Frühkindliche Unterernährung bekämpfen
Das entscheidende Handlungsfenster der ersten 1.000 Tage
Unterernährung in den ersten 1.000 Lebenstagen kann bleibende gesundheitliche Schäden verursachen und die Lebenserwartung einschränken.
Wie bereits in den vorherigen Kapiteln dargelegt, umfasst der Welthunger-Index (WHI) drei Indikatoren (den Anteil der Unterernährten in der Bevölkerung, den Anteil der untergewichtigen Kinder und die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren). Der globale WHIWert liegt bei 15,1 (siehe Abbildung auf Seite 11).
Der Anteil untergewichtiger Kinder macht bis zu 7,4 Punkte aus, das heißt fast die Hälfte des Gesamtwertes. Auf den Anteil der Unterernährten in der Bevölkerung und die Sterblichkeitsrate von Kindern unter fünf Jahren entfallen 5,4 beziehungsweise 2,2 Punkte. In Südasien entfällt über die Hälfte des WHI-Wertes von 22,9 auf den Anteil untergewichtiger Kinder unter fünf Jahren. In Afrika südlich der Sahara stellt sich die Situation etwas anders dar. Dort hat sich der WHI-Wert in den letzten 20 Jahren kaum verbessert. Beim Anteil untergewichtiger Kinder unter fünf Jahren ist nach neuesten Schätzungen nur ein leichter Rückgang von 27,2 auf 23,6 Prozent zu verzeichnen.
Zur Verbesserung der WHI-Werte müssen in den jeweiligen Ländern die Fortschritte bei der Bekämpfung der Unterernährung von Kindern durch eine verbesserte Ernährung vorangetrieben werden. Wie ist dies zu bewerkstelligen? Zunächst muss das Augenmerk auf die Gruppe der Kinder gerichtet werden, deren Alter dem Zeitraum des Handlungsfensters entspricht, das für die weitere Entwicklung entscheidend ist. Zwar zielten bereits in der Vergangenheit in vielen Ländern politische Maßnahmen und Programme auf die Verbesserung der Ernährung von Kindern unter fünf Jahren ab, jedoch zeigen gerade neueste Belege, dass dieses entscheidende Handlungsfenster zur grundlegenden Verbesserung der Ernährungssituation wesentlich kleiner ist und lediglich den Alterszeitraum -9 bis +24 Monate umfasst (also die 1.000 Tage zwischen Empfängnis und der Vollendung des zweiten Lebensjahres). In diesem Zeitraum ist für eine gesunde Entwicklung der Kinder nicht nur eine dem Bedarf angemessene Menge und Qualität an Nahrungsmitteln dringend erforderlich, sondern hier besteht auch die größte Chance, mit entsprechenden Maßnahmen der Unterernährung vorzubeugen. Ab einem Alter von zwei Jahren lassen sich die Folgen der Unterernährung größtenteils nicht mehr rückgängig machen (Ruel 2010).
Kinder, die in den ersten 1.000 Tagen ihres Lebens unzureichend ernährt wurden, können bleibende Schäden davontragen, etwa eine eingeschränkte körperliche und geistige Entwicklung, ein schwaches Immunsystem bis hin zu einer geringeren Lebenserwartung. Meist bleiben diese Kinder klein und dünn, sind nur eingeschränkt leistungsfähig und bei mangelhafter Gesundheit. Zudem bringen junge Frauen, die in ihrer Kindheit an Unterernährung gelitten haben, selbst untergewichtige Babys zur Welt und tragen so dazu bei, dass sich der Kreislauf der Unterernährung fortsetzt. Somit ist auch das Wohlergehen der Mütter bei der Lösung dieses Problems ganz wesentlich.
Das weltweite Problem der Unterernährung bei Kindern
Unterernährung bei Kindern kann ganz unterschiedlich ausfallen: Formen der Mangelernährung
Unterernährung bei Kindern kann je nach Ursache, Ausmaß und Dauer verschiedene Formen annehmen. Es gibt im Wesentlichen drei Kategorien der Unterernährung bei Kindern:
- Stunting (Unterentwicklung) – das Kind bleibt für sein Alter zu klein (Anzeichen für chronische Unterernährung),
- Wasting (Auszehrung) – das Kind ist für seine Größe zu leicht (Anzeichen für akute Unterernährung) und
- Untergewicht – das Kind ist für das jeweilige Alter zu leicht.
Die Kategorie Stunting ist ein sinnvoller Gesamtindikator für Unterernährung, da sie alle Auswirkungen von chronischer Unterernährung widerspiegelt. Wasting steht für akute Unterernährung, die durch unzureichende Nahrungs- und Nährstoffzufuhr beziehungsweise wiederholte Krankheit entsteht. Untergewicht zeigt entweder Stunting oder Wasting oder beides an.
In der Forschung werden diese Indikatoren mittels sogenannter Z-Werte (Anzahl der Standardabweichungen, abgeleitet von der statistischen Normalverteilungskurve) gemessen. Anhand dieser Werte lassen sich die Abweichungen in Gewicht oder Größe eines Kindes von den durch die WHO ermittelten Normwerten für die Entwicklung eines gesunden Kindes festmachen. Je näher der Z-Wert eines Kindes bei null liegt, desto geringer ist die Abweichung vom Mittelwert und desto eher entspricht die Entwicklung des betreffenden Kindes internationalen Wachstumsstandards. Dieser Vergleichswert gilt weltweit und beruht auf der Annahme, dass Kinder, ungeachtet ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder Nationalität, theoretisch in der Lage sind, Normalgewicht und -größe zu erreichen. Die WHO hat 2006 ihre Datenbank zu Wachstum und Mangelernährung von Kindern überarbeitet, wobei deutlich wurde, dass die Unterernährung von Kindern weltweit noch stärker ausgeprägt ist als ursprünglich angenommen. Bei allen drei Indikatoren (auftretend in Form von Stunting, Wasting oder Untergewicht) zeigt ein Z-Wert von weniger als minus zwei Unterernährung und ein ZWert von weniger als minus drei starke Unterernährung an.
