One Health, Zero Hunger
Anmerkung: Dieses Kapitel gibt die Meinung der Autor*innen wieder und entspricht nicht notwendigerweise den Ansichten der Welthungerhilfe oder von Concern Worldwide. Bei der deutschen Fassung handelt es sich um eine leicht gekürzte Version des englischen Originaltextes.
ABBILDUNG 2.1 NACHHALTIGKEITSZIEL 2 – KEIN HUNGER – UND SEINE ACHT UNTERZIELE
Quelle: UN (2020e), von den Autor*innen angepasst.
2020.
Ein Jahr, wie es wohl niemand vorhersehen konnte, und dennoch in vielerlei Hinsicht die Kulmination jahrzehntelanger Prognosen.
Das Versäumnis, auf Warnungen vor der Entstehung neuer viraler Krankheitserreger zu reagieren, hat zu dem enormen Ausmaß der Covid-19-Pandemie und ihrer Folgen beigetragen.
Unterdessen führt menschliches Handeln zu immer häufigeren und schwereren Extremwetterereignissen, Biodiversitätsverlust, Entwaldung und Bodendegradation. Da gleichzeitig nicht ausreichend in solide Biosicherheitspraktiken investiert wird, wächst die Bedrohung durch neu auftretende, grenzüberschreitende Infektionskrankheiten bei Menschen, Tieren und Pflanzen (Yadav, Singh und Malik 2020; Royal Society und NAS 2020; Gray und Merzdorf 2019; Edwards 2017; Sundström et al. 2014; Seneviratne et al. 2012; Waage und Mumford 2008).
Zyklone haben im Jahr 2020 in vielen südpazifischen Inselstaaten und in Südasien weitreichende Schäden verursacht und schwere Regenfälle in meist trockenen Regionen haben massive Heuschreckenschwärme entstehen lassen, welche die Ernten in Ostafrika, Südasien und den Golfstaaten bedrohen. Der Herbst-Heerwurm dezimiert Grundnahrungsmittelpflanzen in Afrika südlich der Sahara und in Südostasien und Kontrollbemühungen werden vielerorts durch die Covid-19-Beschränkungen erschwert (Bourke und Sar 2020; FAO 2020f. Die sich überschneidenden Katastrophen haben weltweit zu wirtschaftlichen und gesundheitlichen Krisen geführt, die Ernährungssicherheit von Millionen von Menschen beeinträchtigen und in Armut lebende Menschen unverhältnismäßig treffen.
Bereits bevor die diesjährigen Krisen den Hunger verschärften, war die Welt nicht auf Kurs, um das Ziel „Kein Hunger bis 2030“ zu erreichen. Vor fünf Jahren verpflichteten sich die UN-Mitgliedsstaaten zu 17 Zielen der nachhaltigen Entwicklung, darunter Ziel 2: „Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft fördern“ (siehe Abbildung 2.1). Nach einem langsamen, aber stetigen Rückgang steigt die Zahl unterernährter Menschen seit 2015 wieder an. Im Jahr 2019, noch vor den jüngsten Krisen, litten fast 690 Millionen Menschen an chronischem Hunger und 135 Millionen Menschen waren von einer akuten Ernährungskrise betroffen. Wachstumsverzögerung und Auszehrung bei Kindern nehmen zwar ab, allerdings nicht schnell genug, um den Hunger zu beenden (FAO et al. 2020; FSIN 2020; UN 2019b). Nun haben die pandemiebedingten Gesundheits- und Wirtschaftskrisen zu Einkommensverlusten, Nahrungsmittelknappheit, Arbeitslosigkeit und Beeinträchtigungen in der Gesundheitsversorgung geführt, wovon vor allem die Schwächsten der Gesellschaft betroffen sind. Das Welternährungsprogramm warnt, dass sich die Zahl der Menschen, die von einer akuten Ernährungskrise betroffen sind, bis Ende 2020 fast verdoppeln könnte (UN 2020f).
Wie können wir in den verbleibenden zehn Jahren diese Krisen und Rückschläge überwinden, um den Hunger zu beenden? Die diesjährigen Ereignisse legen viele der Schwachstellen des globalen Ernährungssystems offen; sie zeigen, dass es für die Bewältigung der multiplen globalen und regionalen Krisen, von denen wir bis 2030 noch mehr erwarten können, völlig ungeeignet ist (FAO et al. 2020; Nguyen 2018). Wir haben gesehen, wie diese Krisen den Ernährungs- und Landwirtschaftssektor erschüttern, die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt gefährden und dauerhafte Auswirkungen auf die Weltwirtschaft, die Lebensgrundlagen und die Ernährungssicherheit haben (FAO et al. 2020; OECD 2020). Dieser Essay legt dar, wie es mithilfe eines integrierten Ansatzes für Gesundheit und Ernährungssicherheit möglich ist, das Ziel „Kein Hunger bis 2030” zu realisieren. Dazu müssen wir Lösungen für die aktuellen Krisen und ihre Ursachen entwickeln und beginnen, das derzeitige Ernährungssystem so zu transformieren, dass es inklusiver, nachhaltiger und widerstandsfähiger wird.
Ein wichtiges Element dieses Bestrebens ist ein ganzheitlicher „One Health“-Ansatz. Sektorbezogene Antworten allein führen selten zu nachhaltigen Lösungen für komplexe Probleme wie Klimawandel, chronischer Hunger oder nicht nachhaltige Landwirtschaftspraktiken. Um bestmögliche Gesundheitsergebnisse zu erzielen, rückt One Health daher die Zusammenhänge zwischen Menschen, Tieren, Pflanzen und ihrer gemeinsamen Umwelt sowie die Rolle fairer Handelsbeziehungen in den Fokus (CDC 2020; FAO 2020j). Während der Begriff „One Health“ relativ neu ist, erkannten Wissenschaftler*innen bereits in den 1800er-Jahren die ähnlichkeit von Krankheitsprozessen zwischen Tieren und Menschen und prägten den Begriff „Zoonosen“ für Krankheiten, die zwischen Mensch und Tier übertragen werden können.
In jüngerer Zeit ist klar geworden, dass die Auswirkungen menschlichen Handelns auf die Gesundheit des Planeten, einschließlich Bodendegradation, Treibhausgasemissionen und Biodiversitätsverlust, untrennbar mit der Gesundheit von Tier und Mensch verbunden sind. Es bedarf multidisziplinärer Teams, um diesen Herausforderungen zu begegnen und die landwirtschaftliche Produktion sowie die öffentliche Gesundheit vor Naturkatastrophen und grenzüberschreitenden Krankheiten zu schützen und um sicherzustellen, dass die Menschen Zugang zu sicherer, nahrhafter und gesunder Ernährung haben. Derzeit wird One Health eher durch sektorübergreifende Konsultationen umgesetzt; es wird erst dann voll funktionsfähig sein, wenn zirkuläre Ernährungs-, Gesundheits- und Wirtschaftssysteme – basierend auf einer kontinuierlichen Nutzung von Materialien und Produkten sowie der Minimierung von Abfall – auf lokaler, nationaler und globaler Ebene implementiert werden (CHF 2020).
Mit seinem Fokus auf die Förderung nachhaltiger Landwirtschaftspraktiken und die Verbesserung der Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt kann ein One-Health-Ansatz transformativ wirken (Cleaveland et al. 2017; Garcia, Osburn, und Jay-Russell 2020; Alders et al. 2017; Lysaght et al. 2017). Indem er zeigt, wie unsere aktuellen Herausforderungen zusammenhängen, verdeutlicht der Ansatz, dass die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt ganzheitlich zu betrachten ist, um künftige Gesundheitskrisen abzuwenden, einen gesunden Planeten wiederherzustellen und den Hunger zu beenden.
