Resilienz Verstehen, Ernährungssicherheit Schaffen
Das Resilienz-Konzept kann die Unterstützung für Interventionen stärken, die Nothilfe und Entwicklung enger verknüpfen – wie etwa soziale Sicherungsprogramme.
Box 3.1
Der Welthunger-Index (WHI) und die Bedrohung durch extreme Wetterereignisse
Ob aus einem Risiko eine Katastrophe wird oder Absorption, Anpassung und Transformation möglich sind, hängt nicht allein von der Intensität und der Häufigkeit eines Schocks oder einer Krisensituation ab. Vielmehr bestimmen soziale, wirtschaftliche und ökologische Faktoren innerhalb eines Haushaltes, einer Gemeinde, einer Region oder eines Landes maßgeblich die Auswirkungen (Bündnis Entwicklung Hilft 2012). Bereits vorhandene Ernährungsunsicherheit ist ein Faktor, der die Vulnerabilität gegenüber Schocks und Belastungen erhöht.
Die unten stehende Grafik bildet für eine Auswahl von Entwicklungsländern jeweils das Niveau der Vulnerabilität (dargestellt durch den WHI) und die Exposition gegenüber Naturgefahren als einer Form von Schocks ab (indiziert durch den Anteil der Bevölkerung, der 1990–2009 durchschnittlich von extremen Wetterereignissen, meist Dürren und Überschwemmungen, betroffen war).
Die Länder teilen sich auf die vier Quadranten der Grafik auf. Der erste Quadrant zeigt Länder, die weniger verwundbar (mit einem WHI-Wert unter zehn) und durch Wetterereignisse weniger gefährdet sind (das heißt, der Anteil der von Katastrophen betroffenen Bevölkerung liegt unter zwei Prozent). Der zweite Quadrant zeigt Länder, die weniger verwundbar, aber in hohem Maße Naturgefahren ausgesetzt sind, wie zum Beispiel China. Länder im dritten Quadranten weisen hohe WHI-Werte auf, sind jedoch relativ wenig gefährdet durch extreme Wetterereignisse (zu beachten ist, dass Haiti anderen Arten von Katastrophen und Krisen, wie etwa Erdbeben oder Cholera-Epidemien, ausgesetzt war). Die Länder in diesem Quadranten sind Naturgefahren zwar weniger häufig ausgesetzt; wenn eine Katastrophe zuschlägt, sind sie jedoch ebenso verwundbar wie die Länder im vierten Quadranten. Diese müssen mit einer sehr hohen Gefährdung durch extreme Wetterereignisse, wie Überschwemmungen und Dürren, zurechtkommen.
Darunter sind Länder am Horn von Afrika (äthiopien, Eritrea, Kenia), im Sahel (Niger, Sudan, Tschad), in Südafrika (Malawi, Sambia) und in Südasien (Bangladesch, Indien). Es ist wenig überraschend, dass diese Regionen den Großteil der humanitären Hilfe erhalten und die internationale Gemeinschaft ihre Bemühungen zur Stärkung von Resilienz überwiegend hier konzentriert.
Vor einigen Jahrzehnten waren kurzfristige Krisen für die meisten Entwicklungsexperten noch von peripherem Interesse. Im Fall von Naturkatastrophen wie Überschwemmungen und Dürren, oder bei von Menschen erzeugten Krisen wie politischen Unruhen, war es die Aufgabe humanitärer Hilfsorganisationen, das Überleben der Menschen sicherzustellen. Humanitäre Organisationen wiederum konzentrierten sich vor allem auf Hilfseinsätze und weniger auf langfristige entwicklungsorientierte Maßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, die Gefährdung durch oder die Vulnerabilität gegenüber Krisen zu verringern.
Seither hat sich unser Blick auf kurzfristige Krisensituationen maßgeblich verändert. Auch vorübergehende Schocks und Belastungen können langfristige Folgen haben. Eine schlechte Ernte, die die Ernährung eines Kindes verschlechtert, und sei es nur kurzzeitig, kann erhebliche Auswirkungen auf seine langfristige geistige und körperliche Entwicklung und damit auf seine zukünftigen Erwerbsmöglichkeiten haben. Eine schwere Dürre, die eine Familie dazu zwingt, ihre wichtigsten Güter, wie etwa ihr Land oder ihr Vieh, zu verkaufen, kann diese Familie in dauerhafte Armut stürzen. Es ist inzwischen weitgehend anerkannt, dass es für arme Menschen deshalb so schwierig ist, der Armut zu entkommen, weil ihnen schlicht die Voraussetzungen fehlen, um mit plötzlich hereinbrechenden Krisen und Belastungen umzugehen. Und dennoch zielen Hilfsaktionen, so wichtig sie auch sind, üblicherweise nicht darauf ab, die zugrunde liegende strukturelle Vulnerabilität einer Bevölkerungsgruppe zu verändern. Angesichts dieser Tatsachen sind humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit zur selben Erkenntnis gelangt: Die Widerstandsfähigkeit insbesonderen davon armer und verwundbarer Bevölkerungsgruppen muss gestärkt werden, und dafür müssen diese beiden Bereiche enger zusammenarbeiten.
Für die Stärkung der Widerstandsfähigkeit gegen Krisen ist die Verbesserung der Ernährungssicherheit ein wesentlicher Faktor. Arme Menschen waren angesichts regelmäßig wiederkehrender saisonaler Hungerperioden, Dürren, Überschwemmungen und anderer natürlicher oder von Menschen gemachter Krisen schon immer besonders gefährdet (Box 3.1). In den letzten Jahren hat sich die Situation vieler Menschen aufgrund der Nahrungsmittelpreiskrise, der globalen Finanzkrise und der großen, durch Dürre bedingten humanitären Hungerkrisen in der Sahelzone und am Horn von Afrika noch verschärft. Gleichzeitig waren diese humanitären Katastrophen mitursächlich dafür, dass neue, groß angelegte Programme ins Leben gerufen wurden, die ausdrücklich der Stärkung der Resilienz dienen. Dazu gehören die Global Alliance for Action for Drought Resilience and Growth in the Horn of Africa (Globale Aktionsallianz für Resilienz gegen Dürre und für Wachstum am Horn von Afrika), unterstützt durch die Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung (United States Agency for International Development – USAID), und die Globale Allianz für Resilienz im Sahel (AGIR-Sahel), finanziert durch die Europäische Union (EU). Und auch diese Programme bilden nur einen Ausschnitt dessen ab, was weltweit passiert: Dutzende anderer internationaler Entwicklungsprojekte wurden erarbeitet, um die Widerstandsfähigkeit der Menschen gegenüber Krisen zu stärken und ihre Ernährungssicherheit zu verbessern.
Noch ist man von einer einheitlichen Vorstellung, wie Widerstandsfähigkeit zu erreichen ist, weit entfernt. Es gibt noch nicht einmal eine allgemein anerkannte Definition von Resilienz. Dennoch bewegen sich Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit eindeutig in Richtung eines lose definierten konzeptionellen Rahmens, der es den üblicherweise voneinander getrennten Bereichen ermöglicht, effektivere und besser integrierte Maßnahmen zu entwickeln und umzusetzen. Nichtsdestotrotz bringt dieses im Entstehen begriffene Resilienz-Konzept Herausforderungen mit sich, die sowohl konzeptueller und empirischer als auch praktischer Art sind.
Das Konzept der Resilienz
Das Wort Resilienz kommt vom lateinischen resilio, das „zurückspringen“ bedeutet (Klein, Nicholls und Thomalla 2003). In der Literatur wird Resilienz meist als eine Rückkehr zum Ausgangszustand definiert. In der ökologie wurde Resilienz lange Zeit als die Fähigkeit eines Systems verstanden, Veränderungen zu absorbieren und weiterzubestehen (Holling 1973). Andere Resilienz-Studien konzentrierten sich auf die Kluft zwischen dem Ausgangszustand und ungünstigen Abweichungen. In den 1940ern und 1950ern zum Beispiel untersuchten Psychologen die negativen Auswirkungen von Ausgrenzung, Armut und traumatischen Belastungen auf verwundbare Individuen, vor allem Kinder (Glantz und Johnson 1999). Das Konzept wurde später für andere Disziplinen übernommen, unter anderem für die Physik und das Katastrophenrisiko-Management, und zwar mit einem ähnlichen Fokus auf die Wiederherstellung nach Erschütterungen oder Schocks, oder sogar in Bezug auf nachteilige Entwicklungen wie schnelles Bevölkerungswachstum.
