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Transformation Der Ernährungssysteme Und Lokale Governance


   
Danielle Resnick
Brookings Institution und International Food Policy Research Institute
Oktober 2022
Foto: Opladen/Welthungerhilfe 2022; Frauen und Kinder bei einem Ernährungsseminar in Paroha im Distrikt Rautahat, Nepal, im Rahmen des Programms Nutrition Smart Villages. Durch Empowerment und gemeinschaftsbasierte Institutionen werden Landwirtschaft und andere Sektoren für eine bessere Ernährung gestärkt. Ausblenden

Anmerkung: Dieses Kapitel gibt die Meinung der Autorin wieder und entspricht nicht notwendigerweise den Ansichten der Welthungerhilfe oder von Concern Worldwide.

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Video: Welthunger-Index 2022 – Transformation Der Ernährungssysteme Und Lokale Governance

Angesichts einer weiteren globalen Nahrungsmittelpreiskrise ist es offensichtlicher denn je, dass unsere derzeitigen Ernährungssysteme verändert werden müssen. Die Herausforderung ist enorm. Aber es ist eine, die von Gemeinschaften auf der ganzen Welt in Angriff genommen wird.

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Video: Die Autorin des Welthunger-Index-Essays Danielle Resnick (Brookings Institution und International Food Policy Research Institute) erläutert, wie zunehmend lokale Akteure und Institutionen eine größere Rolle bei der Governance von Ernährungssystemen spielen.

In zahlreichen Ländern, von Bolivien und Peru bis Nepal, Niger, Nigeria und Ghana, entstehen innovative Mechanismen zur Stärkung der Rechenschaftspflicht auf lokaler Ebene für Ernährungssysteme.

Kernbotschaften

  • Angesichts eines globalen Ernährungssystems, das ungeeignet ist, Armut und Hunger nachhaltig zu beenden, finden Bürger*innen innovative Wege, die Ernährungspolitik auf lokaler Ebene zu verbessern und Entscheidungsträger*innen im Kampf gegen Ernährungsunsicherheit und Hunger zur Verantwortung zu ziehen.

  • Durch aktuelle Entwicklungen zur Dezentralisierung von Regierungsfunktionen haben Lokalregierungen mehr Autonomie und Autorität gewonnen, auch in Bezug auf entscheidende Funktionen der Ernährungssysteme. Hinzu kommt, dass in fragilen Staaten lokale oder informelle Strukturen der Regierungsführung, wie etwa traditionelle Autoritäten, möglicherweise eine größere Glaubwürdigkeit bei den Gemeinschaften haben. Doch in einer Reihe von Ländern werden zivilgesellschaftliche Räume zunehmend eingeschränkt, was die Bürger*innen daran hindert, ihr Recht auf angemessene Nahrung einzufordern und zu verwirklichen.

  • Die Bürger*innen nutzen eine ganze Reihe von Instrumenten, darunter Systeme zur Überprüfung von Regierungshaushalten und entsprechenden Ausgaben, Bewertungsbögen zur Beurteilung des Handelns von Lokalregierungen sowie integrative Multi- Stakeholder-Plattformen, die verschiedene lokale Stakeholder wie etwa Regierungsbeamt*innen, kommunale Vereinigungen und Vertreter*innen aus dem Privatsektor in die Strategieplanung einbeziehen.

  • Lokale Initiativen haben das Potenzial, den Menschen vor Ort bei der Durchsetzung des Rechts auf Nahrung zu helfen. Jedoch ist dieses Menschenrecht vielen Bürger*innen nicht bekannt, selbst in Ländern, wo es national gesetzlich verankert ist. Daher ist es wichtig, nicht nur das Bewusstsein der lokalen Regierungen für ihre Pflichten zu schärfen, sondern auch das Bewusstsein der Bürger*innen für die ihnen zustehenden Rechte.

  • Angesichts der vielfältigen Gegebenheiten vor Ort und der damit stark variierenden Machtposition lokaler Regierungen, bezüglich der unterschiedlichen zivilgesellschaftlichen Freiräume und der Fragilität von Staaten, muss lokale Governance gut auf die Bedingungen und Kapazitäten vor Ort abgestimmt werden. Ermutigende Beispiele für Empowerment sind in fragilen Kontexten mit einem hohen Grad an gesellschaftlicher Fragmentierung ebenso sichtbar wie in stabileren Kontexten mit längerer Tradition lokaler Demokratien.

  • Eine motivierte und verlässliche lokale Führung ist von zentraler Bedeutung für die Nachhaltigkeit lokaler Maßnahmen. Die lokale Führung kann durch Ausbildung lokaler Amtsträger*innen oder auch durch Einbindung einflussreicher ortsansässiger Persönlichkeiten außerhalb der Regierung gefördert und gestärkt werden.

  • Lokale Gemeinschaften, die am stärksten von Hunger betroffen sind, können am meisten von einer verbesserten Rechenschaftspflicht profitieren. Allerdings haben sie oft gleichzeitig mit einer schwachen oder schlechten Governance, einem hohen Maß an Vertreibung und einem Mangel an Sicherheit zu kämpfen. Unter solchen Bedingungen benötigt es flexiblere und langfristigere Initiativen der Entwicklungspartner zur Stärkung lokaler Governance von Ernährungssystemen.

Die steigenden Preise für Nahrungsmittel und die weltweiten Unterbrechungen der Lieferketten, die durch den Krieg in der Ukraine, die COVID-19-Pandemie, die Klimakrise und regionale Konflikte ausgelöst wurden, haben die Hungerlage für Millionen Menschen verschlimmert: Eine Ausweitung der humanitären und resilienzfördernden Maßnahmen ist dringend geboten. Diese aktuellen Krisen und dringenden Bedarfe an Nahrungsmitteln – auf die an anderer Stelle in diesem Bericht näher eingegangen wird – verstärken die seit langem bestehenden strukturellen Mängel im globalen Ernährungssystem. Das globale Ernährungssystem in seiner bestehenden Form ist ungeeignet, Armut und Hunger nachhaltig zu beenden, wie es die Agenda 2030 der Vereinten Nationen zum Ziel hat (Barrett et al. 2020; Webb et al. 2020). Mehrere hochrangige Treffen in den letzten Jahren haben diese Erkenntnis bekräftigt, darunter der UN-Gipfel für Ernährungssysteme im September 2021, die UN-Klimakonferenz (COP26) im November 2021 und der „Nutrition for Growth“-Gipfel im Dezember 2021 (von Braun et al. 2021). Doch das entscheidende Thema, Governance von Ernährungssystemen, das für eine nahrhafte und nachhaltige Ernährung eine zentrale Rolle spielt, wurde bei diesen internationalen Versammlungen weitgehend ausgeklammert (Canfield, Anderson, and McMichael 2021).