Schwachstellen im globalen Ernährungssystem
Abbildung 2.2
Druck Auf Die Planetaren Und Sozialen Grenzen
Quelle: A Doughnut for the Anthropocene: humanity’s compass in the 21st centuryAnmerkung: Diese schematische Darstellung der planetaren und sozialen Grenzen (auch Donut genannt) veranschaulicht in den dunkelgrünen Kreisen das gesellschaftliche Fundament und die ökologische Grenze, innerhalb derer sich der sichere und gerechte Raum für die Menschheit befindet. Die roten Keile weisen auf überschreitungen der ökologischen Grenze oder Defizite im sozialen Fundament hin (einige Bereiche des sozialen Fundaments haben mehr als einen Indikator, wie die roten Keile zeigen; für eine vollständige Auflistung siehe Raworth 2017a). Das Ausmaß des Drucks auf die planetaren Grenzen, die derzeit nicht überschritten werden, wird nicht dargestellt. Das Konzept der planetaren Grenzen wurde erstmals von Rockström et al. (2009) eingeführt.
Wir stoßen an die planetaren und sozialen Grenzen, jenseits derer die Menschen nicht sicher und gerecht leben können, und unsere Ernährungssysteme sind Teil des Problems.
(Abbildung 2.2; Raworth 2017b). Während wir global das Ziel „Kein Hunger“ anstreben, sind alle Gesellschaften mit den Auswirkungen des Klimawandels, neu auftretenden Krankheiten, dem Verlust der Bio- und Agrodiversität, übermäßigem Süßwasserverbrauch, steigenden Fehlernährungsraten, Bodenverarmung und -degradation, Landnutzungsänderungen sowie biologischer und chemischer Verschmutzung konfrontiert und müssen zudem ihren Sofortbedarf im Rahmen nationaler Haushaltspläne decken (Alders et al. 2018; Rampa et al. 2019; siehe auch Box 2.1).
Das überschreiten der planetaren Grenzen zeigt sich unter anderem in der vermehrten Entstehung und Ausbreitung neuer Infektionskrankheiten. Der Mensch dringt zunehmend zerstörerisch in natürliche Lebensräume ein, etwa um Weideland für Vieh zu schaffen. Durch den engeren Kontakt zwischen Wildtieren und Nutztieren werden Letztere völlig neuen Krankheitserregern und Vektoren ausgesetzt. Diese Krankheiten können sich schnell ausbreiten, was zu hoher Morbidität und Mortalität bei Vieh sowie zu Handelsbeschränkungen und wirtschaftlichen Verlusten führt (Garcia, Osburn und Jay-Russell 2020). Nutz- und Haustiere wurden mit einem erhöhten Risiko für neu auftretende Infektionskrankheiten (Johnson et al. 2020; Kock 2014), antimikrobieller Resistenz (Graham et al. 2019) und der Einschleppung von Krankheiten in anfällige Wildtierpopulationen in Verbindung gebracht (Yadav, Singh und Malik 2020). Covid-19 zeigt die gleichzeitige Anfälligkeit der öffentlichen Gesundheit, der Wirtschaft und der Ernährungssicherheit bei neu auftretenden Krankheiten.
Unsere Ernährungssysteme bergen Gesundheitsrisiken für Mensch und Umwelt und tragen maßgeblich zu immer neuen Infektionskrankheiten wie Covid-19 bei.
Durch Landnutzungsänderungen, intensive Landwirtschaft oder Massentierhaltung tragen die Ernährungssysteme zu agroökologischer Degradierung, Zerstörung von Lebensräumen und dem Klimawandel bei (IPES-Food 2017). Tatsächlich verursacht das Ernährungssystem 21 bis 37 Prozent der gesamten vom Menschen verantworteten Netto-Treibhausgasemissionen und ist für 70 Prozent des Süßwasserverbrauchs verantwortlich. Landund Weidewirtschaft beanspruchen fast 40 Prozent der weltweiten Landfläche (Willett et al. 2019; IPCC 2020). Insgesamt ist die starke Zunahme der intensiven Viehzucht die wichtigste Ursache für den enormen Verlust an biologischer Vielfalt in den letzten Jahrzehnten; die Aussterberate wird heute auf das Hundert- bis Tausendfache des vorindustriellen Niveaus geschätzt (Ceballos, Ehrlich und Raven 2020; Ceballos et al. 2015; Pimm et al. 2014; Barnosky et al. 2011).
Veränderte Lebensstile und Ernährungsgewohnheiten haben zu einer erhöhten Nachfrage nach tierischen Lebensmitteln wie Eiern, Fleisch, Milch und Fisch geführt, was zu höheren Raten ernährungsbedingter nichtübertragbarer Krankheiten sowie zur Intensivierung der Produktionssysteme, zur überbelegung von Ställen und zu einem erhöhten Risiko führt, dass Tierkrankheiten ausbrechen und auf den Menschen übergreifen (Yadav, Singh und Malik 2020; FAO et al. 2020). Die Hälfte der zwischen 1940 und 2005 neu aufgetretenen Zoonosen lässt sich auf Landnutzungsänderungen, landwirtschaftliche Praktiken und Nahrungsmittelproduktion zurückführen (IPES-Food 2017). In einkommensschwachen Ländern wird oftmals Land für den Anbau von Futterpflanzen für die intensive Tierzucht in anderen Teilen der Welt umgewidmet – zuweilen durch Landraub reicher Länder und Konzerne. Diese veränderte Landnutzung zerstört Wälder und trägt zum Verlust von Kohlenstoffsenken bei (Blanco 2018). In ähnlicher Weise stammt ein erheblicher Teil der in Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen importierten tierischen Nahrungsmittel aus intensiver Viehhaltung, was negative Auswirkungen auf die globalen ökosysteme, die Lebensgrundlage von Viehzüchter*innen und die menschliche Gesundheit hat (Coordination SUD 2019). Gleichzeitig weisen die lokalen Lieferketten Schwächen auf, welche die Ernährungssicherheit der Menschen bedrohen, darunter unzureichende Einrichtungen zur Konservierung verderblicher Lebensmittel tierischen Ursprungs sowie von Obst und Gemüse (FAO 2017). Seit dem Aufkommen von Covid-19 rücken die auch im One-Health-Ansatz angesprochenen Krankheitsübertragungswege zwischen Mensch, Tier und Umwelt zunehmend in den Fokus (Kock et al. 2020); dabei werden oft Lebendtiermärkte und ihre Rolle bei der übertragung von Krankheitserregern von Wildtieren auf den Menschen thematisiert (Restif 2020). Allerdings spielen Lebendtiermärkte in vielen Gesellschaften seit Langem eine zentrale Rolle bei der Vermarktung frischer Nahrungsmittel und werden dies auch zukünftig tun (Ribeiro et al. 2020). Vielerorts sorgen sich Verbraucher*innen um den Zugang zu erschwinglichen tierischen Lebensmitteln und haben wenig Vertrauen in die Sicherheit intensiv produzierter Nahrungsmittel (Duggan 2015; World Bank 2016a), etwa aufgrund einer Kontamination mit Hormonen, Antibiotika oder Pestizidrückständen. Viele Konsument*innen bevorzugen daher Wildtiere, die auf informellen Märkten verkauft werden (Alders 2020).
Die globale Ernährungspolitik benachteiligt Länder mit niedrigem Einkommen sowie Kleinbäuerinnen und -bauern.