Eine weitere Form der Unterernährung ist der Mangel wichtiger Mikronährstoffe wie Vitamine und Mineralien, insbesondere Eisen, Jod, Zink und Vitamin A. Oft wird dieser Mangel an Mikronährstoffen als „versteckter Hunger“ bezeichnet, da er sich meist nicht unmittelbar in klinischen Symptomen manifestiert. Ohne Blutuntersuchungen bleibt ein solcher Mangel oft verborgen und wird erst entdeckt, wenn er bereits stark ausgeprägt und somit lebensbedrohlich ist. Bei Frauen und Kleinkindern kann Mikronährstoffmangel verheerende Auswirkungen haben. Das Wachstum der Kinder, ihre motorische und kognitive Entwicklung, die Entwicklung des Immunsystems und ihre Lebenserwartung werden beeinträchtigt. Bei Frauen können das sichere Austragen des Kindes und die Entbindung sowie die Produktion von Muttermilch in ausreichender Qualität, aber auch die eigene Gesundheit negativ beeinflusst werden.
Die Unterernährung bei Kindern hat mittlerweile erschreckende Ausmaße angenommen. In den Entwicklungsländern sind ca. 195 Millionen der Kinder unter fünf Jahren stunted – das entspricht etwa einem Drittel aller Kinder. Fast ein Viertel der unter Fünfjährigen, d. h. 129 Millionen, ist untergewichtig und ein Zehntel leidet sogar an starkem Untergewicht (UNICEF 2009b; siehe Kasten auf Seite 22).
Das Problem der Unterernährung bei Kindern ist nicht gleichmäßig über den Globus verteilt, sondern konzentriert sich auf wenige Länder und Regionen. Über 90 Prozent der stunted Kinder leben in Afrika und Asien, wo der Anteil an Stunting 40 beziehungsweise 36 Prozent beträgt (UNICEF 2009b). Über 80 Prozent der an Unterernährung (gemessen anhand von Stunting) leidenden Kinder leben in gerade einmal 24 Ländern. Indien stellt den weltweit größten Anteil an unterernährten Kindern. 2005–2006 waren etwa 44 Prozent der Kinder unter fünf Jahren in Indien untergewichtig und 48 Prozent stunted (WHO 2010b). Allein aufgrund der Größe des Landes bedeutet dies, dass 42 Prozent aller untergewichtigen Kinder und 31 Prozent aller stunted Kinder weltweit in Indien leben (siehe Abbildung auf Seite 21) (UNICEF 2009b).
Auch viele andere südasiatische und afrikanische Länder weisen einen hohen Anteil unterernährter Kinder auf. In einigen Ländern in Afrika südlich der Sahara ist etwa die Hälfte aller Kinder stunted: 53 Prozent der Kinder in Burundi, Madagaskar und Malawi sind stunted; in äthiopien und Ruanda sind es 51 Prozent und in Guinea-Bissau und Niger 47 Prozent (UNICEF 2009b). Über die Hälfte der Kinder unter fünf Jahren in Afghanistan, Guatemala, Ost-Timor und im Jemen ist ebenfalls stunted.
Der sogenannte „versteckte Hunger“, der meist keine sichtbaren Symptome aufweist und durch einen Mangel an Mikronährstoffen ausgelöst wird, tritt sogar noch häufiger auf als Untergewicht, Stunting und Wasting. Insgesamt leiden auf der Welt zwei Milliarden Menschen an Jodmangel, 285 Millionen davon sind Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren (de Benoist et al. 2004). Fast 50 Prozent der Kinder unter fünf Jahren leiden an Anämie, die in der Hälfte der Fälle durch Eisenmangel ausgelöst wird (de Benoist et al. 2008). Der größte Anteil der an Anämie leidenden Kinder im Vorschulalter – 68 Prozent – lebt in Afrika. 190 Millionen Kinder im Vorschulalter sind von Vitamin-AMangel betroffen (WHO 2009).
Das Problem der Unterernährung wirkt sich verheerend auf die Gesundheit und die Lebenserwartung von Kindern aus. Schätzungen zufolge sterben jedes Jahr 2,2 Millionen Kinder an Stunting, Wasting und intrauteriner Wachstumsretardierung (die zu einem niedrigen Geburtsgewicht führt) (Black et al. 2008). Bei Vitamin-A-Mangel drohen eine Reihe von gesundheitlichen Problemen, wie Augenerkrankungen, die in besonders schweren Fällen auch zur Blindheit führen, und das Risiko von Kindern, an anderen Erkrankungen wie Durchfall oder Malaria zu sterben, steigt. Zinkmangel erhöht die Anfälligkeit für Durchfallerkrankungen, Lungenentzündung und Malaria. Durch Eisenmangel kann sich die Müttersterblichkeitsrate erhöhen und die kognitive Fähigkeit der Kinder eingeschränkt werden. Jodmangel während der Schwangerschaft kann nicht nur das Austragen des Kindes gefährden, sondern sich auch negativ auf die geistige und motorische Entwicklung des Fötus auswirken. Chronischer Jodmangel kann zu einer starken Beeinträchtigung der kognitiven Entwicklung des Kindes führen.
