Äthiopien:
Eine eingehendere Betrachtung von Hunger und Unterernährung
Ein armes, aber schnell wachsendes Land
äthiopien ist zwar ein Land mit niedrigem Einkommen, doch das rasante Wirtschaftswachstum der letzten Zeit hat viel dazu beigetragen, den Anteil der in Armut lebenden Bevölkerung zu verringern. Mit einem BIP-Wachstum von durchschnittlich 10,3 Prozent pro Jahr zwischen 2005/2006 und 2015/2016 (World Bank 2018c) ist äthiopien in jüngster Zeit zu einer der am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften der Welt geworden (Gebru et al. 2018). Von 1999 bis 2015 sank die Armutsquote des Landes von 55,5 auf 26,7 Prozent (World Bank 2018b). Dennoch betrug das Pro-Kopf-BIP 2017 nur 768 US-Dollar (World Bank 2018b).
Antrieb für den konjunkturellen Boom des Landes in jüngster Vergangenheit war vor allem das Wachstum der Landwirtschaft, die eine herausragende Rolle in äthiopiens Wirtschaft spielt und im Mittelpunkt der jüngsten Investitionen und Maßnahmen der Regierung stand (FAO 2018b). Rund 85 Prozent der Bevölkerung sind in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft tätig, wobei der Agrarsektor insgesamt im Jahr 2016 rund 37 Prozent zum BIP beisteuerte (FAO 2018b; World Bank 2018b). Der größte Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche wird für den Anbau von Getreide wie Teff (nordafrikanische Getreidepflanze), Weizen, Mais, Sorghum und Gerste verwendet (Taffesse, Dorosh und Asrat 2012). Auch der schnell wachsende Dienstleistungssektor spielt in der Gesamtwirtschaft eine immer wichtigere Rolle (World Bank 2015).
Mit dem Rückgang der Armut wurde auch die Einkommens - ungleichheit reduziert. Die regionalen Unterschiede bei den Armutsquoten haben sich gegenüber 1996 verringert, doch bei genauerer Betrachtung gibt es weiterhin Ungleichheiten: Randgruppen und Menschen mit begrenztem Zugang zu Straßen, Märkten, Gesundheitsdiensten und anderen Institutionen sind am stärksten von Armut betroffen (World Bank 2015).
Hunger und Unterernährung bestehen fort
Download/Diese Seite Drucken Quelle: die AutorInnen. Anmerkung: Die Unterernährungswerte beziehen sich auf die Verbreitung von Unterernährung in der Gesamtbevölkerung des Landes; Wachstumsverzögerung, Auszehrung und Kindersterblichkeit beziehen sich jeweils auf die Indikatorwerte für Kinder unter fünf Jahren. Die Daten für die WHI-Werte sowie zu Wachstumsverzögerung bei Kindern und Auszehrung bei Kindern stammen aus den Perioden 1998–2002 (2000), 2003–2007 (2005), 2008–2012 (2010) und 2013–2017 (2018). Das Datenmaterial zur Unterernährung wurde in den Zeiträumen 1999–2001 (2000), 2004–2006 (2005), 2009–2011 (2010) und 2015–2017 (2018) erfasst. Die Daten zur Kindersterblichkeit wurden in den Jahren 2000, 2005, 2010 und 2016 (2018) erhoben. Informationen zur Berechnung der WHI-Werte finden Sie in Anhang A; zu den Quellen, aus denen die Daten zusammengestellt wurden, in Anhang B.
Ebenso wie Armut haben auch Hunger und Unterernährung in äthiopien in den letzten Jahrzehnten abgenommen, befinden sich aber nach wie vor auf einem problematisch hohen Niveau. Während https://www.globalhungerindex.org/de/ethiopia.htmläthiopiens Welthunger-Index-Wert (WHI-Wert) 2000 bei 55,9 lag – eine gravierende Hungersituation –, beläuft er sich 2018 auf 29,1 und liegt damit am oberen Ende der Schweregradkategorie ernst (eine Anleitung zur Interpretation der WHI-Werte finden Sie in Kapitel 1). Jeder der WHI-Indikatoren ist seit 2000 ebenfalls rückläufig (Abbildung 4.4). Trotzdem bleiben ernsthafte Risiken bestehen.
