentrum der Arbeit steht das Erkennen der Zusammenhänge zwischen Ungleichheit und Mangelernährung. Indem die Ungleichheit auf verschiedenen Ebenen angegangen wird – etwa durch Wissensverbreitung, Förderung von Verhaltensmusteränderungen sowie durch die Klärung des Zugangs zu und der Nutzung von natürlichen Ressourcen auf Gemeinschaftsebene –, kann der LANNAnsatz nachhaltige Verhaltensänderungen bewirken und die strukturellen Ursachen der Mangelernährung bekämpfen.

Hunger und Ungleichheit auf Haushaltsebene bekämpfen

Foto: Meklit Misganaw / Concern, 2017; Yemoh und Sawadatu mit ihrer jüngsten Tochter Mariama, in der Maconteh Sampha Gemeinde im Tonkolili Distrikt, Juni 2017. Ausblenden

Global Hunger Index Trends for Sierra Leone

Um die Macht geschlechterspezifischer und sozialer Normen wissend, arbeitet das Programm in verschiedenen Formen und Kontexten mit Frauen und Männern und bietet eine Reihe von Schulungsmaßnahmen zu einer Vielzahl von Themen. Dazu gehören die speziellen Ernährungsbedürfnisse von Frauen und Kindern, Kinderfürsorgepraktiken, ausschließliches Stillen und die Verwaltung von Ressourcen und Aufgaben auf Haushaltsebene. Die Ergebnisse der ersten Programmphase waren eindeutig:

  • Der Anteil der Ehemänner, die Geld für Nahrungsmittel zur Verfügung stellten, stieg von 70 auf 83 Prozent.
  • Der Anteil der Ehemänner, die wildwachsende Nahrungsmittel sammelten und gemeinsam mit ihren Ehefrauen Mahlzeiten planten, stieg von 25 auf 50 Prozent.
  • Der Anteil der Kinder, die unmittelbar oder innerhalb einer Stunde nach der Geburt gestillt wurden, stieg von 60 auf 94 Prozent.

Sawadatu, Mitglied der LANN-Frauengruppe, führt aus, wie sich die Situation für sie verbessert hat, seit sie und ihr Ehemann an den LANN-Schulungen teilzunehmen begonnen haben:

Es war wirklich nicht leicht für mich. Ich kochte, während das Kind auf meinem Rücken weinte. Ich musste auch die Wäsche und viele andere Dinge gleichzeitig machen.

Ihr Ehemann Yemoh, der am LANN-Projekt und den Gemeinschaftsveranstaltungen teilnahm, sagt:

Man hat uns beigebracht, wie wir unsere Frauen unterstützen können. Ich habe mich mittlerweile daran gewöhnt. Auch wenn sie weg ist, kümmere ich mich um den Haushalt und die Kinder.

Verhaltensänderungen können auch in anderen Bereichen beobachtet werden, beispielsweise in der Kinderernährung. Die tief verankerten Tabus, die es diesbezüglich gibt, werden nun langsam aufgelöst. Nasoko und ihr Ehemann Mohammed sind Mitglieder der Gemeinde Masiaka in Tonkolili. Sie erklären, dass man in Teilen von Sierra Leone fest daran glaube, dass Kinder, die Fleisch, große Fische, Eier oder Hühnerfleisch essen, empfänglicher für Hexerei seien. Nasoko erläutert:

Nach dem Kochen haben mein Mann und ich das ganze Fleisch und den großen Fisch gegessen. Den Kindern gaben wir einfache Suppe zu essen. Meine Kinder waren nicht gesund, aber wir kamen nie auf die Idee, dass ein wichtiger Grund für ihre Mangelernährung darin lag, dass wir ihnen dieses nahrhafte Essen vorenthielten.

Das Projekt hat für Nasoko, Mohammed und ihre Kinder viel verändert.

Insgesamt reduzierte sich der Anteil der Haushalte, in denen bei Mahlzeiten der Vater die besten Teile von Fisch und Fleisch erhielt, von 50 auf nur 20 Prozent. Das ist eine deutliche Verbesserung in Hinblick auf die Zuteilung nahrhaften Essens für Frauen und Kinder (Schindecker 2016).

