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Niger

 

Eine eingehendere Betrachtung von Hunger und Unterernährung


 
   
Oktober 2019
Foto: Brockmann/Welthungerhilfe; Viehbesitzer Alhadara Boukari mit seiner 12 Jahre alten Kuh und einem Schlachter in Kokorou, Niger. Ausblenden
KARTE VON NIGER

Map of Niger Anmerkung: Niger ist in sieben Regionen und das Hauptstadtgebiet Niamey unterteilt

Niger ist ein Binnenstaat in Westafrika mit einer Bevölkerungszahl von 21,5 Millionen (World Bank 2019a), der 1960 die Unabhängigkeit von Frankreich erlangte und 1991 nach einer jahrzehntelangen Einparteien-Militärregierung erstmals eine Mehrparteiendemokratie einführte. Seither ist die Situation geprägt von anhaltender Instabilität, Staatsstreichen und wechselnden Regimen (Thurston 2017). Niger ist mit bewaffneten Konflikten konfrontiert, einschließlich der Rebellionen der Tuareg in den Jahren 2007 bis 2009 und um das Jahr 2013 sowie des Eindringens der Terrorgruppe Boko Haram aus Nordnigeria in den Südosten des Landes seit Anfang 2015 (Elischer und Mueller 2018; UNHCR 2019g). Auch die Regionen Tillabéri und Tahoua im Südwesten erlebten in jüngster Zeit einen Anstieg der Angriffe militanter Gruppen, die mehr als 50.000 NigrerInnen vertrieben (UNHCR 2018).

2014 lebten 44,5 Prozent der nigrischen Bevölkerung in Armut, verglichen mit 74,9 Prozent im Jahr 2005. Das Pro-Kopf- Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag 2017 bei nur 378 US-Dollar gemäß dem aktuellen Kurswert. Dies ist nach Burundi und Malawi der drittniedrigste Wert aller Länder mit verfügbaren Daten (World Bank 2019a). Niger belegt im Index der menschlichen Entwicklung (Human Development Index, HDI) den letzten Platz von 189 Ländern (UNDP 2018). 76 Prozent der nigrischen Beschäftigten arbeiten in der Landwirtschaft, 8 Prozent in der Industrie und 16 Prozent im Dienstleistungssektor, mit einem jeweiligen Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 40, 16 bzw. 38 Prozent (World Bank 2019a).

Niger, und insbesondere sein Agrarsektor, ist erheblichen Risiken ausgesetzt, die von Dürren, Heuschreckenplagen und Tierseuchen bis hin zu explodierenden Nahrungsmittelpreisen und politischer Instabilität reichen (World Bank 2013). Gemäß dem Faktor „Vulnerabilität“ des WeltRisikoIndex steht Niger an drittletzter Stelle, was bedeutet, dass das Land besonders gefährdet und nicht ausreichend in der Lage ist, Risiken zu bewältigen und sich entsprechend anzupassen (Heintze et al. 2018). Etwa drei Viertel der Fläche Nigers befinden sich in den ariden Gebieten der Sahara, wo es nur geringe Niederschläge und kaum Bewässerung gibt und eine Bevölkerung lebt, die auf Viehzucht und nur eingeschränkt möglichen Feldbau angewiesen ist (World Bank 2013). Steigende Temperaturen und zunehmende Niederschlagsschwankungen aufgrund des Klimawandels stellen eine zusätzliche Belastung für die Ressourcen Nigers dar, und der Streit um deren Verteilung löst Spannungen innerhalb der Bevölkerung aus (ICRC 2019a). Die landwirtschaftliche Produktivität in Niger ist gering – die Ernteerträge liegen bei Grundnahrungsmitteln, einschließlich Hirse und Sorghum, unter dem regionalen Durchschnitt (FEWS NET 2017b). Es wird angenommen, dass die Einschränkungen in Nigers Agrarsektor unter anderem auf fehlenden Finanzierungsmöglichkeiten beruhen, da die meisten LandwirtInnen keinen Zugang zu Krediten oder Bankkonten haben (Cancino 2018).

Agricultural productivity in Niger is low, with crop yields of staples, including millet and sorghum, below regional averages (FEWS NET 2017b). Niger’s agricultural sector is claimed to be constrained in part by limited financing, with most farmers having no access to credit or bank accounts (Cancino 2018).