Eine vom Wetterphänomen El Niño verursachte Dürre verschlechterte die Ernährungssicherheit in äthiopien im Zeitraum 2016 bis 2017 (FAO GIEWS 2017b). Darüber hinaus hat ein Aufflammen der Konflikte in den Regionalstaaten Oromia und Somali im Jahr 2017 zur Vertreibung von fast einer Million Menschen geführt, mit negativen Folgen für ihre landwirtschaftliche Tätigkeit, ihre Existenzgrundlagen und Ernährungssicherheit (FEWS NET 2018a). Die wenig vielfältige Ernährung der meisten äthiopierInnen ist nährstoffarm, enthält überdies zu wenig Eiweiß, Vitamin A und Zink sowie mikronährstoffreiche Nahrungsmittel wie Obst und Gemüse und setzt die KonsumentInnen zudem nahrungsmittelbedingten Krankheitserregern aus (Gebru, Remans und Brouwer 2018).
Ausgesprochen besorgniserregend ist die Ernährungssituation von Kindern, denn eine Mangelernährung während der Schwangerschaft und in den ersten beiden Lebensjahren hat lebenslange Konsequenzen. Mit 38,4 Prozent gilt das Wachstumsverzögerungsniveau bei äthiopischen Kindern unter fünf Jahren als „hoch“ und grenzt sogar an „sehr hoch“. Die Auszehrungsrate für diese Altersgruppe beträgt 9,9 Prozent, was gemäß den Richtlinien der Weltgesundheitsorganisation als „schlecht“ einzustufen ist und an „ernst“ grenzt (WHO 2010). Diese Werte variieren von Regionalstaat zu Regionalstaat innerhalb äthiopiens, und teilweise liegen die regionalen Raten wesentlich höher als der landesweite Durchschnitt (Tabelle 4.2).
Die unzureichende Ernährungspraxis bei Säuglingen und Kleinkindern scheint ein Hauptgrund für diese alarmierenden Zahlen zu sein. 67 Prozent der Kinder unter 24 Monaten werden zwar altersgerecht gestillt, doch nur 7,3 Prozent der Kinder im Alter von 6 bis 23 Monaten erhalten eine angemessene Mindesternährung. Selbst in Addis Ababa – wo der Anteil der Kinder in dieser Altersgruppe, die eine angemessene Mindesternährung erhalten, am höchsten beziffert wird – ist die Quote mit nur 27,1 Prozent noch niedrig (CSA und ICF 2016). Viele neuere Studien haben die mangelhafte Ernährungspraxis bei Säuglingen und Kleinkindern in verschiedenen Teilen äthiopiens dokumentiert und kommen zu dem Schluss, dass eine unzureichende Ernährungspraxis bei Säuglingen und Kleinkindern eine Hauptursache für Wachstums verzögerung ist. Selbst in einem Gebiet mit überschüssiger Nahrungsmittelproduktion (Zone West Gojjam im Regionalstaat Amhara) war Wachstumsverzögerung bei Kindern weitverbreitet, wobei unangemessene Fütterungspraktiken der Hauptrisikofaktor für Mangelernährung bei Kindern unter fünf Jahren darstellten (Teshome et al. 2009).
Der allgemeine Gesundheitszustand von Kindern spielt auch eine Rolle für ihre Nahrungsverwertung. Studien haben gezeigt, dass Durchfallerkrankungen Wachstumsverzögerung, Auszehrung und Untergewicht bei Kindern zur Folge haben (Asfaw et al. 2015). Ausgehend von Beobachtungen in der Woreda Haramaya im Regionalstaat Oromia wird angenommen, dass Durchfallerkrankungen zu Untergewicht führen und Fieber Auszehrung zur Folge hat (Yisak, Gobena und Mesfin 2015).
