Klimawandel und Hunger
Das menschliche Handeln hat eine Welt geschaffen, in der es immer schwieriger wird, die Bevölkerung angemessen und nachhaltig zu ernähren. 150 Jahre rasanten Wirtschaftswachstums und ein daraus resultierender Anstieg der Treibhausgasemissionen haben die globalen Durchschnittstemperaturen verglichen mit dem vorindustriellen Zeitalter um 1 °C erhöht. Fachleute sind sich einig, dass der Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperaturen bei den derzeitigen Emissionen zwischen 2030 und 2052 voraussichtlich 1,5 °C erreichen wird. Klimamodelle prognostizieren höhere Durchschnittstemperaturen in den meisten Land- und Meeresregionen, Hitzewellen in den meisten bewohnten Gebieten sowie in einigen Regionen starke Niederschläge und eine immer größere Dürrewahrscheinlichkeit (IPCC 2018a).
Diese Veränderungen werden sich weltweit in zunehmendem Umfang auf das Leben der Menschen einschließlich ihrer Ernährung auswirken. In Südasien und Afrika südlich der Sahara – Regionen mit hohen Armuts- und Hungerraten – ist die Landwirtschaft stark von Niederschlägen abhängig und bereits für minimale Temperaturschwankungen anfällig. Für große Bevölkerungsgruppen (in einigen Ländern bis zu 80 Prozent der ländlichen Haushalte) bildet die Landwirtschaft die einzige Existenzgrundlage. Genau die Regionen, in denen diese Bevölkerungsgruppen leben, sind infolge des Klimawandels am stärksten von Hunger und Ernährungsunsicherheit bedroht. Für Menschen, die bereits jetzt von Hunger betroffen sind, erhöht der Klimawandel bestehende Risiken immens. Fast 822 Millionen Menschen sind nach wie vor unterernährt, und 149 Millionen Kinder weisen aufgrund von Unterernährung Wachstumsverzögerung auf (FAO et al. 2019). Darüber hinaus leiden mehr als zwei Milliarden Menschen unter einem Mangel an einem oder mehreren Mikronährstoffen (von Grebmer et al. 2014). Nach einem zuvor verzeichneten Rückgang ist die Zahl der Hungernden seit 2015 wieder gestiegen; diese Entwicklung führt die UN-Ernährungsund Landwirtschaftsorganisation (FAO) auf anhaltende Instabilität in konfliktbelasteten Regionen, eine schwache Wirtschaftsentwicklung in friedlicheren Regionen und schädliche Klimaereignisse zurück (FAO 2018b). Seit Anfang der 1990er-Jahre hat sich die Zahl der extremwetterbedingten Katastrophen verdoppelt, was sich auf die Ernteerträge bei den wichtigsten Nutzpflanzen auswirkt sowie zu steigenden Nahrungsmittelpreisen und Einkommensverlusten führt (FAO et al. 2018) – mit dramatischen Auswirkungen für ohnehin in Armut lebende Menschen.
Eines der gravierendsten Versäumnisse der Klimapolitik ist die Fokussierung auf den Klimawandel als biophysikalische Herausforderung, bei der es um CO2-Emissionsrechte, CO2- Speicherung und -Emissionsminderung geht, statt auf die eigentlichen zugrunde liegenden Faktoren, die auf gesellschaftliche Werte und Verhaltensweisen zurückgehen (Pelling, O’Brien und Matyas 2014). Erst in den vergangenen Jahren hat sich die Klimawandeldebatte zunehmend auf den menschlichen Lebensstil, Produktions- und Konsummuster, Verteilungs- und Klimagerechtigkeit konzentriert. Diese Diskursverschiebung ist ein notwendiger Schritt zur Schaffung eines gesellschaftlichen Konsenses für die tiefgreifenden Veränderungen, die – insbesondere in den einkommensstarken Ländern – erforderlich sind, um die aus einem demnächst deutlich wärmeren Weltklima resultierenden katastrophalen Folgen zu vermeiden.
Wie der Klimawandel Ernährungssicherheit gefährdet
Menschengemachte Faktoren einschließlich des globalen Ernährungssystems bewirken einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen um 0,2 °C pro Jahrzehnt (IPCC 2018a). Extreme Wetterereignisse wie Stürme, Brände, überschwemmungen und Dürren haben an Häufigkeit und Intensität zugenommen. Seit 1900 ist der durchschnittliche Meeresspiegel weltweit um 16 bis 21 Zentimeter gestiegen (IPCC 2014). All diese Erscheinungsformen des Klimawandels haben unmittelbare und mittelbare negative Auswirkungen auf Ernährungssicherheit, denn durch sie verändern sich Produktion und Verfügbarkeit, Zugang, Qualität und Nutzung von Nahrungsmitteln ebenso wie die Stabilität der Ernährungssysteme.
Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion
Als Reaktion auf höhere Temperaturen, Wasserknappheit, gestiegene CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre und Extremwetterereignisse wie Hitzewellen, Dürren und überschwemmungen wird die Nahrungsmittelproduktion vermutlich schrumpfen. Bereits jetzt schwinden die Erträge bei den wichtigsten Nutzpflanzen wie Mais und Weizen aufgrund von Extremwetterereignissen, Epidemien von Pflanzenkrankheiten und abnehmenden Wasserressourcen. In semiariden Regionen sind mindestens 80 Prozent der jährlichen Schwankungen in der Getreideproduktion auf das wechselhafte Klima zurückzuführen (FAO et al. 2018). In Afrika erweist sich das Verhältnis zwischen Produktionsmengen und verschiedenen Klimafaktoren wie etwa Niederschlagsmustern oder Temperatur als wesentlich komplexer; es gibt große regionale Unterschiede, die standortspezifische Anpassungsmaßnahmen erfordern. Der Anstieg des Meeresspiegels stellt insbesondere für die Ernährungssicherheit auf kleinen Inseln, in tief gelegenen Küstengebieten und in Flussdeltas eine Bedrohung dar. Und zwar nicht nur für die dort siedelnde Bevölkerung selbst, wie das Beispiel des äußerst fruchtbaren Mekong-Deltas zeigt, das rund die Hälfte der nationalen Reisproduktion Vietnams hervorbringt:
Angesichts dieser hohen Produktivität kann jede Veränderung erhebliche Auswirkungen auf die Nahrungsmittelverfügbarkeit und die gesamte Volkswirtschaft haben (Gommes et al. 1998). Das von der Hälfte der Weltbevölkerung konsumierte Grundnahrungsmittel Reis reagiert jedoch bereits auf geringfügige Veränderungen von Temperatur und Salzgehalt des Wassers sehr empfindlich, was die Erträge in wichtigen Anbaugebieten wie im Mekong-Delta extrem anfällig für Klimafolgen macht (FAO 2018b). Da die prognostizierten Folgen je nach Pflanze, Region und Anpassungsszenario unterschiedlich sind, müssen betroffene Bäuerinnen und Bauern standortspezifische Anpassungsmaßnahmen ergreifen. So weisen etwa Modellprojektionen des Agricultural Model Intercomparison and Improvement Project (AgMIP), eines internationalen Projekts zur Verbesserung der Modellbildung für die Landwirtschaft, auf Ertragsrückgänge an allen untersuchten Standorten in den Maisanbaugebieten Kenias hin. Obwohl 50 bis 70 Prozent der Betriebe von den Folgen des Klimawandels gefährdet werden, bestehen bei den tatsächlichen Auswirkungen von Region zu Region ebenso wie bei den Anpassungspotenzialen mitunter deutliche Unterschiede (AgMIP n.d.). Diese Variationen erfordern zusätzliche Untersuchungen zu kontextspezifischen Klimafolgen auch für weitere ernährungsrelevante Pflanzen wie Hirse, Linsen, Obst und Gemüse.