Die entscheidenden 1.000 Tage
Ernährungspraktiken: Entscheidende Faktoren bei der frühkindlichen Ernährung
Rianne ist ein 14 Monate altes Mädchen aus Indonesien, deren Leben zunächst einen vielversprechenden Anfang zu nehmen schien. Im Gegensatz zu Millionen anderer Kinder in armen Ländern hatte sie bei der Geburt Normalgewicht und entwickelte sich bis zum vierten Monat gesund (siehe Abbildung unten). Ab dem fünften Lebensmonat jedoch nahm Rianne langsamer zu als erwartet, und während einiger Monate verlor sie sogar an Gewicht. Mit jedem weiteren Monat lag Rianne deutlicher unter den Normalwerten der Wachstumskurve. Nach 13 Monaten galt sie mit ihrem Gewicht für ihr Alter als untergewichtig.
So wie Rianne ergeht es Millionen von Kindern in Entwicklungsländern, die in den ersten zwei Lebensjahren plötzlich in ihrer Entwicklung zurückbleiben. Für diese verlangsamte Entwicklung bei Kindern gibt es eine Reihe von Ursachen, so zum Beispiel die Armut ihrer Familien, eine unzureichende Nahrungsmittelversorgung, schlechte hygienische Verhältnisse und Krankheiten. Auch schlechte Ernährungspraktiken können verantwortlich sein. Nach den für ihre Gegend typischen Essgewohnheiten gab Riannes Mutter ihrer Tochter zweimal am Tag einen mit Wasser zubereiteten Reisbrei.
Dann jedoch änderte Riannes Mutter infolge eines Ernährungsprogramms die Ernährung ihrer Tochter. Über Durchsagen im Radio und durch Aufklärung eines Ernährungsberaters wurden Riannes Familie Kenntnisse zur bestmöglichen Ernährung von Kleinkindern und zur Zubereitung eines altersgerechten, nahrhaften Reisbreis vermittelt. Somit fütterte Riannes Mutter ihre Tochter nun dreimal statt nur zweimal am Tag mit Reisbrei, den sie mit anderen in der Region erhältlichen Nahrungsmitteln anreicherte (die Mägen von Kleinkindern sind noch so klein, dass sie mehr Mahlzeiten als Erwachsene am Tag brauchen, um die von ihnen benötigte Menge an Nahrungsmitteln aufnehmen zu können). Diese Verbesserungen in Riannes Ernährung vor ihrem zweiten Lebensjahr trugen dazu bei, gesund und leistungsfähig zu werden.
In Entwicklungsländern kommt es bei vielen Kindern während des ersten Lebensjahres und oft sogar schon vor der Geburt zu ersten Wachstumsverzögerungen. Die Auswertung von Daten aus 54 Ländern in Afrika, Asien, Lateinamerika und der Karibik hat ergeben, dass die meisten Wachstumsverzögerungen, vor allem Stunting und Untergewicht, zwischen der Geburt und der Vollendung des zweiten Lebensjahres auftreten (siehe Abbildung auf Seite 23 oben; Victora et al. 2010).
Die Abbildung auf Seite 23 unten zeigt, dass die Kinder in den meisten Regionen mit einer durchschnittlichen Größe geboren werden, sich das Wachstum aber nach einigen Monaten verlangsamt und bis zum Alter von 24 Monaten stark gehemmt ist. Kinder in Südasien sind besonders betroffen, da sie bereits zu Beginn beeinträchtigt sind – schon bei der Geburt leiden zahlreiche Säuglinge an Stunting. Überall auf der Welt entstehen die meisten Entwicklungsverzögerungen in der Zeit bis zum zweiten Lebensjahr. Danach verschlechtert sich der Zustand dieser Kinder nur wenig oder gar nicht. Meist bleibt es bei einem für ihr Alter zu geringen Gewicht und einer zu geringen Größe. Am weitesten verbreitet ist Stunting bei Kindern in Südasien und in Afrika südlich der Sahara.
Warum ist der Zeitraum zwischen der Empfängnis und dem zweiten Lebensjahr für die Ernährung so entscheidend? Hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Eine Mutter, die vor und während der Schwangerschaft an Mangelernährung leidet, bringt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein zu kleines Baby zur Welt. Ein besonders großes Problem stellt die Mangelernährung von Müttern in Asien dar. In einigen südasiatischen Ländern sind zehn Prozent der Frauen kleiner als 145 cm. Dabei handelt es sich um einen Schwellenwert, der als Indikator für mögliche Komplikationen während der Geburt und für eine geringe Geburtsgröße der Babys dient. Über 20 Prozent der Frauen in den meisten Ländern Süd- und Südostasiens sowie in Afrika südlich der Sahara haben einen niedrigen Body-Mass-Index (Black et al. 2008). In vielen dieser Länder haben Frauen einen niedrigen Sozialstatus, das heißt zum Beispiel, dass sie im Haushalt erst essen, nachdem alle anderen Familienmitglieder ihre Mahlzeit zu sich genommen haben. Zudem fehlt ihnen häufig der Zugang zu einer angemessenen Fürsorge, insbesondere im gebärfähigen Alter. Die Mangelernährung, unter der diese Frauen leiden, setzt sich somit über Generationen fort: An Unterernährung leidende Mädchen erreichen auch im Erwachsenalter keine normale Größe und bringen wiederum kleinere Kinder zur Welt. Ein niedriger Sozialstatus und ein geringer Bildungsstand der Frauen verfestigen diesen Teufelskreis.