Der Ernährungszustand der Frauen muss ebenfalls berücksichtigt werden, nicht nur um der Frauen selbst willen, sondern auch mit Blick auf ihre Kinder. Die Wahrscheinlichkeit, von Unterernährung betroffen zu sein, ist für Frauen mit geringem Ermächtigungsniveau (empowerment) und minimaler Entscheidungsbefugnis etwa 50 Prozent höher als für andere Frauen (Tebekaw 2011). Etwa ein Viertel der äthiopischen Frauen im gebärfähigen Alter hat einen so niedrigen Body-Mass-Index-(BMI)-Wert, dass der Ernährungszustand ihrer Kinder gefährdet ist (Negash et al. 2015; Tigga und Sen 2016). Frühe Mutterschaften sind üblich: 27,7 Prozent der Frauen gebären vor dem 19. Lebensjahr, was den Ernährungszustand von Frauen und Kindern belastet (USAID 2018a). In der Zone Debub Misraqawi im Regionalstaat Tigray nahmen stillende Frauen nicht genug Nahrung zu sich und wiesen schlechte anthropometrische Werte auf – beide Faktoren haben negative Auswirkungen auf die Ernährung ihrer Kinder (Haileslassie, Mulugeta und Girma 2013).
Der Ernährungszustand der Frauen muss ebenfalls berücksichtigt werden, nicht nur um der Frauen selbst willen, sondern auch mit Blick auf ihre Kinder. Die Wahrscheinlichkeit, von Unterernährung betroffen zu sein, ist für Frauen mit geringem Ermächtigungsniveau (empowerment) und minimaler Entscheidungsbefugnis etwa 50 Prozent höher als für andere Frauen (Tebekaw 2011). Etwa ein Viertel der äthiopischen Frauen im gebärfähigen Alter hat einen so niedrigen Body-Mass-Index-(BMI)-Wert, dass der Ernährungszustand ihrer Kinder gefährdet ist (Negash et al. 2015; Tigga und Sen 2016). Frühe Mutterschaften sind üblich: 27,7 Prozent der Frauen gebären vor dem 19. Lebensjahr, was den Ernährungszustand von Frauen und Kindern belastet (USAID 2018a). In der Zone Debub Misraqawi im Regionalstaat Tigray nahmen stillende Frauen nicht genug Nahrung zu sich und wiesen schlechte anthropometrische Werte auf – beide Faktoren haben negative Auswirkungen auf die Ernährung ihrer Kinder (Haileslassie, Mulugeta und Girma 2013).
Des Weiteren weisen mehrere Studien einen Zusammenhang zwischen dem Zugang zu Märkten und Straßen und der Ernährung nach. Bei ansonsten gleichen Bedingungen sind das Gewicht in Bezug auf das jeweilige Alter und die Körpergröße bei denjenigen Kindern höher, deren Haushalte näher an den Lebensmittelmärkten in der Zone East Tigray im Regionalstaat Tigray liegen, wenngleich die Nähe zu den Märkten nicht ausreicht, um die Mangelernährung auch in der kargen Jahreszeit auszugleichen (Abay und Hirvonen 2016). Das Ernährungswissen von Müttern wirkt sich zwar positiv auf die Ernährungsvielfalt von Kindern in der Woreda Alefa im Regionalstaat Amhara aus, jedoch nur in Gebieten mit gutem Zugang zu Märkten (Hirvonen et al. 2017). Darüber hinaus haben Kinder in Haushalten, die eine vielfältigere Auswahl an Agrarprodukten erzeugen, in der Regel eine ausgewogenere Ernährung, insbesondere in Gebieten mit geringer Marktintegration (Hirvonen und Hoddinott 2014).