Die zunehmende Globalisierung der weltweiten Ernährungssysteme führt unter anderem zu einer wachsenden Abhängigkeit der Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen von Nahrungsmittelimporten sowie zu unzureichenden Investitionen in lokale kleinbäuerliche Betriebe, Vereinigungen und kleinbäuerlich orientierte Wertschöpfungsketten (FAO 2014, 2017; Poole und de Frece 2010; McMichael 2013). Die andelsunterschiede zwischen einkommensschwachen und einkommensstarken Ländern vergrößern sich, wobei erstere Prognosen zufolge bis 2030 Nettoimporteure von Fleisch- und Milchprodukten sein werden (FAO 2017). Die meisten einkommensstarken Länder leisten internationale Entwicklungszusammenarbeit, um die Produktion und das Einkommen von Kleinbäuerinnen und -bauern in einkommensschwachen Ländern zu steigern, während sie gleichzeitig ihre Handelsvorteile mittels nichttarifärer Handelshemmnisse aufrechterhalten (Gourdon und Nicita 2012). Die heimische Produktion in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen kann nicht mit billigen Importgütern (wie etwa stark verarbeiteten Lebensmitteln oder Milchpulver) konkurrieren, die von Subventionen im Ursprungsland profitieren (Blanco 2018). Nahrungsmittelhilfe ist zudem weiterhin teilweise mit der Auflage verbunden, Nahrungsmittel aus einer begrenzten Anzahl von Ländern zu beziehen oder Aufträge an Unternehmen in Geberländern zu vergeben, wodurch die lokalen Ernährungssysteme in den Empfängerländern geschwächt werden. Ein beträchtlicher Anteil der weltweiten Nahrungsmittelhilfe bleibt daher eine als Wohltätigkeit getarnte Exportsubvention (OECD 2018). Während sich die UN-Ernährungsorganisationen für Ernährungssicherheit und nachhaltige Landwirtschaft einsetzen, lassen Handelsbestimmungen die gesundheitlichen Auswirkungen des Handels mit Nahrungsmitteln außer Acht und können die Ernährungspolitik von Ländern mit niedrigem Einkommen behindern (Thow et al. 2017). Aufgrund der Globalisierung der Ernährungssysteme, veralteter Ansätze zur Bepreisung von Nahrungsmitteln (basierend auf Gewicht oder Volumen statt auf Nährstoffzusammensetzung und -dichte) und des Silodenkens des Landwirtschafts-, Gesundheits- und Umweltsektors lastet gleichzeitig ein immenser Druck auf kleinbäuerlichen Vieh- und Aquakulturbetrieben sowie landwirtschaftlichen Haushalten (Alders et al. 2016). Da Familienbetriebe mehr als 90 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe weltweit ausmachen und gemessen am Wert 80 Prozent der weltweiten Nahrungsmittel produzieren, ist die Unterstützung dieser meist kleinbäuerlichen Betriebe unerlässlich, um Nachhaltigkeitsziel 2 zu erreichen (FAO und IFAD 2019).
Ungesicherter Landbesitz und daraus resultierende Ernährungsunsicherheit sind anhaltende Probleme für ländliche Gemeinschaften, Indigene, Frauen und marginalisierte Gruppen.
Landnahme verhindert seit der Kolonialzeit bis in die Gegenwart die Bewirtschaftung von Ackerland und verschärft den Hunger (Anderson et al. 2019). Die Vertreibung von Kleinbäuerinnen und -bauern, Viehhirt*innen und indigenen Völkern hält an, da internationale Investoren vielerorts bestehende Ackerflächen aufkaufen und neue Flächen urbar machen (Twomey 2014). Diese Landnahme wird häufig von globalen Finanz- und Agrarkonzernen vorangetrieben, die nicht dem jeweiligen Land oder der lokalen Bevölkerung, sondern ihren weit entfernten Aktionären gegenüber rechenschaftspflichtig sind (Deininger et al. 2011). Daher fehlt es an Anreizen zur Anwendung nachhaltiger Praktiken, die langfristige Investitionen in Landschaften erfordern. Dies führt zur Zerstörung der ökosysteme durch die Ausdehnung landwirtschaftlicher Nutzflächen auf bisher nicht kultiviertes Land, was wiederum das Risiko für ein Auftreten neuer Krankheitserreger erhöht (Anderson et al. 2019). Diese Faktoren tragen wesentlich zu Bodendegradation und schlechter Ernährung bei. Von den Folgen sind Frauen und marginalisierte Gruppen häufig besonders stark betroffen (Alders et al. 2016). Kulturelle und rechtliche Normen, wie etwa ein ungleicher Zugang zu Krediten und Informationen, hindert sie daran, gleichberechtigt landwirtschaftlichen oder anderen Aktivitäten zur Sicherung des Lebensunterhalts nachzugehen und über ihre Einkünfte zu verfügen (Alders et al. 2016; Quisumbing et al. 2014). So spielen Frauen in Afrika südlich der Sahara zwar eine entscheidende Rolle bei der Erzeugung, Verarbeitung und Lagerung von Nahrungsmitteln, machen jedoch nur 15 Prozent der Landbesitzer*innen aus (Alders et al. 2016). Haushalte geben weniger ihres Budgets für Nahrungsmittel aus, wenn die Frauen einen geringeren Einkommensanteil haben (Hopkins, Levin und Haddad 1994). Der weitverbreitete und anhaltende Eisenmangel bei Frauen im reproduktiven Alter sowie höhere Fehlernährungsraten im Vergleich zu Männern verdeutlichen eine strukturelle Diskriminierung, auch innerhalb der Gesundheits- und Ernährungssysteme (FAO et al. 2020; Alders 2018). Der schlechte Ernährungszustand von Frauen erschwert ihre täglichen Aktivitäten zur Existenzsicherung und hat generationsübergreifende Folgen, da Frauen mit einem schlechten Ernährungszustand häufiger Kinder mit niedrigem Geburtsgewicht zur Welt bringen (FAO et al. 2020).
Formale und informelle Landwirtschafts- und Ernährungsbildung sind nicht ausreichend auf lokale Gegebenheiten zugeschnitten.
Individuelle Entscheidungen über Ernährung oder landwirtschaftliche Anbaumethoden werden von vielen Faktoren beeinflusst; doch ohne angemessene Bildung ist es fast unmöglich, optimale Ergebnisse zu erzielen, insbesondere wenn Ressourcen begrenzt sind. Viele vermeidbare Barrieren führen dazu, dass zu viele Kinder keinen Zugang zu der notwendigen Bildung haben, um wichtige Lebenskompetenzen zu erlernen und sich gut zu entwickeln (UNICEF 2020b). Gefährdete Haushalte können sich die Kosten für eine Schulbildung oft nicht leisten oder sind auf die Arbeitskraft ihrer Kinder in der Landwirtschaft oder im Haushalt angewiesen (ILO 2020). Schullehrpläne sind häufig schlecht an lokale Gegebenheiten, einschließlich der agrarökologischen Zonen und Vermarktungssysteme, angepasst (Epstein und Yuthas 2012) und vermitteln nur unzureichend Wissen über Ernährung und darüber, wie der Nährstoffbedarf mittels lokal verfügbarer, nahrhafter Nahrungsmittel gedeckt werden kann (Garcia, Osburn und Jay-Russell 2020; CHF 2020).
Soziale Sicherung ist nach wie vor unzureichend.