Nach der Geburt werden viele Babys nicht ausschließlich mit Muttermilch ernährt, da dies vielen Frauen aufgrund der eigenen Mangelernährung oder der starken Arbeitsbelastung nicht möglich ist. Zudem ist häufig nicht bekannt, dass Muttermilch als einziges Nahrungsmittel für Kleinkinder bis zum sechsten Monat völlig ausreichend ist. Oftmals werden den Babys daher zur Muttermilch noch Wasser, Tee oder andere Getränke hinzugegeben, was einerseits zu Magen-Darm-Infektionen und andererseits zu einer unzureichenden Nahrungsaufnahme führen kann, da die Aufnahme der Nährstoffe aus der Muttermilch erschwert wird. Ab dem sechsten Monat sollte altersgemäße Beikost hinzugefüttert werden, doch geschieht dies häufig nicht zum richtigen Zeitpunkt. In einigen Ländern erhalten Kinder schon mit einer Woche oder einem Monat Säuglingsnahrung (Tontisirin und Winichagoon 1999). In anderen Ländern wird erst lange nach dem empfohlenen sechsten Monat mit der Beikostgabe begonnen. Hinzu kommt, dass solche Beikost häufig nur einen geringen Nährwert hat oder zu unregelmäßig verabreicht wird (siehe Kasten auf Seite 24). Andere Familien verfügen einfach nicht über ausreichend nährstoffhaltige Lebensmittel zur Herstellung von hochwertiger Beikost für Kleinkinder. Darüber hinaus beeinträchtigen die hygienischen Bedingungen die Ernährungslage eines Kindes stark. Fehlen der Zugang zu sauberem und ausreichendem Trinkwasser, zu Abwasserentsorgung und zu sanitären Einrichtungen, kommt es gerade bei kleinen Kindern oft zu wiederholten Magen-Darm-Infektionen. Diese können zu Appetitlosigkeit sowie – aufgrund von Fieber, Durchfall oder Erbrechen – zu einer unzureichenden Aufnahme von Nährstoffen und damit zu Nährstoffmangel führen. In einem solchen Umfeld erhalten Kinder zudem nur selten entsprechende Schutzimpfungen und regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen.
Yat Samath,
Provinz Ratanakkiri, Kambodscha
Im Gesundheitszentrum unseres Bezirks habe ich während der Schwangerschaft zweimal Eisentabletten bekommen, insgesamt etwa 40 Tabletten. Ich habe sie alle genommen, obwohl einige schwangere Frauen aus dem Dorf mir geraten haben, das nicht zu tun. Sie befürchteten, dass der Fötus fett wird und dann schwer auszutragen ist.
Wenn ich schwanger bin, esse ich keine Schildkröten oder Schlangen, weil ich Angst habe, dass meine Kinder Schildkröten werden könnten, wenn ich diese Tiere esse.
In den ersten beiden Tagen bekam mein Baby zusätzliche Milch, aber das hat nicht ausgereicht. Ich habe ihr auch die Brust gegeben, aber ich hatte keine Milch und sie saugte, ohne trinken zu können. Ich trank eine traditionelle Medizin namens ‚MemayKounMouy‘, um mehr Milch zu produzieren.
Dr. Kyawt Thazin Oo,
Ernährungswissenschaftlerin, Irawadi-Division, Myanmar
Die meisten Mütter beginnen mit dem Zufüttern bereits, bevor ihre Kinder sechs Monate alt sind. Dabei werden vor allem Reis und weiche Früchte verwendet. Innerhalb der Familien entspricht das Essen der Kinder weitestgehend dem der Erwachsenen. Die Mahlzeiten im Ayerwaddy-Delta bestehen hauptsächlich aus den traditionellen Grundnahrungsmitteln Reis und Fischpaste, die aus vergorenem Fisch und Garnelen hergestellt wird. Für die sehr kleinen Kinder, die noch kein vollständiges Gebiss haben, kauen die Mütter das Essen vor und füttern dann die Kinder damit.
Die Spätfolgen frühkindlicher Mangelernährung
Mangelernährung in frühester Kindheit hat sowohl kurzfristige als auch langfristige Folgen, die bis ins Erwachsenenalter spürbar sind.
Kinder, die bereits in der Gebärmutter und/oder während der ersten zwei Lebensjahre an Mangelernährung litten, sind im Erwachsenenalter häufig nicht so groß wie andere, besuchen nicht so lange die Schule, verdienen weniger und bekommen selbst Kinder mit einem niedrigeren Geburtsgewicht. Schätzungen zufolge ist Unterernährung in Entwicklungsländern oftmals für einen Rückgang des BIP von zwei bis drei Prozent im Jahr, unter Umständen auch bis zu sechs Prozent, verantwortlich (CEPAL/PMA 2007). Einer Studie zufolge wurden Kinder aus Simbabwe, die in der Vorschule als stunted galten, sieben Monate später eingeschult als normal entwickelte Kinder. Zudem waren ihre Schulnoten um durchschnittlich 0,7 Punkte schlechter (Alderman, Hoddinott und Kinsey 2003).
Der verzögerte Beginn der schulischen Ausbildung und schlechtere Leistungen können schließlich ein um bis zu zwölf Prozent geringeres Einkommen zur Folge haben. Wer in früher Kindheit an Unterernährung litt, wird zudem als Erwachsener eher übergewichtig und chronisch krank. Bei unterernährten Kindern, die im späteren Verlauf ihrer Kindheit und im Erwachsenenalter schnell zugenommen haben, treten häufiger ernährungsbedingte Krankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auf als bei Erwachsenen, die in jungen Jahren gesund ernährt worden sind. Insgesamt geht man davon aus, dass elf Prozent aller Erkrankungen auf der Welt durch Unterernährung bedingt sind (Black et al. 2008).