Im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit wurde das Konzept der Resilienz weiterentwickelt und angepasst. Auf hochkomplexe Systeme bezogen geht es nicht mehr allein darum, Veränderungen zu überstehen und zum Ausgangszustand zurückzukehren (Folke 2006). Vielmehr kann Resilienz auch bedeuten, dass Anpassungen vorgenommen werden, um auf neue Belastungen zu reagieren; im Extremfall kann es sogar bedeuten, dass das System selbst wesentliche Veränderungen erfährt, sei es ein Haushalt, eine Gemeinde oder ein Land. In diesem Sinne werden unter Resilienz drei Fähigkeiten verstanden, auf Veränderungen oder Belastungen von unterschiedlichem Ausmaß zu reagieren (Berkes, Colding und Folke 2003; Walker et al. 2004):
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Absorptionskapazität umfasst die Bewältigungsstrategien von Individuen, Haushalten oder Gemeinden, um die Auswirkungen von Krisen auf ihren Lebensunterhalt und die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse abzumildern oder abzufangen.
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Anpassungskapazität die Fähigkeit, aus Erfahrung zu lernen und angemessene Reaktionen auf sich verändernde externe Bedingungen zu finden, ohne dabei die Handlungsfähigkeit zu verlieren.
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Transformationskapazität die Fähigkeit, ein grundlegend neues System zu schaffen, wenn ökologische, wirtschaftliche oder soziale Bedingungen das bestehende System untragbar machen.
Gemäß dieser erweiterten Definition ist Resilienz nicht das Ergebnis einer dieser Fähigkeiten, sondern umfasst alle drei. Jede Fähigkeit führt zu einem anderen Ergebnis: (1) Die Absorptionskapazität führt zu Durchhaltevermögen (oder Kontinuität), (2) die Anpassungskapazität ermöglicht schrittweise Anpassungen oder Veränderungen und (3) die Transformationskapazität hat eine Systemveränderung zum Ergebnis (Abbildung 3.1).
Grob gesagt, können diese drei verschiedenen Formen, auf plötzlich hereinbrechende Krisen zu reagieren, hierarchisch geordnet werden. Je niedriger die Intensität des Schocks, desto wahrscheinlicher ist es, dass der Haushalt, die Gemeinschaft oder das System in der Lage sein wird, dem standzuhalten und die Auswirkungen zu absorbieren, ohne Funktion, Status oder Zustand zu ändern.
Beispielsweise würde eine Familie mit einem kurzzeitigen Anstieg der Nahrungsmittelpreise leichter zurechtkommen, ohne drastische Veränderungen vornehmen zu müssen, als mit einem Tsunami, der ihr Dorf dem Erdboden gleichmacht.
Wenn der Schock oder die Belastung diese Absorptionskapazität übersteigt, werden Individuen oder Gemeinschaften ihre adaptive Widerstandsfähigkeit unter Beweis stellen müssen. Das heißt, um funktionsfähig zu bleiben, werden schrittweise Veränderungen vorgenommen, die jedoch keine großen qualitativen Veränderungen in Funktion oder Struktur bewirken. Diese Anpassungen können unterschiedlichste Formen annehmen. Beispiele sind die Übernahme neuer landwirtschaftlicher Bewirtschaftungsmethoden, die Diversifizierung der Einkommensquellen, das Aufnehmen von Darlehen oder der Anschluss an neue soziale Netzwerke. Diese Anpassungen können individuell oder kollektiv sein, und sie können auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden, zum Beispiel in oder zwischen Haushalten, Individuen oder Gemeinschaften.
Wenn jedoch diese schrittweisen Anpassungsmaßnahmen nicht ausreichen, um einen Haushalt, eine Gemeinschaft oder ein System vor einer massiven Notlage zu bewahren, müssen tiefer greifende Veränderungen stattfinden. Dann wird das betreffende System oder die Struktur dauerhaft verändert. So können die Dürren am Horn von Afrika beispielsweise Menschen dazu bewegen, vom Wanderhirtentum zur sesshaften Landwirtschaft überzugehen oder in städtische Berufe zu wechseln, weil sie ihre Herden nicht mehr wiederaufbauen können (Lybbert et al. 2004; Abbildung 3.2). Die solchermaßen bewirkten Veränderungen müssen auf lange Sicht nicht immer positiv sein, auch wenn sie Menschen kurzfristig davor schützen, in Armut und Hunger abzurutschen. Im genannten Beispiel könnte es den Wanderhirten, die sich sesshaft machen, im Endeffekt schlechter ergehen als weiterhin aktiven Wanderhirten, da die Landwirtschaft in trockenen Gebieten äußerst risikobehaftet ist.
Die Stärken des Resilienz-Konzeptes
Box 3.2
Resilienz in Theorie und Praxis am Beispiel dreier Gemeinden
Barrett und Constas (2012) definieren Resilienz als eine Situation, in der eine Person, ein Haushalt oder eine Gemeinde über einen gewissen Zeitraum hinweg trotz Belastungen und Krisen nicht arm und ernährungsunsicher ist. Nur wenn dies mit hoher Wahrscheinlichkeit so ist und bleibt, kann diese Person, dieser Haushalt oder diese Gemeinde als resilient betrachtet werden. Was bedeutet das in der Praxis? Dies soll am Beispiel dreier hypothetischer Gemeinden illustriert werden. Nehmen wir an, die drei Gemeinden leben von der nomadischen Viehwirtschaft im südlichen Afrika und wir werfen zu drei Zeitpunkten einen Blick auf ihre Situation: vor einer Dürre, auf dem Höhepunkt einer Dürre und nach einer Dürre.
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Gemeinde A ist relativ widerstandsfähig. Drei Faktoren sind dafür verantwortlich. Erstens besitzt die Gemeinde eine große Viehherde. Selbst wenn eine Dürre einen großen Teil der Herde dahinrafft, hat die Gemeinschaft immer noch genug Vieh, um die Herde nach der Dürre wieder aufzubauen und das Wanderhirtentum als tragbare Existenzgrundlage zu erhalten. Anders ausgedrückt, verfügt die Gemeinschaft über Absorptionskapazität. Zweitens hat Gemeinschaft A die Möglichkeit, ihre Tiere auf einem großen und geografisch vielfältigen Gebiet weiden und trinken zu lassen. Die Mobilität der Herde erlaubt es der Gemeinde, ihre Tiere von den Gebieten, die am meisten von der Dürre betroffen sind, in die am wenigsten betroffenen zu bringen und ihre Migrationsstrategie, wenn nötig, zu ändern. Sie verfügt demnach über Anpassungskapazität. Und schließlich sind einige Mitglieder der Gemeinschaft infolge früherer Dürren in die Hauptstadt abgewandert, um dort zu arbeiten. Dürren haben hier nur geringe oder keine Auswirkungen auf den Arbeitslohn und die Überweisungen in die Heimatregion. Tatsächlich nutzt die Gemeinschaft diese Geldsendungen als eine Art Versicherung und zum Aufbau von Rücklagen. Dadurch hat sie auch eine Transformati- Box 3.2 R esilienz in Theorie und Praxis am Beispiel dreier Gemeinden Künftige Fähigkeit zur Bewältigung von Krisen Aktuelles Wohlstandsniveau Niedriger Höher Höher Niedriger Gemeinde C (Zunehmend arm und gefährdet) Gemeinde B (Zunehmend verwundbar) Gemeinde A (Widerstandsfähig) Höhepunkt der Dürre Vor der Dürre Nach der Dürre Höhepunkt der Dürre Nach der Dürre onskapazität entwickelt. Nach Ende der Dürre hat Gemeinde A eine größere Fähigkeit zur Bewältigung zukünftiger Krisen entwickelt.