Wie Hunger zurückgedrängt wurde
Tabelle 4-2:
WHI-INDIKATORWERTE FüR äTHIOPIEN AUF SUBNATIONALER EBENE
Regionalstaat / Stadtregion | Wachstumsverzögerung bei Kindern (%) | Auszehrung bei Kindern (%) | Kindersterblichkeit (%) |
---|---|---|---|
Tigray | 39,3 | 11,1 | 5,9 |
Affar | 41,1 | 17,7 | 12,5 |
Amhara | 46,3 | 9,8 | 8,5 |
Oromiya | 36,5 | 10,6 | 7,9 |
Somali | 27,4 | 22,7 | 9,4 |
SNNP | 38,6 | 6,0 | 8,8 |
Gambela | 23,5 | 14,1 | 8,8 |
Harari | 32,0 | 10,7 | 7,2 |
Benishangul-Gumuz | 42,7 | 11,5 | 9,8 |
Addis Ababa | 14,6 | 3,5 | 3,9 |
Dire Dawa | 40,2 | 9,7 | 9,3 |
Gesamt | 38,4 | 9,9 | 6,7 |
Quelle: CSA und ICF (2016). Hinweis: Alle Indikatoren gelten für Kinder von null bis fünf Jahren. Unterernährungswerte auf subnationaler Ebene sind für äthiopien derzeit nicht verfügbar. Diese Schätzwerte zur landesweiten Kindersterblichkeit und jene in Abbildung 4.4 unterscheiden sich, da hier CSA und ICF (2016) zitiert werden, die auch subnationale Werte berücksichtigen, während für die Berechnung der WHI-Werte die in Abbildung 4.4 zitierte UN IGME (2007a) verwendet wird. |
äthiopiens nachhaltiges Wirtschaftswachstum hat zur Verbesserung der Kinderernährung und damit zur Reduzierung von Wachstumsverzögerung, Auszehrung und Untergewicht bei Kindern beigetragen. Diese Fortschritte können zum Teil auf gestiegene Ausgaben der Haushalte für Nahrungsmittel sowie auf höhere öffentliche Ausgaben für Gesundheit, Infrastruktur und andere entwicklungsbezogene Bereiche zurückgeführt werden (Biadgilign, Shumetie und Yesigat 2016). Wie weiter unten beschrieben, gibt es viele Belege für die Auswirkungen von Projekten, die in äthiopien zur Bekämpfung von Hunger und Unterernährung implementiert wurden.
Manche dieser Interventionen konzentrierten sich auf Viehzucht und andere Bereiche der Landwirtschaft. Die Maßnahmen der Regierung zur Förderung der landwirtschaftlichen Produktivität und Ernährungssicherheit in der Tigray-Region einschließlich der Förderung des Einsatzes von Düngemitteln und veredeltem Saatgut be- wirkten einen Anstieg der Nahrungsmittelverfügbarkeit und Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln (van der Veen und Gebrehiwot 2011). In der Stadt Holetta im Regionalstaat Oromia führte ein Projekt zur Förderung der Haltung von Kühen, die sowohl als Zugtier als auch für die Milchproduktion genutzt werden können, zu einem höheren Haushaltseinkommen und einer höheren Kalorienaufnahme (Ahmed, Jabbar und Ehui 2000). In den Zonen Liben und Sitte (ehemals Shinile) im Regionalstaat Somali bewirkte ein Projekt, in dessen Rahmen pastoralistischen Gemeinschaften während der Trockenzeit/ Dürre Viehfutter, Impfungen und Entwurmungen angeboten wurden, eine gestiegene Milchproduktion, einen höheren Milchkonsum bei Kindern und eine Stabilisierung ihres altersbezogenen Gewichts (Sadler et al. 2012).
Nahrungsmittel-Hilfsprogramme bedeuteten für die Begünstigten ebenfalls eine höherwertige Ernährung. Im ländlichen äthiopien haben die „Employment Generation Schemes“ – ein Food-for-Work- Programm – und ein Programm zur kostenlosen Ausgabe von Nahrungsmitteln namens „Gratuitous Relief“ die Nahrungsaufnahme der Haushalte erhöht, selbst nachdem die Programme beendet waren (Gilligan und Hoddinott 2007). Quisumbing (2003) kommt zu dem Ergebnis, dass Food-for-Work-Maßnahmen und die kostenlose Verteilung von Nahrungsmitteln in ländlichen Gebieten ein höheres Gewicht von Kindern in Bezug auf ihre Körpergröße ermöglicht haben. Yamano, Alderman und Christiaensen (2005) stellen anhand national repräsentativer Daten fest, dass Nahrungsmittelhilfe eine gestiegene Körpergröße der begünstigten Kinder im Vergleich zu Kindern in Kontrollgemeinschaften zur Folge hatte.