Die wirtschaftlichen Vorteile der Bekämpfung von Unternährung
Die direkt und indirekt notwendigen Maßnahmen für einen erfolgreichen Kampf gegen die Unterernährung sind bereits weitgehend bekannt. Die finanzielle Unterstützung der Bekämpfung von Unterernährung ist zudem wirtschaftlich gewinnbringend. In Guatemala verdienten Männer, die als Kleinkinder im Alter von zwei bis drei Jahren an einem Programm zur Verbesserung der frühkindlichen Ernährung teilgenommen hatten, 46 Prozent mehr als solche, die nicht an dem Programm teilnahmen (Hoddinott et al. 2008). Im Rahmen des Kopenhagener Konsenses 2008 setzte sich ein Expertenausschuss aus acht führenden Wirtschaftsexperten kritisch mit den größten Problemen dieser Welt auseinander und stufte sie nach ihrer Bedeutung ein. Man gelangte zu der Schlussfolgerung, dass der größte Entwicklungsnutzen durch ein Ernährungsprogramm hervorgerufen werden würde (Bereitstellung ergänzender Mikronährstoffe für Kinder: alle vier bis sechs Monate Zugabe von Vitamin A für Kinder im Alter zwischen fünf und sechs Jahren sowie Zink zu therapeutischen Zwecken bei Durchfall). Berechnungen zufolge würden Investitionen in ergänzende Mikronährstoffe für Kinder einen Ertrag von 14 US-Dollar (Zink) beziehungsweise 17 US-Dollar (Vitamin A) pro ausgegebenem US- Dollar einbringen (Horton S., Begin France, Greig A., Lakshman A. 2008).
Frühkindliche Unterernährung verhindern
Nach Vollendung des zweiten Lebensjahres sind die Folgen von Unterernährung größtenteils irreversibel. Wird während des Handlungsfensters, also im Zeitraum zwischen der Empfängnis und der Vollendung des zweiten Lebensjahres, die Ernährung nicht qualitativ und quantitativ optimal sichergestellt, kann dies zu bleibenden Schäden führen (Victora et al. 2008). Daher ist es ganz entscheidend, dass die Programme zur Vermeidung von Unterernährung bei Müttern und Kleinkindern während der ersten 1.000 Tage greifen. Auch bei Kindern, die im Alter von über zwei Jahren schweren Konflikten oder Krisen, Schocks oder einer Notsituation ausgesetzt sind, erweisen sich gezielte Maßnahmen zur Genesung und Behandlung von akuter Mangelernährung und Hunger als bedeutend. Dies gilt ebenso für diejenigen Kinder, die während ihrer ersten zwei Lebensjahre nicht an einem Ernährungsprogramm zur Vorsorge teilnehmen konnten. Untersuchungen zufolge ist es jedoch sinnvoller und effizienter, Unterernährung bei Kindern vorzubeugen, als sie zu behandeln (Ruel et al. 2008). Aus diesem Grund sollte die finanzielle Unterstützung zur Verbesserung der Ernährungssituation vor allem auf die ersten 1.000 Tage abzielen.
Zur Verbesserung der Ernährungssituation gibt es für jedes Kind ein klar abgrenzbares Handlungsfenster, das sich nach zwei Jahren mit großer Geschwindigkeit zu schließen beginnt. Nach Ablauf dieses Zeitraums ist es kaum noch möglich, entstandene Gesundheitsschäden rückgängig zu machen.
Zur Verbesserung des Gesundheitszustandes und des Wohlbefindens von Millionen von Menschen in Entwicklungsländern muss dieses frühe Handlungsfenster in der menschlichen Entwicklung genutzt werden – mit anderen Worten: Das Augenmerk muss auf Maßnahmen zur Bekämpfung der Unterernährung von heranwachsenden Mädchen, Frauen im gebärfähigen Alter und Kindern unter zwei Jahren gelegt werden. Weltweite Vorsorgeprogramme zur Verbesserung der Gesundheit und der Ernährung für Kinder unter zwei Jahren und deren Mütter könnten den Anteil der unterernährten Kinder um 25–36 Prozent senken und somit den Gesundheitszustand und die Überlebenschancen von Millionen von Kindern verbessern (Bhutta et al. 2008).
Dafür sollten die Regierungen zunächst in wirksame Ernährungsprogramme investieren, die die Unterernährung bereits in der frühen Kindheit bekämpfen. Diese Initiativen müssten auf eine bessere Ernährung der Mütter während Schwangerschaft und Stillzeit ausgerichtet sein, auf die Förderung gesunder Stillpraktiken und die Versorgung der Kinder mit altersgemäßer Beikost sowie auf eine generelle Verwendung von Jodsalz und, wenn nötig, auf eine Versorgung mit künstlichen Mikronährstoffen (zum Beispiel nahrungsergänzendes Vitamin A und Zink für therapeutische Zwecke). Gleichermaßen wichtig sind Impfkampagnen für Kinder sowie die Förderung von optimalen hygienischen und sanitären Praktiken. Darüber hinaus muss den Eltern Wissen über die richtige Ernährung und Pflege von Kindern insgesamt, vor allem aber auch im Zusammenhang mit HIV/Aids vermittelt werden. Diese Maßnahmen setzen gezielt an den direkten Ursachen von Unterernährung an (siehe Abbildung auf Seite 27).
Die Mangelernährung von Kindern steht mit den indirekten Ursachen in Verbindung, die sich aus dem Lebensumfeld, in dem die Kinder aufwachsen, ableiten (siehe Abbildung auf Seite 27). Daher sind für die nachhaltige und tief greifende Verbesserung der Ernährung von Kindern dringend politische Maßnahmen zur Lösung von Missständen nötig. Zu diesen gehören Armut, unsichere Nahrungsmittelversorgung, fehlende Bildung, der niedrige Status von Frauen und fehlender Zugang zu Wasser, Abwasserentsorgung und sanitären Einrichtungen sowie mangelhafte medizinische Versorgung. Die Relevanz dieser Faktoren wird deutlich bei der Betrachtung der Fortschritte im Kampf gegen Unterernährung in Brasilien, China, Thailand und Vietnam. Vielversprechend ist unter anderem die Einbindung von Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährung in sektorübergreifende Programme zur Bekämpfung von Armut, für größere Ernährungssicherheit und mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern. Derartige Programme, wie die „Conditional Cash Transfers“ (die Überweisung von Bargeld an Familien unter der Bedingung, dass ihre Kinder die Schule besuchen und die Gesundheitsversorgung nutzen), haben sich zur Verbesserung der frühkindlichen Ernährung innerhalb des entscheidenden Handlungsfensters als sehr geeignet erwiesen (Leroy, Ruel und Verhofstadt 2009). Einen wesentlichen Beitrag zu einer qualitativ besseren und vielfältigeren Nahrungsmittelversorgung aller Familienmitglieder leisten auch Programme, die den Eigenanbau und den Verzehr von nährstoffreichem Obst und Gemüse sowie von Nahrungsmitteln tierischen Ursprungs fördern (World Bank 2007).