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Gemeinde B bewegt sich auf eine erhöhte Vulnerabilität zu, obwohl einige Indikatoren in eine andere Richtung deuten. Sie hat die Fähigkeit verloren, die Folgen einer Dürre durch traditionelle Strategien (Übersiedlung und Wiederaufbau der Herde) aufzufangen. Daher beschließt sie auf dem Höhepunkt der Dürre, sich unter Anwendung von Gewalt die Herden, das Weideland und die Wasserressourcen anderer Gruppen anzueignen. Wie Gemeinschaft A hat auch Gemeinschaft B ihr Wohlstandsniveau aufrechterhalten, allerdings auf Kosten anderer Gruppen. Außerdem zieht die Strategie des Viehdiebstahls das Risiko einer Bestrafung und weiterer Gewalt nach sich, wodurch der zukünftige Handlungsspielraum der Gemeinde eingeschränkt wird.
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Gemeinde C wird noch ärmer und gefährdeter. Die Herde dieser Gemeinschaft ist viel kleiner. Zudem verfügt die Gemeinde nicht über eine vergleichbare Mobilität; der Zugang zu Weideflächen und Wasserquellen wurde durch eine Mischung aus Landeinfriedungen, Stammeskonflikten und Bewässerungsausbau erheblich eingeschränkt. Die Herde wird durch die Dürre stark dezimiert und der Gemeinschaft bleiben zu wenige Tiere, um die Herde wieder so aufzubauen, dass sie davon leben könnte. Gemeinde C wird abhängig von Nothilfe und ihre Mitglieder müssen sich eine neue Existenzgrundlage aufbauen, die vielfältiger ist, aber auch weniger einbringt: eine Kombination aus sesshaftem Ackerbau, Viehhaltung und Gelegenheitsarbeit. Ohne externe Unterstützung wird diese Gemeinde vermutlich nicht aus dieser Armutsfalle entkommen.
Es bietet sich aus verschiedenen Gründen an, Resilienz als analytisches Konzept für den Kampf gegen Ernährungsunsicherheit zu übernehmen. Analytisch verlangt das Resilienz-Konzept, dass Probleme kohärent und ganzheitlich erfasst werden. Indem es die Verknüpfung zwischen kurzfristigen Krisen und längerfristigen strukturellen Entwicklungen herausstellt, ermöglicht das Konzept eine umfassendere Sicht auf die Faktoren, die Menschen in Armut und/oder Ernährungs unsicherheit treiben. Plötzlichen Krisen wird eine höhere Bedeutung beigemessen, als dies in früheren Entwicklungsmodellen der Fall war. Hierdurch verdeutlicht das Resilienz-Konzept, dass arme Menschen wegen der fehlenden Möglichkeiten zur Bewältigung von Krisen nur schwer einen Ausweg aus der Armut finden, und es erklärt gleichzeitig, warum andere überhaupt in die Armut abgleiten (McKay 2009; World Bank 2006).
Wird Resilienz als Leitbild für Prozesse etabliert, hat dies auch praktische Auswirkungen. Es kann als „mobilisierende Metapher“ (Béné et al. 2012) dienen und bewirken, dass traditionell voneinander getrennte Bereiche zusammenrücken. Insbesondere Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit können so zur engeren Zusammenarbeit motiviert werden (USAID 2012). Das Resilienz-Konzept kann auch die Unterstützung für Maßnahmen verstärken, die Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit verbinden, wie beispielsweise soziale Sicherungsprogramme. Besser integrierte, multisektorale Programme und Kooperationen könnten zu einem systematischeren und ganzheitlicheren Ansatz im Kampf gegen Armut führen; anders als die vielen kleinteiligen Maßnahmen, die heute an der Tagesordnung sind. Ein weiterer praktischer Vorteil des Resilienz- Konzeptes ist, dass es die Bedeutung sozialer Dynamiken und Verhaltensweisen vulnerabler Bevölkerungsgruppen in den Fokus rückt. Damit verdeutlicht das Konzept gleichzeitig die Notwendigkeit, Phasen vorübergehender Armut und Ernährungsunsicherheit besser zu erfassen, um diese Phänomene besser zu verstehen.
Die Analyse und das Verständnis lokaler Dynamiken sind auch wesentlich, um vorhandene und potenzielle Selbsthilfefähigkeiten und -kompetenzen zu verstehen. Es sind vor allem diese Fähigkeiten und Kompetenzen, die gestärkt werden müssen, um den Handlungsspielraum von Individuen, Haushalten, Kommunen und Staaten zur Absorption, Anpassung und Transformation zu erweitern. Aus der Resilienz-Perspektive wird klar, wie wichtig es ist, Strukturen vor Ort zu kennen, sie in ihrer Rolle zu bestärken und in der Zusammenarbeit zu unterstützen. Zu diesen Strukturen gehören sowohl zentrale und dezentrale Regierungsstellen als auch Gesundheitszentren, Komitees für Katastrophenrisiko-Management und Kleinbauernverbände.
Die Herausforderungen bei der Anwendung eines Resilienz-Konzeptes
Bosco Ogwang
Lira District, Uganda
Wenn Kinder nicht genug zu essen haben, dann ist es schwierig für sie, dem täglichen Unterricht zu folgen, zu lernen und sich zu konzentrieren. Die momentane Nahrungsmittelknappheit in der Region wird die Konzentrationsfähigkeit der Kinder in den Schulen beeinflussen und könnte, wenn sie anhält, zu mehr Schulabbrüchen führen.
Maïga Mahamane
Mitarbeiter der Welthungerhilfe in Mali
2012 wurden wir von mehreren Krisen heimgesucht: einer Ernährungskrise, einer Politik- und Sicherheitskrise und einer humanitären Krise. Es war das erste Mal, dass wir in Mali eine solche Zeit der Instabilität durchmachen mussten. Staatsbeamte haben ihre Posten verlassen und die Menschen in den besetzten Gebieten konnten sich an niemanden wenden, wenn sie Hilfe benötigten...
Um sich auf die Zukunft vorzubereiten, muss man bedenken, dass Mali in der Sahelzone liegt. Diese Region ist stark vom Klimawandel betroffen...
Die Ernährungssicherheit weiter Teile der Bevölkerung hängt von der Regenzeit ab. Um ihre Situation zu verbessern, müssen die Menschen langfristige Maßnahmen ergreifen, indem sie ihre Produktionsweisen verändern, Zugriff auf wichtige Informationen erhalten und ihre Ernährung diversifizieren.
Wie bereits erläutert, birgt das Resilienz-Konzept ein großes Potenzial, in der Praxis bringt es allerdings auch einige Herausforderungen mit sich. Zunächst müssen sich die Akteure der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Hilfe auf ein gemeinsames Verständnis von Resilienz einigen. Bisherige Definitionen stellen allzu oft die Rückkehr zu einem Ausgangszustand in den Vordergrund. Dies ist kaum vereinbar mit dem Einsatz für Veränderung und Entwicklung.
Einige Kritiker haben außerdem behauptet, dass sich das Konzept der Resilienz nur schwer aus einem ökologischen in einen sozialen Zusammenhang übersetzen ließe. Sie argumentieren, dass das Resilienz-Modell soziale Dynamiken nicht ausreichend berücksichtige; insbesondere Fragen der Macht und Handlungsfähigkeit würden nicht ausreichend erfasst. Nichtregierungsorganisationen und andere Praktiker stellen dies jedoch zunehmend infrage. Sie verweisen darauf, dass soziale Prozesse, wie etwa kommunaler Zusammenhalt, verantwortliche politische Führung oder individuelle Unterstützung kollektiver Maßnahmen die Widerstandsfähigkeit stärken (Twigg 2007; Boyd et al. 2008; Schwarz et al. 2011; VFL 2011). Eine gründliche Auseinandersetzung mit der entsprechenden Literatur zeigt jedoch, dass es bisher nur wenige Analysen gibt, die diese Annahme bestätigen, und der wissenschaftliche Nachweis bislang nicht überzeugend geführt werden kann (Béné et al. 2012).
Andere befürchten, dass die Umsetzung des Resilienz-Konzeptes zu weit getrieben werden und die Wirkung traditioneller Hilfsmaßnahmen bedrohen oder schwächen könnte. Wenn der Nothilfesektor an seinem Beitrag zum Aufbau von Resilienz gemessen würde, könnte die Unterstützung – und damit die Finanzierung – für viele wichtige, aber enger ausgerichtete Hilfsbemühungen wegbrechen. Bei aller Begeisterung für die Stärkung von Widerstandsfähigkeit auch im Nothilfekontext darf daher das Verständnis für den eigentlichen Sinn und Zweck der Nothilfe nicht verlorengehen.