Hunger und Unterernährung in Niger

Foto: Brockmann/Welthungerhilfe; Eine junge Hlab-Nomadin in Bongou Banda, eine kleine Fulbe-Siedlung bei Kokorou, Departement Téra, Tillabéri, Niger. Ausblenden
WELTHUNGER-INDEX-WERTE UND INDIKATORWERTE FüR NIGER (2000, 2005, 2010 UND 2019)


WELTHUNGER-INDEX-WERTE UND INDIKATORWERTE FüR NIGER (2000, 2005, 2010 UND 2019)

Quelle: die AutorInnen.
Anmerkung: Die Unterernährungswerte beziehen sich auf die Verbreitung von Unterernährung in der Gesamtbevölkerung des Landes; Wachstumsverzögerung, Auszehrung und Kindersterblichkeit verweisen jeweils auf die Indikatorwerte für Kinder unter fünf Jahren. Die Daten für die WHI-Werte sowie zu Wachstumsverzögerung bei Kindern und Auszehrung bei Kindern stammen aus den Perioden 1998 bis 2002 (2000), 2003 bis 2007 (2005), 2008 bis 2012 (2010) und 2014 bis 2018 (2019). Das Datenmaterial zu Unterernährung wurde in den Zeiträumen 1999 bis 2001 (2000), 2004 bis 2006 (2005), 2009 bis 2011 (2010) und 2016 bis 2018 (2019) erfasst. Die Daten zur Kindersterblichkeit wurden in den Jahren 2000, 2005, 2010 und 2017 (2019) erhoben. Informationen zur Berechnung der WHI-Werte finden sich in Anhang A, jene zu den Quellen, aus denen die Daten zusammengestellt wurden, in Anhang B.

Im Welthunger-Index 2019 belegt Niger mit einem als ernst kategorisierten WHI-Wert von 30,2 den 101. Platz von 117 Ländern. Noch im Jahr 2000 wurde die Situation mit einem WHI-Wert von 52,1 als gravierend eingestuft. Dieser Verbesserung liegen Reduzierungen der Werte aller vier WHI-Indikatoren zugrunde (Abbildung 4.2). Die Verbreitung von Unterernährung – der prozentuale Anteil der Bevölkerung mit unzureichendem Zugang zu Kalorien – war im Zeitraum 2013 bis 2015 geringer als in der Periode 1999 bis 2001. Seit den Jahren 2014 bis 2016 ist die Rate hingegen wieder angewachsen, unter anderem aufgrund von geringerer landwirtschaftlicher Produktion, gestiegenen Getreidepreisen, Konflikten und Vertreibungen (FAO 2019b; FEWS NET 2016, 2017c). Die Zahl der Flüchtlinge und Binnenvertriebenen in Niger ist seit 2015 dramatisch angestiegen (UNHCR 2017). Insbesondere in der Region Diffa haben Konflikte und Vertreibungen die Ernährungsunsicherheit verschärft (FAO und WFP 2019).

Nigers Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren ist zwischen 2000 und 2017 von 22,4 Prozent auf 8,5 Prozent erheblich gesunken. Eine Analyse der Reduzierung der Kindersterblichkeit in Niger zwischen 1998 und 2009 ergab, dass diese positive Entwicklung vor allem auf einen leichteren Zugang zu medizinischer Grundversorgung für Frauen und Kinder, bessere Ernährungsprogramme und umfassende Informationskampagnen zu Impfungen und insektizidbehandelten Bettnetzen zurückzuführen ist. Während das Land in diesem Zeitraum unter Ernährungsunsicherheit litt, konnten die Regierung und andere Organisationen Soforthilfe leisten, um eine erneute Verschlechterung der Kinderernährung zu verhindern (Amouzou et al. 2012).

Im Jahr 2000 betrug Nigers Wachstumsverzögerungsrate bei Kindern, ein Indikator für chronische Unterernährung, 53,5 Prozent, während sie 2006 bei 54,8 Prozent lag. Gemäß den aktuellsten Daten belief sie sich 2016 auf 40,6 Prozent, was immer noch als „sehr hoch“ gilt (de Onis et al. 2019). Nigers Auszehrungsrate bei Kindern, ein Indikator für akute Unterernährung, weist einige Schwankungen auf: 2016 waren es 10,1 Prozent (Einstufung als „hoch“ gemäß Onis et al. 2019) gegenüber 16,2 Prozent im Jahr 2000. Die Unterernährungsraten können sich von Region zu Region stark unterscheiden. In den Regionen Zinder und Maradi liegen die Wachstumsverzögerungsraten bei oder über 50 Prozent, während die höchsten Auszehrungsraten mit jeweils 12,9 Prozent in den Regionen Agadez und Maradi zu finden sind (Tabelle 4.1).