Francisca Champi Condena,
Provinz Pisco, Peru
Wenn ich viel Arbeit auf den Feldern habe, koche ich selten. Manchmal haben wir nicht genug Geld, um Milch, Käse und Eier zu kaufen. Die Ernte bringt unseren Familien genug zu essen, aber das Essen ist nicht mehr ausgewogen. Gemüse haben wir zum Beispiel nur in der Regenzeit. Man hat uns beigebracht, dass Kinder, die mit Käse gefüttert werden, Probleme haben, sprechen zu lernen. Ich höre aber nicht darauf. In den Schulungen haben sie uns gesagt, dass wir unseren Kindern regelmäßig Käse geben können. Das habe ich auch gemacht, und meine Kinder können sprechen.
Tatiana Medina Sánchez,
Provinz Cajamarca, Peru
Die Ernährung der Kinder verbessert sich langsam aufgrund der Aktivitäten der Nichtregierungsorganisationen und Gemeinden. Einige Familien ändern ihre Ernährungsweise jedoch nicht, da sie mehr Zeit mit der Landwirtschaft, der Vermarktung und anderen Arbeiten verbringen. Andere sind immer noch nicht daran gewöhnt, bestimmte Nahrungsmittel zu essen.
„Die Einwohner einiger Gemeinden sehen die Unterernährung von Kindern nicht als schwerwiegendes Problem. Die Vorschläge der Bürger für die Verwendung der Gemeindegelder zielen eher auf andere Bereiche als auf die Bekämpfung der Unterernährung.
Bemerkenswerte Erfolge
In vielen Ländern ist die Verbesserung der Ernährung in früher Kindheit noch nicht als wichtiges politisches Ziel anerkannt worden. Jedoch konnte in einigen wenigen die Unterernährung bei Kindern bereits erheblich eingedämmt werden. Obwohl jedes Land eigene, der dortigen Situation angepasste Maßnahmen und Programme entwickeln muss, können aus den Erfahrungen der in dieser Hinsicht erfolgreichen Länder politische Handlungsoptionen abgeleitet und nützliches Wissen gewonnen werden.
In Thailand beispielsweise konnte die Fehlernährung bei Kindern während der 1980er Jahre in weniger als zehn Jahren von 50 auf 25 Prozent, also um die Hälfte, gesenkt werden. Dieser bemerkenswerte Erfolg ist dem gezielten Einsatz von Ernährungsprogrammen zur Bekämpfung schwerer Fehlernährung zu verdanken. Auch die Einrichtung eines weitreichenden Netzes von Freiwilligen, durch deren Hilfe eine Veränderung der Gewohnheiten und somit die Verhinderung von leichter bis mittlerer Fehlernährung erreicht wurde, trug dazu bei. Die freiwilligen Helfer, von denen etwa einer auf 20 Haushalte in Thailand kam, erhielten umfassende Schulungen zur Kontrolle der Entwicklung von Kindern und zur Anleitung von deren Betreuern im Hinblick auf Stillen und Beikostgabe. Des Weiteren wurden Informationen zur Schwangerschaftsvorsorge und zu anderen Grundversorgungsdiensten verbreitet. Die thailändische Regierung beschloss, die Förderung von Ernährungsprogrammen nicht als soziale Unterstützung, sondern als Investition in die Entwicklung zu betrachten, und machte sie daher zu einem Teil ihres nationalen Wirtschafts- und Entwicklungsplans (Tontisirin und Winichagoon 1999). Zudem wurden in dieser Zeit Projekte im Bereich Gesundheit, Abwasserentsorgung und sanitäre Einrichtungen sowie Bildung finanziell stark gefördert.
Zwischen 1990 und 2002 gelang es auch China, die Fehlernährung bei Kindern um mehr als die Hälfte von 25 auf 8 Prozent zu senken. Ausschlaggebend waren hierbei eine extrem erfolgreiche Anti- Armutsstrategie, groß angelegte Programme zur Verbesserung von Gesundheit und Ernährung sowie größere Investitionen im Bereich Wasserversorgung, Abwasserentsorgung und sanitärer Einrichtungen (Ruel 2008). Dank dieser Investitionen scheinen zahlreiche Ursachen für Unterernährung bei Kindern erfolgreich bekämpft worden zu sein, wie die mangelhafte Ernährungssituation und die unzureichende Gesundheitsversorgung der Mütter, das niedrige Geburtsgewicht der Kinder sowie die hohe Analphabetenquote. Des Weiteren konnte die Geburtenrate gesenkt und die Armut verringert werden (Svedberg 2007).