Ernährungssysteme basieren auf dem Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Akteur*innen, die an dem Anbau, der Verarbeitung, dem Handel, dem Konsum und der Entsorgung von Nahrungsmitteln beteiligt sind, und auf den Verknüpfungen der verschiedenen Akteur*innen mit den sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Strukturen, in die sie eingebettet sind (Fanzo et al. 2021; HLPE 2017). Zudem umfasst Governance von Ernährungssystemen die Stakeholder und Institutionen, die Macht über den Zugang zu, die Verfügbarkeit und die Qualität von Nahrungsmitteln ausüben; die Art und Weise, wie Prioritäten beschlossen, koordiniert und umgesetzt werden; sowie die Verantwortlichkeiten für die Finanzierung, Bereitstellung und Überwachung der Ergebnisse (Delaney et al. 2018).

Ernährungssysteme sind sehr komplex und umfassen unter anderem die Bereiche Landwirtschaft, Gesundheit, Umwelt, Geschlechtergerechtigkeit, Märkte und Handel sowie humanitäre Hilfe. Diese Komplexität erschwert ihre Governance: Neben der Herstellung sektorübergreifender politischer Kohärenz müssen konkurrierende Interessen und Werte miteinander in Einklang gebracht werden. Die jüngsten politischen Entwicklungen erschweren die Bemühungen um eine bessere Governance von Ernährungssystemen zusätzlich. Auf globaler Ebene bedrohen zunehmender Nationalismus und geopolitische Spannungen – deutlich geworden durch den Krieg in der Ukraine – die Aussichten auf eine multilaterale Zusammenarbeit betreffend Ernährungssysteme und Ernährungssicherheit. Auf nationaler Ebene werden zivilgesellschaftliche Räume und freie Meinungsäußerung zunehmend beschnitten (CIVICUS 2021; Dupuy, Fransen, and Prakash 2021). In mindestens 50 Ländern sind die Tätigkeiten zivilgesellschaftlicher Organisationen gesetzlich eingeschränkt (Amnesty International 2019). Dies hindert die dortige Bevölkerung daran, ihr in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen verankertes Recht auf angemessene Nahrung einzufordern und durchzusetzen, sich an Entscheidungen zur Beendung des Hungers zu beteiligen, sich über ihre verfassungsmäßigen Rechte zu informieren und diese wahrzunehmen (Elver 2016; Fakhri 2020).

Daher konzentriert sich dieser Essay auf Möglichkeiten zur Verbesserung der Governance von Ernährungssystemen auf lokaler Ebene. In einigen Ländern finden Bürger*innen innovative Wege, um ihre Stimme in den Debatten über Ernährungssysteme einzubringen und Entscheidungsträger*innen für die mangelnde Bekämpfung von Ernährungsunsicherheit und Hunger zur Rechenschaft zu ziehen. Dies gelingt ihnen unter anderem durch die Nutzung von Daten zur Kontrolle der Regierungsleistung sowie durch die Beteiligung an Multi-Stakeholder-Plattformen. Es ist ermutigend, dass es neben Beispielen für Empowerment in stabileren Umfeldern mit einer längeren Tradition lokaler Demokratien auch solche in fragilen Kontexten mit einem hohen Grad an gesellschaftlicher Fragmentierung gibt.

Die zentrale Bedeutung lokaler Governance von Ernährungssystemen

Foto: Caton/Welthungerhilfe, 2022; Frauen tauschen sich in einem Dorf in Südsudan im Rahmen eines Menstruationsprojekts aus. Ausblenden

In einigen Ländern finden Bürger*innen innovative Wege, um ihre Stimme in den Debatten über Ernährungssysteme einzubringen und Entscheidungsträger*innen für die mangelnde Bekämpfung von Ernährungsunsicherheit und Hunger zur Rechenschaft zu ziehen.

Ernährungssysteme umfassen alle Menschen

Zweifellos erfordert die Transformation von Ernährungssystemen drastische Eingriffe auf mehreren Ebenen, dennoch ist eine stärkere Konzentration auf die lokale Governance von Ernährungssystemen aus fünf Hauptgründen erforderlich.

Erstens beruhen Konsumgewohnheiten, Praktiken bei der Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen sowie Methoden bei Ackerbau und Viehzucht oft auf lokalen kulturellen Traditionen, historischen Erfahrungen und agrarökologischen Konzepten.

Zweitens haben aufgrund der fortschreitenden weltweiten Urbanisierung und der spezifischen Herausforderungen von Städten hinsichtlich Ernährungssicherheit (Crush and Riley 2019; Fan 2017) Bürgermeister*innen, Stadt- und Gemeinderäte in länderübergreifenden Netzwerken für Entwicklung an Einfluss gewonnen (Barber 2014). In Initiativen wie dem Städtenetzwerk C40 Cities Climate Leadership Group und dem Mailänder Abkommen über städtische Ernährungspolitik sind die Führungen der größten Städte der Welt gemeinsame Verpflichtungen hinsichtlich Klimaschutzmaßnahmen und Ernährungspolitik eingegangen. Diese Initiativen haben den Bürgermeister*innen eine Plattform gegeben, um ihre eigenen Ziele für Ernährungssysteme zu verfolgen, die die Bestrebungen auf nationaler Ebene verstärken, umgehen oder sich mit ihnen überschneiden können (Moragues-Faus 2021).