Resilienz ist üblicherweise ein positiv besetzter Begriff und bildet das Ziel vieler Programme und Projekte. Darüber können mögliche Schattenseiten einiger Formen der Widerstandsfähigkeit in Vergessenheit geraten. Bewältigungsstrategien wie Prostitution oder Betteln mögen die Resilienz stärken, sie tun dies jedoch auf Kosten des Wohlergehens und der Selbstachtung. Andere Bewältigungsstrategien wie Straftaten mögen die Widerstandsfähigkeit einer Gruppe erhöhen, schaden aber dem Wohlbefinden anderer Personen. Als rasche Rückkehr zu einem Ausgangszustand verstanden, kann Resilienz außerdem auf lange Sicht kontraproduktiv sein. Resilienz als „Zähigkeit“, „Sturheit“ oder „Widerstand gegen Veränderungen“ ist unter vielen Umständen eindeutig keine wünschenswerte Errungenschaft.
Diese Überlegungen sind keineswegs rein akademisch. Für einzelne Bevölkerungsgruppen, die dem Klimawandel in besonderer Weise ausgeliefert sind, wie etwa afrikanische Wanderhirten, sind Diskussionen darüber, ob langfristig gesehen der Wiederaufbau der Herden oder eine fundamentale Umstellung der Lebensweise das bessere Ziel ist, von großer Bedeutung. Ein anderes Beispiel ist die Debatte um soziale Sicherungsprogramme, die durch Transferzahlungen die Abwanderung aus ländlichen Dürregebieten verhindern sollen. In derartigen Fällen und im Angesicht solch tiefgreifender Herausforderungen wie der des Klimawandels kann ein Resilienz- Konzept, das nicht auch die Möglichkeit der Transformation berücksichtigt, keine angemessene Antwort sein.
Maßnahmen, die Resilienz stärken
Box 3.3
Zwei Beispiele für Nothilfe- und Entwicklungsprogramme aus äthiopien
äthiopien leidet unter einer starken Exposition gegenüber Naturgefahren: Ausgedehnte Trockenperioden betreffen sowohl das Hochland, wo sesshafter Ackerbau und Viehhaltung betrieben werden, als auch die Tiefebene, die überwiegend nomadisch geprägt ist. In den 1980er- und 1990er-Jahren führten Dürreperioden dazu, dass äthiopien sich ständig um humanitäre Hilfe, vor allem Nahrungsmittelhilfe, bemühen musste. Zu Beginn der 2000er-Jahre setzte sich unter Experten die Erkenntnis durch, dass dieser ineffiziente Ansatz die Situation der Armen in äthiopien langfristig sogar noch verschlechtern könnte. Man erkannte, dass der Kreislauf aus Krise und Nothilfe armen Menschen nicht dabei half, einen Weg aus der chronischen Armut zu finden. Vielmehr war zusätzliche Unterstützung erforderlich, um es ihnen zu ermöglichen, einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes zu leisten. Während des darauffolgenden Jahrzehnts experimentierten die Regierung und viele internationale Entwicklungspartner mit neuen Programmen, die Elemente der Nothilfe und der Entwicklungszusammenarbeit vereinten. Zwei solche Programme waren das Programm für produktive Sicherheitsnetze (Productive Safety Net Program) und die Initiative für die Lebensgrundlage der Wanderhirten (Pastoralist Livelihoods Initiative).
Productive Safety Net Program (PSNP). Das Programm wurde im Jahr 2005 mit verschiedenen Zielsetzungen initiiert. Aus Nothilfe- Perspektive stand im Vordergrund, einerseits Hilfsleistungen gezielter an die Bedürftigsten zu verteilen und andererseits die Kontinuität und Vorhersagbarkeit von Nahrungsmittelzuwendungen und Geldtransfers zu verbessern. Hauptanliegen aus Entwicklungsperspektive war der Aufbau kommunaler Infrastruktur durch öffentliche Box 3.3 Zwei Beispiele für Nothilfe- und Entwicklungsprogramme aus äthiopien Bauprojekte. Nur Haushalte, die kaum über Arbeitskraft verfügen, können nicht an dem Programm teilnehmen. Ein damit verbundenes Household Asset Building Program (HABP) ist darauf ausgerichtet, auf Ebene der Haushalte Ressourcen aufzubauen. Das Productive Safety Net Program wird sowohl innerhalb äthiopiens als auch international als wirksam eingestuft. Folgende Punkte machen seinen besonderen Erfolg aus: Das Programm erreicht sieben bis neun Millionen Menschen; das sind etwa 13 Prozent der ländlichen Bevölkerung. Es zeichnet sich durch eine einzigartige institutionenübergreifende Koordinierung aus. Das Programm wird laufend überwacht und evaluiert; häufige Feedback-Schleifen wirken als ständiges Korrektiv. Das Programm hat sich eindeutig positiv auf die Ernährungssicherheit ausgewirkt. Trotz dieser Errungenschaften und Erfolge bleiben aus Resilienz-Perspektive noch Fragen offen. Wie werden sich die Folgen des Klimawandels auf das Programm auswirken? Sollte es auf städtische Gebiete ausgeweitet werden? Hemmt es die Abwanderung aus Gegenden, in denen es für die Menschen ohnehin keine Perspektive gibt? Und: Leisten das Productive Safety Net Program und das Household Asset Building Program tatsächlich einen Beitrag, um Menschen einen Weg aus der chronischen Armut zu ebnen?
Die Pastoralist Livelihoods Initiative (PLI). Obwohl seit Kurzem auch die nomadisch lebenden Gemeinschaften in der äthiopischen Tiefebene daran teilhaben können, ist das Productive Safety Net Program als „konventionelles” Sicherheitsnetzprogramm aufgrund ihrer Lebensumstände nur von begrenztem Nutzen. Denn hier bildet Viehwirtschaft die Lebensgrundlage der meisten Menschen; die Gemeinden und ihre Mitglieder sind über eine größere Fläche verteilt und pflegen einen nomadischen Lebensstil. Die Pastoralist Livelihoods Initiative, die von der Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung (United States Agency for International Development – USAID) und weiteren Partnern unterstützt wird, versucht in einem kleineren Rahmen als das Productive Safety Net Program, Nothilfe- und Entwicklungsmaßnahmen angesichts dieser spezifischen Gegebenheiten zu kombinieren. Lange Trockenperioden sind in der wasserarmen Tiefebene am Horn von Afrika eine unabänderliche Tatsache und haben schon immer dazu geführt, dass der Viehbestand dezimiert wurde und die Herden dann später wieder wuchsen. Inzwischen hat sich die Situation jedoch so verändert, dass es den Nomaden nicht mehr gelingt, ihre Herden nach Dürrezeiten wieder aufzubauen; die Viehbestände gehen zusehends zurück. Während über die Gründe für diese Entwicklung noch diskutiert wird, wächst die Einsicht, dass es sehr viel kosteneffizienter ist, das Sterben der Tiere von vornherein zu verhindern oder aber dafür zu sorgen, dass die Nomaden ihre Tiere schlachten oder verkaufen, statt zuzusehen, wie sie an Hunger oder Krankheit verenden.
Nichtregierungsorganisationen in nomadischen Gebieten äußerten ähnliche grundlegende Zweifel an bisherigen Programmansätzen, die auch die Entwicklung des Productive Safety Net Program motiviert hatten: Die Nothilfefinanzierung konnte zu Beginn der Dürre nicht rasch genug mobilisiert werden, und die Hilfsleistungen trafen nicht rechtzeitig ein, so dass die eingeleiteten Maßnahmen kaum noch Wirkung erzielen konnten. Um unter solchen Gegebenheiten Widerstandsfähigkeit zu stärken, wurden bei der Pastoralist Livelihoods Initiative zwei innovative Ansätze miteinander verbunden. In „normalen Jahren“ konzentrierte sich die Unterstützung auf Entwicklungsmaßnahmen (im Wesentlichen auf den Aufbau der Herden). Darüber hinaus wurde eine „Umschaltfunktion im Krisenfall“ in das Programm eingebaut. Diese Funktion erlaubt es den ausführenden Organisationen, im Fall einer Dürre rasch Mittel umzuschichten und für Hilfsmaßnahmen freizusetzen.