Der Klimawandel wird sich auch zunehmend auf die Wasserressourcen für die Nahrungsmittelproduktion auswirken, da er die Niederschlags- und Verdunstungsraten sowie den Grundwasserspiegel verändert. Derzeit leben 1,8 Milliarden Menschen – knapp ein Viertel der Weltbevölkerung – in von Wasserknappheit betroffenen Regionen; diese Zahl wird bis 2030 voraussichtlich auf rund die Hälfte der Weltbevölkerung ansteigen (IPCC 2014).
Klimabedingte Katastrophen wie Dürren, überschwemmungen und Stürme machen 80 Prozent aller international verzeichneten Katastrophen aus. Im Zeitraum 2011 bis 2016 waren große Teile der Welt von schweren Dürren betroffen, was zu einer Ernährungsunsicherheit auf Krisenniveau für 124 Millionen Menschen in 51 Ländern führte (FAO 2018b). Infolge des Wetterphänomens El Niño in den Jahren 2015 und 2016, das durch Klimaschwankungen verstärkt wurde, erlebte der Trockenkorridor von El Salvador, Guatemala und Honduras eine der schlimmsten Dürren der vergangenen zehn Jahre, die 50 bis 90 Prozent der Ernte beschädigte (FAO 2016). Je länger eine Dürre dauert, desto schwieriger wird es für die Betroffenen, die Auswirkungen zu bewältigen. Wiederkehrende Extremwetterereignisse wie der Zyklus von überschwemmungen und Wirbelstürmen, der Pakistan im Zeitraum 2007 bis 2010 heimsuchte, hatten verheerende Folgen für den Agrarsektor, denn die kumulierten Verluste betrugen laut Schätzungen das Vierfache der staatlichen Investitionen in diesem Sektor im Zeitraum 2008 bis 2011 (FAO 2015). Um diese Katastrophen zu bewältigen, sind die betroffenen Menschen in der Regel gezwungen, ihre Nahrungsaufnahme zu reduzieren, minderwertige Lebensmittel zu kaufen, ihre Vermögenswerte zu veräußern, ihre Existenzgrundlage zu verändern, zu migrieren oder eine Kombination dieser Strategien zu verfolgen (von Grebmer et al. 2018). Die Klimaauswirkungen betreffen vor allem Frauen, die oft nicht nur für die Nahrungsproduktion, sondern ebenso für die Verteilung in Familien und weiteren Gemeinschaften verantwortlich sind.
Darüber hinaus verschärft der Klimawandel Konflikte, insbesondere in ernährungsunsicheren Regionen. Klimakrisen und bewaffnete Konflikte schaffen eine doppelte Vulnerabilität für Gemeinschaften, deren Bewältigungsstrategien dafür nicht mehr ausreichen (ICRC 2019b). Die kombinierten Auswirkungen zerstören Existenzgrundlagen, lösen Vertreibungen aus, vergrößern wirtschaftliche und geschlechtsspezifische Ungleichheiten und untergraben den langfristigen Wiederaufbau sowie eine nachhaltige Entwicklung. Will man die mehrdimensionalen Folgen von Konflikten für die Ernährungssicherheit in Angriff nehmen, bedarf es eines von Grund auf integrierten Ansatzes zur Prävention. Ein solcher Ansatz muss Investitionen in innovative landwirtschaftliche Entwicklung priorisieren, die natürliche Umwelt angemessen berücksichtigen, die Widerstandsfähigkeit der Gemeinschaften gegenüber komplexen Ereignissen stärken und gleichzeitig Systeme zur gerechten und nachhaltigen Verwaltung von Ressourcen auf Gemeinschaftsebene unterstützen (Concern Worldwide 2018).
Auswirkungen auf den Zugang zu Nahrungsmitteln
Wetteranomalien und der Klimawandel, insbesondere Extremwetterereignisse, können Nahrungsmittelpreise in die Höhe treiben und damit den Zugang zu Nahrungsmitteln erschweren. Die ärmsten Haushalte – LandbewohnerInnen, die Lebensmittel zukaufen müssen, und die einkommensschwache Stadtbevölkerung – sind am stärksten von steigenden Nahrungsmittelpreisen betroffen; Letztere gibt beispielsweise ohnehin bis zu 75 Prozent ihres gesamten Haushaltsbudgets für Nahrungsmittel aus. Angesichts der weltweit engen Verflechtungen der Ernährungssysteme sind häufigere Extremwetterereignisse in einer Region imstande, das gesamte globale Ernährungssystem zu beeinträchtigen. Während das Klima in vielen wichtigen Produktionsgebieten Auswirkungen auf die Erträge hatte, führten auch politische Faktoren zu höheren Nahrungsmittelpreisen. In dieser volatilen und unsicheren Situation sind die Länder mit niedrigem Einkommen verständlicherweise zutiefst besorgt um ihre Ernährungssicherheit und ihre Fähigkeiten, sich an den Klimawandel anzupassen.