Drittens hat die Entwicklung zur Dezentralisierung von Regierungsfunktionen in den letzten 20 Jahren den subnationalen Regierungen mehr politische Autonomie und funktionale Zuständigkeiten verliehen (Rodden and Wibbels 2019). Infolgedessen haben lokale Regierungen zunehmend mehr funktionale Zuständigkeiten für Schlüsselbereiche von Ernährungssystemen, wie beispielsweise die Lage und Infrastruktur informeller Märkte, die als wichtigste Anlaufstelle armer städtischer Bevölkerungsgruppen für Nahrungsmittelangebote gelten (Smit 2016). In vielen Ländern – von Ghana bis Nepal, von Kenia bis Pakistan – wurde die Zuständigkeit für die Haushaltsplanung ebenso wie die Gestaltung und Umsetzung von Politiken in den Bereichen Landwirtschaft, Gesundheit und Umwelt auf Provinzen, Bezirke oder Kommunen übertragen (Kyle and Resnick 2019; Resnick 2022; Resnick and Rana 2016).

Viertens ist eine lokale Betrachtungsweise besonders in fragilen Staaten notwendig, in denen – aufgrund von anhaltenden Konflikten, unzureichenden Kapazitäten oder beidem – nationale Regierungen nicht in der Lage sind, Macht, Autorität oder Recht und Gesetz in dem Gebiet, für das sie offiziell zuständig sind, durchzusetzen. Stattdessen können informelle Governance-Strukturen, wie etwa traditionelle Autoritäten, eine größere Akzeptanz bei lokalen Gemeinschaften gewinnen (Baldwin and Raffler 2019). Andererseits können bestimmte subnationale Gebiete, wie der Osten der Demokratischen Republik Kongo oder der Nordosten Nigerias, unverhältnismäßig stark von bewaffneten Gruppen und gewalttätigen nichtstaatlichen Akteur*innen infiltriert sein, deren Präsenz die Möglichkeiten für ein Mitwirken der Gemeinschaften einschränkt. Folglich ist es in diesen Gebieten, die in der Regel am stärksten von Hunger betroffen sind (Delgado and Smith 2021), am unwahrscheinlichsten, dass sie von staatlichen Maßnahmen für Ernährungssysteme profitieren.

Nicht zuletzt kann eine lokale Perspektive dabei helfen, herauszufinden, ob und wie die staatlichen Prioritäten hinsichtlich der Ernährungssysteme die lokalen Bedürfnisse und Präferenzen tatsächlich widerspiegeln. Interessen von Nahrungsmittelkonzernen und der Agrarindustrie können durch Unternehmenskonzentration und Lobbyarbeit eine übermächtige Rolle bei der nationalen und globalen Entscheidungsfindung in der Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik spielen (Clapp and Fuchs 2009). Auf subnationaler Ebene sind solche Akteur*innen unter Umständen jedoch weniger stark vertreten, sodass die Belange von Gemeinschaften vor Ort und Fachkräften, die letztlich für die Umsetzung der Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik verantwortlich sind, besser berücksichtigt werden können.

Bei der Betrachtung auf lokaler Ebene ist jedoch zu bedenken, dass nicht überall die gleichen Instrumente für Partizipation und Rechenschaftspflicht eingesetzt werden können. Die Art des zivilgesellschaftlichen Engagements in den Prozessen des Ernährungssystems auf lokaler Ebene und das Ausmaß, in dem lokale Regierungen für die Ergebnisse der Ernährungssicherheit zur Rechenschaft gezogen werden können, hängen sowohl von den lokalen Machtverhältnissen und dem sozialen Zusammenhalt als auch von den allgemeinen Rahmenbedingungen der Governance ab: So ist beispielsweise die zivilgesellschaftliche Beteiligung in Ländern, in denen der Staat die Versammlungs- und Redefreiheit einschränkt, verständlicherweise stärker begrenzt. Darüber hinaus fühlen sich lokale Regierende, die ernannt und nicht gewählt wurden, oft der Zentralregierung, die sie eingesetzt hat, rechenschaftspflichtiger als den Einwohner*innen der Gemeinde, der sie dienen (Faguet 2012). Fragile Staaten, die durch eine hohe Anfälligkeit für gesellschaftliche Konflikte und eine schwache Kontrolle gekennzeichnet sind, erfordern möglicherweise besonders bedachte Ansätze bei der Einbeziehung der Bürger*innen. Abbildung 2.1 veranschaulicht, wie diese verschiedenen Dimensionen miteinander korrespondieren, und verdeutlicht, dass es zwar einen starken Zusammenhang zwischen gestärkten Lokalregierungen und solchen gibt, die mehr Raum für zivilgesellschaftliche Beteiligung lassen, dass Fragilität jedoch in einer Vielzahl von Situationen gegeben sein kann. Daher müssen die Instrumente zur Einbindung der Bürger*innen und zur Förderung der Rechenschaftspflicht angepasst sein an das jeweilige Ausmaß an Zuständigkeiten der lokalen Regierung, die Offenheit des bürgerlichen Raums für Rede- und Versammlungsfreiheit und den Fragilitätsgrad der Nationalregierung, der die Kapazitäten lokaler Behörden beeinträchtigen kann.

ABBILDUNG 2.1

RAHMENBEDINGUNGEN FÜR DIE GOVERNANCE LOKALER ERNÄHRUNGSSYSTEME: DER NEXUS AUS AUTONOMIE VON LOKALREGIERUNGEN, ZIVILGESELLSCHAFTLICHEM RAUM UND STAATLICHER FRAGILITÄT (2021)

Länder mit hoher Fragilität

 

Quellen: Die Macht von Lokalregierungen wird durch den Local Government Index (LGI) ausgedrückt, der zivilgesellschaftliche Raum durch den Civil Society Participation Index (CSPI). Beide Indizes entstammen der Datenbank Varieties of Democracy (V-Dem Institute 2022). Die Einstufung von Ländern als fragil basiert auf den Daten des Fragile States Index (FSI) des Fund for Peace (2022) aus dem Jahr 2021.