Ermächtigung und Training auf Gemeinschaftsebene

Foto: Jennifer Nolan / Concern 2017 (Mai), Sierra Leone; Ausblenden

LANN unterstützte die sozioökonomische Ermächtigung von Frauen durch dörfliche Spar- und Kreditvereinigungen (Village Savings and Loans Associations, VSLA). Dadurch erhielten die Frauen Zugang zu und Kontrolle über Bargeld und sind nun weniger abhängig von den Männern. Diese Entscheidungsmacht ermöglicht es den Frauen, in Produktionsmittel und ernährungssensitive Maßnahmen zu investieren, etwa in die Erweiterung der Hinterhofgärten oder in die Errichtung verbesserter Latrinen für ihre Haushalte.

Musu T. Koroma, Mitglied der Tegloma-Frauengruppe in der Gemeinde Joi, erklärt, dass sie durch LANN nun eigene Ressourcen selbstbestimmt nutzen könne:

Obwohl mein Mann und ich Bauern sind und ich auch ein kleines Gewerbe betreibe, waren wir verschuldet und verdienten nicht genug, um unsere Kinder zu versorgen. Als die Sparund Kreditvereinigung in unserer Gemeinde eingeführt wurde, erhielten wir eine Schulung in Grundlagen der Finanzverwaltung, Buchführung und Dokumentation und über Wege der Ausgabenüberwachung. Unsere Gruppe verfügt nun über Mittel in Höhe von insgesamt 20 Millionen SLL (3.000 Euro). Dank LANN bin ich selbstständiger geworden.

LANN fördert die Vielfalt nahrhafter Nutzpflanzen und ermächtigt Frauen, ihr Produktionsmanagement zu verbessern, zum Beispiel durch die Bereitstellung von Saatgut und Werkzeug. Für die Mitglieder der Frauengruppe wurde ein Saatgutbanksystem eingerichtet, um die Subsistenzhaushalte zu unterstützen, die über keinerlei Ersparnisse verfügten und ihr Saatgut, das für die nächste Pflanzsaison bestimmt gewesen war, bereits verbraucht hatten (aufgrund der schlechten Ernten während des Ebola-Ausbruchs). Durch diese Saatgutbank soll der beständige Kreislauf der Ernährungsunsicherheit durchbrochen werden. LANN stärkte außerdem die Resilienz der lokalen Gemeinden, indem das Bewusstsein für eine größere Vielfalt nahrhafter Lebensmittel geschärft wurde. Beispielsweise ermöglichen wildwachsende Nahrungsmittel in nahe liegenden Waldgebieten eine größere Ernährungsbandbreite, die den Frauen und ihren Familien hilft, durch magere Zeiten zu kommen.

Diese Maßnahmen haben in Kombination mit Ernährungsaufklärung zu einer generellen Verbesserung der Ernährungssituation in den Haushalten geführt. Der Household Dietary Diversity Score (HDDS) zur Bewertung der Ernährungsvielfalt von Haushalten hat sich von 6,2 auf 7,44 (von 12 Lebensmittelgruppen) erhöht, der Individual Dietary Diversity Score (IDDS) zur Bewertung der Ernährungsvielfalt von Einzelpersonen hat sich für Kinder zwischen 6 und 23 Monaten von 3,44 auf 4,26 (von 7 Lebensmittelgruppen) erhöht.

Sicherung der Rechte an natürlichen Ressourcen für Gemeinschaften

Foto: Jennifer Nolan / Concern 2017 (Mai), Sierra Leone; Ausblenden

Um ländliche Nahrungsquellen und Ernährungssicherheit zu gewährleisten, ist es wichtig sicherzustellen, dass Dorfgemeinschaften ein Recht auf natürliche Ressourcen (zum Beispiel landwirtschaftliche Flächen und Wälder) haben, ebenso auf die Möglichkeit, diese auf nachhaltige Art und Weise zu bewirtschaften. In den letzten Jahren haben ausländische Investoren begonnen, in Sierra Leone in großem Maßstab Land zu kaufen. Die Gemeinden haben dadurch oft nur noch eingeschränkten Zugang zu den Flächen und Ressourcen, die sie für die Nahrungsmittelproduktion benötigen.

LANN analysiert gemeinsam mit den Zielgemeinschaften die Verfügbarkeit ebendieser Ressourcen, einerseits im Hinblick auf eine nachhaltige Nutzung und andererseits als Grundlage für Verhandlungen mit Investoren. Durch diese Erfassung und die Planung partizipativer Landnutzung können die Gemeinden die nachhaltige Nutzung ihrer natürlichen Ressourcen organisieren, um Nahrungsmittel zu produzieren und Einkommen zu generieren, und dabei auch die ärmsten Subsistenzlandwirtinnen und -landwirte berücksichtigen.