Auswirkungen auf die Ernährung
Klimaschwankungen und -extreme können sich in mehrfacher Hinsicht auf die Ernährung auswirken. In manchen einkommensschwachen und marginalisierten Regionen ist die Nahrungsaufnahme ohnehin stark saisonabhängig und die Ernährungssicherheit der Menschen während der mageren Jahreszeiten vor den Ernten bedroht. Klimawandelbedingte Ernteeinbußen können diese begrenzte Nahrungsmittelverfügbarkeit weiter verlängern oder verschärfen.
überdies kann der Klimawandel den Nährwert der angebauten Nahrungsmittel verschlechtern. Neuere Studien zeigen, dass höhere CO2-Konzentrationen den Eiweiß-, Zink- und Eisengehalt von Pflanzen reduzieren. Infolgedessen könnten bis 2050 schätzungsweise weitere 175 Millionen Menschen einen Mangel an Zink und darüber hinaus 122 Millionen einen Proteinmangel aufweisen. Diese Auswirkungen werden vor allem von Menschen zu spüren sein, die von Armut betroffen sind und deren Ernährung stark von pflanzlichen Nahrungsmitteln abhängt. Von der Kombination dieser Faktoren – und unzureichenden öffentlichen Gesundheitssystemen – sind vor allem in Armut lebende Bevölkerungsgruppen in Afrika, im Nahen Osten sowie in Süd- und Südostasien betroffen (Smith und Myers 2018).
Der Klimawandel wird sich zudem auf weitere Nutzpflanzen und Nahrungsquellen auswirken, die für eine stabile Ernährungssicherheit unverzichtbar sind. Hinsichtlich seiner Folgen für Nutzpflanzen liegen fast ausschließlich Daten zu den vier wichtigsten Grundnahrungsmitteln vor – Weizen, Reis, Mais und Soja –, obwohl viele weitere für die Nährstoffversorgung und Ernährungssicherheit unentbehrlich sind. Einigkeit herrscht darüber, dass Veränderungen bei landwirtschaftlicher Produktion, Weideflächen, Temperaturen und Wasser Einfluss auf die Tierproduktion haben werden. Studien der FAO zeigen, dass Dürren die schädlichsten klimabedingten Katastrophen sind und nach dem Pflanzenbau (49 Prozent aller gemeldeten Verluste) die zweithöchsten Verluste im Viehsektor (36 Prozent) nach sich ziehen. Die Einbußen beim Viehbestand haben unmittelbare Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von und den Zugang zu Nahrungsmitteln (FAO 2018b). Fische, eine weitere wichtige Nahrungs- und Nährstoffquelle für große Bevölkerungsgruppen, sind ebenfalls sehr durch Temperaturschwankungen und Klimaextreme gefährdet.
Nicht zuletzt beeinträchtigen unregelmäßige Niederschläge und höhere Temperaturen die Qualität und Sicherheit von Nahrungsmitteln. Eine höhere Niederschlagsintensität führt dazu, dass Schimmelpilze auf Nutzpflanzen wachsen, wobei einige Arten Toxine wie etwa Aflatoxine produzieren, die bei Kindern zur Wachstumsverzögerung führen können (Lombard 2014). Unzureichendes Nacherntemanagement als Folge sich ändernder Anbaubedingungen führt nicht nur zu einem quantitativen Verlust von Nahrungsmitteln, sondern auch zu einer Minderung ihrer Qualität und ihres Nährwerts.
Auswirkungen auf die Nahrungsmittelkette
In einem globalen Ernährungssystem, in dem bereits jetzt riesige Mengen an Nahrungsmitteln verloren gehen oder verschwendet werden, kann ein sich veränderndes Klima diese Verluste weiter verschlimmern. In Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen geht etwa ein Drittel der produzierten Nahrungsmittel zwischen Feld und Markt verloren, während in Ländern mit hohem Einkommen ein ähnlich hoher Anteil zwischen Markt und Esstisch vergeudet wird (FAO 2011). Da das derzeitige Ernährungssystem zwischen 21 und 37 Prozent der globalen anthropogenen Nettoemissionen verursacht (IPCC 2019), verschärfen diese Verluste den Klimawandel, ohne zur Verbesserung der Ernährungssicherheit oder Nährstoffversorgung beizutragen (IPCC 2018b). Tatsächlich bedeuten Nahrungsmittelverluste dieser Größenordnung nicht nur eine enorme Belastung für die knappen Umweltressourcen, sondern stellen auch eine Ursache für das Fortbestehen von Ernährungsunsicherheit dar. Klimawandel und Wetterextreme können diese Situation in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen verschärfen: Nutzpflanzen, die auf dem Acker Dürre und bei der Lagerung hoher Luftfeuchtigkeit ausgesetzt sind – aufgrund veränderter Niederschlagsmuster ist dies immer häufiger der Fall –, sind anfälliger für Schädlinge und Pilzbefall, was zu quantitativen und qualitativen Verlusten bei Nahrungsmitteln führt.
Klimawandelrisiken für Ernährungssicherheit reduzieren
Angesichts der Gefahr, die der Klimawandel für die Ernährungssicherheit darstellt, sind die derzeitigen Maßnahmen unzureichend. Das aktuell bestehende internationale Instrument zur Bewältigung dieser Herausforderung ist das Pariser Klimaschutzabkommen, das 2015 ausgehandelt wurde. Dieses übereinkommen mit dem Ziel, die Erwärmung auf deutlich unter 2 °C, beziehungsweise bis auf 1,5 °C, zu begrenzen, haben bisher 185 Länder ratifiziert (UNFCCC 2019). Sein Kernstück bilden die individuellen Zusagen der Länder zur Reduzierung ihrer jeweiligen Treibhausgasemissionen (nationally determined contributions, NDCs). Dessen ungeachtet wird erwartet, dass alle derzeitigen Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels, wie sie in den NDCs der Länder definiert sind, bis 2100 zu einem Anstieg der globalen Temperaturen um 3 bis 4 °C gegenüber dem vorindustriellen Durchschnitt führen werden (IPCC 2018b). Dies würde eine massive überschreitung beider Ziele – des 1,5 °- wie des 2 °-Ziels – bedeuten und hätte erhebliche Folgen für die Ernährungssicherheit. Um diese Differenz zu minimieren, haben sich die Länder auf einen Fünfjahreszyklus für die Berichterstattung, die Bewertung der Fortschritte und die Festlegung neuer, ehrgeizigerer nationaler Beiträge geeinigt.
