en de

Bewaffnete Konflikte und Die Herausforderung Hunger


 
   
Von Alex de Waal
Oktober 2015
Panos/Sven Torfinn, 2003; Ein Junge verkauft Trockenfisch in einem Camp für Binnenvertriebe (IDP). Im Hintergrund fährt ein ugandisches Armeefahrzeug vorbei. Der andauernde Krieg mit der LRA (Lord's Resistance Army) hat viele Menschen dazu bewegt, ihre Dörfer zu verlassen und in die relativ sicheren Städte und IDP-Camps zu fliehen. Da nur sehr wenige noch ihr Land bewirtschaften, gibt es nicht genügend Nahrung und die meisten Menschen in den Camps sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Die Ziele der LRA sind unklar, aber nach 18 Jahren Kampf bleibt sie unbesiegt. Sie sind der ugandischen Armee überlegen, obwohl der Kern der LRA nur aus 200 voll bewaffneten Kämpfern besteht. Sie verstärken dies, indem sie Kinder entführen, brutalisieren und einer Gehirnwäsche unterziehen, damit sie für die LRA kämpfen – bisher wurden mehr als 20.000 entführt. Im Jahr 2002 startete Präsident Museveni die Operation "Iron Fist", bei der mehr als 14.000 Soldaten gegen die LRA eingesetzt wurden, doch anstatt die Rebellen zu zerschlagen, hat sich der Konflikt nur verschärft. Ausblenden

Mitarbeiter des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes und des libyschen Roten Halbmonds entladen im libyschen Swaoh Lebensmittel und andere Hilfsgüter für Flüchtlinge. Der anhaltende Bürgerkrieg und die Gewalt zwischen rivalisierenden Milizen haben mehr als 500.000 Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat gezwungen.

Foto: Reuters/Esam Al-Fetori, 2011. Ausblenden

Anmerkung: Dieses Kapitel gibt Ansichten des Verfassers wieder, die nicht notwendigerweise den Ansichten von IFPRI, Welthungerhilfe oder Concern Worldwide entsprechen.

People wait in line to check into a general food distribution in protection of civilian (PoC) site one in UN House, a UN base on the outskirts of Juba where Concern worked with the World Food Programme to distribute food. Im UN-Haus, einer UN-Basis am Stadtrand von Juba, wo Concern gemeinsam mit dem Welternährungsprogramm Nahrungsmittel verteilte, stellen sich Menschen für die allgemeine Nahrungsmittelausgabe im Rahmen eines Mandats zum Schutz von Zivilpersonen (PoC) an.

Krieg und Hungersnot, zwei der apokalyptischen Reiter, treten seit Menschengedenken zusammen in Erscheinung. Bewaffnete Konflikte bringen Ernährungssysteme zum Erliegen, zerstören Lebensgrundlagen und vertreiben Menschen aus ihrer Heimat. Diejenigen, die nicht fliehen, leben in Angst und Schrecken und können nie mit Sicherheit sagen, wann sie wieder etwas zu essen bekommen.

Nachrichtenbeiträge und wissenschaftliche Artikel zum Thema Konflikte und Hunger haben üblicherweise einen eher pessimistischen Tenor und gehen davon aus, dass beides unausweichlich zum menschlichen Dasein gehöre. Eine genaue Betrachtung jüngerer Entwicklungen gibt jedoch Anlass zum Optimismus: Das Ende des Hungers und durch Konflikte ausgelöster Hungersnöte bis 2030 scheint möglich. In diesem Kapitel sollen diese Entwicklungen untersucht, gefährdete Bevölkerungsgruppen identifiziert, die komplexe Wechselwirkung zwischen Konflikten und Hunger erforscht und schließlich die notwendigen Schritte hervorgehoben werden, mit denen Hungersnöte für alle Zeiten unterbunden werden.

Unsichtbare Opfer

Wenn heutzutage Hungersnöte oder akuter Hunger auftreten, sind zumeist bewaffnete Konflikte die Ursache. Der verlässlichsten aktuellen Schätzung zufolge sind 172 Millionen Menschen von solchen Konflikten betroffen (CRED 2013). Zwar stehen Flüchtlinge eher im Zentrum der Aufmerksamkeit, tatsächlich sind aber 87 Prozent der von Konflikten Betroffenen nicht aus ihrer Heimat geflohen – und ihnen geht es sogar tendenziell noch schlechter als den Flüchtlingen (CRED 2013). Sie leiden in aller Stille, jenseits der Reichweite von Hilfsorganisationen.

Gewaltopfer in scheinbar friedlichen Ländern stellen eine weitaus größere und dabei weniger sichtbare Gruppe hungernder Menschen dar. Unter ihnen sind Opfer von Gewaltverbrechen, Bandengewalt, Brutalität staatlicher Vollstreckungsorgane und Gewalt durch Lebenspartner – zusammen machen diese Vergehen den überwiegenden Anteil der weltweiten Gewalttaten aus (Geneva Declaration 2011). Von den geschätzten 780.000 Menschen, die zwischen 2004 und 2009 jährlich an Gewalt und deren unmittelbaren Auswirkungen starben, wurden 66 Prozent in Umgebungen ohne bewaffnete Konflikte getötet und starben zumeist an den Folgen von Verbrechen. 27 Prozent starben an Hunger und Krankheiten, die von Konflikten verursacht wurden, und nur 7 Prozent starben als direkte Folge eines Krieges. Lediglich 6 der 14 Länder, die eine jährliche Rate von mehr als 30 gewaltsamen Toden pro 100.000 Einwohner aufwiesen, waren in Kriege verwickelt. Die anderen acht – angeführt von El Salvador – haben hohe Raten von Gewaltverbrechen zu beklagen. Sämtliche Formen von Gewalt haben enorme und schwerwiegende Auswirkungen auf die Entwicklung. Ihre Opfer sind ärmer, stärker gefährdet und leiden häufiger unter Hunger als andere (World Bank 2011).