Die Ernährung vieler NigrerInnen, insbesondere hinsichtlich der Vielfalt, ist mangelhaft, da sie oftmals überwiegend aus Grundnahrungsmitteln besteht (FEWS NET 2017b). Hirse und Sorghum sind die größten Kalorienquellen der NigrerInnen, vor allem der in Armut lebenden Landbevölkerung (Cheng und Larochelle 2016). Eine Studie mit schwangeren und stillenden Frauen in Zinder zeigte, dass nur etwa jede sechste von ihnen einen Standardwert für minimale Ernährungsdiversität erreichte (Wessells et al. 2019). Die Ernährung nigrischer Säuglinge und Kleinkinder ist in hohem Maße unzureichend: Nur 23,3 Prozent der Säuglinge unter 6 Monaten werden ausschließlich gestillt, und nur 5,6 Prozent der Kinder im Alter von 6 bis 23 Monaten erhalten eine ausreichend vielfältige Ernährung (INS und ICF International 2013).

Die außergewöhnlich schwierigen sozioökonomischen Bedingungen in Niger erschweren auch die Gewährleistung von Ernährungssicherheit. Niger weist eines der niedrigsten Bildungsniveaus weltweit auf. NigrerInnen erhalten durchschnittlich nur eine zweijährige Schulbildung, die Alphabetisierungsrate bei Erwachsenen beträgt lediglich 31 Prozent. Die Lage für Frauen gestaltet sich noch schlechter als für Männer (UNDP 2018; World Bank 2019a) – mit negativen Folgen für die Kinderernährung, denn ein Sekundar- oder höherer Schulabschluss der Eltern senkt in der Regel das Risiko der Wachstumsverzögerung für Kinder (Alderman und Headey 2017). Mit 3,8 Prozent jährlich weist das Land eine der höchsten Bevölkerungswachstumsraten auf. Der Anteil der Früh- und Kinderehen ist der höchste weltweit – drei Viertel der Mädchen werden vor ihrem 18. Lebensjahr verheiratet (World Bank 2019a; Shepherd 2018). Haushalte in Niger, in denen die Frau in jungen Jahren verheiratet wurde, weisen ein höheres Maß an Ernährungsunsicherheit auf – sowohl in Bezug auf die Ernährungsvielfalt als auch auf die subjektive Selbstbewertung ihrer Ernährungssicherheit (Steinhaus und Kes 2018).

Wie Hunger zurückgedrängt wurde

Foto: Brockmann/Welthungerhilfe; Enkelkinder von Adam Hassane während einer Nahrungsmittelausgabe im von Dürre betroffenen Bongou Banda, eine kleine Fulbe-Siedlung bei Kokorou, Departement Téra, Tillabéri, Niger. Ausblenden

Tabelle

WACHSTUMSVERZöGERUNGS- UND AUSZEHRUNGSRATEN BEI KINDERN IN NIGER NACH REGION

Region Wachstumsverzögerung bei Kindern (%) Auszehrung bei Kindern (%)
Agadez 33,7 12,9
Dosso 38,8 7,4
Diffa 31,9 11,4
Maradi 53,8 12,9
Tahoua 39,0 7,7
Tillabéri 33,1 9,3
Zinder 50,1 11,7
Niamey 19,2 8,2
Landesweit 42,2 10,3
Quellen: INS-Niger, WFP und UNICEF (2016).
Anmerkung: Alle Indikatoren gelten für Kinder unter fünf Jahren. Unterernährungswerte auf subnationaler Ebene sind für Niger derzeit nicht verfügbar. Die jüngsten Werte zur Kindersterblichkeit auf regionaler Ebene liegen nur separat für städtische und ländliche Gebiete vor, nicht als Gesamtwert für jede Region (INS-Niger, WFP und UNICEF 2016). Die hierin angeführten Schätzwerte zur landesweiten Wachstumsverzögerung und Auszehrung bei Kindern unterscheiden sich von jenen in Abbildung 4.2, weil hier INS-Niger, WFP und UNICEF (2016) zitiert werden, welche die subnationalen Werte berücksichtigen, während die in Abbildung 4.2 zitierte Quelle UNICEF, WHO und World Bank (2019), die zur Berechnung der WHI-Werte herangezogen wurde, geringfügige änderungen gegenüber INS-Niger, WFP und UNICEF (2016) beinhaltet.