Unterstützung für die am stärksten gefährdeten Menschen – also Programme zur Förderung des Wohlergehens von Kindern, armen, älteren und anderen Bevölkerungsgruppen durch Geld- oder Nahrungsmitteltransfers, Beihilfen und Sozialleistungen – ist in Krisenzeiten von entscheidender Bedeutung für die Ernährungssicherheit. Die Covid-19-Pandemie hat jedoch offengelegt, wie sehr es an sozialen Sicherungssystemen mangelt. In vielen einkommensschwachen Ländern sind ländliche Haushalte zunehmend auf informelle, außerlandwirtschaftliche Einkommensquellen angewiesen, wodurch sie zu schockanfälligen Netto-Nahrungsmittelkonsument*innen werden (Rapsomanikis 2015). Schon vor der Pandemie waren 55 Prozent der Weltbevölkerung durch keinerlei soziale Sicherungsprogramme abgedeckt (Ortiz 2018). Die Durchführung solcher Programme erfordert erhebliche Investitionen in die Erfassung von Einzelpersonen und Haushalten, insbesondere von jenen, die vom informellen Sektor abhängig sind (Razavi 2020). Der Mangel an solchen Daten und die unzureichenden Verbindungen von Regierungen und Zivilgesellschaft zu informellen Netzwerken erschweren die Organisation von Verteilprogrammen. Darüber hinaus spielen Rücküberweisungen aus dem Ausland eine entscheidende Rolle bei der Aufrechterhaltung des Einkommens und der Nahrungsaufnahme vieler Haushalte. Als Folge der Covid-19Beschränkungen verlieren weltweit unzählige Arbeitsmigrant*innen ihren Job, sodass die Rücküberweisungen schätzungsweise um 19,7 Prozent sinken werden (World Bank 2020d). Wenn Menschen aufgrund fehlender Beschäftigung in ihre ländlichen Heimatregionen zurückkehren, belastet dies die begrenzten Nahrungsmittelvorräte und sozialen Sicherungssysteme zusätzlich (Pancawati 2020). Arbeiter*innen in der Landwirtschaft und in den Lieferketten, die letztlich die Welt ernähren, erhalten zudem niedrige Löhne, haben eine geringe Arbeitsplatzsicherheit (Martin 2016) und ein höheres Risiko, an Covid-19 zu erkranken.
Ungeeignete Nothilfe beeinträchtigt lokale Ernährungssysteme und Produzent*innen.
Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19, die ohne eine eindeutige Erklärung eingeführt wurden, dass die Leistungen des Agrar- und Nahrungsmittelsektors unerlässlich sind, haben vielerorts die Ernährungssicherheit gefährdet (Swinnen und McDermott 2020). Mobilitätsbeschränkungen in Gebieten, die von Saison- oder Wanderarbeiter*innen abhängig sind, und die Schwierigkeiten bezüglich des Zugangs zu Märkten und des Transports von Nahrungsmitteln führen zu Unterbrechungen in den Nahrungsmittel-Lieferketten und erschweren den Zugang zu essenziellen Gütern und Dienstleistungen (FAO et al. 2020). Solche Beschränkungen verursachen nicht nur kurzfristige Störungen der Nahrungsmittelversorgung, sondern mindern auch die Fähigkeit der lokalen Produzent*innen, sich auf die nächste Aussaat oder den nächsten Produktionszyklus vorzubereiten (UN 2020d). Diese Situation verdeutlicht die weitreichenden Folgen, die entstehen, wenn relevante Sektoren, wie Gesundheit, Landwirtschaft und Handel, ihre Vorsorge- und Nothilfeaktivitäten nicht koordinieren.
Ernährungssysteme für One Health und Zero Hunger
Gemäß dem Prinzip „build back better“ müssen wir inklusivere, nachhaltigere und widerstandsfähigere Ernährungssysteme schaffen und die biologische Vielfalt erhalten (UN 2020b, 2020c). Das Ziel, den Hunger bis 2030 zu beenden, ist ein entscheidender Teil dieses Wiederaufbaus. Um dies zu erreichen, müssen multilaterale Organisationen, Regierungen, Gemeinschaften und Einzelpersonen grundlegende Veränderungen vorantreiben. Das One-Health-Konzept weist dabei den Weg in eine Zukunft, die Mensch, Tier und Umwelt die bestmögliche Gesundheit bietet. Die folgenden Maßnahmen bilden den Fahrplan, um den Hunger zu beenden und nachhaltige Ernährungssysteme aufzubauen – jetzt, in dieser Dekade und in den darauffolgenden Jahrzehnten.
Maßnahmen, die jetzt ergriffen werden müssen
Die derzeitige Nahrungsmittelproduktion und -distribution aufrechterhalten. Um eine ständige Verfügbarkeit zu garantieren, müssen die Nahrungsmittelproduktion und -versorgung als unverzichtbare Dienstleistungen eingestuft und sichere Arbeitsbedingungen gewährleistet werden (FAO 2020i). Regierungen müssen die Verfügbarkeit aller erforderlichen Betriebsmittel für die nächste und nachfolgende Anbausaisons sicherstellen. Während die NahrungsmittelLieferketten gestärkt und pandemiebedingte Unterbrechungen der Wertschöpfungskette korrigiert werden, müssen Regierungen darauf hinarbeiten, den Verlust und die Verschwendung von Lebensmitteln entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu reduzieren. Um Produktionsbeihilfen auf kleinbäuerliche Betriebe auszurichten, Nahrungsmitteldumping zu reduzieren, Unterstützung in Form von Geldleistungen und Gutscheinen zu leisten sowie eine effiziente Nutzung verderblicher Nahrungsmittel zu fördern, bedarf es einer sektorübergreifenden Kooperation zwischen Regierungen, Nichtregierungsorganisationen (NRO) und gemeindebasierten Einrichtungen im Rahmen eines One-Health-Ansatzes (World Bank 2020b). Am Beispiel von Projekten von Vétérinaires Sans Frontières zeigen sich die Vorzüge eines One-Health-Programms, das Landwirtschaft, Ernährung und Krankheitsbekämpfung in Einklang mit lokalen ökosystemen bringt (VSF Europa 2014). Ein gerechter Zugang zu neuen Technologien und Nothilfe, einschließlich Diagnostik, Impfstoffen und Medikamenten für Mensch und Tier, sowie zu essenziellen landwirtschaftlichen Betriebsmitteln, wie etwa geeignetem Saatgut, muss sichergestellt werden. Darüber hinaus sollten Regierungen ihre Strategien für die Gesundheits-, Ernährungsund nationale Sicherheit vollständig integrieren.
Eine enge Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Gebern, NRO und gemeindebasierten Organisationen sicherstellen, damit soziale Sicherungsprogramme die am stärksten gefährdeten Menschen erreichen. Da so viele der Covid-19-Erkrankten informell Beschäftigte, Erwerbslose und ältere Menschen sind, müssen gemeindebasierte und zivilgesellschaftliche Organisationen dabei helfen, diejenigen zu erreichen, die keinen Zugang zu den offiziellen sozialen Sicherungssystemen haben. Organisationen, denen die Menschen und Behörden vertrauen, sind unverzichtbar, um sicherzustellen, dass Geldund Nahrungsmitteltransfers, Gesundheitsversorgung, Zuschüsse für Kleinunternehmen und öffentliche Beschäftigungsprogramme gerecht sind und optimal funktionieren. Außerdem müssen kulturell angemessene Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung der Ernährungssicherheit identifiziert werden, die die Gesundheit von Mensch und Tier fördern und lokale ökosysteme erhalten (Poole 2020). Eine One-HealthMaßnahme im Tschad zeigt beispielhaft, wie ein Impfprogramm für Kinder, das mit der Impfung des Viehs pastoraler Gemeinschaften verbunden wurde, nicht nur zu einer höheren Durchimpfungsrate führte, sondern auch zu Einsparungen von 15 Prozent im Vergleich zur üblichen Praxis mit separaten Impfkampagnen für Tiere und Menschen (Schelling et al. 2007). Genau solche kontextspezifischen Lösungen werden aufgrund der wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie zukünftig unverzichtbar sein.