Anmerkungen: Der LGI erfasst drei Dimensionen: Das Vorhandensein einer lokalen Verwaltungseinheit, das Verhältnis gewählter zu eingesetzten/ernannten lokalen Führungskräften und Räten sowie das Ausmaß, in dem eingesetzte/ernannte Amtsinhaber*innen gewählten Amtsinhaber*innen auf lokaler Ebene untergeordnet sind. Der CSPI gibt an, inwieweit zivilgesellschaftliche Organisationen (wie Gewerkschaften, Berufsverbände, Frauengruppen, Nichtregierungs- und religiöse Organisationen) unabhängig vom Staat sind und die Bürgerschaft ihre politischen und staatsbürgerlichen Ziele frei und aktiv verfolgen kann. Die FSI-Daten wurden umgekehrt normalisiert, also steht 1 für „wenig fragil“ und 0 für „sehr fragil“. Länder mit einem Wert von 0,2 oder weniger wurden als „sehr fragil“ eingestuft. Länder, die von der Weltbank als einkommensstark klassifiziert werden, sind in der Abbildung nicht berücksichtigt.

Beteiligung von Gemeinschaften an der Governance von Ernährungssystemen

Foto: Opladen/Welthungerhilfe, 2022; In den Nutrition Smart Villages in Nepal, trifft sich eine Gruppe von Frauen für ein Ernährungstraining, und die Konsolidierung und Ausweitung des multisektoralen Ansatzes in für nachhaltige integrierte Landwirtschaftssysteme in Nepal. Distrikt Rautahat, Paroha. Ausblenden

Am wichtigsten für den Kontakt zwischen Staat und Bürger*innen ist die lokale Ebene, sei es das Dorf, der Stadtteil oder die Gemeinde, da Bürger*innen dort am unmittelbarsten von der Ernährungspolitik und der Qualität staatlicher Dienstleistungen betroffen sind.

BOX 2.1

BEWUSSTSEIN FÜR DAS RECHT AUF NAHRUNG SCHAFFEN

Die globale Nahrungsmittelpreisinflation im Jahr 2022 und der zunehmende Hunger werfen erneut Fragen nach den wesentlichen Aspekten des Rechts auf Nahrung auf. Etwa 18 Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommen sehen in ihren Verfassungen ausdrücklich das Recht auf angemessene Nahrung vor, während es weitere neun Länder implizit garantieren, indem sie das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard und Wohlergehen betonen (FAO n.d.). Dennoch kann es für Betroffene schwierig sein, ihr Recht auf Nahrung durchzusetzen – ein Recht, von dem sie oftmals gar nichts wissen. Überdies fehlt dem in der Verfassung verankerten Recht auf Nahrung häufig die gesetzliche Unterfütterung. In stärker dezentralisierten Ländern kann es zudem zu einer Diskrepanz zwischen der Gesetzgebung auf nationaler Ebene und den Zuständigkeiten für Nahrungsmittel, Ernährung und Landwirtschaft auf lokaler Ebene kommen.

Letzteres ist in Kenia besonders deutlich geworden, wo die Zuständigkeit für Landwirtschaft, Viehzucht, Fischerei, Gesundheit und Umwelt laut der Verfassung von 2010 bei den 47 Verwaltungsbezirken des Landes liegt, während zugleich gemäß Artikel 43 (1c) „jede Person das Recht hat, frei von Hunger zu sein“ und laut Artikel 53 (1c) „jedes Kind das Recht auf grundlegende Ernährung, Unterkunft und Gesundheitsversorgung hat“. Da dieses Recht durch kein Parlamentsgesetz institutionalisiert wurde, arbeiten die nationale Right to Food Coalition und andere Partner an einem nationalen Gesetzentwurf zum Recht auf Nahrung. Das Gesetz soll die Rechte, die mit dem Anspruch auf Nahrung eng verknüpft sind, wie der Landbesitz von Frauen und Wasserrechte, formal anerkennen. Auf lokaler Ebene ist Rural Outreach Africa bestrebt, das Bewusstsein der Bezirksregierungen für ihre Verantwortlichkeiten sowie das der Bevölkerung für ihre Rechte zu schärfen. In den Bezirken Vihiga, Kakamega, Bungoma, Kisumu und Nandi arbeiten Beamt*innen, die für Landwirtschaft, Haushaltsplanung und andere Fachbereiche mit Einfluss auf das Ernährungssystem zuständig sind, mit lokalen Politiker*innen, Vertreter*innen von Gemeinschaften, gemeinschaftsbasierten Organisationen und Medienschaffenden zusammen, um sie für Haushaltsverfahren zu sensibilisieren, die Entscheidungen hinsichtlich des Ernährungssystems betreffen. Im Vorfeld der Wahlen im August 2022 hat dieses Bündnis der Bezirke allen wichtigen politischen Parteien ein „Ernährungsmanifest“ vorgelegt, in der Hoffnung, dass es in die Investitions- und Entwicklungspläne der nächsten Bezirksregierungen aufgenommen wird (Interview, Stella Kimani and Josephine Thome, WHH, May 27, 2022).

Obwohl das Recht auf Nahrung bereits 1994 in die Verfassung Malawis aufgenommen wurde, ist das Bewusstsein der Bevölkerung für diesen Rechtsanspruch noch genauso gering wie in Kenia. Bemühungen, in den 2000er-Jahren eine Gesetzesvorlage zum Recht auf Nahrung auszuarbeiten, stießen stets auf den Widerstand der jeweiligen Regierungen, weil diese fürchteten, dass ein solches Gesetz sie zur Ernährung der gesamten Bevölkerung verpflichten würde. Mit der Wahl einer neuen Regierung im Jahr 2020 haben das Civil Society Agriculture Network (CISANET) und gleichgesinnte zivilgesellschaftliche Organisationen ihre Bemühungen um die Verabschiedung eines bestehenden Gesetzesentwurfs wieder aufgenommen. Auf nationaler Ebene führen sie Advocacy- Treffen mit Malawis Ministerien und Medien durch, um der Öffentlichkeit zu zeigen, wie wichtig eine rechtsverbindliche Regelung für das Recht auf Nahrung ist. In ausgewählten Gebieten, wie etwa dem Bezirk Mangochi, vermitteln CISANET und gleichgesinnte zivilgesellschaftliche Organisationen der Bevölkerung durch Informationsveranstaltungen, Feldtage und regelmäßige Treffen mit traditionellen Autoritäten, Gebiets- und Dorfentwicklungskomitees sowie Bezirks-Ernährungsausschüssen ein besseres Verständnis für ihre Rechtsansprüche (Interview, Felix Sanudi, CISER, June 10, 2022).