Programme zur Stärkung der sozialen Sicherheit können ebenfalls für Verbesserungen sorgen. Das Productive Safety Net Programme (PSNP) – ein umfassendes staatliches Programm, das die Armut in äthiopien um zwei Prozentpunkte reduziert hat (World Bank 2015) – beinhaltet Nahrungsmittelverteilungen und Geldzahlungen an Menschen, die von Ernährungsunsicherheit betroffen sind. Seit seiner Einführung im Jahr 2005 wurden damit mehr als eine Million Hilfsbedürftige und deren Familien erreicht (Berhane et al. 2014). Auf Basis von Daten aus Tigray, Amhara, Oromia und SNNP zeigen Berhane et al. (2011), dass das PSNP und damit verbundene Programme die Ernährungssicherheit verbessert haben, weil damit die Anzahl der Monate ohne ausreichende Nahrungsmittel reduziert werden konnte. Anhand von Daten aus denselben Regionalstaaten weisen Gilligan, Hoddinott und Tafesse (2009) nach, dass das PSNP in Kombination mit dem ergänzenden Other Food Security Programme (OFSP) die Ernährungssicherheit von Haushalten deutlich erhöht hat. Debela, Shively und Holden (2015) zeigen mittels Daten aus dem Regionalstaat Tigray auf, dass das PSNP zu einer Zunahme des Gewichts von Kindern in Bezug auf ihre Körpergröße geführt hat. In den in Tigray gelegenen Woredas Abiy Addi und Hintalo Wajirat brachte das Pilotprogramm für soziale Transferleistungen, das auf arme Haushalte abzielte, die keine Arbeitsangebote in Anspruch nehmen konnten, ebenfalls eine bessere Ernährung mit sich – sowohl quantitativ also auch qualitativ (Berhane et al. 2015).
ForscherInnen haben darüber hinaus auch komplexere Projekte evaluiert. Das integrierte Ernährungssicherungsprogramm von Ibnat und Belessa – das Umweltsanierung, Wasserversorgung, Bewässerung, Viehzucht, Getreide-, Obst- und Gemüseanbau, Bau und Instandhaltung von Zubringerstraßen sowie Aktivitäten außerhalb der Landwirtschaft umfasste – sorgte für eine höhere Kalorienaufnahme in den begünstigten Haushalten im Regionalstaat Amhara (Abebaw, Fentie und Kassa 2010).
Projekte im Bereich Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene können zu einer besseren Ernährung beisteuern, indem sie die Häufigkeit von Infektionen und Krankheiten verringern, die die Fähigkeit des Körpers zur Nährstoffaufnahme einschränken. Im Rahmen einer in der Zone South Wollo im Regionalstaat Amhara durchgeführten Studie wurde ein Vergleich angestellt zwischen Gruppen, die von Maßnahmen in den Bereichen Wasser/Sanitärversorgung/Hygiene, Ernährungsbildung oder Gesundheitsförderung oder von einer Kombination aller Maßnahmen profitierten, sowie einer Kontrollgruppe. Nur bei der Gruppe „Wasser/Sanitärversorgung/Hygiene“ konnte eine signifikante Reduzierung der Wachstumsverzögerung bei Kindern verzeichnet werden, die möglicherweise durch eine bessere Hygiene herbeigeführt wurde (Fenn et al. 2012).
Interventionen zur Verbesserung von Ernährung, Gesundheit und Wasser/Sanitärversorgung/Hygiene haben sich auch im Hinblick auf die Kindersterblichkeit ausgezahlt. Ernährungsinterventionen, die in einer Verringerung von Auszehrung und Wachstumsverzögerung resultierten, Projekte im Bereich Wasser/Sanitärversorgung/Hygiene, Behandlungen von Durchfall mit oral verabreichten Rehydrierungslösungen ebenso wie die Einführung des Hib-Impfstoffs werden als Hauptfaktoren für den Rückgang der Kindersterblichkeit zwischen 2000 und 2011 ausgemacht (Doherty et al. 2016).