Auch Überlebende von Kriegen erhalten oft nicht genügend Aufmerksamkeit, obwohl ihre Ernährungssicherheit ebenfalls bedroht ist. Gewalttaten wirken nach, und diese Auswirkungen werden nicht nur in den psychologischen Traumata der Überlebenden und ihrer Familien sichtbar, sondern auch in ihrem allgemeinen Wohlergehen. Jüngste Studien über langfristige Folgen von Kriegsverletzungen und -traumata aus Uganda haben gezeigt, dass die betroffenen Haushalte mehr als andere unter Hunger, Krankheiten und Armut leiden (Mazurana et al. 2014). Die den Bedürfnissen der Überlebenden angemessene Versorgung stellt eine weitere große und oft vernachlässigte Herausforderung für die Sozial- und Ernährungspolitik dar.

Das Ende katastrophaler Hungersnöte

Im Oktober lösten Regenfälle im Lager der UN-Basis in Bentiu erneut schwere Überschwemmungen aus. Die Menschen standen hüfttief im Wasser. Aufgrund der Regenfälle blieb den etwa 47.000 hier lebenden Menschen kein trockenes Land, wohin sie hätten umzuziehen können. Concern Worldwide arbeitet seit Februar in der Basis und hat Wasserpumpen installiert – hilfreich bei niedrigeren Wasserständen, doch die Überschwemmungen bleiben ein Problem. Ausblenden

WELTWEITE OPFERZAHLEN GROSSER HUNGERSNöTE, 1870ER–2010ER Anmerkung: Bei jeder großen Hungersnot starben mehr als 100.000 Menschen.
Quelle: World Peace Foundation (2015).




 

Death Toll from Great Famines, 1870s–2010, by Continent Anmerkung: Bei jeder großen Hungersnot starben mehr als 100.000 Menschen.
Quelle: World Peace Foundation (2015).

Wenn auch noch viel zur Verbesserung der jeweils besonderen Situation dieser unsichtbaren Gruppen unternommen werden muss, so konnten doch bereits große Fortschritte erzielt werden. Wir konzentrieren uns so sehr auf die Probleme der Gegenwart, dass wir die langfristig bereits erreichten, großen Veränderungen leicht übersehen. So werden durch aktuelle Krisen zum Beispiel der erhebliche Rückgang jeglicher Art von Gewalt (Pinker 2012) und die Abnahme sowohl der Häufigkeit als auch der Schwere bewaffneter Konflikte (Human Security Report 2013) oft verdeckt.

Das Gleiche gilt für den Hunger. Nur zu leicht gerät eine historische, jedoch kaum bekannte Errungenschaft der letzten 50 Jahre aus dem Blick, nämlich die Reduzierung „katastrophaler Hungersnöte“ (diejenigen mit mehr als einer Million Todesopfern) und der Rückgang „großer Hungersnöte“ (diejenigen mit mehr als 100.000 Todesopfern) auf nahezu null (Howe und Devereux 2004).

Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurden in jedem Jahrzehnt Millionen Menschen von Hungersnöten hinweggerafft. Zwischen 1870 und 2014 starben in 106 Hungersnöten jeweils mindestens 100.000 Menschen (Mallory 1926; Newman 1990; Devereux 2000; Dyson und Ó Gráda 2002).

Die Entwicklungen sind eindrucksvoll (Abb. 3.1 und 3.2). Im 20. Jahrhundert gingen die Opferzahlen der großen Hungersnöte auf und ab: Die höchste Opferzahl für ein Jahrzehnt wies mit 27 Millionen die Zeit zwischen 1900 und 1909 auf. In den 1920ern, 1940ern, 1950ern und 1960ern lag die Summe bei jeweils über 15 Millionen und in den 1990ern bei einem Tiefstand von 1,4 Millionen. Im 21. Jahrhundert sind bisher rund 600.000 Menschen durch Hungersnöte gestorben.

Bei näherer Betrachtung der geschichtlichen Geschehnisse hinter diesen statistischen Kurven sehen wir einen Zusammenhang zwischen Hungersnöten und dem imperialen Zeitalter von den 1870ern bis zum Ersten Weltkrieg (Hobsbawm 1989). In Südasien und China fielen Dutzende Millionen, in Afrika Millionen und in Brasilien eine geringere Zahl von Menschen Hungersnöten zum Opfer. Die Ursachen: Dürre und Verwüstung durch imperiale Eroberung und Raubzüge, darunter die Zerstörung lokaler Produktionssysteme und die Etablierung von Zwangsarbeit zur Gewinnung von Exportgütern wie Gummi und Baumwolle. Mit dem Ende der skrupellosesten ära imperialer Expansion endeten diese Hungersnöte, die auch als „spätviktorianische Holocausts“ bezeichnet werden (Davis 2002).

In der Periode, die der Historiker Eric Hobsbawm das „Zeitalter der Extreme“ nannte (1996), nämlich der Zeit zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Ende des Kalten Krieges, wurden die katastrophalen Hungersnöte von totalitären Staatssystemen verursacht: Durch den deutschen und japanischen Militarismus, durch Stalinismus und Maoismus. Kriegsherren nutzten den Hunger routinemäßig als Waffe.