ähnlich erfolgreich war Brasilien, wo der Anteil der stunted Kinder von 37 Prozent in den Jahren 1974–75 auf 7 Prozent in den Jahren 2006–07 fiel. Zwischen 1970 und 1980 nahm das Wirtschaftswachstum des Landes stark zu und die Armut sank, doch führte dies nicht unmittelbar zu einem Rückgang der Fehlernährung unter Kindern. In den späten 1970er- und 1980er-Jahren jedoch erhöhte Brasilien seine Sozialausgaben deutlich, vor allem die Ausgaben für Lebensmittel- und Ernährungsprogramme, Gesundheit und Bildung. Die Versorgung mit sauberem Wasser konnte entscheidend verbessert werden und ein größerer Anteil von Kindern wurde mit Impfungen versorgt (Ruel 2008). Zwischen 1996 und 2007 waren vor allem eine bessere Ausbildung der Mütter, ein höheres Einkommen pro Familie, eine verbesserte Gesundheitsversorgung von Mutter und Kind sowie eine flächendeckendere Wasserversorgung und Abwasserentsorgung für Fortschritte bei der Ernährungssituation von Kindern verantwortlich. Das brasilianische „Conditional Cash Transfer“-Programm (Bolsa Familia) stellt nur ein Beispiel für erfolgreiche Hilfsprogramme zur Armutsbekämpfung dar, die Ernährung, Gesundheit und Bildung und die entsprechenden Maßnahmen miteinander verbinden (Leroy, Ruel und Verhofstadt 2009). Dieses Programm und andere politische Maßnahmen der brasilianischen Regierung haben sich zudem entscheidend auf den Abbau sozialer Ungleichheiten ausgewirkt, so dass sich die Ernährungslage von Kindern aus wirtschaftlich schwachen Familien schnell an die Situation besser gestellter Kinder angeglichen hat (Monteiro et al. 2009; Monteiro et al. 2010).
Auch auf lokaler Ebene konnten durch solche Programme sowohl die direkten als auch die indirekten Ursachen für Unterernährung bei Kindern bekämpft werden, so zum Beispiel in Bangladesch durch geschlechterspezifische Programme zur Förderung des Eigenanbaus von Nahrungsmitteln (Iannotti, Cunningham und Ruel 2009). Bei vielen dieser Programme geht es nicht nur darum, direkte Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährung zu ergreifen, sondern die Armut zu bekämpfen, für größere Ernährungssicherheit zu sorgen und mehr Gleichberechtigung durch die Bereitstellung von Ressourcen und Schulungen für Frauen zu schaffen.
Den Hunger bekämpfen
Haja Adam Mohamed,
Nord-Dafur, Sudan
Wir würden unsere Kinder gerne besser ernähren, aber durch unser geringes Einkommen und die hohen Getreidepreise können wir das einfach nicht. Manchmal stehen noch nicht einmal den stillenden und schwangeren Frauen genügend Kilokalorien zur Verfügung, um genug Muttermilch für ihre Babys zu produzieren.
Wenn ein Kind fehlernährt ist, bringt die Mutter es zur Großmutter, die es dann mit bestimmten Pflanzen oder der Milch einer schwarzen Ziege füttert, oder sie bittet traditionelle Heiler um Hilfe.
Phorn Moern,
Provinz Ratanakkiri, Kambodscha
Ich esse fast nur Chilibrei mit Salz und Bambussprossen. Wenn wir Geld haben, kaufen wir manchmal auf dem Markt Obst, Hühner- und Enteneier oder Fleisch. Dafür müssen wir eine Stunde zu Fuß gehen, weil in der Nähe unseres Dorfes die Nahrungsmittel aus dem Wald immer knapper werden.
Ich frage mich auch, was mit meinen Kindern los ist. Ich gebe ihnen viel zu essen, wann immer das möglich ist, aber sie sehen dennoch dünn aus, und ich weiß nicht, warum und was ich tun soll. Meine Nachbarn haben gesagt, dass es an meiner Muttermilch liegen könnte, die vielleicht sauer ist.
Rodine Norosea,
Ernährungstechnikerin, Provinz Fianarantsoa, Madagaskar
Die Ernährung vor Ort besteht gewöhnlich aus zu vielen Kohlenhydraten, da enorm viel Reis gegessen wird. Oft ist es für die Menschen nicht möglich, unsere Empfehlungen und Rezepte umzusetzen, da die benötigten Lebensmittel nicht erhältlich sind oder die Menschen nicht genug Geld haben, um sie zu kaufen.
Alleinstehende Mütter mit vielen Kindern und nicht genügend Nahrungsmitteln geben ihren älteren Kindern meist den größeren Anteil bei der Essensverteilung. Für die Jüngsten ist dann oft nur noch wenig übrig.
Das Bewusstsein für die Bedeutung von Ernährung wächst, so dass diese Thematik inzwischen auch auf der Agenda der internationalen Entwicklungspolitik angelangt ist. Auch infolge der Bemühungen im Rahmen der Millenniumsentwicklungsziele (MDGs), den Anteil der hungernden Menschen zu halbieren, wurde das Thema Ernährung in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Im Kopenhagener Konsens von 2008 werden Investitionen in Ernährungsprogramme als die bezüglich des Kosten-Nutzen-Verhältnisses wirksamste Entwicklungsinvestition betrachtet. Bei einer Reihe von neuen Maßnahmen liegt der Fokus insbesondere darauf, das Problem der Ernährung von verschiedenen Seiten anzugehen. Eine Gruppe von Akteuren aus dem Ernährungsbereich, die jeweils verschiedene Interessengruppen vertreten, hat eine Reihe von Empfehlungen für ein Programm auf nationaler und internationaler Ebene mit dem Titel „Scaling Up Nutrition: A Framework for Action“ herausgegeben (Bezanson und Isenman 2010). In diesem Dokument wird ein Maßnahmenpaket zur Ernährungsverbesserung befürwortet, das auf das besagte Handlungsfenster ausgerichtet ist. Zusätzlich enthält es eine Schätzung der anfallenden Kosten bei Ausdehnung der derzeitigen Aktivitäten auf den Umfang, der zur schnellen Bekämpfung der Unterernährung nötig wäre.