Maßnahmen der Politik zur Ernährungssicherung
In den letzten Jahren hat die äthiopische Regierung eine Vielzahl von Maßnahmen und Programmen umgesetzt, die ein starkes Engagement zur Bekämpfung von Ernährungsunsicherheit und Fehlernährung widerspiegeln:
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Mit dem Wachstums- und Transformationsplan (GTP) werden die öffentlichen Ausgaben gelenkt. Landwirtschaft, Ernährungssicherung, Bildung, Gesundheit, Straßen und Wasser machen 70 Prozent der gesamten Staatsausgaben aus (World Bank 2015).
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Das Landwirtschaftliche Wachstumsprogramm (AGP-I) (2010/2011 bis 2015/2016) fokussierte die Intensivierung der Landwirtschaft, Wachstum und den Wandel von der Subsistenzzur kommerziellen Landwirtschaft. Im Nachfolgeprogramm AGP-II (2016/2017 bis 2020/2021) ist Ernährung außerdem ein Schwerpunkt (Gebru, Remans und Brouwer 2018).
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Der Maßnahmen- und Investitionsrahmenplan für die Landwirtschaft (PIF) (2010 bis 2020) dient als Rahmen für die Priorisierung und Planung von Agrarinvestitionen. Eines seiner Ziele ist die „nachhaltige Steigerung der ländlichen Einkommen und der nationalen Ernährungssicherheit“ (FAO 2014).
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Die Nationale Ernährungsstrategie (NNS), die ursprünglich 2008 eingeführt wurde, soll die Aktivitäten der zuständigen staatlichen und nichtstaatlichen Akteure im Ernährungssektor koordinieren (Beyero, Hodge und Lewis 2015).
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Das Nationale Ernährungsprogramm (NNP), das 2009 ins Leben gerufen wurde und vom Gesundheitsministerium verantwortet wird, bildet den Rahmen für die Umsetzung der Nationalen Ernährungsstrategie. Das NNPII wurde für die Jahre 2013 bis 2015 überarbeitet und auf den Zeitraum 2016 bis 2020 ausgedehnt. Es hebt den multisektoralen Ansatz hervor, der notwendig ist, um die Ernährungsprobleme anzugehen (SUN 2015).
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Mit der Erklärung von Seqota (2015) verpflichtet sich die Regierung äthiopiens, Fehlernährung bis 2030 zu beenden (Gebru, Remans und Brouwer 2018; SUN 2015).
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Weitere Programme sind unter anderen das Programm für Ernährungssicherheit (FSP) und das Programm für produktive Sicherheitsnetze (PSNP), das ein Teil des FSP ist (Beyero, Hodge und Lewis 2015). In Phase 4 des PSNP wird das Thema Geschlechtergerechtigkeit stärker in den Mittelpunkt gerückt, auch um die Wirkungen hinsichtlich einer besseren Ernährung zu verstärken (GOE MOA 2014)
Empfehlungen für größere Fortschritte im Kampf gegen Hunger und Unterernährung
Auf der Grundlage der vorhandenen Informationen über die Ernährungsunsicherheit in äthiopien sowie der Erkenntnisse über die Strategien und Programme, mit denen diese Herausforderungen erfolgreich angegangen wurden, wären folgende Maßnahmen seitens der Regierung, der Nichtregierungsorganisationen und der internationalen Gemeinschaft effizient und wirkungsvoll:
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Förderung der Zusammenarbeit der Ressorts für Ernährung, Gesundheit und Landwirtschaft auf allen Ebenen, von den Bundesministerien über die Regionalstaaten bis zu Woredas und Kebeles. Unterstützung multisektoraler Inter ventionen und/oder Ko-Lokalisierung von Interventionen, die sich gleichzeitig mit Ernährungssicherung, Gesundheit sowie Wasser/Sanitärversorgung/ Hygiene befassen, wobei der Schwerpunkt auf die Bedürfnisse von Frauen und Kindern gelegt wird.