Die Zwangskollektivierung in der Ukraine und im südlichen Russland von 1932/1933 – eine möglicherweise als Genozid geplante Aktion, die in der Ukraine als „Holodomor“ bekannt ist – war das vielleicht schrecklichste Beispiel von Hunger als Staatspolitik (Conquest 1987). Wäre der Hungerplan der Nationalsozialisten, der den Hungertod von 20 bis 30 Millionen Weißrussen, Polen und Ukrainern vorsah, in Gänze ausgeführt worden, wären die Folgen noch massiver gewesen (Lowe 2012). In Bengalen, China, Indonesien und Vietnam fielen viele Millionen Menschen Kriegshungersnöten zum Opfer.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verursachten kommunistische Systeme grausame Hungersnöte. Im Zuge der chinesischen Hungersnot zwischen 1958 und 1962, die durch Mao Tse-Tungs „Großen Sprung nach vorne“ ausgelöst wurde (Becker 1996), starben 30 Millionen Menschen. Die Roten Khmer ließen in den 1970er-Jahren 1,5 Millionen Kambodschaner verhungern (Kiernan 2008). Diese katastrophalen Hungersnöte endeten gleichzeitig mit den „hungerverursachenden“ Regimen, also den totalitären Regierungen und den Vernichtungskriegen (Marcus 2003). Zu den letzten großen von kommunistischen Systemen verschuldeten Hungersnöten zählen die in äthiopien und Nordkorea. 1983–1985 fiel in äthiopien die strategische Nutzung des Hungers als Waffe mit einer Dürreperiode zusammen, wobei bis zu eine Million Menschen getötet wurden. In Nordkorea kostete 1996/1997 eine Nahrungsmittelkrise zwischen 500.000 und 600.000 Menschen das Leben (Goodkind, West und Johnson 2011).

Im 20. Jahrhundert waren die meisten Todesfälle durch Hunger in Europa und Asien zu verzeichnen (Abb. 3.2). Nur zwei afrikanische Hungersnöte – Biafra und äthiopien – haben in den letzten 100 Jahren mehr als jeweils eine Million Menschen getötet. Seit Hungersnöte in Europa nicht mehr vorkommen und auch aus Asien größtenteils verschwunden sind, stellen sie kaum noch eine Bedrohung dar.

Und schließlich steht die fallende Tendenz bei den Hungersnöten (Abb. 3.3) im Kontrast zum Aufwärtstrend der Weltbevölkerung, die von 1,7 Milliarden im Jahr 1900 auf heutzutage 7,3 Milliarden angestiegen ist. Damit kann der Pessimismus des Wissenschaftlers und Geistlichen Thomas Malthus widerlegt werden, der Anfang des 19. Jahrhunderts befürchtete, die Weltbevölkerung könne schneller wachsen als die Nahrungsmittelproduktion. Vor mehr als zwei Jahrhunderten schrieb er, dass eine „riesige und unausweichliche Hungersnot [dem Bevölkerungswachstum] auf dem Fuße folgen wird und mit einem gewaltigen Schlag die Bevölkerung dezimieren könnte“ (Malthus 1798, S. 140). Tatsächlich findet das genaue Gegenteil statt.

Stum Der Weltbevölkerung Und Opferzahlen Grosser Hungersnöte, 1900–2015

Hier ist ein YouTube-Video eingebettet. Wenn Sie ein YouTube-Video ansehen, kann Google personenbezogene Daten erfassen und Ihr Nutzungsverhalten verfolgen, wie in den Datenschutzbestimmungen beschrieben.

Präsentation von Alex de Waal, Direktor der World Peace Foundation und Forschungsprofessor an der Tufts University, am 28. Januar 2016 in Washington DC, im Rahmen der Vorstellung des Welthungerindex 2015.

Positive Entwicklungen

Das Ende des Kalten Krieges, die Einführung internationaler Menschenrechtsstandards und die Globalisierung gehören zu den Schlüsselfaktoren dafür, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Hunger weltweit beseitigt werden kann. Regierungen verfügen heutzutage nicht mehr über das groteske Privileg der Herrschenden, ihre Völker verhungern zu lassen und dem Rest der Welt mitzuteilen, dass ihn dies nichts angehe. Beispiellose weltweite Prosperität und Vernetzung, die Durchsetzung internationaler Interessen bei innerstaatlichen Menschenrechtsverletzungen sowie eine größere Verbreitung von Informationen machen es immer weniger wahrscheinlich, dass Menschen in aller Stille verhungern, weil ihre Regierungen oder die internationale Gemeinschaft nicht wissen, was geschieht.

Unter den Einzelfaktoren, die das Ende der Hungersnöte greifbar erscheinen lassen, sticht einer besonders heraus: China, einst das „Land des Hungers“ (Mallory 1926) – in dem zwischen 1870 und 1970 mehr als 80 Millionen Menschen an Hunger starben, mehr als die Hälfte der 149 Millionen Hungertoten dieser Periode (World Peace Foundation 2015) –, ist seit mehr als einem halben Jahrhundert von dieser Geißel befreit.

Die meisten Entwicklungen gehen in die richtige Richtung. Im Jahr 2013 konnte das Centre for Research on the Epidemiology of Disasters (CRED) berichten, dass es „vielversprechende Nachrichten über niedrigere Todesraten gibt, die darauf hinweisen, dass Phasen der Stabilisierung sowie humanitäre Anstrengungen Menschenleben retten konnten“ (CRED 2013, S. 23 f.).

Warnsignale

Die Entwicklung im Bereich der Fehlernährung ist allerdings laut der CRED-Studie „People Affected by Conflict“ weniger günstig; die weltweiten Kennzahlen für akute Unterernährung (Auszehrung oder Hungerödeme) sind seit 2008 gestiegen. Dieser jüngste Anstieg fällt mit einer weiteren besorgniserregenden Entwicklung zusammen: Der Rückgang von Kriegen stagniert ebenfalls (Apps 2015; PS21 2015). Dem weltweiten Think Tank Project for the Study of the 21st Century zufolge ist die Anzahl der bewaffneten Konflikte und der durch sie verursachten Todesopfer seit ihrem Tiefststand von 2006 wieder gestiegen, bleibt dabei aber weiterhin deutlich unter den langfristigen Durchschnittswerten. Zwischen 2013 und 2014 wurde in den 20 Ländern, die am stärksten von bewaffneten Konflikten betroffen waren, insgesamt ein Anstieg der gewaltsamen Tode um 28,7 Prozent, von 127.134 auf 163.562, verzeichnet. Syrien trägt zu diesem Anstieg mit mehr als 70.000 Todesfällen allein in dieser Periode bei Weitem am meisten bei. Die Zahlen sind historisch betrachtet immer noch niedrig, aber sie zeigen, dass noch weitaus mehr getan werden muss, um den Kampf gegen Krieg und Hunger zu gewinnen.