Es sind jedoch weitreichendere Maßnahmen notwendig, um die für die Ernährungssicherheit entstehenden Gefahren des Klimawandels zu verringern (Minderung) und die Auswirkungen zu bewältigen (Anpassung). Der Klimawandel stellt uns dabei vor die Herausforderung entscheidender Ungerechtigkeiten im Hinblick auf:
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die Verantwortung für die Entstehung des Klimawandels,
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die Auswirkungen des Klimawandels auf zukünftige Generationen,
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die Folgen des Klimawandels für vulnerable Bevölkerungsgruppen im Globalen Süden und
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die Kapazitäten, sich an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen.
All diese Ungerechtigkeiten ereignen sich an der Schnittstelle von Klimawandel und Ernährungssicherheit und stellen ethische und existenzielle Herausforderungen dar. Die am stärksten vom Klimawandel betroffenen Regionen und Bevölkerungsgruppen haben am wenigsten zu den Faktoren beigetragen, die den Klimawandel verursachen. Zugleich verfügen sie über die geringsten Kapazitäten, dessen Auswirkungen zu bewältigen. Das Konsumverhalten der heutigen Generationen in Ländern mit mittlerem und hohem Einkommen gefährdet die Ernährungssicherheit künftiger Generationen. Indem wir nötige Maßnahmen verzögern und begrenzen, reduzieren wir den Lebens- und Handlungsspielraum zukünftiger Generationen (Raworth 2012).
Kleine oder schrittweise änderungen sind weder ausreichend, noch erfolgen sie schnell genug, um unterhalb des Schwellenwerts von 2 °C gemäß Pariser Klimaschutzabkommen zu bleiben. Stattdessen wird eine Transformation – ein grundlegender Wandel menschlicher und natürlicher Systeme – heute als entscheidend für die Umsetzung einer klimaresistenten Entwicklung anerkannt, die den Zielen der Agenda für nachhaltige Entwicklung, insbesondere dem Ziel 2 „Kein Hunger bis 2030“, ebenso entspricht wie dem Pariser Klimaschutzabkommen. Dazu gehören auch zwingend Anpassungsund Klimaschutzmaßnahmen sowie nachhaltige Entwicklung. Generell ist ein tiefgreifender und bewusster Wandel hin zu Nachhaltigkeit nötig, der durch Veränderungen individueller und kollektiver Werte und Verhaltensweisen sowie eine gerechtere Verteilung der politischen, kulturellen und institutionellen Macht in der Gesellschaft ermöglicht wird (IPCC 2018b). Häufig werden bei solchen Veränderungen Fragen der Gerechtigkeit vernachlässigt, weil etwa davon ausgegangen wird, dass Wirtschaftswachstum Chancen für alle schaffe. Die Geschichte zeigt jedoch, dass Strategien, die sich für die Mehrheit der Menschen positiv auswirken, oftmals negative Folgen mit sich bringen, insbesondere für marginalisierte und gefährdete Menschen (Hickel 2019).
In Anbetracht der Tatsache, dass das globale Ernährungssystem eine zentrale Rolle bei solchen Vorhaben spielt, fordert auch die EATLancet- Kommission die Umsetzung einer radikalen Transformation (Willett et al. 2019). Sie weist zu Recht darauf hin, dass wir ohne groß angelegte Maßnahmen Gefahr laufen, sowohl die Ziele der Agenda 2030 als auch die des Pariser Klimaabkommens zu verfehlen. Es ist zwar ein lobenswerter erster Versuch, universelle wissenschaftliche Ziele für das Ernährungssystem festzulegen, einschließlich der Reduzierung von Lebensmittelabfällen. Aber diese Ziele können nicht universell angewendet werden, da es weltweit große Unterschiede beim Konsumverhalten gibt. So wird beispielsweise in Nordamerika das Sechseinhalbfache der empfohlenen Menge an rotem Fleisch konsumiert, während in Südasien lediglich die Hälfte der empfohlenen Menge erreicht wird. Empfehlungen können daher nicht global durchgesetzt werden, sondern müssen differenziert und lokal angepasst werden.
Auswirkungen des Klimaschutzes auf die Ernährungssicherheit
Um den Lebens- und Handlungsspielraum für die Gesellschaft zu erhalten, müssen Klimaschutzmaßnahmen umgesetzt werden, also Maßnahmen zur Minderung oder Vermeidung von Treibhausgasemissionen oder zur Verbesserung der Absorption der bereits emittierten Gase, um das Ausmaß der zukünftigen Erwärmung zu begrenzen. Dabei spielen Land- und Forstwirtschaft eine wichtige Rolle, da die Fotosynthese dazu genutzt werden kann, atmosphärisches CO2 in Kohlenhydrate und Sauerstoff umzuwandeln.
Minderungsmaßnahmen können zudem Synergien mit den Bestrebungen zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion bilden. Nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken können die Bodenqualität verbessern und damit die Produktivität und andere ökosystemleistungen wie die Regulierung der Wasserqualität steigern. Durch die Verbesserung des Boden- und Düngemittelmanagements, die Nutzung von Biokohle (Holzkohle, die aus Pflanzenmaterial hergestellt und im Boden gelagert wird, um der Atmosphäre CO2 zu entziehen), die Züchtung tieferer Wurzelsysteme, ein effektiveres Güllemanagement, die Einführung optimierter Fütterungspraktiken für Tiere und eine bessere Bewirtschaftung der Weideflächen können die Bäuerinnen und Bauern sowohl Kohlendioxid binden als auch die Produktivität steigern. Aus technischer Sicht bietet die Agroforstwirtschaft ein enormes Minderungspotenzial.
Um die globale Erwärmung auf 1,5 °C zu begrenzen, müssen Minderungsstrategien jedoch schnell und umfassend ergriffen werden, was allerdings negative Auswirkungen auf Entwicklung und Ernährungssicherheit haben kann. So können Bioenergieplantagen zwar dazu beitragen, Kohlendioxid zu binden und fossile Brennstoffe zu ersetzen, gleichzeitig könnte ihr Anlegen zur Folge haben, dass natürliche Wälder und Subsistenzlandflächen umgewandelt, Biodiversität reduziert, die Ernährungs- und Wassersicherheit sowie lokale Existenzgrundlagen gefährdet und soziale Konflikte befeuert werden (Brondizio et al. 2019). Veränderungen beim Zugang zu diesen Ressourcen gehen überproportional zulasten von Frauen, die besonders auf gemeinsam genutzte Ressourcen angewiesen sind. Alle Klimamodelle, die einen Weg zur Erreichung der Pariser Klimaschutzziele aufzeigen, legen nahe, Verfahren großflächiger Bioenergiegewinnung in Kombination mit Maßnahmen zur Bindung und Speicherung von Kohlendioxid einzusetzen. Um sicherzustellen, dass vulnerable Gruppen durch solche Minderungsmaßnahmen nicht weiter marginalisiert werden, muss die verantwortungsvolle Verwaltung von Landnutzungsrechten gewährleistet werden.