Verschiedene Ansätze haben das Potenzial, die Ernährungssicherheit und Nährstoffversorgung in Ländern mit niedrigem Einkommen zu verbessern. Dazu gehören ernährungsspezifische Interventionen, wie Nahrungsergänzungs- und Ernährungsbildungsprogramme, sowie ernährungssensible Maßnahmen, wie beispielsweise Landwirtschaftsund Geldtransferprogramme. Die Wirksamkeit eines bestimmten Ansatzes ist jedoch kontextabhängig, da die Situation von Land zu Land wie auch innerhalb der Landesgrenzen variieren kann. Im Folgenden wird erläutert, welche Maßnahmen in Niger Wirksamkeit gezeigt haben.

Gebrauchsfertige therapeutische Nahrungsmittel (RUTF) wurden zwar zur Behandlung von Unterernährung bei Kindern entwickelt, gleichzeitig zeigte auch ihr präventiver Einsatz in besonders von Unterernährung betroffenen Gebieten Nigers positive Effekte (Grais 2016). Ein dreimonatiger Versuch, in dessen Rahmen RUTF-Pakete an Kinder verteilt wurden, zog eine geringere Auszehrungs- und Sterblichkeitsrate unter den Teilnehmenden nach sich (Isanaka et al. 2009). Weitere Versuche ergaben, dass die Verteilung gebrauchsfertiger Nahrungsergänzungsmittel (RUSF), die einen niedrigeren Gehalt an Kalorien und Mikronährstoffen als RUTF aufweisen und mit Beikost zuzuführen sind, in bestimmten Situationen ebenfalls Schutz vor Auszehrung bei Kindern und Kindersterblichkeit in Niger bieten kann (Isanaka et al. 2010; Grellety et al. 2012).

Ein vom Welternährungsprogramm im Jahr 2011 initiiertes Programm in der nigrischen Region Zinder versorgte Begünstigte während der mageren Jahreszeit entweder mit Geld oder Nahrungsmitteln, darunter Getreide, Hülsenfrüchte und öl. Diejenigen, die von Geldtransfers profitierten, kauften eher preiswerte Grundnahrungsmittel, während jene, die Nahrungsmittel erhielten, diese konsumierten und damit ihre Ernährungsvielfalt erhöhten. Diese Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Nahrungsmitteltransfers mit vielfältigen Lebensmitteln möglicherweise eine bessere Lösung darstellen als Geldtransfers, wenngleich die Ergebnisse selbstverständlich von den jeweiligen Bedingungen abhängen, wie etwa Nähe und Zugang zu Lebensmittelmärkten und Präferenzen hinsichtlich Nahrungsmittelmenge versus -qualität. Wenn Nahrungsmitteltransfers in Fällen wie diesem teurer sind als Geldtransfers, werden zudem eventuell weniger Begünstigte erreicht (Hoddinott, Sandström und Upton 2018).

Im Zuge einer vom Forum Santé Niger und ärzte ohne Grenzen im Jahr 2011 in der nigrischen Region Maradi durchgeführten Intervention sollte ermittelt werden, ob ein Geldtransfer, die Verteilung angereicherter Nahrungsmittel oder eine Kombination dieser Interventionen am wirksamsten ist, um eine mäßige oder schwere akute Unterernährung von Kindern während der mageren Jahreszeit zu verhindern. Es zeigte sich, dass die Gruppe, die sowohl Geld als auch angereicherte Nahrungsmittel erhielt, am besten abschnitt, obwohl an die Angehörigen der Gruppe, die ausschließlich Geld bekam, höhere Beträge ausgezahlt wurden, um auszugleichen, dass sie keine Nahrungsmittel erhielten. Dieses Ergebnis könnte auf eine geringe Verfügbarkeit nahrhafter Lebensmittel auf dem Markt zurückzuführen sein. Die AutorInnen sind daher der Meinung, dass es in besonders schwierigen Situationen wie in Niger möglicherweise am besten sei, nahrhafte Lebensmittel an alle Kinder unter zwei Jahren zu verteilen und zugleich die am stärksten gefährdeten Haushalte mit Geld zu versorgen (Langendorf et al. 2014).