Neue Kriege, neue Hungersnöte

Die Hungersnöte unserer Zeit sind „komplexe humanitäre Notsituationen“, die zumeist durch bewaffnete Konflikte verursacht und durch Naturkatastrophen oder die internationale Politik noch verschärft werden (Keen 2008). An diesen „neuen Kriegen“ (Kaldor 1999) sind nicht nur nationale Armeen und Rebellen beteiligt, sondern auch paramilitärische Verbände, ethnische Milizen, kriminelle Banden, Söldner und internationale Streitkräfte. Die meisten neuen Kriege sind Bürgerkriege, die zunehmend über die ursprünglichen Grenzen hinweg Lebensgrundlagen und Nahrungssysteme zerstören und die Menschen zur Flucht zwingen. Sie sind, was Gewaltausübung und Hungerfolgen angeht, weniger tödlich als die alten Kriege (Human Security Report 2013), aber sie erscheinen oft unlösbar und zeichnen sich durch andauernde, scheinbar willkürlich ausgeübte Gewalt aus, vor der niemand sicher ist.

In früheren Zeiten erlaubten oder untersagten Regierungen und Rebellen den Hilfsorganisationen den Zugang. Wenn sie die Hilfe zuließen, stand sie unter ihrer Kontrolle, im Gegenzug genossen die Mitarbeiter der Organisationen ihren Schutz. Heutzutage bewegen sich humanitäre Helfer in einem gefährlicheren Mikro-Kriegsgebiet, das sich von Dorf zu Dorf verändern kann. Unter diesen Umständen sind außergewöhnliche Fähigkeiten vonnöten, um Nahrungsmittelhilfe zu den Notleidenden zu bringen, und das größere Risiko kann zu „neuen Hungersnöten“ (Devereaux 2007) führen. Einige Beispiele illustrieren, wie solche Hungersnöte entstehen:

  • SUDAN. In den Jahren 2003 und 2004 führten bewaffnete Konflikte zwischen dem sudanesischen Militär und verschiedenen Rebellengruppen in Darfur zu geschätzten 200.000 zivilen Todesopfern durch Hunger, Krankheiten und Flucht (US GAO 2006). Ein extremer Fall ereignete sich im April 2004 in dem kleinen Dorf Keilak, als ein Team der Vereinten Nationen feststellen musste, dass die Gesamt-Todesrate das 40-Fache des Grenzwerts überschritten hatte, ab dem der Notstand ausgerufen wird. Glücklicherweise war dies ein Einzelereignis, und die Belagerung durch den örtlichen Befehlshaber wurde eingestellt, als die Vereinten Nationen Alarm schlugen, so dass Hilfsgüter geliefert werden konnten.

  • SOMALIA. Die somalische Hungersnot von 2011/2012 war die bisher schlimmste ihrer Art in diesem Jahrhundert und kostete Schätzungen zufolge 250.000 Menschen das Leben (Maxwell und Majid 2015). Es handelte sich um eine komplexe Notsituation, zu der Dürre, Wirtschaftskrise und Krieg beitrugen. Die Hilfsorganisationen mussten sich nicht nur mit Zugangsbeschränkungen und dem Risiko von Entführung und Gewalt auseinandersetzen, sondern die Antiterrorgesetze der Vereinigten Staaten behinderten zusätzlich ihre Arbeit in Gegenden, die von den Aufständischen kontrolliert wurden. Die Vereinten Nationen machten erst auf die Hungersituation aufmerksam, als sie schon weit um sich gegriffen hatte. 2014/2015 führten ähnliche Faktoren in jenen Teilen Syriens und des Irak, die vom „Islamischen Staat“ kontrolliert wurden, zu akutem Hunger und insbesondere zum Aushungern der jesidischen Minderheit.

  • DEMOKRATISCHE REPUBLIK KONGO. Seit 1996 nähren Kriege in der Demokratischen Republik Kongo eine verheerende humanitäre Katastrophe. Schätzungen beziffern die Todesopfer auf bis zu 5,4 Millionen (International Rescue Commmittee 2008). Die überwiegende Mehrheit dieser Todesfälle wurde durch Hunger und Krankheiten verursacht, denn mit dem Zusammenbruch der Gesundheitssysteme und anderer wesentlicher Infrastruktur gehen auch Störungen der Arbeits- und Nahrungsmittelmärkte einher.

  • IRAK. In den 1990er-Jahren litt die irakische Bevölkerung unter einer tödlichen Kombination aus Saddam Husseins Plünderungen, umfassenden Sanktionen und einem System der Lebensmittelrationierung, mit dem Hussein seine loyalen Gefolgsleute belohnte und seine Macht festigte (Alnasrawi 2000). Zwischen 250.000 und 500.000 Kinder starben an Hunger und Krankheiten (UNICEF 1999).