LANN entwickelt ein Konzept für gemeindebasierte Waldbewirtschaftung, bei der Gemeinden – mit besonderem Augenmerk auf weibliche Führung – in übereinstimmung mit der Regierung mehr Kontrolle über ihre forstwirtschaftlichen Ressourcen übernehmen. Zugunsten der nationalen Ernährungssicherung gewährleistet LANN so die Förderung der freiwilligen Leitlinien für die verantwortungsvolle Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten (VGGT), ein von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) unterstütztes Verfahren zur Förderung gemeindebasierter Forstwirtschaft. LANN unterstützt auch die Advocacy-Bemühungen der Bewegung für das Recht auf Nahrung in Sierra Leone, um durch eine Reform der Bodenpolitik den gemeinschaftlichen Landbesitz zu stärken.

Die Zukunft von LANN: ein Modell für inklusive Entwicklung und nachhaltige Ernährungssicherung

Das Projekt "Natural Resources Management and Nutrition" (LANN) in Sierra Leone soll ländlichen Gemeinden dabei helfen, ihre Ernährung und Ernährungssicherheit durch die effektive Nutzung natürlicher Ressourcen zu stärken. Im Bild zu sehen ist Ali M Bangura aus dem Dorf Bongay mit einer Schnecke und einigen wilden Früchten, die er in der Nähe geerntet hat. Ausblenden

LANN hat sich als erfolgreiches Modell für ganzheitliche und dennoch kostengünstige Ernährungsprogramme erwiesen, die Verhaltensänderungen, Geschlechterpolitik, Landwirtstelschaft und WASH (Wasser, Sanitär, Hygiene) auf der Ebene der Begünstigten zusammenführen. In Sierra Leone bildet dieser Ansatz eine wirkungsvolle Grundlage für nachhaltige lokale Entwicklung. Und zwar, weil er zeigt, dass erhebliche Fortschritte in Richtung Ernährungssicherheit möglich sind, wenn die am stärksten gefährdeten Mitglieder von Haushalten und Gemeinden ein Mitspracherecht und mehr Kontrolle über die Ressourcen erhalten, die sie für ihre Entwicklung benötigen. Darüber hinaus strebt LANN die Einbeziehung des Ministeriums für Landwirtschaft, Ernährung und Forstwirtschaft sowie des Ministeriums für Gesundheit und sanitäre Grundversorgung an, um sicherzustellen, dass die gewonnenen Erkenntnisse und Lernerfahrungen kontinuierlich an politische EntscheidungsträgerInnen übermittelt werden und dass die bisherige Erfolgsgeschichte auch in Zukunft fortgeführt wird.

Interessierte Stakeholder, Partner und PraktikerInnen erhalten eine kostenlose Materialzusammenstellung mit Anleitungen für die LANN-Programmgestaltung. Für nähere Informationen kontaktieren Sie bitte [email protected]
Wenn Sie mehr über die Arbeit von Concern in Sierra Leone sowie über LANN und andere Programme erfahren möchten, besuchen Sie bitte diese Website: www.concern.net/insights

 

Bibliografie

Andrea Fongar. June 2015.
LANN Baseline Survey Report.

Carina Schindecker. March 2016.
LANN End-line Survey Report.

Statistics Sierra Leone (SSL) and ICF International. 2014.
Sierra Leone Demographic and Health Survey 2013.
Freetown, Sierra Leone and Rockville, Maryland, USA: SSL and ICF International.

von Grebmer, K., J. Bernstein, N. Hossain, N. Prasai, T. Brown, Y. Yohannes, A. Sonntag, F. Patterson, S.-M. Zimmermann, O. Towey, and C. Foley. 2017.
2017 Global Hunger Index: The Inequalities of Hunger. Washington, DC: International Food Policy Research Institute; Bonn: Welthungerhilfe; and Dublin: Concern Worldwide.

Autorinnen

Mathilde Grønborg-Helms und Yeama Caulker (Welthungerhilfe Sierra Leone); Meklit Misganaw (Concern Sierra Leone)

Hinweis

Die in dieser Publikation abgebildeten Grenzen und Ländernamen sowie die auf den Karten verwendeten Länderbezeichnungen stellen keine offizielle Stellungnahme oder Zustimmung vonseiten der Deutschen Welthungerhilfe oder Concern Worldwide dar.