BOX 3.1
HUNGER UND KLIMAWANDEL: VULNERABILITäT UND VORSORGEKAPAZITäT
Seth Gitter und Kierstin Ekstrom
Jene Länder, die am stärksten vom Klimawandel und von Hunger betroffen sind, verfügen über die geringsten Ressourcen, um diese Probleme zu bewältigen. Darüber hinaus wirken sich die Folgen des Klimawandels negativ auf die natürlichen Ressourcen und damit die Nahrungsmittelproduktion aus. Dadurch können Konflikte, Migration und politische Instabilität zunehmen und sich folglich Hunger und Unterernährung verschärfen (Scheffran et al. 2012).
Ein Vergleich von WHI-Werten der Länder mit deren Vulnerabilität und Vorsorgekapazitäten im Hinblick auf den Klimawandel verdeutlicht den Zusammenhang zwischen diesen Faktoren. Die Notre Dame Global Adaptation Initiative (ND-GAIN) bewertet Länder hinsichtlich ihrer Klimawandel-Resilienz. Die Initiative definiert Vulnerabilität als „Anfälligkeit oder Veranlagung menschlicher Gesellschaften, durch Klimagefahren bedroht zu werden“, und untersucht sie in sechs Bereichen: Nahrung, Wasser, Gesundheit, ökosystemleistungen, menschlicher Lebensraum und Infrastruktur (Chen et al. 2015, 3).1 Sie definiert Vorsorgekapazität (engl. „readiness“) als die Fähigkeit, Finanzmittel zu nutzen und in Anpassungsmaßnahmen umzusetzen (Chen et al. 2015), und betrachtet diesbezüglich wirtschaftliche, regierungstechnische und soziale Aspekte.
Die Länder werden auf einer Skala von 0 (geringste Vulnerabilität) bis 1 (höchste Vulnerabilität) bewertet. Von den Ländern mit einem WHI-Wert 2019 weist Niger (0,67) die höchste und Russland (0,33) die niedrigste Vulnerabilität auf. Länder mit höheren WHI-Werten sind vulnerabler, wie die starke positive Korrelation zwischen den beiden Werten darlegt (0,88). Darüber hinaus wird die Vorsorgekapazität der Länder auf einer Skala von 0 bis 1 bewertet – von „gering“ bis „hoch“. Die Zentralafrikanische Republik (0,13) weist die geringste Vorsorgekapazität auf, während Estland (0,62) über die höchste aller Länder mit einem WHI-Wert verfügt. Länder mit höheren WHI-Werten zeigen geringere Kapazitäten, Vorsorge zu betreiben, bei einer Korrelation von –0,75 zwischen den beiden Werten. Am höchsten bewertet wird die Vorsorgekapazität einkommensstarker Länder, die allerdings nicht im WHI berücksichtigt sind (Singapur und Neuseeland haben beide einen Wert von je 0,80). Die Schweiz (0,27) weist die geringste Vulnerabilität auf.
In Abbildung 3.2 wird die Vulnerabilität der Länder gegenüber dem Klimawandel in einen Bezug zu ihrer Vorsorgekapazität gesetzt, wobei die Länder gemäß ihrer Einstufung auf der WHI-Schweregradskala markiert sind. Es wird deutlich, dass die Länder mit gravierenden oder sehr ernsten WHI-Werten (35 oder höher) die höchste Vulnerabilität und die geringste Vorsorgekapazität aufweisen, wohingegen die Länder mit niedrigen WHI-Werten (unter 10) über die geringste Vulnerabilität und die höchste Vorsorgekapazität verfügen.
Am äußersten Ende des oberen linken Quadranten – der Länder repräsentiert, die vom Klimawandel gefährdet sind und kaum Vorsorge leisten können – befinden sich die Zentralafrikanische Republik und der Tschad. Diese Länder weisen zwei der drei höchsten WHI-Werte sowie zwei der zehn höchsten ND-GAIN-Vulnerabilitätswerte auf. überdies werden für beide Staaten sehr hohe Bevölkerungswachstumsraten prognostiziert, die die negativen Auswirkungen des Klimawandels verschärfen werden (Nugent 2019). Der Klimawandel wirkt sich bereits negativ auf die Tschadseeregion aus – einschließlich des Tschads und des Nachbarlands Niger mit dem höchsten Vulnerabilitätswert aller WHI-Länder –, wodurch die Nahrungsmittelproduktion vor Ort gesunken ist und Hunger und Konflikte angeheizt werden (Ruppel und Funteh 2019). ähnliche fatale Kombinationen von Klimawandel, Konflikten und schlechten Ernten haben die Zentralafrikanische Republik erschüttert.
Ein Ausreißer im Hinblick auf die Verbindung von Hunger auf der einen sowie klimawandelbezogener Vulnerabilität und Vorsorgekapazität auf der anderen Seite ist Myanmar. Dort ist das Hungerniveau zwar mäßig, doch zählt Myanmar zu den Ländern, die am wahrscheinlichsten von klimawandelbedingten Naturkatastrophen betroffen sein werden, während es kaum Strategien und Kapazitäten vorweisen kann, um solche Probleme in Angriff zu nehmen (Leckie, Butta und Maung 2018). Sambia stellt aufgrund seiner Vorsorgekapazität ebenso einen Ausreißer dar, obwohl es im Großen und Ganzen genauso gefährdet ist wie die anderen Länder mit ähnlich hohen WHI-Werten. Tatsächlich zeigt Sambia von den Ländern mit sehr ernster Hungerlage die höchste Vorsorgekapazität. Das Land hat zunehmend erfolgreich klimapolitische Rahmenbedingungen geschaffen und Finanzierungsmöglichkeiten identifiziert (Watson, van Rooji und Nakhoodi 2013).