Die Koordinierung und Effizienz regionaler und internationaler Anstrengungen verbessern. Regionale Institutionen und Wirtschaftsgemeinschaften, wie die Afrikanische Union oder der Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN), müssen im Namen einkommensschwacher Länder intensiv mit Gebern und Akteuren wie der Welthandelsorganisation verhandeln, um ihre eigenen regionalen Nahrungsmittel-Lieferketten zu stützen und den Zugang zu den Technologien, Gegenmaßnahmen und dem Fachwissen sicherzustellen, die erforderlich sind, um auf plötzliche Schocks wie Covid-19 und die Heuschreckenplage zu reagieren. Die wichtigsten internationalen Agrarprogramme sollten sich an der Bewältigung der gegenwärtigen Krisen beteiligen und entsprechend den Evaluierungsergebnissen ihrer Arbeit gestärkt werden, etwa gemäß der „Scaling Up Evaluation Synthesis“ von IFAD (IFAD 2017). Nahrungsmittelhilfen müssen so konzipiert sein, dass lokale Ernährungssysteme im Empfängerland gestützt werden. Dazu gehört, dass jegliche Hilfen gemäß den Empfehlungen des Entwicklungshilfeausschusses der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD DAC) von der Auflage entbunden werden, Waren aus dem Geberland zu beziehen oder ihre Logistik-, Lager- und Vertriebsunternehmen zu nutzen (OECD 2019). So können Empfängerländer selbstbestimmt und flexibel die für sie günstigsten Optionen zur Ernährungssicherung wählen (Cardwell und Ghazalian 2020; Jaspars und Leather 2005). Während der aktuellen Krise müssen Regierungen und multilaterale Institutionen die Auswirkungen von Störungen in Versorgungsketten unter Berücksichtigung von One-Health- und gerechtigkeitsbasierten Ansätzen analysieren. Es muss sichergestellt sein, dass die Bereitstellung landwirtschaftlicher Betriebsmittel, einschließlich Krediten und Beratungsleistungen, keinen geschlechtsspezifischen und anderen Formen der Diskriminierung unterliegt. Für 2021 sind mehrere bedeutsame internationale Gipfeltreffen geplant, darunter das „Nutrition for Growth“-Treffen in Tokio, die 26. UN-Klimakonferenz, die 15. UN-Biodiversitätskonferenz und der UN-Gipfel für Ernährungssysteme. Alle Beteiligten sollten sicherstellen, dass die dortigen Empfehlungen gut koordiniert, kohärent und komplementär sind, dass sie tatsächlich umgesetzt werden und dass die Förderung der Gesundheit von Mensch, Tier und Planet im Zentrum steht. Was möglich ist, wenn verschiedene Sektoren, Disziplinen und Länder zusammenarbeiten, zeigt die Gründung des ASEAN-Biodiversitätszentrums im Jahr 2005, welches den Erhalt und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt auf Grundlage eines gerechten Vorteilsausgleichs vorangebracht hat.
Maßnahmen, die bis 2030 ergriffen werden müssen
Die Lehren aus der Covid-19-Pandemie und anderen Krisen nutzen, um sichere und widerstandsfähige Ernährungssysteme aufzubauen. Globale Abkommen und Initiativen für nachhaltige Ernährungssysteme müssen alle Interessengruppen zusammenbringen (FAO et al. 2020). Um Transparenz und Rechenschaft zu erhöhen, müssen die Spannungen zwischen multilateralen Organisationen, Ministerien und NRO beseitigt werden, die durch überlappende Mandate und den Wettbewerb um immer knappere Ressourcen entstehen. Die enormen Handels- und Investitionsungleichgewichte zwischen einkommensschwachen und einkommensstarken Ländern, die zur Verfestigung der Ungerechtigkeit und Ineffizienz des Ernährungssystems beitragen, müssen abgebaut werden. Als Reaktion auf Schocks auf die Ernährungssysteme müssen die einkommensstarken Länder und die internationale Gemeinschaft kurzfristige Symptome beheben (etwa durch geeignete Nothilfe sowie eine Verbesserung der Infrastruktur und Hygienestandards von Lebendtiermärkten), ohne die Existenzgrundlagen lokaler Nahrungsmittelproduzent*innen zu schädigen. Alle Interessengruppen müssen sich verpflichten, die Ursachen chronischer Ernährungsunsicherheit, des verlorenen Vertrauens in die Nahrungsmittelsicherheit sowie der unangemessenen Vergütung von Landwirt*innen, Produzent*innen und anderen zentralen Akteur*innen innerhalb des Ernährungssystems anzugehen. Investitionen in landwirtschaftliche Forschung und Entwicklung, in die Nahrungsmittelqualität und -sicherheit sowie in die menschliche Gesundheit müssen signifikant erhöht und es muss sichergestellt werden, dass Politiken sowie ihre Folgenabschätzung inklusiv gestaltet und kontrolliert werden.
Ernährungs-, Gesundheits- und Wirtschaftssysteme global und sektorübergreifend unter dem Gesichtspunkt „One Health“ prüfen, um eine nachhaltige Strategie zur Regeneration der Umwelt zu entwickeln. Diese Prüfung sollte von einer neutralen Stelle mit Vertreter*innen aus dem öffentlichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Sektor und allen geografischen Regionen durchgeführt werden. Unter anderem muss sie den Bedarf an besserer Datenverfügbarkeit adressieren, damit landwirtschaftliche und natürliche Ressourcen, von denen kleinbäuerliche Ernährungssysteme abhängen, besser verwaltet und Zoonosen sowie Tier- und lebensmittelbedingte Krankheiten überwacht werden können. Die Gesetzgebung zur Biosicherheit muss Erkenntnisse über Krisen wie die Covid-19-Pandemie, die Heuschreckenplagen, den Herbst-Heerwurm-Befall und die Afrikanische Schweinepest berücksichtigen, um einen transparenten Handel mit sicheren, qualitativ hochwertigen Nahrungsmitteln und landwirtschaftlichen Betriebsmitteln zu ermöglichen. Erkenntnisse über die Auswirkungen von Krisen auf einkommensschwache Länder und über Schwachstellen in einkommensstarken Ländern – einschließlich des Wissens darüber, dass Fehlernährung die Gesundheitsrisiken durch Pandemien erhöht – sollten Grund genug sein, laufende Reformen zu beschleunigen, beispielsweise mit Blick auf die universelle Gesundheitsversorgung und Verpflichtungen zur Katastrophenvorsorge. Es braucht einen neuen Mechanismus globaler Koordinierung, damit Ernährungsorganisationen und thematisch verwandte internationale Institutionen ihre Strategien zur Unterstützung von Resilienz und nachhaltigen Ernährungssystemen aufeinander ausrichten können (United Nations General Assembly 2019; UN 1992; WHO 2005; UNDRR 2015). Dafür sind verstärkte Investitionen in nachhaltige lokale Ernährungssysteme notwendig – etwa durch gut regulierte Kombinationen öffentlicher und privater Finanzmittel, öffentliche Garantien oder die verantwortungsvolle Verwaltung von Land, Fischgründen und Wäldern –, um das mit dem Landwirtschafts- und Ernährungssektor verbundene Investitionsrisiko zu verringern (FAO 2012).