Wie funktioniert das? Die Pastoralist Livelihoods Initiative sieht „Trigger“-Mechanismen vor, um zwischen Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit hin und her zu wechseln. In der ersten Phase der Initiative konnten Organisationen zehn Prozent ihrer zugewiesenen Gelder zur Seite legen und darauf zugreifen, wenn durch eine Dürre die „Umschaltfunktion“ ausgelöst wurde. In der zweiten Phase handelte die wichtigste ausführende Organisation (USAID/äthiopien) ein Übereinkommen mit der Nothilfeagentur von USAID aus. Diese Übereinkunft sieht vor, dass die beteiligten Organisationen rasch und unkompliziert mehr Gelder erhalten, wenn eine Krise das Umschalten auf Nothilfe aktiviert.
Die „Nothilfestrategie“ der Pastoralist Livelihoods Initiative ging über den üblichen Nothilfeansatz hinaus und schützte Lebensgrundlagen, nicht nur Leben. So umfassten die Nothilfemaßnahmen Herdenverkleinerungen und Notschlachtungen, die Bereitstellung von Futter und Wasser (inklusive verbesserter Futtermittel, um die Milchproduktion der Tiere und somit die Ernährung der Kinder während der Dürre zu unterstützen) sowie tiermedizinische Notversorgung. Ebenso wie das Productive Safety Net Program legt auch die Pastoralist Livelihoods Initiative großen Wert auf Evaluierung und Anpassungen des Programms. Evaluierungen ergaben, dass einige Maßnahmen um vieles kosteneffizienter und nachhaltiger waren als andere.
Quellen: Persönliche Interviews mit John Graham, USAID, und Matthew Hobson, Weltbank. Für eine wissenschaftliche Erörterung dieser Themen siehe Gilligan, Hoddinott und Taffesse (2009) sowie Berhane et al. (2011) für Wirkungsstudien zu PSNP und HABP. Siehe Lybbert et al. (2004) für eine Erörterung der Herdenentwicklung sowie Headey, Taffesse und You (2012; im Erscheinen) für einen Überblick über Fragen pastoraler Lebensgrundlagen am Horn von Afrika.Eine wesentliche Herausforderung des Resilienz-Konzeptes besteht darin, zu erläutern, was dessen Mehrwert im Vergleich zu herkömmlichen Ansätzen ist. Grundsätzlich liegt der Mehrwert dieser Herangehensweise auf zwei Ebenen: In strategischer Hinsicht könnte es Regierungen und Entwicklungspartner dazu bringen, die Stärkung von Widerstandsfähigkeit als politisches und programmatisches Ziel durchgängig zu berücksichtigen und verschiedene Organisationen und Bereiche daraufhin zu koordinieren. Dafür sind nicht unbedingt neue politische oder programmatische Instrumente notwendig; vielmehr liegt der Mehrwert bereits in der verbesserten Koordination und Prioritätensetzung. Aus programmatischer Perspektive wäre zu erwarten, dass neue Ansätze und Programme entwickelt werden, die innovative Brücken zwischen Nothilfeinterventionen und Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit schlagen (im Gegensatz zur Spezialisierung in einem der beiden Bereiche).
Dabei stellt sich die Frage, durch welche Art von Maßnahmen diese Verbindung zwischen Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit bewirkt werden kann. Ein naheliegendes Beispiel sind soziale Sicherungsprogramme, die sowohl die Kriterien für soziale Sicherung, also „Nothilfe“, erfüllen, als auch zur Entwicklung beitragen, das heißt den längerfristigen Aufbau von Resilienz unterstützen. Die Nothilfekomponente sozialer Sicherungsprogramme manifestiert sich üblicherweise in Form von Lebensmittel-, Bargeld- oder Gutscheintransfers; die Entwicklungskomponente ist vielfältiger. Zweckgebundene Transferleistungen sind häufig explizit darauf ausgerichtet, klar definierte Entwicklungsziele zu erreichen: etwa verstärkten Schulbesuch, die Teilnahme an einer erweiterten Berufsausbildung, Erwachsenenbildung oder Schulungskursen zur Vertiefung des Ernährungswissens oder, was sehr verbreitet ist, den Aufbau von Infrastruktur durch öffentliche Arbeitsprogramme.
Ein herausragendes Beispiel ist das Programm für produktive Sicherheitsnetze in äthiopien (Productive Safety Net Programme – PSNP, siehe Box 3.3). Dieses Programm stellt eine innovative Lösung angesichts zweier großer Herausforderungen dar:
(1) Traditionelle Transferprogramme haben Ad-hoc-Charakter, das heißt die Leistungen erfolgen unregelmäßig und unvorhersehbar.
(2) Nach weitverbreiteter Ansicht verhindert ein starker Fokus auf Nothilfe nachhaltige ländliche Entwicklung.
Durch die Kombination sozialer Sicherungsmaßnahmen mit dem Aufbau öffentlicher Güter trägt das PSNP eindeutig zur Nothilfe wie auch zur langfristigen Entwicklung bei. In diesem Sinn handelt es sich um ein Resilienz-orientiertes Programm.
ähnliche Programme in äthiopien und anderswo (wie das Graduation Model von BRAC – Bangladesh Rural Advancement Committee – in Bangladesch) konzentrieren sich ebenfalls darauf, Individuen und Haushalte dabei zu unterstützen, sowohl unternehmerische und finanzielle Fertigkeiten zu entwickeln als auch Selbstvertrauen und Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten aufzubauen. Diese Programme gehen von der Annahme aus, dass die vorübergehende Unterstützung in Notsituationen ein wesentlicher Schritt ist, um Ressourcen aufzubauen, die eine dauerhaftere Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen ermöglichen.
Die Pastoralist Livelihoods Initiative (PLI – Initiative für die Lebensgrundlage der Wanderhirten) ist ein anderes Beispiel dafür, wie Nothilfe und Entwicklung in äthiopien verbunden werden (Box 3.3). Während produktive Sicherungsprogramme für sesshafte Bauern und Viehhalter eine sinnvolle Unterstützung darstellen, sind sie angesichts der spezifischen Situation der Wanderhirten für diese Bevölkerungsgruppe in Krisenzeiten nicht angemessen. Sowohl Feldfrüchte als auch Nutztiere sind in Trockenperioden extrem gefährdet. Aber anders als einjährige Pflanzkulturen behalten Tiere, genau wie Land, über mehrere Jahre ihren Wert. Der Tod von Nutztieren während einer Dürreperiode kann daher sehr hohe Kosten verursachen. In Extremsituationen muss ein Haushalt die pastorale Tierhaltung aufgeben, einfach weil es ihm nicht möglich ist, die Herde nach einer Dürre wieder aufzubauen.
Die PLI ist ein sehr gezieltes Resilienz-stärkendes Programm, das zwischen Maßnahmen der Nothilfe und der Entwicklungszusammenarbeit wechselt und nicht versucht, beides zugleich umzusetzen, wie das PSNP. Es ist ein gelungenes Beispiel, wie die traditionelle Lücke zwischen Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit in der Praxis überwunden werden kann. Aber während soziale Sicherungsprogramme überall auf der Welt eingehend analysiert wurden, fehlen für diese Art von Programmen, die zwischen Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit „hin- und herschalten“, noch Erfahrungen, Lernergebnisse und Evaluierungen.
Resilienz messen
Guillermo Pacotaype
Bezirk Chuschi, Peru
Ich habe angefangen, die Quellen und Bäche zu rehabilitieren, indem ich sie mit Steinen vor tierischen Exkrementen und der Sonne geschützt habe. Außerdem habe ich Putaqa [peruanische Pflanze] gepflanzt, die das Wasser gut speichern kann. Auf Gemeindeebene haben wir rechtliche Vorschriften zum Schutz unserer Wasserquellen umgesetzt. Beispielsweise haben wir verboten, Wasser mit schmutzigen Behältnissen zu entnehmen oder Seife an Wasserentnahmestellen zu benutzen.