Die Verfassung von Sierra Leone enthält zwar kein ausdrückliches Recht auf Nahrung, aber mehrere dafür relevante Bestimmungen – wie die Verpflichtung des Staates, „das größtmögliche Wohl“ der Bevölkerung sicherzustellen und eine „Selbstversorgung bei der Nahrungsmittelerzeugung zu gewährleisten“ (Artikel 7.1). Auf lokaler Ebene arbeitet das Sierra Leone Network on the Right to Food (SiLNoRF) mit Gemeinschaften in der Stadt Makeni für ein besseres Verständnis dieser Bestimmungen und eine Stärkung des zivilgesellschaftlichen Engagements. Wie der stellvertretende Direktor von SiLNoRF betonte, „können die Menschen ihre Rechte nicht einfordern, wenn sie diese nicht kennen“. Dies gilt insbesondere in einem Land, in dem nur 26 Prozent der Bevölkerung lesen und schreiben können. Die Bemühungen des SiLNoRF zur Stärkung der lokalen Demokratie haben sich auch darauf konzentriert, die Stammesoberhäupter über ihre Pflichten gegenüber ihren Gemeinschaften aufzuklären, da sie die Verwaltung eines Großteils des Landes verantworten und oft selbst Bäuerinnen und Bauern sind (Interview, Abass Kamara, SiLNoRF, June 14, 2022).

Wie genau können sich Gemeinschaften unter diesen verschiedenen Rahmenbedingungen auf lokaler Ebene engagieren, um die Rechenschaftspflicht für das erreichte Maß an Ernährungssicherheit zu verbessern? In den letzten Jahren wurden viele innovative Ansätze entwickelt. Im Folgenden werden zwei Mechanismen genauer betrachtet: Erstens die Nutzung von Daten und Technologien, um Leistungen auf lokaler Ebene zu überprüfen, und zweitens lokale Plattformen, die viele Stakeholder zusammenbringen, um ihre jeweilige Perspektive zu den Herausforderungen des Ernährungssystems und möglichen politischen Strategien einzubringen. Diese Ansätze sind relativ neu, sodass ihre unmittelbaren wie langfristigen Wirkungen auf die Ernährungssicherheit noch weiterer Forschung bedürfen; jedoch lohnt es sich, hier ihr Potenzial und ihre ersten Errungenschaften zur Verbesserung politischer Prozesse bei der Entwicklung von Strategien zur Ernährungssicherung zu untersuchen.

Überprüfung der lokalen Regierungsleistung

Eine Reihe von Rechenschaftsmechanismen konzentriert sich auf die Überwachung der Umsetzung politischer Richtlinien. Da die Umsetzung von Maßnahmen und Projekten, die sich auf die Ernährungssicherheit auswirken, häufig mit Ausgaben verbunden ist, hat die Haushaltsüberwachung an Bedeutung gewonnen. Seit mehreren Jahren arbeitet die Initiative Scaling Up Nutrition (SUN) mit ihren Mitgliedsländern zusammen, um die staatlichen Haushaltszuweisungen für ernährungsbezogene Maßnahmen wie Mikronährstoffergänzung und Ernährungsprogramme für Säuglinge und Kleinkinder sowie für ernährungssensible Initiativen, etwa die Versorgung mit sauberem Trinkwasser, Sanitärversorgung und der Zugang zur Gesundheitsversorgung, zu analysieren (Fracassi et al. 2020). Dieser Ansatz erfasst zwar die von den Regierungen für Ernährung vorgesehenen Beträge, nicht aber die tatsächlichen Ausgaben, weshalb sich andere ergänzende Ansätze herausgebildet haben, wie etwa die Nutrition Public Expenditure Reviews der Weltbank zur Überprüfung öffentlicher Ausgaben für die Ernährungssicherheit (Wang et al. 2022).

Der Mangel an öffentlich zugänglichen subnationalen Daten über Ernährung, Landwirtschaft und andere Bereiche des Ernährungssystems – entweder aufgrund fehlender oder unerschwinglicher Lizenzgebühren – stellt eine Herausforderung für die Haushaltskontrolle und Rechenschaftspflicht dar. Einige lokale Initiativen haben jedoch Wege gefunden, dieses Informationsdefizit zu umgehen. In Nigeria beispielsweise erfasst die zivilgesellschaftliche Organisation BudgIT seit 2011 alle bundesstaatlichen Haushalte und nutzt ihre Open-Data-Plattform Tracka, um die Öffentlichkeit über die Umsetzung von Regierungsprojekten in ihren Gemeinden zu informieren (BudgIT 2022; Tracka 2022; Herbst and Onigbinde 2017). Dies fördert zunehmend das Bewusstsein und die Beteiligung der Zivilgesellschaft in einem Land, das für seine intransparenten Haushaltsverfahren bekannt ist (Bisong and Ogwumike 2020).