Selbst wenn in jüngeren bewaffneten Konflikten der Zugang zu Nahrungsmitteln als Waffe eingesetzt wurde, führte dies nicht unbedingt zu größeren Hungersnöten. So enthielt zum Beispiel die srilankische Regierung während ihrer letzten Offensive gegen die Tamil Tigers im Jahr 2009 der belagerten und hungernden Zivilbevölkerung Hilfslieferungen vor (International Crisis Group 2010). Da jedoch der letztliche Sieg der Regierungstruppen zügig erfolgte, gab es keine langfristige Belagerung wie etwa in Biafra. Auf dem Höhepunkt der israelischen Besatzung von Gaza 2008/2009 wurde die Grundversorgung des Territoriums streng kontrolliert. Den Vereinten Nationen wurde lediglich die Einfuhr eines Bruchteils der Hilfsgüter gestattet, die sie eigentlich nach humanitären Standards für notwendig hielten (Cook 2012). Die Bevölkerung von Gaza erlitt extreme Entbehrungen, die sich jedoch nicht bis zu massenhaftem Hunger auswuchsen. Berichten zufolge sagte Dov Weisglass, ein Berater des israelischen Premierministers Ehud Olmert:

Wir wollen die Palästinenser auf Diät setzen, aber sie nicht verhungern lassen(Urquhart 2006)

Führt Hunger zu bewaffneten Konflikten?

Foto: UN Photo/Tobin Jones, 2012; Ehemalige Kindersoldaten, die von Al Shabaab angeworben wurden, werden nach ihrem Aufgreifen durch die Truppen der African Union Mission in Somalia (AMISOM) an das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) übergeben. Ausblenden

Box 3.1

VIELFäLTIGE URSACHEN BEWAFFNETER KONFLIKTE

Die Gründe für bewaffnete Konflikte sind komplex, nicht linear und werden von einer Vielzahl von Faktoren beeinflusst, darunter politische Institutionen und wirtschaftliche Strukturen (World Bank 2011). Ein breites Spektrum an Bedrohungen für die menschliche Sicherheit – Angriffe auf Gemeinschaft, Lebensgrundlagen und elementares Wohlergehen – liefert Erklärungsmuster dafür, dass Menschen einen Ausweg in der Gewalt suchen. Hunger ist sicherlich einer der Gründe, aber welche Rolle er spielt, hängt vom jeweiligen Kontext ab.

Diese Komplexität bedeutet, dass wir bei Rückschlüssen auf einzelne Triebkräfte eines Konflikts außerordentlich vorsichtig sein müssen. In Ländern wie Afghanistan, dem Jemen, Kolumbien, Kongo oder dem Sudan sind die Gewaltmuster ständig in Bewegung. Wie das Wasser eines schnell fließenden Gebirgsbachs sind sie scheinbar von einem Moment zum nächsten chaotisch, über einen längeren Zeitraum lässt sich jedoch eine Struktur erkennen. Wenn ein Wissenschaftler die Daten zu Gewalt in einem beliebigen Land über eine beliebige Periode nimmt, sie in einen Computer eingibt und nach Korrelationen mit Witterungsverläufen, Marktpreisen, Fehlernährungswerten – oder mit jedem beliebigen anderen Indikator – sucht, findet er immer irgendeinen Zusammenhang. Allerdings halten die wenigsten dieser Verbindungen einer genaueren Überprüfung stand (Buhaug et al. 2014). Nur allzu oft werden jedoch die Warnungen der Forscher vor der Unsicherheit ihrer Befunde abgetan, wenn diese zusammengefasst oder weiterverbreitet werden.

Bewaffnete Konflikte und Hunger stehen in engem Zusammenhang. In den Ländern, die laut Welthunger-Index 2014 die geringste Ernährungssicherheit aufweisen, herrscht entweder derzeit Krieg oder ist erst vor Kurzem ein Krieg beendet worden, darunter Burundi, Eritrea, die Komoren, Sudan, Südsudan und Timor-Leste (von Grebmer et al. 2014). Noch frappierender ist, dass in einer Reihe von Ländern – insbesondere in Burundi, dem Irak, den Komoren und dem Sudan (die alle von bewaffneten Konflikten betroffen sind) sowie in Swasiland, das von der weltweit schlimmsten HIV/AIDS-Epidemie gezeichnet ist – die objektiven Hungerindikatoren stagnieren, oder sich sogar verschlechterten, während die meisten anderen Länder über die letzten 25 Jahre bedeutsame Fortschritte erzielen konnten. In Ghana und Ruanda dagegen, wo relativ friedliche Verhältnisse herrschen, geht der Hunger zurück.

Es wird deutlich, dass bewaffnete Konflikte der Hauptgrund für anhaltenden schweren Hunger sind. Könnte es sein, dass Hunger – ob in Gestalt von Hungersnöten, chronischer Unterernährung oder allgemeiner Entbehrung – seinerseits ein Faktor ist, der Konflikte schürt? Das ist möglich, aber weniger wahrscheinlich.

Als Zusammenfassung einer kontroversen Debatte über die Ursachen bewaffneter Konflikte – die mehr als ein Jahrzehnt weithin als die „greed or grievance“-Diskussion (Collier und Hoeffler 2004) geführt wurde – schloss der Weltentwicklungsbericht der Weltbank im Jahr 2011, dass es keine einfache kausale Erklärung für Konflikte gebe (World Bank 2011), sondern diese vielmehr aus einer Vielzahl verschiedener Einflussgrößen resultierten (Box 3.1). Die wirtschaftlichen Faktoren, die ein Land in einen Bürgerkrieg treiben können, sind zahlreich. Die gute Nachricht ist, dass durch die in den vergangenen Jahrzehnten allgemein verbesserte Regierungsführung Konflikte, Armut und Hunger beständig abnahmen. Leider verliefen diese Entwicklungen nicht einheitlich, und was noch schlimmer ist: Es gibt Anzeichen dafür, dass diese Fortschritte zum Stillstand kommen.