Bewohner von Dukum
Bezirk Rayagada, Indien
Wir leben seit Generationen in den Wäldern, aber unsere Landrechte wurden noch nicht registriert. Die Tatsache, dass ein großer Teil des Landes, auf dem wir leben und von dem unsere Nahrung und unser Lebensunterhalt abhängt, nicht unser rechtliches Eigentum ist, verunsichert uns. Das Fehlen von Grenzlinien für die Grundstücke, die uns zugeteilt wurden, […] führt zu einer Verringerung unserer Anbauflächen im Wald...
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Der Ansatz von Helen Keller International (HKI) zur systematischen Beobachtung der Ernährungssituation in Bangladesch und Indonesien
HKI startete das sogenannte „Nutritional Surveillance Project“, einen Prozess zur systematischen Beobachtung der Ernährungssituation, in Bangladesch und Indonesien, um die Auswirkungen von Krisen auf das Wohlergehen armer Menschen zu dokumentieren. So konnten in Bangladesch die Folgen von Katastrophen, vor allem von Überschwemmungen, erfasst werden. In Indonesien diente dieser Ansatz dazu, die Auswirkungen der asiatischen Wirtschaftskrise in den späten 1990ern auf Ernährung und Gesundheit zu beobachten. Im Laufe der Jahre hat sich dieser systematische Monitoring- Ansatz zu einem umfassenden und dennoch flexiblen Informationssystem weiterentwickelt, das zeitnahe, präzise und relevante Daten für politische und programmatische Entscheidungen auf nationaler und internationaler Ebene liefert.
Die Indikatoren der HKI-Überwachungssysteme basieren auf dem konzeptuellen Rahmen von UNICEF zu den Ursachen von Mangelernährung. So werden Daten zum Ernährungs- und Gesundheitszustand von Müttern und Kindern, zur sozialen und wirtschaftlichen Situation, zu Nahrungsmittelproduktion und -konsum sowie zur Nutzung von Gesundheitsdiensten generiert. In Bangladesch sammelte das Projekt ursprünglich nur Daten in katastrophenanfälligen Subdistrikten; das Erhebungsverfahren wurde jedoch 1998 überarbeitet, so dass die Datensätze inzwischen auch national und regional repräsentativ sind. Die Daten werden alle zwei Monate erhoben, um saisonale Veränderungen bei Ernährung und Gesundheit zu erfassen. Dies ermöglicht es, die Auswirkungen von Katastrophen und saisonale Effekte voneinander zu trennen. Die obere Grafik zeigt zum Beispiel, dass der Anteil der Haushalte, die Schulden machten, um mit den Folgen der Überschwemmungen im Jahr 1998 fertig zu werden, auf über 50 Prozent anstieg. In den vorhergehenden fünf Monaten lag dieser Anteil dagegen unter 10 Prozent.
Im Jahr 1998 erlebte Bangladesch eine der schlimmsten Überschwemmungen seit Beginn der Aufzeichnungen. Mittels des „Nutritional Surveillance Project“ gelang es, die Aufmerksamkeit auf die Not in den von der Flut betroffenen Gebieten zu lenken und öffentliche Unterstützung gezielt zu den am schwersten betroffenen Bevölkerungsgruppen zu leiten.
Das steigende Interesse am Resilienz-Konzept bringt eine erhöhte Nachfrage nach empirischem Wissen über Resilienz mit sich. Regierungen, Nichtregierungsorganisationen, internationale Geber und andere Akteure sind auf der Suche nach den geeignetsten Indikatoren und Erhebungsmethoden, um räumliche und zeitliche Unterschiede zu identifizieren, die Ursachen von Vulnerabilität zu bestimmen und Programme zu ihrer Reduzierung zu entwerfen. Um die Probleme zu diagnostizieren und die angemessensten Lösungen zu entwickeln, ist es entscheidend, Resilienz messen zu können; dabei sollten sowohl die Auswirkungen von Schocks als auch die Faktoren untersucht werden, die deren Effekte abmildern. Die Auswirkungen von Krisen können etwa durch individuelle Verhaltensstrategien oder auch durch Interventionen von außen abgeschwächt werden (Frankenberger und Nelson 2013). Im Klartext: Jede Diagnose und jede Intervention sollte auf einer gründlichen Erhebung mit guten Messmethoden beruhen (Barrett 2010).
Ein besseres Verständnis von Resilienz setzt voraus, dass Daten über die Ursachen und Folgen verschiedenster Krisensituationen erhoben werden. Resilienz, Vulnerabilität und Bewältigungsverhalten sind jedoch schwierig zu messende Phänomene, da (1) Schocks per Definition oft kurzfristige und unvorhersehbare Ereignisse sind, so dass häufige Datenerhebungen erforderlich sind (zum Beispiel alle zwei Monate), (2) Krisensituationen oft in entlegenen Gegenden auftreten und abgeschiedene Bevölkerungsgruppen betreffen, wie etwa die Wanderhirten im Sahel oder am Horn von Afrika, und (3) die Widerstandsfähigkeit gegenüber Krisen komplexe Bewältigungs- oder Anpassungsstrategien umfasst. Diese Strategien können sehr unterschiedlich aussehen und sich zum Beispiel ab einer bestimmten Belastungsgrenze grundlegend verändern.
Die Unvorhersehbarkeit und unterschiedliche Natur von Krisensituationen sowie der entsprechenden Reaktionen machen Vulnerabilität und Resilienz sehr viel schwieriger messbar als stabilere Wohlstandsindikatoren wie Armut, Unterernährung bei Kindern oder Säuglingssterblichkeit. Für diese Messungen genügen üblicherweise gelegentliche Momentaufnahmen mittels Haushaltserhebungen, um ein allgemeines Bild der Armut in Regionen und Ländern zu zeichnen und Grundtendenzen zu ermitteln. Solche herkömmlichen Haushaltserhebungen werden aber nicht häufig genug durchgeführt, als dass sie, außer durch Zufall, die Auswirkungen plötzlicher Krisen erfassen könnten, und großangelegte Feldforschungen sind in Entwicklungsländern immer noch relativ selten. Auch wenn manche Standarderhebungen zur wirtschaftlichen Situation, zum Gesundheits- und Ernährungsstatus möglicherweise wichtige Aspekte von Vulnerabilität und Resilienz messen, ist es unwahrscheinlich, dass dadurch alle relevanten Dynamiken und Verhaltensmuster erfasst werden. Dies legt nahe, dass die Messung von Vulnerabilität und Resilienz einen anderen Ansatz erfordert.
Was sind also die wichtigsten Themen, die auftauchen, wenn man versucht, Resilienz im Kontext von Ernährungsunsicherheit zu messen? Was Resilienz und Vulnerabilität auszeichnet, ist das Potenzial für komplexe Dynamiken. In einem vulnerablen sozioökonomischen Kontext erleben Individuen, Haushalte und Gemeinschaften in ihrem Wohlergehen häufig dynamische Schwankungen – ausgelöst von einer Mischung aus längerfristigen Trends, zyklischen und saisonalen Schocks und größeren Krisen, die eine ganze Region betreffen. Beim Übergang von einem Zustand, wie chronischer Armut, in einen anderen, sei er besser oder schlechter, lassen sich vermutlich eine ganze Reihe kritischer Schwellenwerte für unumkehrbare Entwicklungen beobachten; zum Beispiel wenn eine Herde durch Trockenheit so weit dezimiert wird, dass sie nicht wieder aufgebaut werden kann (Abbildung 3.2; Lybbert et al. 2004).
Letztlich erfordert Resilienz einen mehrstufigen oder systemorientierten Messansatz. Dazu gehört die Messung auf verschiedenen Ebenen – Individuum, Haushalt, Gemeinde, (öko-)System – und in verschiedenen sozioökonomischen und ethnischen Gruppen. Dazu ist es auch notwendig, zu verstehen, wie diese verschiedenen Identitäten und Faktoren sich wechselseitig beeinflussen. Jenseits der Haushaltsebene können auch systemische Faktoren wie Umweltbedingungen, soziale und politische Beziehungen, Kultur, agro-ökologische Faktoren und makroökonomische Bedingungen die Widerstandsfähigkeit beeinflussen.