2010 setzte Concern Worldwide als Reaktion auf die Dürre und Ernährungskrise 2009 bis 2010 ein bedingungsloses Geldtransferprogramm in Niger um. Es bestand aus drei verschiedenen Interventionsansätzen: (1) Ausgabe von Bargeld, (2) Geldtransfer per Mobiltelefon samt Bereitstellung eines Mobiltelefons und (3) Ausgabe von Bargeld und Bereitstellung eines Mobiltelefons.

Die zweite Gruppe kaufte mehr Arten von Nahrungsmitteln und erreichte eine höhere Ernährungsvielfalt als die anderen Gruppen – möglicherweise, weil sich die Geldtransfers per Mobiltelefon für die EmpfängerInnen flexibler und weniger zeitaufwendig gestalteten. Für den Geldtransfer per Mobiltelefon stellten sich allerdings mindestens zwei Herausforderungen: So muss den Begünstigten die Handhabung des Geräts erklärt werden, und es müssen genügend mobile Geldtransfer-Agenten (Mobile Money Agents) im Versorgungsgebiet zur Verfügung stehen (Aker et al. 2016).

Auch landwirtschaftliche Interventionen können die Ernährungssicherheit und die Nährstoffversorgung verbessern. In den 1980er-Jahren entwickelten nigrische Bäuerinnen und Bauern die Wiederaufforstungsmethode „Farmer Managed Natural Regeneration“ (FMNR), in deren Rahmen sie Bäume und Sträucher auf degradiertem Land wieder zum Wachsen bringen, um sie dann als Viehfutter, Brennstoff und Nahrungsmittellieferanten zu nutzen. Die Technik trägt außerdem zur Abschwächung von Windeinflüssen, Erosion und Verdunstung in den nahe gelegenen landwirtschaftlichen Flächen sowie zu einer höheren Bodenfruchtbarkeit bei. Schätzungen zufolge hat FMNR im Laufe der Zeit die Produktion von 500.000 zusätzlichen Tonnen Getreide pro Jahr in Niger ermöglicht und damit die Ernährungssicherheit der NigrerInnen nachhaltig gesteigert (WRI et al. 2008; Reij, Tappan und Smale 2009).

Maßnahmen der Politik zur Ernährungssicherung

Foto: Welthungerhilfe; Vertriebene mit Ochsenkarren in Diffa, Niger, nahe der Grenze zu Nigeria. Da dies eine Sperrzone ist, sind landwirtschaftliche Produktion oder Fischfang trotz fruchtbarem Land kaum möglich. Ausblenden
  • Ziel des Plans zur Wirtschaftlichen und Sozialen Entwicklung Nigers (PDES, 2017–2021) ist es, zum „Aufbau eines friedlichen, gut regierten Landes mit einer aufstrebenden und nachhaltigen Wirtschaft und einer Gesellschaft beizutragen, die auf den Werten der Gerechtigkeit basiert und die Früchte des Fortschritts teilt“. In diesem Plan werden acht große Herausforderungen aufgeführt, die bewältigt werden müssen, darunter die Verbesserung der Ernährungssicherheit (GoN 2017b, 1).

  • Die Initiative „NigrerInnen nähren NigrerInnen“ (3N) ist eine Strategie zur Ernährungssicherung und landwirtschaftlichen Entwicklung, die darauf abzielt, die strukturellen Ursachen für die Vulnerabilität in Bezug auf Ernährungsunsicherheit nachhaltig in Angriff zu nehmen. Mit ihrem sektor- und behördenübergreifenden Ansatz ist sie eine wichtige Komponente in Nigers Plan zur Wirtschaftlichen und Sozialen Entwicklung (GoN 2015).