Ruanda und Timor-Leste, im oberen rechten Quadranten, verfügen zwar über eine überdurchschnittliche Vorsorgekapazität, sind aber ebenso vulnerabel gegenüber Klimafolgen, denn Ruanda ist ein von der Landwirtschaft abhängiges Binnenland und Timor-Leste eine kleine Inselnation. Die Vorsorgekapazität Ruandas ist auf die wachsende Wirtschaft und den bereits in Kraft getretenen Klimaaktionsplan des Landes zurückzuführen (USAID 2019d). Timor-Leste mit einer Bevölkerung von etwas mehr als einer Million Menschen profitiert von einem Erdölfonds mit Rücklagen von fast 17 Milliarden US-Dollar (Timor-Leste Ministry of Finance 2018).
Venezuela und Algerien – beide im unteren linken Quadranten – weisen trotz ihrer Vulnerabilität eine relativ geringe Vorsorgekapazität auf. In der derzeitigen wirtschaftlichen und politischen Krise Venezuelas ist die Regierung bereits jetzt nicht in der Lage, diverse Basisdienstleistungen zu erbringen. Daher ist es unwahrscheinlich, dass sie klimawandelbedingte Probleme wirksam bekämpfen kann. Die Probleme Algeriens sind zwar weniger ausgeprägt, aber vergleichbar. Der Niedergang der von Erdölexporten abhängigen Wirtschaft Algeriens und die mangelhafte Regierungsführung hatten zur Folge, dass sich das Land nicht auf den Klimawandel vorbereiten konnte (Green Climate Fund 2017). Ganz anders stellt sich die Lage der relativ wohlhabenden osteuropäischen Staaten wie Estland und Litauen dar, deren Vulnerabilität zu den geringsten und deren Vorsorgekapazität zu den höchsten zählen: Beide Länder verfügen über stabilere politische Rahmenbedingungen und größere wirtschaftliche Ressourcen als andere im WHI berücksichtigte Länder.
Dieser Vergleich des WHI mit den beiden Komponenten des ND-GAIN-Index, der erhebliche geografische überschneidungen mit Blick auf Klimawandel und Hunger offenlegt, verdeutlicht die doppelte Gefahr für einige der am stärksten gefährdeten Länder der Welt und zeigt auf, wo der größte Handlungsbedarf besteht.
ABBILDUNG 3.2 KLIMAWANDEL – VULNERABILITäT UND VORSORGEKAPAZITäT GEMäSS WHI-SCHWEREGRADSKALA
BOX 3.2
KOMBINATION VON INDIGENEM WISSEN UND METEOROLOGISCHEN DATEN ALS ANPASSUNGSSTRATEGIE
Mindestens ein Viertel der globalen Landfläche wird von indigenen Völkern verwaltet, genutzt oder bewohnt. Darüber hinaus bewirtschaften unterschiedlichste Gemeinschaften – einschließlich Bäuerinnen und Bauern, FischerInnen, HirtInnen, JägerInnen, ViehzüchterInnen und WaldnutzerInnen – große Gebiete unter verschiedensten Eigentums- und Zugangsregelungen. Indigenes Wissen und die Partizipation der Gemeinschaften bilden daher wichtige Grundlagen für groß angelegte Anpassungs- und Klimaschutzmaßnahmen. In vielen Gesellschaften wird indigenes Wissen zur Regenvorhersage genutzt, doch zunehmende Klimaschwankungen könnten diese weniger zuverlässig machen. Maßnahmen, bei denen indigenes Wissen mit meteorologischen Daten kombiniert wird, führen hingegen zu neuen Erfahrungen und Erkenntnissen, die direkt vor Ort genutzt werden können.
Als Teil ihrer Strategie im Umgang mit wetterbedingten Risiken und zur Planung des landwirtschaftlichen Zyklus haben Andenbäuerinnen und -bauern in Bolivien seit jeher Bioindikatoren – Naturphänomene wie Sterne, Wind, Pflanzen und Tiere – beobachtet. Die Anwendung dieser Methoden ist in den vergangenen Jahrzehnten jedoch zurückgegangen. Zwischen 2005 und 2018 setzte die Entwicklungsorganisation Helvetas ein Programm zur Katastrophenvorsorge um, bei dem Gruppen von Yapuchiris – das sind erfahrene und angesehene Bäuerinnen und Bauern – traditionelle Bioindikatoren zusammenfassten und systematisierten. Diese lokalen, spezialisierten LandwirtInnen, die vom Nationalen Landwirtschaftlichen Frühwarnsystem zertifiziert sind, erfassen und verbreiten per App lokale, auf Bioindikatoren basierende Wettervorhersagen und ergänzen auf diese Weise konventionelle meteorologische Daten.
Dieses Bioindikator-Vorhersagemodell hat die Ernteverluste durch Dürre, Hagel, Frost und überschwemmungen deutlich reduziert. Die Yapuchiris haben ihre Erfahrungen mit anderen Bäuerinnen und Bauern in der Region geteilt und diese ermutigt, lokale Innovationen zu nutzen. Durch die Ergänzung technisch erzeugter Klimadaten um das Wissen indigener Völker verleiht dieses Programm den Klimamaßnahmen eine bolivianische Identität.
Auch in Mali haben sich die Niederschlagsmuster so stark verändert, dass traditionelle Erntekalender und -strategien ihre Gültigkeit verloren haben und die Existenzgrundlagen der von der Landwirtschaft und Viehzucht abhängigen Bevölkerung bedroht sind. Durch das Helvetas-Projekt Nemaso, was in der lokalen Sprache Bambara „Feuchtigkeit“ bedeutet, werden Kontakte zwischen der nationalen Wetterstation und den meteorologischen Instituten mit der jüngeren Dorfbevölkerung hergestellt. Letztere lernt dabei, agrarmeteorologische Daten zu deuten und für die Landwirtschaft zu nutzen. In den Dörfern der Regionen Ségou und Sikasso wurden einfache Regenmesser zur Kontrolle der Niederschlagsmengen aufgestellt. Die Daten werden systematisch gesammelt und per Handy an den Nationalen Meteorologischen Dienst übermittelt. Dieser sendet wiederum kurz- und langfristige Wettervorhersagen sowie -warnungen zurück, die auf Langzeitdaten und Wettermodellen basieren. Die Bäuerinnen und Bauern werten die agrarmeteorologischen Informationen aus und nutzen sie zur Wiederherstellung ausgetrockneter Flächen und zur Steigerung der Bodenfruchtbarkeit. Durch dieses Vorgehen wurde in den ersten beiden Jahren des Programms eine 20- prozentige Produktionssteigerung erreicht (Cooperación Suiza en Bolivia 2018).