Diese Grundprinzipien der Messung sind entscheidend dafür, wie Resilienz in der Praxis erfasst wird. In Tabelle 3.1 wird eine Liste von Vorschlägen für Indikatoren aufgeführt, mittels derer Resilienz gegenüber Ernährungsunsicherheit gemessen werden kann. Allerdings ist die vermutlich entscheidendste Variable, wie oft die Werte der Indikatoren ermittelt werden: Will man Resilienz messen, ist es notwendig, häufiger als üblich Daten zu erheben (Barrett 2010; Headey und Ecker 2013). Doch solche in kurzen Abständen wiederholten Erhebungen sind nach wie vor erstaunlich selten. Sie sind jedoch für das Verstehen von Vulnerabilität und Resilienz unabdingbar, weil sie helfen, (1) „dynamische Ausgangszustände“ wie Saisonalität, regelmäßig wiederkehrende Entwicklungen und die Gefährdung durch spezifische Schocks zu ermitteln, (2) Unterschiede zwischen Zuständen vor und nach Krisen festzustellen, (3) die komplexen Prozesse von Bewältigungs- und Anpassungsstrategien zu verstehen und (4) die wichtigsten kritischen Schwellenwerte bei den Übergängen zwischen Ausgangs- und Folgezustand zu bestimmen (Barrett und Constas 2012). Programmevaluationen, die üblicherweise auf zwei bis drei Befragungsrunden einer Erhebung basieren (die typischerweise in einem Abstand von mehreren Jahren durchgeführt wurden), werden selten bis nie ausreichen, um die komplexen Schwierigkeiten von Menschen zu verstehen, die unter schwierigen sozioökonomischen Bedingungen in einem extrem fragilen Umfeld leben.
Das beste Beispiel für Resilienz-Studien mit großer Messhäufigkeit sind die von Helen Keller International (HKI) in Bangladesch und Indonesien durchgeführten Erhebungen zur systematischen Beobachtung der Ernährungssituation. Auch das Welternährungsprogramm (WFP) nutzt diesen Ansatz in einigen seiner Schwerpunktländer wie dem Südsudan. Die Erhebungen werden normalerweise alle zwei Monate durchgeführt – viel öfter als normale Haushaltserhebungen –, um die Folgen sowohl saisonaler Schocks als auch „einmaliger“ Naturkatastrophen zu erfassen. Obwohl sich die entsprechenden Datenerhebungen stark auf Ernährungsindikatoren konzentrieren, berücksichtigen sie auch eine ganze Reihe weiterer Haushaltsmerkmale sowie Bewältigungsstrategien (siehe Box 3.4).
Über die Notwendigkeit einer großen Messhäufigkeit hinaus, sieht man sich bei der Messung von Widerstandsfähigkeit noch weiteren Herausforderungen gegenüber: Resilienz ist ein sehr vielschichtiges Konzept mit zahlreichen Ursachen und Erscheinungsformen. Einige der potenziellen Messgrößen können nicht nur als Voraussetzung oder Ursprung von Resilienz, sondern ebenso als Indikatoren von Widerstandsfähigkeit betrachtet werden. Folgende unvollständige Liste mag veranschaulichen, welche Faktoren zugleich Ursache und Folge von Resilienz sein können: Fähigkeit zu technologischer Leistung und Innovation, angemessene Bildung und Fachkenntnisse, Gleichberechtigung der Geschlechter, nachhaltige Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen, ausreichende Lebensgrundlagen, verantwortungsbewusste Regierungsführung und Zugang zu Infrastruktur (Alinovi et al. 2010; USAID 2012; Tulane und UEH 2012; Vaitla et al. 2012). Die fließenden Übergänge zwischen Ursache und Wirkung beschränken die Möglichkeiten, bestimmte Hypothesen zu vergleichen oder zu widerlegen (Frankenberger und Nelson 2013).
Außerdem stellt diese vielfältige und umfangreiche Liste von Faktoren einige große Herausforderungen an die Messung ebenso wie an die wissenschaftliche Analyse. Einige der genannten Faktoren sind ohnehin nur schwer messbar, wie zum Beispiel die Regierungsführung, die Bewirtschaftung von natürlichen Ressourcen und die Gleichberechtigung. Viele müssen eher qualitativ als quantitativ gemessen werden. Es gibt Indikatoren, die auf der Ebene des Individuums oder des Haushalts zu messen sind, und wieder andere, bei denen die Messung auf Gemeindeebene oder einer noch höheren Ebene zu geschehen hat. Und schließlich gibt es Faktoren, die, genauso wie die Definition von Resilienz selbst, wahrscheinlich kontext- oder krisenspezifisch sind, so dass die Vergleichbarkeit über Untersuchungsgebiete hinweg eingeschränkt ist. Manche Faktoren gehören zu einem bestimmten Fachgebiet, beispielsweise der Wirtschaft, während andere unter ganz andere Disziplinen fallen (ökologie, Politikwissenschaft, Soziologie). Wie bereits betont wurde, sollten die meisten, wenn nicht alle dieser Faktoren sehr häufig durch Erhebungen erfasst werden.
Damit sind die praktischen Herausforderungen bei der effektiven Beobachtung und Messung von Resilienz erheblich. Solche aufwendigen Messverfahren könnten jedoch dazu beitragen, wirklich angepasste Lösungsansätze für eine breite Palette von Krisen zu entwickeln.
Rückblick
Sindhu Kumbruka
Bezirk Rayagada, Indien
Wir haben unser Recht auf den Wald durchgesetzt und die Formalisierung unserer kollektiven und individuellen Waldrechte eingereicht. Wir haben begonnen, mehr als 4.000 Hektar degradierten Waldes aufzuforsten.
Sowohl die Komplexität des Resilienz-Konzeptes als auch die Herausforderungen bei der Messung und Umsetzung mögen auf Entscheidungsträger und Praktiker aus der Entwicklungszusammenarbeit entmutigend wirken. Schließlich scheinen einige krisenanfällige Länder und Regionen angesichts regelmäßiger Schocks seit Jahrzehnten in Armut und Ernährungsunsicherheit gefangen. Doch andere, vergleichbar gefährdete Länder vermitteln den Eindruck, dass es ihnen gelungen ist, die Widerstandsfähigkeit zu erhöhen. Ein Vergleich dieser beiden Ländergruppen und ihrer Erfahrungen im Umgang mit Krisen kann sehr aufschlussreich sein.
Abbildung 3.2 zeigt drei Länder und zwei Teilregionen, die im Welthunger-Index 2013 hohe Werte aufweisen und Extremwetterlagen ausgesetzt sind. Die Menge der empfangenen Nahrungsmittelhilfe dient als Indikator dafür, wie sich die Resilienz im Laufe der Zeit entwickelt hat. Die dargestellten Daten bestätigen den Eindruck der „permanenten Krise“ im Sahel und am Horn von Afrika: Die Hilfsleistungen hatten in den Jahren 2008–11 in etwa denselben Umfang wie 20 Jahre zuvor. Im Gegensatz dazu haben Malawi und Sambia (zwei Länder, in denen umstrittene Subventionsprogramme für Düngemittel die Maisproduktion enorm ausgeweitet haben) in den vergangenen Jahren einen positiven Trend eingeleitet, wenn auch noch offen ist, ob dieser fortgesetzt werden kann. Bangladesch gelang es, die Abhängigkeit von Hilfslieferungen in bemerkenswertem Ausmaß zu reduzieren: Zwischen den frühen 1990ern und den Jahren 2008–2011 fiel die Menge der empfangenen Nahrungsmittelhilfe um 85 Prozent. Diese Entwicklung fügt sich in das Bild eines Landes, dass einen enormen wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung erreicht hat (Economist 2012): Maßgeblich hierfür waren rasante Produktionserhöhungen in der Landwirtschaft (durch neue Getreidesorten und andere moderne Produktionsmittel), erhebliche Rückgänge bei den Geburtenraten, gewaltige Fortschritte im Bildungsbereich (insbesondere für Frauen), die Revolution der Mikrofinanzierung und die Schaffung von Arbeitsplätzen außerhalb der Landwirtschaft.