Während es in Ostasien und Südostasien nahezu keine großen Hungersnöte mehr gibt, haben bewaffnete Gewalt und Hunger im Nahen Osten über die letzten fünf Jahre zugenommen. In Afrika – dem ärmsten und konfliktbeladensten Kontinent – ist das Risiko am größten. Viele betroffene Länder sind anfällig für Autoritarismus und einen brutalen Wettbewerb, der durch die sogenannte Ressourcenfalle angeheizt wird. Darunter versteht man Wirtschaftssysteme, die zur Beschleunigung ihres Wachstums stark auf die Verwertung natürlicher Ressourcen, vor allem Mineralien, angewiesen sind (Kaldor, Karl und Said 2007). Der „große afrikanische Landraub“ (Cotula 2013), bei dem lokale Oberschichten und ausländische Konzerne Millionen Kleinbauern das Land wegnehmen, trägt zu Missständen und menschlicher Unsicherheit bei, die in so unterschiedlichen Ländern wie äthiopien und Sierra Leone bereits zu gewaltlosem wie auch gewaltsamem Widerstand geführt hat.

Hunger hat destabilisierende Auswirkungen

Hunger unterscheidet sich von anderen menschlichen Belastungen. Nahrung und Hungersnot treffen einen tiefen emotionalen Nerv, sogar bei Menschen, die nie persönlich vom Verhungern bedroht waren. Weltweit ist die Überzeugung verbreitet, dass eine Regierung, die ihre Bevölkerung nicht ernähren kann, ihre Legitimität verspielt habe.

Bekanntermaßen gingen 1789 in Paris die revolutionären Volksmengen wegen hoher Brotpreise auf die Straßen (Grove 1998; Neely 2007). Die Hungersnot in Bengalen brachte 1947 die britische Herrschaft in Indien in Verruf und untergrub das Vertrauen in ihr Versprechen, Hunger zu verhindern (Drèze 1991). Die Herrschaft des äthiopischen Kaisers Haile Selassie wurde 1973/1974 durch die Hungersnot von Wollo geschwächt, und die Regierung des sudanesischen Präsidenten Jaafar Nimeiri wurde unter anderem durch ihr Unvermögen zu Fall gebracht, der Bevölkerung während der Dürre von 1985 Hilfsgüter zu liefern (Article 19 1990; de Waal 1997). Die schleppende und unzureichende Reaktion der pakistanischen Regierung von Ayub Khan auf Hunger und Entbehrungen in Ostbengalen, die durch den Wirbelsturm Bola, den tödlichsten Sturm der letzten 100 Jahre, verursacht wurden, trug zur Mobilisierung der bangladeschischen Unabhängigkeitsbewegung bei (Sommer und Mosley 1972; Hossain 2010).

In jüngerer Zeit haben unter anderem Hungeraufstände im Jahr 2008 zum Sturz der haitianischen Regierung geführt, und die Aufstände des Arabischen Frühlings 2011 fielen zeitlich mit Nahrungsmittelpreiserhöhungen zusammen (Brinkman und Hendrix 2011). In Ländern mit schwacher Staatlichkeit ist es wahrscheinlicher, dass Proteste in politischer Gewalt resultieren (World Bank 2011). Die Kausalkette von einer Lebensmittelknappheit zu Protesten ist komplex und in jedem Fall anders geartet, aber bei diesen Beispielen ist sehr wohl ein roter Faden zu erkennen. Ernährungssicherheit ist nicht nur ein wesentlicher Faktor für menschliches Wohlergehen, sondern auch eine tragende Säule politischer Stabilität. Wenn Regierungen die Ernährungssicherheit aufs Spiel setzen, gefährden sie ihren eigenen Fortbestand.

Beispiele der Unnachgiebigkeit

Es gibt Regierungen, die trotz ihrer Unfähigkeit, den Hunger einzudämmen, ihre Politik unverändert fortsetzen. Die Regierung Myanmars stand nach der Verwüstung durch den Wirbelsturm Nargis im Jahr 2008, bei dem Schätzungen zufolge 138.000 Menschen ertranken und weitere zwei Millionen ohne Obdach, Trinkwasser und Grundnahrungsmittel überleben mussten (Guha-Sapir und Vogt 2009), in der Verantwortung. Weil die Regierenden eine erhöhte internationale Präsenz während des Referendums über die neue Verfassung fürchteten, erlaubten sie zwei Wochen lang keine nennenswerten Hilfslieferungen und ergriffen auch selbst keine Maßnahmen (Zarni 2015). Herrscher wie der chinesische Mao Tse-Tung, Nordkoreas Kim Jong-il und äthiopiens Mengistu Haile Mariam blieben ohne Rücksicht auf das Leiden der Menschen an der Macht. Sie nutzten sogar die Entbehrungen und kontrollierten die Nahrungsmittelversorgung, um ihre Macht zu festigen (Becker 1996; Natsios 2001; de Waal 1997). Während das Unvermögen, gravierenden Hunger und Notlagen zu bekämpfen, also nicht unbedingt zum Sturz einer Regierung führt, so bildet eine tragfähige Strategie zur Ernährungssicherung doch ein gutes Instrument der politischen Absicherung.

Diese Tendenzen unterstreichen die weitgehend positive Schlussfolgerung, dass Hunger heute möglicherweise eine weniger große Bedrohung für den Frieden darstellt als in der Vergangenheit. Und es gibt keinen Grund, warum Naturkatastrophen zwingend Hungersnöte oder politische Krisen verursachen müssen (Box 3.2).

Ein Ausblick

Foto: UN Photo/Tobin Jones, 2012; Soldaten schauen Kindern beim Fußballspielen am Lido-Strand in Mogadischu, Somalia, zu. Nach mehr als zwei Jahrzehnten Bürgerkrieg kehren die Zeichen der Normalität in die somalische Hauptstadt zurück. Ausblenden

Box 3.2

KLIMAWANDEL, KONFLIKTE UND HUNGER

Zweifellos haben Anzahl und Schwere klimabezogener Katastrophen zugenommen (Guha-Sapir, Hoyois und Below 2014). Müssen wir als Konsequenz daraus nun mit mehr Konflikten und somit auch mehr Hunger rechnen?