Möglichkeiten und Grenzen der Anpassung
Anpassungsmaßnahmen tragen dazu bei, sowohl die negativen Auswirkungen des Klimawandels zu meistern als auch die sich ergebenden Chancen zu nutzen. Bedarfsgerechte und partizipativ entwickelte nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken wie beispielsweise agroökologische Verfahren und multifunktionale Landschaftsplanung können mehreren Zwecken dienen, darunter Ernährungssicherheit und Biodiversitätsschutz. Dennoch können sich Zielkonflikte zwischen Anpassung, Entwicklung und Minderung ergeben, die für die lokale Bevölkerung schwer vorherzusehen und zu handhaben sind.
Die Festlegung von Anpassungsstrategien stellt eine der größten Herausforderungen dar. Weil Maßnahmen kontextspezifisch sein müssen, liegen die notwendigen Schritte oft außerhalb des Erfahrungsbereichs der beteiligten Akteure und erfordern zudem Unterstützung von Stakeholdern auf mehreren Ebenen. Anpassungsstrategien machen bisweilen Umverteilungsmaßnahmen notwendig, wie etwa die Bereitstellung eines Zugangs zu erschwinglichen und gehaltvollen Nahrungsmitteln oder erneuerbaren Energien für jene, die aufgrund der Maßnahmen Nachteile erleiden. Daher bedürfen die Strategien einer sorgfältigen Kommunikation, Planung, Finanzierung, Implementierung und Kontrolle.
Weltweit werden ganz unterschiedliche Anpassungsmaßnahmen durchgeführt, etwa die autonome Anpassung, bei der sich menschliche und natürliche Systeme ständig an das tatsächliche Klima und seine Auswirkungen anpassen; die schrittweise Anpassung, bei der Veränderungen innerhalb eines Systems vorgenommen werden, ohne dessen Wesen und Integrität zu beeinträchtigen; oder eine Transformation, bei der die grundlegenden Eigenschaften eines sozioökologischen Systems in Hinblick auf den Klimawandel und seine Auswirkungen verändert werden sollen. Manchmal, meist als unbeabsichtigte Konsequenz, kommt es auch zu einer Fehlanpassung. Das heißt, dass Minderungsmaßnahmen unbeabsichtigt zu einem erhöhten Risiko für Klimafolgen führen können, unter anderem durch gestiegene Treibhausgasemissionen, höhere Vulnerabilität oder verminderten Wohlstand, sei es aktuell oder in Zukunft (Antwi-Agyei et al. 2018).
Die zukünftige Ernährungssicherheit wird von der Anpassung an die schnelle biologische Evolution abhängen, die durch menschengemachte Veränderungen ausgelöst wurde. Mit sich wandelnden Temperaturen und Niederschlagsmengen breiten sich Pflanzen- und Tierkrankheiten in neue Biome aus. Die Züchtung von Arten, die sich an diese Bedingungen anpassen können, kann 20 Jahre dauern, sodass damit jetzt begonnen werden muss, um sie bis spätestens 2040 nutzen zu können. Der Privatsektor hat jedoch wenig in diese Art von Forschung und Zucht investiert, denn die zukünftigen Prozesse des Klimawandels wie auch dessen Wechselwirkung mit der Pflanzen- und Tierwelt bergen Unsicherheiten, und die meisten der frühen und schwerwiegendsten Auswirkungen sind in von Subsistenzwirtschaft geprägten Regionen zu spüren. Daher müssen neue Partnerschaftsmodelle ins Leben gerufen werden, um entsprechende Investitionen zu forcieren.
In diesem Sinne bringen einige Initiativen bereits indigenes und gemeinschaftliches Wissen mit externer Expertise zusammen, um neues Wissen und innovative Praktiken zu entwickeln (siehe Box 3.2). Diese sind von großer Bedeutung, weil Anpassungskapazitäten in den Regionen geschaffen werden müssen, in denen die Klimafolgen besonders stark zu spüren sind. Dabei wird auch das Wissen von Frauen nutzbar gemacht, die oftmals Agrobiodiversität verwalten und über traditionelles Wissen verfügen. Grundsätzlich müssen beim Kapazitätsaufbau der betroffenen Bevölkerung zur Klimawandelanpassung oder zur Bewältigung der Klimafolgen relevante, lokale Risiken adressiert sowie Interessengruppen einbezogen werden. Zudem ist zu gewährleisten, dass Anpassungsinitiativen bestehenden Entscheidungssystemen nicht zuwiderlaufen.
Eine wichtige Ressource für die zukünftige Anpassung stellt die lokale Erhaltung der landwirtschaftlichen Artenvielfalt dar. In den meisten großen terrestrischen Biomen ist die durchschnittliche Diversität einheimischer Arten um mindestens 20 Prozent gesunken (Brondizio et al. 2019). Wilde Verwandte von Kulturpflanzen, Säugetieren und Vögeln sind wichtig für die langfristige Ernährungssicherheit. Ein Rückgang der Vielfalt von Kultur- und Wildpflanzen sowie domestizierten Rassen wird hingegen dazu führen, dass Agrarökosysteme weniger widerstandsfähig gegen künftige Klimaänderungen, Schädlinge und Krankheitserreger werden. Lokale Initiativen, auch von indigenen Völkern und ansässigen Gemeinschaften, bilden bisher das Rückgrat von Erhaltungsmaßnahmen; diese müssen gestärkt werden.
Anpassungsstrategien sind zwar entscheidend, gleichwohl sind sie begrenzt. In den äquatornahen Regionen – in denen sich vor allem Länder mit niedrigem Einkommen befinden – führt schon ein kleiner Temperaturanstieg zu geringeren Ernteerträgen. Die landwirtschaftlichen Produktionssysteme können sich zwar an kleinere Veränderungen der globalen Durchschnittstemperaturen anpassen – einen Temperaturanstieg von 3 °C oder mehr könnten sie hingegen nicht verkraften. Dies wird sich in unterschiedlicher Weise auf die Länder mit niedrigem Einkommen und insbesondere die Bevölkerungsgruppen, denen es an Ressourcen und alternativen Existenzgrundlagen mangelt, auswirken.