  • Die sektorübergreifende Nationale Strategie zur Ernährungssicherung (PNSN, 2016–2025) legt die Rollen und Verantwortlichkeiten aller Akteure fest, die an Ernährungsprogrammen beteiligt sind, während der zugehörige sektorübergreifende Plan das Budget bestimmt (NIPN 2017). Die PNSN definiert Ernährungsprogramme nicht nur als Nothilfemaßnahme, sondern auch als Beitrag zur Entwicklung und zum Aufbau der Widerstandsfähigkeit des Landes (SUN 2018b).

  • Nigers Agrarpolitik (Politique Agricole, 2016) soll zum Wirtschaftswachstum beitragen und die Ernährungssicherheit gewährleisten (GoN 2016). Darüber hinaus verabschiedete die Regierung 2019 die Nationale Strategie für landwirtschaftliche Forschung, Ausbildung und Innovation, um die Strukturen in der Agrarforschung zu stärken sowie Diversifizierung und die Widerstandsfähigkeit der landwirtschaftlichen Produktionssysteme zu steigern (ANP 2019).

  • Die Nationale Schul- und Ausbildungsstrategie (PSEF, 2014– 2024) bekräftigt das Engagement der Regierung für Bildung, insbesondere ihre Absicht, die Qualität der Grundbildung zu verbessern und die Einschulungsquote und Schulverweildauer von Mädchen sowie die Alphabetisierungsrate zu erhöhen (GoN 2013). Da ein unzureichender Zugang von Haushalten zu Bildung eine grundlegende Ursache für Unterernährung darstellt, ist dies förderlich, um Ernährungsunsicherheit zu adressieren (UNICEF 2015b).

  • Nigers hohe Geburtenrate und schnelles Bevölkerungswachstum sind eine Herausforderung für die Haushalte und die Sicherstellung der öffentlichen Dienstleistungen. Der Aktionsplan zur Familienplanung in Niger 2012–2020 hat daher den Zweck, entsprechende Beratungsangebote auszubauen (GoN 2012).

Handlungsempfehlungen

Foto: Brockmann/Welthungerhilfe; Produktion von Trockenfleisch in Kokorou, Niger. über das Bild
  • Niger hat die Erklärungen der Afrikanischen Union von Maputo 2003 und Malabo 2014 unterzeichnet, in denen Ziele für das Wachstum und die Transformation des Agrarsektors festgelegt sind. Niger verpflichtete sich damit, mindestens zehn Prozent seiner öffentlichen Ausgaben für den Agrarsektor zu verwenden und dazu beizutragen, den Hunger in Afrika bis 2025 zu beenden (AU 2014). Bis 2017 ist das Land seinen Verpflichtungen allerdings noch nicht nachgekommen (AU 2018). Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, dass Niger sie erfüllt und seine Mittel für den Agrarhaushalt aufstockt. Zu den wichtigsten Prioritäten für den Agrarsektor gehören die verstärkte Nutzung von Betriebsmitteln durch BäuerInnen und Bauern, die Ausweitung von Bewässerungsflächen, die Verbesserung der Produktivität in der Viehzucht sowie die Förderung klimaschonender landwirtschaftlicher Praktiken (World Bank 2017b).

  • Obwohl sich die nigrische Regierung verpflichtet hat, sektorübergreifende Maßnahmen im Ernährungsbereich zu ergreifen, ist weitere Arbeit erforderlich, um das Thema Ernährung auf die Tagesordnung der verschiedenen Ministerien zu setzen und die Implementierung ernährungssensibler Programme zu fördern. Die Ministerien benötigen außerdem mehr Mittel für den Aufbau von Kapazitäten, damit sie entsprechende Programme entwickeln können (SUN 2018b). Um sicherzustellen, dass dem Thema Priorität eingeräumt wird, sollten alle relevanten Sektoren geeignete ernährungsbezogene Indikatoren in ihre Monitoring- und Evaluierungsprozesse aufnehmen.

  • Es muss ein stärkerer Fokus auf die Förderung des Stillens und einer angemessenen Ernährungspraxis bei Säuglingen und Kleinkindern gelegt werden. So sind beispielsweise mehr Mittel und Unterstützung erforderlich, um die Kriterien der Initiative für säuglingsfreundliche Krankenhäuser (Baby Friendly Hospital Initiative) zu erfüllen, deren Ziel es ist, Stillpraktiken nach der Entbindung in Krankenhäusern zu fördern (UNICEF 2018).