Ein anderer Ansatz konzentriert sich darauf, Anreize für Lokalregierungen zu schaffen, bessere Leistungen durch Vergleiche mit anderen Lokalregierungen zu erzielen. In Ghana werden seit 2014 jährlich Distrikt-Ranglisten von UNICEF und der Nationalen Kommission zur Entwicklungsplanung Ghanas veröffentlicht, um das Bewusstsein der Bürger*innen zu schärfen und die soziale Rechenschaftspflicht zu verbessern. Die Distrikt-Ranglisten basieren auf Bewertungsbögen von Verwaltungsdaten aller 260 Distrikte des Landes, mit denen 17 Indikatoren für 5 Bereiche ermittelt werden: Bildung, Gesundheit, Wasser und Sanitärversorgung, Regierungsführung sowie Informationsund Kommunikationstechnologie (NDPC and UNICEF Ghana 2021). Die am besten und am schlechtesten bewerteten Distrikte werden in den Medien vorgestellt, um die Öffentlichkeit dazu anzuregen, die Regierungsleistungen zu überprüfen. Kürzlich kündigte die Regierung die Einführung besonderer Auszeichnungen an, die die leistungsstärksten Distrikte mit zusätzlichen Finanzmitteln belohnt (Aniagyei 2022).

Bewertungsbögen können jedoch nur eine minimale Wirkung entfalten, wenn sie idealisierte Ergebnisse widerspiegeln, die angesichts der Kapazitäten der Kommunalregierung nicht realisierbar sind, wenn sie die Spannungen zwischen Gemeinschaften, Behörden und der Politik verschärfen und wenn sie kein Interesse bei politischen Entscheidungsträger*innen wecken (Kelley 2017). Mehrere Initiativen sind daher dazu übergegangen, solche Instrumente auf eine interaktivere Art und Weise mit den lokalen Regierungen zu erarbeiten, und haben Möglichkeiten für Feedback und Optimierung geschaffen. Im Distrikt Mangochi in Malawi etwa entwickelte die Community Initiative for Self Reliance (CISER) in Abstimmung mit lokalen zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Agrarsaison 2020–2021 Bewertungsbögen, um die Erfahrungen der Bevölkerung mit einem der Vorzeigeprogramme der Nationalregierung zu erfassen, dem Affordable Inputs Program (AIP), das vulnerablen Bäuerinnen und Bauern subventionierten Dünger und Saatgut zur Verfügung stellt. Die entsprechenden Indikatoren wurden zunächst gemeinsam mit mehreren Gemeinschaften im Distrikt und dem District Agricultural Extension Coordinating Committee (DAECC) auf der Grundlage der AIP-Richtlinien entwickelt.

Die Gemeinschaften und Beamt*innen der Landwirtschaftsbehörde des Distrikts bewerteten die Leistung des Programms anhand der Indikatoren. Die Bewertungsbögen deckten mehrere Schwächen des Affordable Inputs Program auf: Unter anderem war die für die Einlösung der Betriebsmittel-Gutscheine verwendete App langsam und unzuverlässig; die Betriebsmittel wurden zu spät in der Pflanzsaison ausgegeben; schlechte Straßen in der Regenzeit beeinträchtigten den Zugang der Menschen zu den Verteilstellen der Betriebsmittel; Personen, die ihren Personalausweis verloren hatten, hatten Schwierigkeiten, die Betriebsmittel zu erhalten; und es fehlten Beschwerdemechanismen. Das District Agricultural Extension Coordinating Committee unterrichtete die Zentralregierung über viele dieser Probleme, von denen einige in der darauffolgenden Agrarsaison behoben wurden. So werden die Betriebsmittel inzwischen nicht nur früher in der Saison an die Agrarhändler*innen geliefert, sondern sie können von Bäuerinnen und Bauern auch an einem anderen Ort als ursprünglich zugewiesen abgeholt werden. Außerdem wurden Erfahrungen mit geschlechtsspezifischer Gewalt beim Zugang zu den Affordable-Inputs-Program-Betriebsmitteln als neuer Indikator in den Bewertungsbogen aufgenommen (Interview, Felix Sanudi, CISER, June 10, 2022).

In Nepal hat die zivilgesellschaftliche Organisation Aasaman Nepal einen ähnlichen interaktiven Ansatz bei der Entwicklung von Bewertungsbögen verfolgt. In zwei Gemeinden der Provinz Madhesh kommen Einwohner*innen, Gemeindevertreter*innen sowie private Dienstleistende zusammen, um ihre Erwartungen an Gesundheitseinrichtungen und die Qualität der Gesundheitsdienstleistungen zu diskutieren, auf die die Bürger*innen Anspruch haben. Sie organisieren eine Bewertung der Gesundheitsdienstleistungen, dabei diskutieren und entwickeln sie gemeinsam Indikatoren zur Bewertung der Leistung von Gesundheitseinrichtungen und -diensten und bewerten diese Indikatoren getrennt, bevor sie dann wieder zusammenkommen. Fällt die Leistung einer Gesundheitseinrichtung unter einen bestimmten Schwellenwert, einigen sich alle Teilnehmenden auf einen Aktionsplan und legen ihre jeweiligen Aufgaben und Pflichten zur Leistungsverbesserung fest. In jeder der Gesundheitseinrichtungen wird dieser Aktionsplan öffentlich ausgehängt und regelmäßig überprüft; im darauffolgenden Jahr erfolgt dann eine erneute Leistungsbewertung (Interview, Mani Ram Acharya, Aasaman Nepal, June 2, 2022).

In fragilen Kontexten oder bei fehlenden formellen Möglichkeiten für ein relevantes bürgerschaftliches Engagement stellt eine solche Zusammenarbeit eine größere Herausforderung dar – möglich ist sie trotzdem: Die sudanesischen Widerstandskomitees sind ein Beispiel für eine Basisbewegung, die Rechenschaftspflichten fördert und sich dafür einsetzt, Lücken in der Leistungserbringung zu schließen. Diese Komitees, die 2013 in Khartum organisch entstanden sind, bestehen aus Studierenden, arbeitslosen Jugendlichen und städtischen Aktivist*innen. Sie überprüften beispielsweise die Brotverteilung in Sudans größten Städten, indem sie eine App zur Erfassung von Daten über Mehllieferungen, Schließzeiten von Bäckereien und Schmuggel einsetzten. Auf diese Weise wollten sie verhindern, dass Bäckereien subventioniertes Mehl für illegale Zwecke abzweigen (Resnick 2021). Obwohl der langfristige Fortbestand dieser ehrenamtlichen Initiative unklar ist, sind die Komitees auch fast ein Jahrzehnt nach ihrer Gründung ein wichtiges Kontrollelement im städtischen Sudan.