Des Weiteren kamen die Industriestaaten der G8 bei den Gesprächen zur weltweiten Lebensmittel-, öl- und Finanzkrise überein, im Rahmen ihrer Erklärung von L’Aquila zur Lage der Welternährung die Thematik Ernährungssicherheit und Ernährung in armen Ländern erneut in den Mittelpunkt des Interesses zu rücken. Ausgehend von dieser Erklärung haben verschiedene Geldgeber dem Programm für Landwirtschaft und Ernährungssicherung (Global Agriculture and Food Security Program – GAFSP) finanzielle Mittel zukommen lassen. So sollen die Entwicklungsländer in ihrem Vorhaben unterstützt werden, die Probleme in der Landwirtschaft und bei der Ernährungssicherung anzugehen. Diese beiden indirekten Ursachen spielen eine wichtige Rolle bei der Verbesserung derjenigen Mittel, die den Haushalten für die Bekämpfung der Unterernährung von Kindern zur Verfügung stehen. Der Ausschuss für Welternährungssicherung (Committee on World Food Security – CFS) wurde im Jahr 2009 umstrukturiert. Im entsprechenden Dokument wird sein Engagement für eine stärkere Beteiligung seitens der verschiedenen Interessengruppen für Ernährungssicherheit dargelegt sowie die einstimmige Erklärung abgegeben, dass Ernährung ein integraler Bestandteil des Ernährungssicherungskonzepts und der Arbeit des CFS ist.
Schließlich hat die US-Behörde für internationale Entwicklung (United States Agency for International Development – USAID) erst kürzlich die Initiative Feed the Future ins Leben gerufen. Im Rahmen dieser Bemühungen werden die Maßnahmen in den Bereichen Landwirtschaft, Gesundheit und Ernährung miteinander verknüpft. Mit einer Summe von mindestens 3,5 Milliarden US-Dollar sollen Investitionsvorhaben von Ländern wie äthiopien, Guatemala, Nepal und Ruanda zur Verbesserung der Landwirtschaft, Bekämpfung der Armut und Verbesserung der Ernährungssituation unterstützt werden. Das britische Ministerium für Entwicklungshilfe (United Kingdom Department for International Development – DFID) hat erst kürzlich eine neue Ernährungsstrategie auf den Weg gebracht mit dem Ziel, das „vernachlässigte Problem der Unterernährung“ anzugehen. Dabei soll Kindern in der kritischen Phase der ersten 1.000 Tage zwischen Empfängnis und der Vollendung des zweiten Lebensjahres durch eine Reihe von kurz- und langfristigen Maßnahmen geholfen werden (DFID 2010).
Der „Hunger Task Force Report“, in dem die wesentlichen Ziele der irischen Regierung im Hinblick auf die Verringerung und vollständige Beseitigung des Hungers festgehalten werden, enthält zudem als einen seiner drei zentralen Punkte die Umsetzung von Programmen zur Bekämpfung der Unterernährung bei Frauen und Kleinkindern. Die anderen zwei Punkte betreffen die Erhöhung der Produktivität von Kleinbauern, insbesondere Bäuerinnen, in Afrika und die Bemühungen um ein echtes politisches Engagement auf allen Ebenen zur notwendigen Festlegung des Kampfes gegen den Hunger als oberste Priorität (Government of Ireland 2008).
In ihrer Gesamtheit stellen diese weltweiten Bemühungen einen wichtigen ersten Schritt dar. Um jedoch internationale Anstrengungen für die betroffenen Bevölkerungsteile umsetzen zu können und das eigentliche Ziel – die gesunde Ernährung von Kindern – zu erreichen, braucht es zudem entscheidende und weitreichende politische Maßnahmen auf nationaler und regionaler Ebene.
Trotz des wissenschaftlichen Konsenses hinsichtlich der Bedeutung frühkindlicher Ernährung werden diese Erkenntnisse in vielen Ländern nur sehr langsam in effektive politische Maßnahmen und Initiativen umgesetzt. Oft lassen politische Entscheidungsträger in Entwicklungsländern die Ernährungssituation von Kleinkindern weitestgehend außer Acht, obwohl diese die Zukunft ihres Landes darstellen. Die Länder, die sich bereits verstärkt um eine Festschreibung von gesunder Ernährung als oberstes Ziel bemüht haben, können dort, wo dies noch nicht der Fall ist, mit ihrem Erfolg als Beispiel dienen. Alle Erfolgsgeschichten, auch wenn jeweils sehr verschiedene Bedingungen und Mittel zur Bekämpfung von Unterernährung vorlagen, beruhen auf einigen wenigen Grundsätzen: auf entschiedenen Maßnahmen seitens der Regierung in allen Bereichen sowie auf kommunaler, regionaler und staatlicher Ebene. Das umfasst die Stärkung des bestehenden Gesundheitssystems sowie eine deutliche Aufstockung der Staatsausgaben und den Ausbau von Führungskompetenzen und Engagement auf allen Ebenen. Auf diese Weise können die besonders betroffenen Bevölkerungsteile, Haushalte und Altersgruppen gestärkt werden. Außerdem sind stetige Kontrolle und Evaluierung als Grundlage für Fördergelder und Anpassungen der politischen Maßnahmen während deren Umsetzung unverzichtbar (von Braun, Ruel und Gulati 2008).
Wird Unterernährung nur unzureichend bekämpft, lassen politische Entscheidungsträger die Chance auf eine bedeutende Verbesserung der Lebenssituation von Millionen ihrer Bürger und für eine Umsetzung allgemeiner politischer Ziele wie weniger Hunger, weniger Armut und stärkeres Wirtschaftswachstum ungenutzt verstreichen.