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Fortsetzung der Förderung der landwirtschaftlichen Entwicklung mit besonderem Schwerpunkt auf kleinbäuerlichen Betrieben. Stärkere Fokussierung auf den Bereich Ernährung im Maßnahmen- und Investitionsrahmenplan für die Landwirtschaft (PIF).
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Investitionen in die Infrastruktur, insbesondere in das Straßennetz und den Zugang zu Märkten, mit einem Schwerpunkt auf der Förderung von Gemeinden, die hinsichtlich Armut, Ernährung und Gesundheit marginalisiert sind.
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Unterstützung von Ernährungsbildung und Fördermaßnahmen zur Verhaltensänderung, besonders um das Wissen von Betreuungspersonen über angemessene Ernährungspraxis bei Säuglingen und Kleinkindern zu verbessern, einschließlich rechtzeitiger Einführung von Beikost, adäquater Mahlzeitenhäufigkeit und Ernährungsvielfalt.
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Investitionen in WASH – Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene – sowie in die Erforschung der Wirkung, die solche Interventionen gegen Wachstumsverzögerung bei Kindern erzielen.
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Weiterführende Unterstützung und breiterer Zugang zum Productive Safety Net Programme (PSNP), Fokussierung auf die Wirkungen hinsichtlich Geschlechtergerechtigkeit und Ernährungssicherheit.
Fußnoten
- Die hier genannten Armutsquoten beziehen sich auf die internationale Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag und Kopf (entsprechend Kaufkraftparität 2011).
- Nominales Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in US-Dollar.
- „Angemessene Mindesternährung“ (minimum acceptable diet) ist ein wichtiger Standard, der das Minimum bezüglich Ernährungsvielfalt und Mahlzeitenhäufigkeit vorgibt und unterschiedliche Empfehlungen für gestillte und nicht gestillte Kinder enthält.
- Regionalstaaten sind die größten Verwaltungseinheiten in äthiopien. Nachrangige Einheiten sind zunächst Zonen, dann Woredas (Bezirke), die ihrerseits in Kebeles (Land- beziehungsweise Stadtgemeinden) aufgeteilt sind.
- Die AutorInnen fanden heraus, dass das PSNP allein – ohne das OFSP – im Durchschnitt nur geringe Wirkungen auf die Begünstigten hatte, auch weil die tatsächlichen Geldzahlungen weit unter den Programmzielen lagen. In dieser Studie wurde das Programm anhand von Daten aus den Jahren 2005 und 2006, den ersten Implementierungsjahren, evaluiert.
Bibliografie
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FAO GIEWS (FAO Global Information and Early Warning System). 2017b.
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Gebru, M., R. Remans, and I. Brouwer. 2018.
Food Systems for Healthier Diets in Ethiopia: Toward a Research Agenda. Washington, DC: International Food Policy Research Institute.
Mekbib, E., A. Shumey, S. Ferede, and F. Haile. 2014.
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Taffesse, A. S., P. Dorosh, and S. Asrat. 2012.
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World Bank. 2015.
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Data: Indicators. Accessed July 20, 2018.
World Bank. 2018c.
“The World Bank in Ethiopia.” Accessed July 20, 2018.
WHO (World Health Organization). 2010.
Nutrition Landscape Information System (NLIS) Country Profile Indicators: Interpretation Guide. Geneva.
Hinweis:
Die in dieser Publikation abgebildeten Grenzen und Ländernamen sowie die auf den Karten verwendeten Länderbezeichnungen stellen keine offizielle Stellungnahme oder Zustimmung vonseiten der Welthungerhilfe oder Concern Worldwide dar.
Autoren:
Welthungerhilfe: Fraser Patterson, Andrea Sonntag, Lisa Maria Klaus, Jan Fahlbusch; Concern Worldwide: Olive Towey, Connell Foley; wissenschaftliche BeraterInnen: Klaus von Grebmer, Jill Bernstein, Heidi Fritschel