Mit einem One-Health-Ansatz nachhaltige Nahrungsmittelproduktion und -distribution sowie Nährstoffrecycling fördern. Kleinbäuerliche Betriebe und Lieferanten von Betriebsmitteln müssen mit dem nötigen Fachwissen und den Mitteln ausgestattet werden, um ihre Produktionssysteme widerstandsfähiger und profitabler machen zu können, sodass sie ihren Nährstoffbedarf direkt durch ihre eigene Produktion decken können; oder indirekt durch faire Preise für Erzeuger* innen, die ihnen den Kauf sicherer und nahrhafter Nahrungsmittel ermöglichen (CHF 2020). Die Diversifizierung von Produktion und Konsum ist nicht nur für nachhaltigere und widerstandsfähigere Ernährungssysteme, sondern auch für eine bessere Ernährung unerlässlich (Alders et al. 2016; FAO und WHO 2019). Deshalb sollten nährstoffreiche, aber vernachlässigte Nahrungsmittel, die für den nachhaltigen Anbau geeignet sind, in Strategien zur Existenzsicherung kleinbäuerlicher Haushalte integriert werden. Dabei kann ein One-Health-Ansatz, der verschiedene Sektoren und Disziplinen einbezieht, helfen zu ermitteln, wie Haushalte die ihnen zur Verfügung stehenden Nahrungsmittelressourcen nutzen (Wong et al. 2018). Die Wiedereinführung von Flussgarnelen im Fluss Senegal ist ein Beispiel für die praktische Anwendung von One Health. Das Projekt bietet einen kontextspezifischen, nachhaltigen Ansatz zur Schistosomiasis-Bekämpfung – eine Krankheit, an der weltweit rund 240 Millionen Menschen leiden – und belebt gleichzeitig eine Nahrungsund Einkommensquelle für die lokale Fischerei wieder (Sokolow et al. 2015; Shaikh, Rahman-Shepherd und Dar 2018). Von Regierungen und Gebern zu fördern sind außerdem: effektive kleinbäuerliche Produktions- und Vermarktungsorganisationen; kosteneffiziente Systeme zur sicheren Lagerung und Vermarktung von Nahrungsmitteln, einschließlich Nacherntemanagement; bessere Verbindungen zwischen ländlichen und städtischen Gebieten zur Verkürzung der Lieferketten und Stärkung der Resilienz lokaler Ernährungssysteme gegenüber internationalen Schocks; agroökologische Ansätze, die Pflanzensorten, Tierrassen und Bewirtschaftungssysteme auf die lokalen Gegebenheiten abstimmen und mit maßgeschneiderter Aus- und Weiterbildung verbinden (FAO 2020a); und effizientes Recycling nährstoffreicher organischer Abfälle (Alders et al. 2016). Parallel bedarf es einer verstärkten Koordinierung in den Bereichen Landwirtschaft, Bildung, Finanzen, Gesundheit sowie Wasser-, Sanitärversorgung und Hygiene, um Synergieeffekte zu erzielen. Evidenzbasierte Ansätze zur Kontrolle von Lebendtiermärkten sowie Möglichkeiten zur sicheren Lagerung verderblicher Nahrungsmittel sind unerlässlich, um den Zugang der Menschen zu einer sicheren, nahrhaften und vielfältigen Ernährung zu unterstützen. Ferner brächte eine signifikante Reduktion der industriellen Viehzucht bei gleichzeitiger Gewährleistung des Zugangs zu tierischen Lebensmitteln für diejenigen, die dies am meisten benötigen – unterernährte, stillende Mütter und Säuglinge in den ersten 1.000 Lebenstagen in ressourcenarmen Kontexten (Grace et al. 2018) –, deutliche Vorteile mit sich: wettbewerbsfähigere lokale Produkte in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen; Regeneration der Umwelt und Biodiversität sowie Schutz des Klimas (Jackson et al. 2020; Young 2018); ein geringeres globales Risiko für neu auftretende und anhaltende Zoonosen (Alders et al. 2013); und eine Verringerung von Fehlernährung (Grace et al. 2018).
Formale und informelle Bildungsprogramme an die Lebensbedingungen der Menschen anpassen. Schullehrpläne sollten auf die örtlichen Gegebenheiten, einschließlich lokaler agroökologischer Zonen und Vermarktungssysteme, zugeschnitten werden. Schüler*innen sollten frühzeitig in das One-Health-Konzept eingeführt werden (Thomson 2020) sowie Wissen über menschliche Ernährung und Möglichkeiten zur Deckung des Nährstoffbedarfs mit lokal verfügbaren, nahrhaften Nahrungsmitteln vermittelt bekommen, um gute Ergebnisse für die menschliche Gesundheit, Ernährungssicherheit und die natürlichen Ressourcen zu gewährleisten (Garcia, Osburn und Jay-Russell 2020; CHF 2020). In der Demokratischen Republik Kongo erwiesen sich etwa sogenannte Farmer Field Schools und Gruppenfürsorgeprogramme für Frauen und Kinder als wirksam (siehe Kapitel 3).
Regionale Handelsinitiativen fördern, die Sozial- und Umweltkriterien berücksichtigen. Handelsabkommen sollten mehr bewirken, als nur kurzfristige makroökonomische Gewinne zu erzielen. Die 193 Unterzeichnerländer der Nachhaltigkeitsziele haben sich auch zu Ziel 17.10 verpflichtet: „ein universelles, regelbasiertes, offenes, nichtdiskriminierendes und gerechtes multilaterales Handelssystem unter dem Dach der Welthandelsorganisation“ (WTO 2020). Diese Länder müssen globale Agrar-, Umwelt- und Handelsorganisationen dazu drängen, einen harmonisierten politischen Rahmen zu schaffen, der für Nahrungsmittelproduzent*innen und -konsument*innen sowie für Umwelt und Wirtschaft vorteilhaft ist.
Maßnahmen, die über 2030 hinaus ergriffen werden müssen
Ernährungssicherheit als Kernkomponente menschlicher Gesundheit anerkennen, wie es in der Politischen Erklärung der Vereinten Nationen über allgemeine Gesundheitsversorgung von 2019 dargelegt wird. Diese Anerkennung erfordert einen Ausgleich zwischen multilateralen und nationalen Haushaltszuweisungen in den ernährungsrelevanten Sektoren und eine Harmonisierung der Politiken in den Bereichen Nothilfe, Landwirtschaft, Bildung und Gesundheit.
Zirkuläre Wirtschaftssysteme schaffen, die nachhaltige, lokale landwirtschaftliche Produktion und klimafreundlichen, fairen Welthandel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen und Nahrungsmitteln fördern. In einer zirkulären oder auch Kreislauf-Wirtschaft werden Rohstoffe und Materialien recycelt, um sie kontinuierlich in Gebrauch zu halten, sodass sich natürliche Systeme regenerieren und Abfall sowie Umweltverschmutzung eliminiert werden (CHF 2020). Eine zirkuläre Ernährungswirtschaft erfordert von Produzent*innen, Konsument*innen, Unternehmen und Regierungen, die Menge der im Ernährungssystem erzeugten Abfälle zu reduzieren, Speisereste auf sichere Weise wiederzuverwenden, Nebenprodukte zu nutzen, Nährstoffe zu recyceln und Systeme zur Handhabung von Nahrungsmittelabfällen und -überschüssen einzurichten, sodass sie dem System nicht verloren gehen (Jurgilevich et al. 2016; Abbildung 2.3). Um Fehlernährung zu beseitigen und die menschliche Gesundheit zu verbessern, ist der Zugang zu erschwinglichen, frischen und gesunden Nahrungsmitteln unerlässlich. Um dies zu erreichen, müssen Regierungen, der Privatsektor und spezialisierte, zivilgesellschaftliche Organisationen international verankerte und lokal angepasste Rahmenbedingungen entwickeln, die darüber informieren, ob die Agrarlandschaften, in denen die Nahrungsmittel kultiviert werden, ökologisch gesund sind und ob der Nährwert der Nahrungsmittel selbst zu- oder abnimmt. Der Schlüssel liegt darin, ein gesundes und gerechtes Ernährungsumfeld mit fairen und auskömmlichen Einkommen für Kleinbäuerinnen und -bauern, Fischer*innen und Produzent*innen in Einklang zu bringen und ihnen damit die Möglichkeit zu geben, sich zu versorgen und ihre Landschaften und Gewässer zu pflegen (Alders et al. 2016). Um nachhaltige und gerechte Ernährungssysteme zu schaffen, müssen Nahrungsmittel nicht nur nach ihrem Gewicht oder Volumen, sondern auch nach ihrer Nährstoffdichte und der biologischen und chemischen Schadstofffreiheit bewertet werden.