Andererseits bietet der Klimawandel auch die Chance, durch Anpassung neu entstehende Vorteile nutzen zu können. Dazu gehören längere Wachstumsperioden, der Zugang zu neuen Flächen auf der Nordhalbkugel für die Nahrungsmittelproduktion, gestiegene Ertragspotenziale, aber auch neue Transportrouten und der Zugang zu Rohstoffvorkommen in der Arktis. Allerdings sind die Rechte zur Nutzung dieser Potenziale zwischen den Anrainerstaaten bereits heftig umkämpft, und die mögliche Nutzung der Ressourcen stellt ein Hindernis für den Klimaschutz dar.
Wie die Herausforderungen Klimawandel und Hunger bewältigt werden können
Förderung des gesellschaftlichen Wandels
Einzelpersonen ergreifen Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen, wenn sie glauben, etwas verändern zu können. Regierungen müssen die Bevölkerung jedoch davon überzeugen, dass eine alternative Zukunft möglich ist und die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung tatsächlich erreicht werden. Sie müssen den jeweiligen Gegebenheiten entsprechend eine Transformation der Produktions- und Konsummuster fördern. Die Bürde einer Verhaltensänderung darf indes nicht auf jene abgewälzt werden, die über begrenzte Kapazitäten verfügen und in der Vergangenheit nur wenige globale Ressourcen verbraucht und CO2 emittiert haben.
Solidarität und soziale Sicherung
Mehrere Regionen der Welt wie beispielsweise die kleinen Inselnationen erleben bereits die Auswirkungen des Klimawandels und die damit verbundenen Risiken für die Ernährungssicherheit. Globale Solidarität mit diesen und anderen stark klimagefährdeten Bevölkerungsgruppen muss gefördert und Sozialversicherungsprogramme müssen erarbeitet werden. Die Klimaschutzfinanzierung muss aufgestockt werden, damit klimagefährdete Menschen und Regionen verlässlich nennenswerte Mittel erhalten. Anpassungs- und Minderungsmaßnahmen müssen bei der Finanzierung gleichgestellt sein. Die Umlenkung der Entwicklungsgelder in die Klimaschutzfinanzierung untergräbt die Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung und kann Ernährungssicherheit wie Anpassungsfähigkeit gefährden. Minderungs- und Anpassungsmaßnahmen müssen mit Sozialversicherungsprogrammen kombiniert werden, die die am stärksten gefährdeten Personen vor den negativen Auswirkungen dieser Maßnahmen einschließlich Hunger und Ernährungsunsicherheit schützen.
Regierungsführung und Kapazitätsaufbau
Anpassungs- und Minderungsmaßnahmen müssen auf mehreren Ebenen ausgehandelt, koordiniert und umgesetzt werden. Stakeholder auf allen Ebenen müssen in der Lage sein, gemeinsame Prioritäten und Schutzmaßnahmen auszuhandeln und zu definieren, um sicherzustellen, dass marginalisierte Menschen nicht die Hauptlast für ein global gestecktes Ziel tragen. Gute Regierungsführung, partizipative Planungsprozesse und Rechenschaftslegung bilden wesentliche Elemente, um Bevölkerung und Institutionen bei der Aushandlung und Definition fairer und nachhaltiger Maßnahmen zu unterstützen. Entscheidend dafür ist eine Verlagerung von der bestehenden, projektbezogenen, kurzfristigen Finanzierung hin zu programmatischen, langfristigen Anpassungsinvestitionen im Einklang mit nationalen Haushalten. So wird eine massive Ausweitung der Zusammenarbeit zwischen den globalen und nationalen Zivilgesellschaften, dem Privatsektor, Regierungen und Kommunen erforderlich. Relevante Institutionen und Akteure müssen gestärkt werden, um Not und Vertreibung zu vermeiden. Durch die Unterstützung geschlechterparitätisch besetzter lokaler Führungskräfte mit großem Rückhalt in der Bevölkerung kann es gelingen, breit angelegte Anpassungs- und Minderungsmaßnahmen umzusetzen.
Schlussfolgerungen
Der Klimawandel wirkt sich so stark auf das globale Ernährungssystem aus, dass die Gefahren für jene Bevölkerungsgruppen, die bereits unter Hunger und Unterernährung leiden, weiter zunehmen. In diesem Zusammenhang erfordert das Bestreben, Hunger und Unterernährung zu beenden, groß angelegte Maßnahmen, mit denen die durch den Klimawandel verschärften Ungleichheiten beseitigt und die Belastbarkeitsgrenzen unseres Planeten eingehalten werden. Dies erfordert ambitionierte Regierungen, die der Bevölkerung überzeugend aufzeigen, dass eine alternative Zukunft mithilfe großflächig umgesetzter Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen möglich ist. Globale Solidarität mit den am stärksten vom Klimawandel bedrohten Bevölkerungsgruppen und Ländern muss gefördert werden. So müssen insbesondere einkommensstarke Länder Verantwortung für eine Reduzierung der Klimawandelursachen übernehmen und Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen bei der Anpassung an diese Veränderungen unterstützen. Sowohl Minderungs- als auch Anpassungsmaßnahmen müssen mit Sozialversicherungsprogrammen kombiniert werden, die die am stärksten gefährdeten Menschen vor Hunger, Ernährungsunsicherheit und negativen Auswirkungen der Maßnahmen schützen. Darüber hinaus sind gute Regierungsführung, Kapazitätsaufbau, partizipative Planungsprozesse und Rechenschaftslegung unerlässlich, um Menschen und Institutionen bei der Aushandlung und Definition fairer und nachhaltiger Maßnahmen zu unterstützen. Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es einer radikalen Transformation sowohl des individuellen als auch des kollektiven Verhaltens und der gesellschaftlichen Werte. überdies braucht es eine gerechtere Verteilung der politischen, kulturellen und institutionellen Macht innerhalb der Gesellschaft – zum Nutzen der Ernährungssicherheit aller Menschen.
Fußnoten
Über die Autorin
Rupa Mukerji ist Leiterin des Bereichs Beratungsdienste, Senior Beraterin für Klimawandelanpassung und Mitglied der Geschäftsleitung bei der Schweizer Organisation für Entwicklungszusammenarbeit Helvetas. Zudem wirkt sie als Mitglied des wissenschaftlichen Lenkungsausschusses am Forschungsprogramm „Climate Change Vulnerability, Impacts and Adaptation“ (PROVIA) mit und ist Mitglied des Partnerbeirats des Global Framework for Climate Services. Zudem ist sie Mitautorin des fünften und des sechsten Sachstandsberichts des IPCC. Studiert hat sie Naturwissenschaften und Management.