Weitergehende Untersuchungen sind notwendig, um noch besser zu verstehen, warum einige krisenanfällige Regionen so geringe Fortschritte gemacht haben, während anderen Ländern offenbar die Trendwende gelang. Erfolgsgeschichten wie die von Bangladesch, Malawi und Sambia zeigen jedoch, dass der Aufbau von Resilienz auf individueller, kommunaler und nationaler Ebene innerhalb einer Generation tatsächlich möglich ist.
Blick nach vorne
Da sowohl Akteure der Nothilfe als auch der Entwicklungszusammenarbeit seit langer Zeit versuchen zu verstehen, warum manche Menschen besser als andere mit Belastungen und plötzlichen Krisen zurechtkommen, erkennt man nun in beiden Bereichen, wie wichtig es ist, die verschiedenen Bausteine der Resilienz zu berücksichtigen. Resilienz ist ein komplexes Konzept, das sich über ein ungewöhnlich breites Spektrum von Disziplinen hinweg entwickelt hat. Dass dieses Konzept in der Entwicklungszusammenarbeit immer mehr Verwendung findet, ist in Anbetracht der sich immer deutlicher zeigenden Wechselwirkungen zwischen kurzfristigen Schocks und langfristiger Entwicklung nachvollziehbar.
Auch wenn es folglich logisch erscheint, sich um die Stärkung von Widerstandsfähigkeit zu bemühen, bringt die Entwicklung eines entsprechenden Resilienz-Konzeptes nach wie vor viele Herausforderungen mit sich. Zunächst muss sich ein gemeinsames Begriffsverständnis durchsetzen; es muss klar sein, was Resilienz ist, und was sie nicht ist. Es muss auch darüber Einigkeit herrschen, ob Resilienz per se erstrebenswert ist, oder ob zur Resilienz möglicherweise auch schädliche Verhaltensweisen gehören. Schließlich ist auch noch nicht allgemein geklärt, ob Resilienz nur die Wiederherstellung eines Ausgangszustands meint oder auch Anpassungs- und Transformationsprozesse umfasst.
Was die empirischen Aspekte betrifft, ist es nicht einfach, Resilienz und ihre Ursachen zu messen und kontinuierlich zu beobachten. Es geht um weit mehr als um die Erfassung chronischer Armut: Resilienz ist ein dynamisches Konzept, das erfordert, dass Erhebungen sehr viel häufiger durchgeführt werden, zumindest in jenen Ländern und Regionen, die beständig schweren Krisen und Belastungen ausgesetzt sind. Zudem ist Resilienz multidimensional. Dies stellt besondere Anforderungen an die zu verwendenden Erhebungsinstrumente und an die wissenschaftliche Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen.
Aus strategischer und programmatischer Perspektive muss das Resilienz-Konzept noch zeigen, dass es etwas grundlegend Neues zu bieten hat: etwa indem es dazu beiträgt, den Dialog zwischen den traditionell getrennten Bereichen der Nothilfe und Entwicklungszusammenarbeit zu vertiefen, und indem es die Entwicklung neuer Programme befördert, die sowohl humanitäre Zielsetzungen als auch Entwicklungsziele verfolgen.
Es werden noch viele Anstrengungen nötig sein, um arme Menschen in krisenanfälligen Regionen darin zu unterstützen, mit Krisen und Belastungen umzugehen und ihr Recht auf angemessene und ausreichende Ernährung wahrnehmen zu können – sei es durch Absorptions-, Anpassungs- oder Transformationsstrategien. Es bleibt noch viel zu tun, ehe klar ist, ob das Resilienz-Konzept tatsächlich das geeignetste Handwerkszeug liefert, um die notwendige Widerstandsfähigkeit aufzubauen. Klarheit besteht jedoch bereits jetzt darüber, dass Barrieren zwischen Akteuren, Bereichen und Disziplinen abgebaut und effektive gemeinsame Strategien und Programme entwickelt werden müssen. Nur dann kann es gelingen, die Widerstandsfähigkeit der ärmsten und krisenanfälligsten Menschen zu stärken.
Fußnoten
- Auch Ungleichheit führt zu Vulnerabilität und erschwert es armen Menschen, Risiken zu vermeiden und zu bewältigen, so dass ihre Widerstandsfähigkeit geschwächt wird (Oxfam 2013).
- Für Beispiele siehe Leach (2008); Hornborg (2009); Davidson (2010); Duit, Galaz und Eckerberg (2010).
- Einige dieser Existenzsicherungsstrategien können kurzfristige „negative“ Bewältigungsstrategien sein, andere stellen eindeutig langfristige Fehlanpassungen dar, die nicht einfach als Überlebensstrategien betrachtet werden können.„Negative“ Formen von Resilienz sind also möglich und oft empirisch beobachtet worden (Sapountzaki 2007).
- Hinzu kommt, dass die Mobilität der Wanderhirten die Möglichkeit zur Teilnahme an ortsgebundenen öffentlichen Projekten im Straßenbau oder zum Aufbau landwirtschaftlicher Infrastruktur einschränkt. Sie ist jedoch immer noch möglich, vor allem bei einer eher sesshaften Lebensweise, die sowohl Feldanbau als auch Weidewirtschaft einschließt.
- „Nutritional surveillance system surveys“. Für eine Einführung in diesen Ansatz siehe Bloem et al. (2003) und Shoham, Watson und Dolan (2001).
Autoren
Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war Dr. Christophe Béné Research Fellow im Team für Vulnerabilität und Armutsbekämpfung am Institute of Development Studies. Ein Sozialökonom und Politikexperte mit 15 Jahren Erfahrung in Entwicklungsländern.
Lawrence Haddad ist der ehemalige Direktor des Institute of Development Studies (2004-2014). Heute ist er Senior Research Fellow am Internationalen Forschungsinstitut für Ernährungs- und Entwicklungspolitik. Er ist ökonom und sein Forschungsinteresse gilt hauptsächlich der Intersektionalität von Armut, Ernährungsunsicherheit und Fehlernährung.
Bildnachweise
Titelbild: Thomas Martinez / Welthungerhilfe, 2013; Eine Frau gießt ihre Pflanzen in einem Gartenprojekt nahe Bandiagara, im Norden Malis.
2. Bild: Bernhard Huber / Welthungerhilfe, 2013; Ein Mädchen bewässert eine Pflanze bei einem Schulprojekt zu Hygiene, Wasser und Pflanzenanbau in Bovanane Village, Mabote District, Mosambik.
3. Bild: Jiro Ose / Concern Worldwide, 2013; Mutter und Kind tragen Wasser von einer neu gebauten Wasserstelle zurück nach Hause in ihr Dorf Tefrefo in der Amhara-Region äthiopiens.
4. Bild: Thomas Lohnes / Welthungerhilfe, 2009; Ein Junge holt Reis aus einem neu gebauten Lagerhaus in Vengema im Distrikt Bo, Sierra Leone. Das Haus schützt vor Ungeziefer – früher vernichteten Ratten etwa 50% des Reises.
5. Bild: Thomas Lohnes / Welthungerhilfe, 2006; Frauen der Kartoffel-Plattform kochen am Mittwoch im Ortsteil Huapante Chico von San Andres gemeinsam vor einer Sitzung der Organisation für die Mitglieder eine Speise aus Frischkäse, Pferdebohnen, Mais, Kartoffeln und gerösteten Maiskörnern. In der Plattform sind rund 150 Bauern aus der Region organisiert.
6. Bild: Florian Kopp / Welthungerhilfe, 2011; Hajran Mai bei der Okra-Ernte im Dorf Moza Sabgogat nahe Muzaffaragarh, Punjab, Pakistan. Die Welthungerhilfe hat mit Hilfe des Partners CADI nach der Flut Saatgut verteilt.
7. Bild: UN Photo / Harandane Dicko, 2017; Förderung der Jugendarbeit in der Stadt Gao, Mali, und die Stärkung der Jugend-Resilienz.
8. Bild: Pablo Tosco / Oxfam, 2012; Ahmed Di Ba, Hirte in Mauritanien.
9. Bild: UN Photo / Logan Abassi, 2012; Ein Junge schaut in Port-au-Prince aus dem Fenster.