Internationale Solidarität und nachhaltige Werte
Bis 2030 erwarten uns vermutlich weitere Krisen, auch wenn wir bereits auf ein nachhaltiges und gesundes Ernährungssystem hinarbeiten. Der WHI 2020 verdeutlicht die Herausforderungen für die Ernährungssicherheit in Ländern mit niedrigem Einkommen, die mit multiplen Krisen konfrontiert sind. Dennoch können diese Länder jetzt Fortschritte erzielen, indem sie marginalisierte Gruppen in die Politikgestaltung einbinden, auf regionaler Ebene effektiver zusammenarbeiten, um ihre Verhandlungsmacht auf globaler Ebene zu stärken, und indem sie kürzere Nahrungsmittel-Lieferketten und Kleinbäuerinnen und -bauern in ihren Regionen stärken.
Es braucht ein uneingeschränktes Engagement einkommensstarker Länder, damit einkommensschwache Länder das Ziel „Kein Hunger bis 2030“ erreichen können. Länder mit hohem Einkommen müssen aktiv und produktiv zu Dialog und Veränderung beitragen. Unter anderem müssen sie Nahrungsmittelhilfe ohne Auflagen gewähren und so gestalten, dass lokale und regionale Ernährungssysteme gestärkt werden; handelspolitische Instrumente nutzen, um Marktanreize für nachhaltige Ernährungswirtschaften zu schaffen; sowie Nährstoffgehalt und ökosystemleistungen in die Bepreisung landwirtschaftlicher Produkte und Dienstleistungen aufnehmen. Eine globale Transformation zu Kreislaufwirtschaften, die alle Menschen mittels nachhaltigerer Ernährungssysteme ernähren, wird nicht bis 2030 abgeschlossen sein, aber durch gemeinsames Handeln können wir den Hunger beenden und zugleich eine solide Grundlage für eine gesündere, nachhaltigere und gerechtere Welt schaffen.
BOX 2.1
MULTIPLE KRISEN IN DER REGION AM HORN VON AFRIKA
Alliance2015
Viele Länder stehen vor sich überschneidenden Gesundheits-, Hunger- und Wirtschaftskrisen, aber die Probleme am Horn von Afrika sind besonders groß. Die Covid-19-Pandemie trifft dort auf zahlreiche Menschen, die von chronischem und akutem Hunger betroffen sind, eine verheerende Heuschreckenplage, anhaltende Konflikte und politische Instabilität, eine große Anzahl Vertriebener und eine Reihe klimawandelbedingter Extremwetterereignisse (siehe Abbildungen unten). Die Covid-19-Eindämmungsmaßnahmen haben negative soziale und wirtschaftliche Auswirkungen, erschweren die Heuschreckenbekämpfung und sind eine beispiellose Bedrohung für die Ernährungssicherheit. Wenn die Maßnahmen gegen die vielfältigen Herausforderungen nicht sorgfältig koordiniert werden, droht der Region eine fatale Ernährungskrise.
Quelle: die Autor*innen; basierend auf IPC (2020), UNHCR (2020b), World Bank (2020e) und Johns Hopkins University and Medicine (2020).
Anmerkung: Die Farben der Länder entsprechen den Kategorien der WHI-Schweregradskala.
a Menschen, die gemäß der Integrated Food Security Phase Classification (IPC) von einer Ernährungskrise, einem humanitären Notfall oder Hungersnot betroffen sind. äthiopien: Hochrechnung für Februar–Juni 2020; Kenia: Hochrechnung für April–Juli 2020, aride und semiaride Regionen; Somalia: April–Juni 2020; Südsudan: Hochrechnung Mai–Juli 2020; Sudan: Juni–August 2019.
b Gesamtzahl der Geflüchteten, Asylsuchenden, Rückkehrer*innen und Binnenvertriebenen, Stand Juni 2020.
c Zum Vergleich: Im Jahr 2017 betrug die Anzahl des ärztlichen Personals je 100.000 Personen in Südasien 80 und im weltweiten Durchschnitt 156,6.
d Stand: 2. September 2020.
Hunger ist bereits weitverbreitetet. In den letzten zwei Jahrzehnten war die Hungersituation in den Ländern der Region ernst oder schlechter. Im Mai 2020 waren mehr als 25,3 Millionen Menschen akuter Ernährungsunsicherheit auf dem Niveau einer Krise oder ernster ausgesetzt. Mehr als elf Millionen der Betroffenen leben in den von Wüstenheuschrecken befallenen Gebieten, und ihre Zahl wird mit der Ausdehnung der Schwärme voraussichtlich sogar noch zunehmen (IPC 2020).
Am Horn von Afrika kommt es häufig zu schweren Dürren und überschwemmungen; diese Wetterextreme haben zum schlimmsten Wüstenheuschreckenbefall seit Jahrzehnten beigetragen. Landwirt*innen und Viehhirt*innen sind von anhaltenden Auswirkungen schwerer überschwemmungen oder ausbleibenden Regens der vergangenen neun Regenzeiten betroffen. Alle Länder der Region sind durch den Klimawandel besonders gefährdet, haben jedoch geringe Kapazitäten, mit seinen Folgen zurechtzukommen (ND GAIN 2020; von Grebmer et al. 2019). Infolge zweier Zyklone im Jahr 2018 haben heftige Regenfälle auf der Arabischen Halbinsel eine massive HeuschreckenVermehrung verursacht, die durch einen weiteren Zyklon Ende 2019 noch verschärft wurde. Die Heuschreckenschwärme zerstören bis zu 100 Prozent der Nahrungsmittel- und Futterpflanzen – eine enorme Bedrohung in einer Region, in der der Großteil der Bevölkerung von der Landwirtschaft lebt. Ein Schwarm von einem Quadratkilometer kann aus bis zu 80 Millionen erwachsenen Heuschrecken bestehen und pro Tag so viel Nahrung verzehren wie etwa 35.000 Menschen (FAO 2020k). Mit Stand April 2020 waren allein in äthiopien 200.000 Hektar Ackerland verwüstet und 356.000 Tonnen Getreide verloren (FAO 2020l). Da die Schwärme bis zu 150 Kilometer pro Tag zurücklegen können, ist das Risiko hoch, dass sie sich über die Nachbarländer hinaus ausbreiten und sich den Schwärmen in Indien und Pakistan anschließen (FAO 2020k, n).
Aufgrund bewaffneter Konflikte, politischer Umwälzungen, weitverbreiteter Vertreibung und schlechter Regierungsführung können viele Länder nur unzureichend auf Krisen reagieren. Die politische Lage in äthiopien und Somalia ist fragil, das Misstrauen gegenüber dem Staat groß, und die Akzeptanz von Covid-19-Einschränkungen schwindet. Die Gesundheits- und Sozialschutzsysteme in der Region sind unzureichend, um auf weitverbreitete Krankheiten wie Tuberkulose, geschweige denn Covid-19 angemessen zu reagieren (Weber 2020). In der Region leben mehr als elf Millionen Geflüchtete, Asylsuchende, Rückkehrer*innen und Binnenvertriebene (UNHCR 2020b). Das Flüchtlingslager Dadaab, eines der größten der Welt, liegt im Osten Kenias, nahe der Grenze zu Somalia. In dicht besiedelten Flüchtlingslagern und marginalisierten städtischen Siedlungen erschweren unzureichende Wohnverhältnisse und eine schlechte Wasserund Sanitärversorgung die Umsetzung von Präventivmaßnahmen wie Händewaschen und physische Distanzierung (Rudloff und Weber 2020).