  • Niger entwickelt derzeit eine Nationale Strategie zur Katastrophenvorsorge (GoN 2017a). Angesichts von Nigers hoher Vulnerabilität gegenüber Krisen und Naturkatastrophen ist es unerlässlich, dass diese Strategie und die damit verbundenen Programme bald fertiggestellt, umgesetzt und mit einer soliden Finanzierung versehen werden. Es ist entscheidend, auf Krisen in Form von Interventionen zu reagieren, die nicht nur auf kurzfristige Bedürfnisse eingehen, sondern auch die Widerstandsfähigkeit stärken und langfristige Entwicklung fördern.

  • Die hohe Rate von Teenagerinnen, die früh verheiratet werden und Kinder bekommen, führt zu einer insgesamt schlechteren Ernährungssituation – sowohl unmittelbar durch unzureichende Nährstoffversorgung von jungen Müttern und Kindern als auch mittelbar durch negative Auswirkungen auf die Schulbildung und das Armutsniveau der betroffenen Frauen. Die Regierung muss sich weiterhin für Programme zur Familienplanung und die Verringerung von Frühehen und früher Mutterschaft einsetzen. Da noch kein klarer Konsens darüber erzielt wurde, welche Strategien zur Verringerung der Frühverheiratung in Niger am wirksamsten sind, bedarf es dazu einer überprüfung der vorhandenen Erkenntnisse und möglicherweise weiterer Forschung und Analysen (Shepherd 2018).

  • Die Steigerung der Alphabetisierungsrate und des Bildungsniveaus in Niger – insbesondere von Frauen und Mädchen – ist ein entscheidender Faktor zur Verringerung von Armut und Unterernährung im Land. Zusätzlich zur Nationalen Schul- und Ausbildungsstrategie (PSEF, 2014–2024) und zur Zusage von Präsident Mahamadou Issoufou, nach der die Schulbildung für Kinder bis 16 Jahre kostenlos und obligatorisch werden soll, entwickelt Niger eine Strategie, die darauf abzielt, die Lehrqualität zu verbessern (Theirworld 2018; UNESCO 2018). Die zeitnahe Fertigstellung und Umsetzung dieser Maßnahmen wird zu substanziellen Fortschritten in Nigers Bildungssystem führen.

  • Obwohl es in Niger ein soziales Sicherungssystem gibt, ist die Zahl der begünstigten Haushalte gering und ein Ausbau des Programms notwendig (Shepherd 2018). Im Falle von Geldtransfers sollte Niger die Kosten und den Nutzen von Geldtransfers per Mobiltelefon abwägen, um den Zeitaufwand für die Begünstigten zu begrenzen und deren Ernährungssicherheit zu verbessern. Darüber hinaus wäre es vorzuziehen, Geldtransfers mit der Ausgabe nahrhafter Nahrungsmittel zu kombinieren, sofern dies möglich und wirtschaftlich vertretbar ist. Dieser Ansatz würde wahrscheinlich eine stärkere Unterstützung der Geldgeber erfordern, um die damit verbundenen Kosten zu decken.

 

Fußnoten

  1. Die Tuareg sind eine Volksgruppe mit einem Anteil von elf Prozent an Nigers Gesamtbevölkerung (Minority Rights Group International 2019).  
  2. Die hierin genannten Armutsquoten beziehen sich auf die internationale Armutsgrenze von 1,90 US-Dollar pro Tag und Kopf (Kaufkraftparität 2011).  
  3. Im Notre Dame Global Adaptation Initiative Index, der die Vulnerabilität und die Vorsorgekapazitäten im Hinblick auf den Klimawandel berücksichtigt, rangiert Niger auf Platz 175 von 181 Ländern (ND-GAIN 2019).  
  4. Weltweit ist Unterernährung die Ursache für 45 Prozent aller Todesfälle bei Kindern unter fünf Jahren (Black et al. 2013). Eine ausführliche Erklärung zur Berücksichtigung von Kindersterblichkeit im WHI finden Sie in Wiesmann et al. (2015).  
  5. Die „minimale Ernährungsdiversität“ ist ein Standard, der das Minimum bezüglich Ernährungsvielfalt und Mahlzeitenhäufigkeit vorgibt und unterschiedliche Empfehlungen für gestillte und nicht gestillte Kinder enthält, die Milch oder Muttermilchersatzprodukte benötigen.