Wirkungsvolle Einbindung lokaler Stakeholder

Multi-Stakeholder-Plattformen, die den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen einer Vielzahl von Stakeholdern fördern sollen, sind ein gängiges Instrument, um die Komplexität der Transformation des Agrar- und Ernährungssystems zu bewältigen (Hermans et al. 2017; Thorpe et al. 2022). Sie werden vor allem genutzt, um Ansprüche der Menschen auf das Recht auf Nahrung zu unterstützen (siehe Box 2.1). Es gibt jedoch Vorbehalte gegenüber solchen Plattformen, etwa dass sie bei den Teilnehmenden unrealistische Erwartungen hinsichtlich politischer Entscheidungen wecken (Resnick and Birner 2010) oder dass sie nur bestehende Machtasymmetrien in Ernährungssystemen verstärken (Canfield, Anderson, and McMichael 2021; Gleckman 2018; HLPE 2018). Dies ist besonders problematisch in lokalen Gemeinschaften mit tief verwurzelten Formen des Patriarchats und anderen asymmetrischen Machtverhältnissen.

Vor diesem Hintergrund achten diverse Multi-Stakeholder- Plattformen sehr darauf, wie die Stimmen in diesen Foren zum Ausdruck kommen. In Bolivien beispielsweise arbeitet die zivilgesellschaftliche Organisation Fundación Alternativas seit 2013 mit dem kommunalen Ausschuss für Ernährungssicherheit in La Paz zusammen. Der Ausschuss, der sicherstellen soll, dass die Ressourcen für prioritäre Strategien der Ernährungssicherheit und Ernährungspolitik eingesetzt werden, umfasst Teilnehmende aus allen Regierungsebenen, dem Privatsektor und der Zivilgesellschaft. In thematischen Gruppen organisiert treffen sich die Teilnehmenden jeden Monat, um zu ermitteln, welche Bereiche des Ernährungssystems verbessert werden müssen; ferner erarbeiten sie entweder Gesetzesentwürfe, die sie der Legislative vorlegen, oder Vorschläge für gezielte Investitionen (Interview, Maria Teresa Nogales, Fundación Alternativas, June 6, 2022). In den Jahren 2018 und 2019 war der Ausschuss maßgeblich an der Ausarbeitung eines kommunalen Gesetzes für urbane Landwirtschaft beteiligt, die nun als angemessene Landnutzung rechtlich anerkannt ist (Nogales 2019).

Dabei gilt stets, dass die Themengruppen des kommunalen Ausschusses für Ernährungssicherheit einen Konsens erzielen müssen, bevor sie eine Handlungsempfehlung an die Politik abgeben. Bei den Beratungen des Ausschusses wird das dialogische Veränderungsmodell genutzt (Interview, Maria Teresa Nogales, Fundación Alternativas, June 6, 2022); dieses Modell ist ein strukturierter kooperativer Ansatz für Planung und Implementierung, bei dem die Stimmen aller Akteur*innen innerhalb der Multi- Stakeholder-Plattform gehört werden müssen (Collective Leadership Institute n.d.).

In Brasilien, Äthiopien, Indonesien und Peru wurden bei subnationalen Multi-Stakeholder-Plattformen, die sich auf die gemeinsame Bewirtschaftung von Land- und Waldressourcen konzentrierten, mehrere Machtasymmetrien zwischen den Teilnehmer*innen festgestellt, die die Wirksamkeit der Plattformen beeinträchtigten. So fühlten sich beispielsweise indigene Gemeinschaften an den Rand gedrängt, oder es konnten nur jene zivilgesellschaftlichen Akteur*innen teilnehmen, die sich die Anreise leisten konnten (Barletti 2022). Daher basiert das vom Center for International Forestry Research (CIFOR) und seinen Partnern entwickelte Instrument „How are we doing?“ auf den Grundsätzen des adaptiven gemeinsamen Arbeitens und zielt darauf ab, Vertrauen und Gleichberechtigung innerhalb des Umfelds durch kontinuierliche Rückmeldungen der Teilnehmer*innen zu stärken. Dies führt zu iterativen Veränderungen bei der Gestaltung der Multi-Stakeholder-Plattformen (Barletti et al. 2020).

In Peru haben die Nichtregierungsorganisationen Consorcio Agroecológico Peruano (CAP) und Red de Agricultura Ecológica del Perú (RAE) in fünf Bezirken rund um die Metropole Lima in den Tälern von Lurín und Chillón Gesprächsrunden für die lokale Entwicklung der Ernährungssicherheit veranstaltet. Diese Diskussionen bauen auf bestehenden Gemeinschaftsstrukturen auf. Sie sind während der COVID-19-Pandemie organisch entstanden, als die Bewohner*innen der einkommensschwachen Viertel in diesen Tälern ihrer Bezirke und anderswo in der Hauptstadt Suppenküchen organisierten, die als „Gemeinschaftstöpfe“ bekannt sind. Diese Suppenküchen werden nun als Überlebensstrategie weitergeführt, wegen der durch den Krieg in der Ukraine ausgelösten globalen Nahrungsmittelpreisinflation (Briceno 2022). CAP, RAE und andere Nichtregierungsorganisationen arbeiten mit diesen Netzwerken von Suppenküchen zusammen und binden zudem Organisationen von Bäuerinnen und Bauern, Jugendgruppen und religiöse Vereinigungen mit ein. Wie in Bolivien finden diese Gesprächsrunden regelmäßig entweder physisch oder virtuell statt. In Themengruppen organisiert, fokussieren sie sich auf die Verbesserung lokaler Gesetze, die für Ernährungssysteme relevant sind (Interview, Juan Sanchez, CAP/ RAE, June 6, 2022).