Vor allem bei der Betrachtung des Verhältnisses von Konflikten und Umwelt ist es wichtig, methodologisch sachlich zu bleiben. Bisher zeigt sich der Gesamtzusammenhang von Klimawandel, Hunger und Konflikten recht ermutigend. In den letzten 50 Jahren gingen Kriege und Hunger zurück, trotz des fortschreitenden Klimawandels und der zunehmend häufigen und verheerenden Naturkatastrophen.

Auf Länderebene hat es – trotz Befürchtungen, das nächste Jahrhundert würde von „Wasserkriegen“ gekennzeichnet – in grenzüberschreitenden Flusseinzugsgebieten vom Indus bis zum Jordan sogar mehr Kooperationen als Konflikte gegeben (Islam und Susskind 2013). Ein Beispiel für diese positive Wende ist die Vereinbarung vom März 2015, in der sich äthiopien, ägypten und der Sudan über die Aufteilung des Nilwassers einigten.

Auf lokaler Ebene ist das Bild weniger vielversprechend. Daten aus Ostafrika zeigen, dass bei einem extremen Ausschlag der Regenmenge – egal ob zu viel oder zu wenig – die Gefahr von Konflikten steigt (Raleigh und Kniverton 2012). Auch Schwankungen bei den Viehpreisen und veränderte saisonale Arbeitsmigration in der Region, beide von der Niederschlagsmenge beeinflusst, werden mit dem Risiko von Gewalt in Verbindung gebracht (Maystadt, Calderone und You 2014; Maystadt und Ecker 2014). Von diesen Ergebnissen sollten allerdings keine weitergehenden Voraussagen abgeleitet werden. Die Auswirkungen bewegen sich innerhalb der dynamischen Parameter normaler lokaler Konflikte und sollten nicht als Vorboten größerer bevorstehender Kriege gesehen werden.

Jüngste Versuche, den Klimawandel als Verursacher großer bewaffneter Konflikte auszumachen, erregten wirksame Kritik und führten zu dem Einwand, dass diese Zusammenhänge äußerst kompliziert seien (Raleigh, Linke und O’Loughlin 2014). Neuere Studien widersprechen dem sowohl in Hinsicht auf das Ausmaß der Auswirkungen des Klimawandels auf Konflikte als auch bezüglich der Richtung, in welche diese sich entwickeln. Eine Studie merkt an, dass „es der Forschung bisher nicht gelungen ist, sich einer spezifischen und direkten Verbindung zwischen Klimawandel und gewalttätigen Konflikten anzunähern“ (Buhaug et al. 2014, S. 394 f.).

Um das zwischen extremen Wetterverhältnissen und Konflikten bestehende Wirkungsgeflecht zu verstehen, dürfen wir die Rolle der politischen Führer nicht aus den Augen verlieren. War zum Beispiel die anhaltende Dürre in Syrien von 2006 bis 2010 der Funke, der 2011 den Konflikt ausbrechen ließ? Die Wissenschaftlerin Francesca de Châtel hält dagegen, dass vielmehr die Politik der Regierung, insbesondere das dauerhafte bürokratische Missmanagement der natürlichen Ressourcen, den Ausschlag gegeben habe (de Châtel 2014). Der forcierte Bau von Dämmen und Bewässerungsprojekten im Nordosten des Landes habe dazu geführt, dass Kleinbauern in dieser Gegend vernachlässigt wurden, verarmten und darüber in Rage gerieten.

Außerdem reagierte die Regierung nicht auf die humanitäre Krise und die steigenden Lebensmittelpreise. Dies war einer der vielen Missstände, die im März 2011 die Proteste auslösten. De Châtel widerspricht vehement denjenigen, die eine starke Kausalverbindung sehen, und schreibt: „Die mögliche Rolle des Klimawandels ist bei dieser Ereignisfolge nicht nur irrelevant, sondern sogar eine störende Ablenkung und ein schädliches Alibi für die Versäumnisse des Assad-Regimes“ (de Châtel 2014, S. 532). Die Erkenntnisse anderer Klimaforscher geben das Ausmaß von Dürre und Grundwassermangel detailliert wieder und legen nahe, dass diese Faktoren zu den Unruhen von 2011 beigetragen haben könnten (Kelley et al. 2015).

Die Beziehung zwischen Umweltkatastrophen und be - waffneten Konflikten ist äußerst komplex. Forschern des Londoner Overseas Development Institute zufolge „reduzieren Naturkatastrophen einige Konflikttreiber, während sie andere verschärfen“ (Harris, Keen und Mitchell 2013). Katastrophen und Versäumnisse der Regierungen bei der Reaktion darauf können existierende gesellschaftliche Spannungen verstärken, während Zusammenbrüche wirtschaftliche Chancen für kriminelle Aktivitäten bieten. Krisen werden oft als Gelegenheiten genutzt, militante oder spalterische politische Absichten voranzutreiben. Und Katastrophen können Konflikte dadurch begünstigen, dass sie die bestehenden Machtverhältnisse verändern oder es einer Konfliktpartei ermöglichen, Hilfsgüter zu veruntreuen.

Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts fanden keine katastrophalen Hungersnöte mit mehr als einer Million Todesopfern mehr statt. Was aber muss unternommen werden, um Hungersnöte, akuten Hunger und Hungertode bis 2030 ganz zu beseitigen?

Zwei Hauptaufgaben beim Kampf gegen den konfliktbedingten Hunger zeichnen sich ab. Erstens brauchen wir stärkere Mechanismen zur Vermeidung und Lösung von Konflikten. Da sowohl die Anzahl als auch die tödlichen Auswirkungen von Kriegen zurückgehen, ist die langfristige Entwicklung bei den bewaffneten Konflikten recht vielversprechend (Human Security Report 2013). Die Fortschritte scheinen jedoch zu stagnieren, und die Herausforderungen unserer Zeit sind noch immer erheblich – so zum Beispiel im Südsudan, in Syrien und im Jemen. Zweitens müssen wir ein internationales humanitäres System vorantreiben, das umfangreiche Nahrungsmittelhilfe dort leistet, wo der größte Bedarf besteht.