Die Covid-19-Pandemie sowie die Eindämmungsmaßnahmen haben schwerwiegende soziale und wirtschaftliche Folgen, die Hunger und Unterernährung verschärfen. Wie in anderen Weltregionen, dürften auch die teilweise schwachen Volkswirtschaften am Horn von Afrika in eine Rezession abrutschen. Aufgrund begrenzter medizinischer Kapazitäten haben die Länder vor allem auf Grenzschließungen, Reise- und strenge Ausgangsbeschränkungen Ausgangsbeschränkungengesetzt, um die Infektionskurve abzuflachen. Dadurch wurden jedoch die Lieferketten in der Region behindert und so die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln auf den Märkten und damit für die Menschen beeinträchtigt. Landwirt*innen wurde der Zugang zu Betriebsmitteln und infolgedessen die Bewirtschaftung ihrer Anbauflächen erschwert (FAO und WFP 2020; IPC 2020). Besonders betroffen waren auf die informelle Wirtschaft angewiesene Stadtbewohner*innen, die aufgrund der Beschränkungen weder Einkommen erwirtschaften noch Nahrungsmittelreserven aufbauen oder ihre Familien versorgen können. Selbst die weitgehend von Subsistenzwirtschaft lebende Landbevölkerung ist betroffen, da sie oft Nahrungsmittel auf dem Markt zukauft (Rudloff und Weber 2020). Waren die Nahrungsmittelpreise in einigen Ländern der Region bereits zuvor hoch, haben die schlechten Ernten infolge von Dürren und überschwemmungen sowie die Covid-19-Gegenmaßnahmen die Situation weiter verschärft (FAO 2020m). Eine im April 2020 in Addis Abeba durchgeführte Erhebung zeigte, dass viele Haushalte bereits mehr Grundnahrungsmittel und weniger Obst und Gemüse konsumierten, da eine nahrhaftere und ausgewogenere Ernährung unerschwinglich oder nicht erhältlich war (Hirvonen, Abate und de Brauw 2020). Prognosen warnen bereits davor, dass in der Region mehr Menschen an den sozioökonomischen Folgen von Covid-19 sterben könnten als an dem Virus selbst (WFP 2020c).
Die komplexe Situation in der Region könnte zu einer massiven humanitären Krise führen. Alle Gegenmaßnahmen müssen deshalb unbedingt ganzheitlich geplant werden. Ansätze, die jeweils nur eine der beschriebenen Krisen adressieren, könnten die anderen Krisen aufgrund ihrer Verwobenheit unbeabsichtigt verschärfen. Grenzüberschreitende Ereignisse erfordern multilaterale Zusammenarbeit (etwa zwischen Regierungen und mit der Regional Desert Locust Alliance, FAO und OCHA). Die sich überschneidenden Krisen wirken sich in der Stadt und auf dem Land unterschiedlich aus. Sie erfordern deshalb differenzierte Maßnahmen, die dennoch berücksichtigen, dass sich die Realitäten in beiden Gebieten bedingen.
NATURKATASTROPHEN AM HORN VON AFRIKA VON 2018 BIS 2020
Quelle: FAO (2020k). Von den Autor*innen angepasst. Greater Horn of Africa and Yemen: Desert Locust Crisis Appeal, January–December 2020: Rapid Response and Sustained ActionFußnoten
- „Ernährungskrise” bezieht sich hier auf eine Krise (Stufe 3) oder eine ernstere Hungersituation gemäß der Einstufung der Integrated Food Security Phase Classification (IPC/CH) (FSIN 2020; IPC Global Partners 2019).
- Siehe etwa FAO et al. (2008); One Health Joint European Program (2020); und FAO (2020o).
- Diese Bekräftigung sollte im Einklang mit dem „All-Hazards-Ansatz“ stehen, der im Sendai-Rahmen für Katastrophenvorsorge und in den globalen, auf Gesundheitssicherheit ausgerichteten, Internationalen Gesundheitsvorschriften empfohlen wird.
Gastautor*innen:
Robyn Alders (Senior Consulting Fellow, Centre for Universal Health, Chatham House), Osman Dar (Project Director, One Health Project, Centre for Universal Health, Chatham House), Richard Kock (Wildlife Health and Emerging Diseases, Royal Veterinary College, and Associate Fellow, Centre for Universal Health, Chatham House), Francesco Rampa (Head, Sustainable Food Systems, European Centre for Development Policy Management)
SDG 2.1
Bis 2030 den Hunger beenden und sicherstellen, dass alle Menschen, insbesondere die Armen und Menschen in prekären Situationen, einschließlich Kleinkindern, ganzjährig Zugang zu sicheren, nährstoffreichen und ausreichenden Nahrungsmitteln haben.
SDG 2.2
Bis 2030 alle Formen der Mangelernährung beenden, einschließlich durch Erreichung der international vereinbarten Zielvorgaben in Bezug auf Wachstumshemmung und Auszehrung bei Kindern unter 5 Jahren bis 2025, und den Ernährungsbedürfnissen von heranwachsenden Mädchen, schwangeren und stillenden Frauen und älteren Menschen Rechnung tragen.
SDG 2.3
Bis 2030 die landwirtschaftliche Produktivität und die Einkommen von kleinen Nahrungsmittelproduzenten, insbesondere von Frauen, Angehörigen indigener Völker, landwirtschaftlichen Familienbetrieben, Weidetierhaltern und Fischern, verdoppeln, unter anderem durch den sicheren und gleichberechtigten Zugang zu Grund und Boden, anderen Produktionsressourcen und Betriebsmitteln, Wissen, Finanzdienstleistungen, Märkten sowie Möglichkeiten für Wertschöpfung und außerlandwirtschaftliche Beschäftigung.
SDG 2.4
Bis 2030 die Nachhaltigkeit der Systeme der Nahrungsmittelproduktion sicherstellen und resiliente landwirtschaftliche Methoden anwenden, die die Produktivität und den Ertrag steigern, zur Erhaltung der ökosysteme beitragen, die Anpassungsfähigkeit an Klimaänderungen, extreme Wetterereignisse, Dürren, überschwemmungen und andere Katastrophen erhöhen und die Flächen- und Bodenqualität schrittweise verbessern.
SDG 2.5
Bis 2020 die genetische Vielfalt von Saatgut, Kulturpflanzen sowie Nutz- und Haustieren und ihren wildlebenden Artverwandten bewahren, unter anderem durch gut verwaltete und diversifizierte Saatgut- und Pflanzenbanken auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene, und den Zugang zu den Vorteilen aus der Nutzung der genetischen Ressourcen und des damit verbundenen traditionellen Wissens sowie die ausgewogene und gerechte Aufteilung dieser Vorteile fördern, wie auf internationaler Ebene vereinbart.
SDG 2.a
Die Investitionen in die ländliche Infrastruktur, die Agrarforschung und landwirtschaftliche Beratungsdienste, die Technologieentwicklung sowie Genbanken für Pflanzen und Nutztiere erhöhen, unter anderem durch verstärkte internationale Zusammenarbeit, um die landwirtschaftliche Produktionskapazität in den Entwicklungsländern und insbesondere den am wenigsten entwickelten Ländern zu verbessern.
SDG 2.b
Handelsbeschränkungen und - verzerrungen auf den globalen Agrarmärkten korrigieren und verhindern, unter anderem durch die parallele Abschaffung aller Formen von Agrarexportsubventionen und aller Exportmaßnahmen mit gleicher Wirkung im Einklang mit dem Mandat der Doha-Entwicklungsrunde.
SDG 2.c
Maßnahmen zur Gewährleistung des reibungslosen Funktionierens der Märkte für Nahrungsmittelrohstoffe und ihre Derivate ergreifen und den raschen Zugang zu Marktinformationen, unter anderem über Nahrungsmittelreserven, erleichtern, um zur Begrenzung der extremen Schwankungen der Nahrungsmittelpreise beizutragen.