Politische Verantwortung

Die Stärkung der internationalen Ernährungspolitik erfordert politischen Führungswillen. Dafür sind politische Entscheidungen in den Hauptstädten des Westens notwendig – und diese Entscheidungen fallen nicht immer ganz leicht. Die Vereinten Nationen und die Europäische Union können viel dazu beitragen, eine humanitäre Reaktion anzustoßen, aber die zentrale Rolle fällt hierbei der US-amerikanischen Regierung zu, vor allem in Fällen, die politisch kontrovers eingeschätzt werden. Mit ihren kontinuierlichen Getreideüberschüssen, die den Kern der globalen Nahrungsmittelhilfe ausmachen, ihrer Fähigkeit, die Tagesordnung des UN-Sicherheitsrats zu beeinflussen, und ihrer Durchsetzungskraft, finanzielle und rechtliche Sanktionen denjenigen gegenüber zu verhängen, die mit ihren Antiterrorgesetzen in Konflikt geraten, bleiben die Vereinigten Staaten die Vetomacht in Bezug auf die globale Hungerhilfe.

Als 1997 die ersten Anzeichen einer Hungersnot in Nordkorea zutage traten, entspann sich in den US-amerikanischen Zeitungen eine lebhafte Debatte. Auf der einen Seite wurde argumentiert, dass es falsch sei, Hilfe von einem politischen Kurswechsel des Regimes abhängig zu machen, ungeachtet seiner Verantwortung für die Hungersnot. Andere plädierten dafür, Nordkorea so lange auszuhungern, bis es kollabieren würde; die Hilfsleistungen würden letztlich zur Stützung des Militärapparats einer Regierung genutzt, die sowohl ihrer eigenen Bevölkerung als auch den Vereinigten Staaten feindlich gegenüberstehe. Auf der Seite der Befürworter einer Hilfsaktion führte Andrew Natsios – später, von 2001 bis 2006, Leiter der US-amerikanischen Behörde für internationale Entwicklung (US Agency for International Development, USAID) – an, dass die amerikanischen Hilfsleistungen zu einer öffnung der nordkoreanischen Regierung gegenüber der internationalen Gemeinschaft beitragen würden und dass noch nie ein totalitärer Diktator während oder nach einer Hungersnot gestürzt worden sei (Natsios 2001).

Natsios sollte dafür sorgen, dass das Versprechen von Präsident George W. Bush, „No famine on my watch“ („Solange ich im Amt bin, gibt es keine Hungersnöte“), gehalten würde. Die vielleicht bemerkenswerteste und dabei kaum beachtete Leistung von USAID in jenen Jahren war die Initiierung eines Hilfsprogramms für Darfur im September 2003 – sechs Monate bevor diese humanitäre Krise in die Schlagzeilen geriet. Natsios wusste sehr gut, dass seine Entscheidung die gleiche Kritik ernten könnte wie die US-amerikanische Hilfe für Nordkorea. Trotzdem tat er das Richtige. Durch die Nahrungsmittelhilfe wurde zweifellos vielen Tausend Einwohnern Darfurs das Leben gerettet.

Die Vereinten Nationen und andere mächtige Regierungen sind zwar in der Lage, größere Nahrungsmittelkrisen vorherzusehen und abzuwenden, aber die Entscheidung dazu ist immer politischer Natur. Auch angesichts einer drohenden Hungersnot in Somalia konnte die US-Regierung 2011 ihre Antipathie gegen die Al-Shabaab-Miliz zunächst nicht überwinden und wartete, bis die Katastrophe weit um sich gegriffen hatte, bevor sie Hilfe autorisierte (Maxwell und Majid 2015). Hinter den Kulissen machten es die US-Antiterrorgesetze UN-Behörden und NROs unmöglich, in Regionen tätig zu werden, die von der Al-Shabaab-Miliz kontrolliert wurden. Sich dem zu widersetzen hätte ihnen den Vorwurf einbringen können, eine terroristische Organisation zu unterstützen. Erst als die Vereinten Nationen entschieden, in Somalia eine Hungersnot auszurufen, waren die Vereinigten Staaten bereit, selbst zu reagieren und dies auch anderen zu gestatten, ohne dass diese automatisch mit der US-Antiterrorstrategie in Konflikt geraten würden.

Es ergibt sich ein klarer Auftrag: Notwendig ist eine Verpflichtung zur Abwendung von Hungersnöten auf höchster politischer Ebene, ungeachtet des politischen Kontexts. Ländern in Not muss geholfen werden, ohne Berücksichtigung ihres Ansehens bei jeder anderen Regierung.

Zwar ist die Beendigung katastrophaler Hungersnöte eine enorme Leistung – die Aufgabe aber, akuten und chronischen Hunger zu überwinden, ist noch nicht erfüllt. Wirtschaftliche Entwicklung, bessere Ernährungsstrategien, Konfliktlösung und internationale humanitäre Anstrengungen werden weiterhin eine Rolle bei diesem Unterfangen spielen. Solange bewaffnete Konflikte nicht eingedämmt – und möglichst beendet – werden und den vielen unsichtbaren Gewaltopfern nicht mit besseren humanitären Maßnahmen und Wohlfahrtsprogrammen geholfen werden kann, werden die Errungenschaften kaum langfristig Bestand haben.

 

Fußnoten

  1. Im WHI 2014 konnte nur ein Wert für den ehemaligen Sudan insgesamt berechnet werden, da für den Südsudan, der 2011 unabhängig wurde, und den heutigen Sudan keine getrennten Schätzungen zur Unterernährung für den Zeitraum von 2011 bis 2013 vorlagen.  
  2. Für die meisten dieser von Krieg gezeichneten Länder konnten im WHI 2015 keine Werte berechnet werden, da die entsprechenden Daten fehlen.