Während Bolivien und Peru ihre Dezentralisierungsprozesse Mitte der 1990er- beziehungsweise Anfang der 2000er-Jahre mit direkt gewählten Bürgermeister*innen vorantrieben, die über funktionale Autonomie in Bezug auf bestimmte Aspekte des Ernährungssystems verfügen, hat Nepal erst deutlich später Erfahrungen mit lokaler Regierungsführung gesammelt. Erst seit 2015 sieht die Verfassung des Landes drei Regierungsebenen vor: Nationale, provinziale und kommunale Ebene. Nach der Verabschiedung des Local Government Operations Act (LGOA) im Jahr 2017 und den Kommunalwahlen 2017 erhielten die Kommunen die rechtliche Befugnis zur Formulierung und Umsetzung von Strategien in 22 Bereichen.

In diesem heiklen Umfeld neu ermächtigter und gewählter lokaler Regierungen kümmert sich die zivilgesellschaftliche Organisation Aasaman Nepal darum, dass die Kommunen auf die Anliegen von Einwohner*innen in Bezug auf Ernährungssicherheit, Gesundheit und andere Entwicklungsthemen eingehen. Seit 2018 nutzt Aasaman Nepal den siebenstufigen lokalen Planungsprozess, der integraler Bestandteil des LGOA ist, und arbeitet in der Provinz Madhesh in acht Kommunen, in denen Geschlechterungleichheit, Landlosigkeit, Ernährungsunsicherheit und Fehlernährung weitverbreitet sind. In jeder Kommune beginnt die partizipative Planung jedes Jahr im Februar zunächst auf dörflicher Ebene, wo die Gemeinschaften Prioritäten und Entwicklungspläne diskutieren, die dann auf der nächsthöheren Verwaltungsebene, im Gemeindebezirk, abgestimmt werden, bevor sie in die Pläne der Kommune einfließen. In den letzten drei Jahren wurden immer mehr Pläne von den Kommunen genehmigt, und im Jahr 2021 genehmigten die acht Kommunen 341 Pläne, die von den dörflichen Gruppen im Rahmen dieses Prozesses eingereicht wurden (Interview, Mani Ram Acharya, Aasaman Nepal, June 2, 2022).

Niger befindet sich aufgrund zunehmender Wüstenbildung, einer angeschlagenen Wirtschaft und der Präsenz zahlreicher nichtstaatlicher bewaffneter Gruppen entlang seiner Grenzen in einer besonders fragilen Lage. Trotzdem haben sich Gemeinschaftsgruppen in mehreren thematischen Multi-Stakeholder-Plattformen zusammengeschlossen, um mit Unterstützung der Initiative High Commission for the Nigeriens Nourishing Nigeriens (HC3N) gezielt Probleme des Ernährungssystems anzugehen. Beispielsweise organisierte die HC3N im Jahr 2021 einen Austausch zwischen Bauernverbänden und mehlverarbeitenden Betrieben. Die Teilnehmenden befassten sich mit der Herausforderung, angereichertes Mehl aus lokaler Hirse und Sorghum zu einem erschwinglichen Preis und in gleichbleibender Qualität für Konsumierende zu liefern, wobei sichergestellt wurde, dass trotz Schwankungen in Zugang zu und Preisen von Betriebsmitteln ein angemessenes Einkommen aus der Wertschöpfungskette erzielt werden kann. Es bestand Einigkeit darüber, dass die politisch Verantwortlichen in mehreren Bereichen tätig werden sollten (Interview, Gervais Ntandou-Bouzitou, FAONiger and technical assistant to HC3N, June 10, 2022).

Gewonnene Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen

Foto: Hugh Kinsella Cunningham/Concern Worldwide, 2021; Im Dorf Pension im Gebiet Manono in der Demokratischen Republik Kongo trifft sich eine kommunale Spar- und Kreditgruppe. Die Gruppe bietet den Gemeindemitgliedern die Möglichkeit, Kapital aufzubauen und Einkommen zu sparen, das sie zur Verbesserung ihrer Ernährungssicherheit und Widerstandsfähigkeit einsetzen können. Ausblenden
BLICKPUNKT

LOKALE GOVERNANCE IN EINEM FRAGILEN KONTEXT – VERWALTUNG VON NAHRUNGS- UND FUTTERMITTELN SOWIE KREDITEN IN DIFFA, NIGER

Jean-Patrick Masquelier und Marilena Bachmeier

Die Bevölkerung in der Region Diffa in Niger ist mit sich überschneidenden Krisen konfrontiert, die verheerende Folgen für ihre Ernährungssicherheit haben. Bodendegradation, Epidemien, Überschwemmungen und die massive Vertreibung von Menschen aus der Region aufgrund der durch bewaffnete Gruppen verursachten bedrohlichen Sicherheitslage haben eine geringere landwirtschaftliche Produktion nach sich gezogen und die ohnehin schon vulnerablen Aufnahmegemeinschaften enorm unter Druck gesetzt. Die begrenzt verfügbaren Ressourcen teilt sich die aufnehmende Bevölkerung mit den Vertriebenen, weswegen sich nur elf Prozent der betroffenen Gemeinschaften aus eigener Kraft ernähren können (UNHCR 2021).

Ein Beispiel für wirksame lokale Maßnahmen ist das kürzlich durchgeführte Projekt Shimodu, bei dem die eigenständige Verwaltung von Nahrungs- und Futtermitteln sowie Krediten durch Gemeinschaften im Zentrum steht. Bei diesem Projekt – als Ergänzung zu den Nothilfeprogrammen in der Region – wird die Gemeinschaft ins Zentrum gestellt und in Zusammenarbeit mit nationalen und internationalen Partnern integrierte und nachhaltige Entwicklungsstrategien konzipiert. Mit dieser von der Europäischen Union finanzierten und einem Bündnis aus Agora und den Alliance2015-Mitgliedern ACTED, Concern Worldwide und Welthungerhilfe durchgeführten Initiative sollten die Lebensbedingungen und die Resilienz vulnerabler Bevölkerungsgruppen, insbesondere der Vertriebenen, Geflüchteten und Aufnahmegemeinschaften, verbessert werden.

Im Rahmen des Shimodu-Projekts kamen Mitglieder der Gemeinschaften, lokale Behörden, humanitäre Akteur*innen und das Konsortium zusammen, um die Bedürfnisse an den einzelnen Standorten zu ermitteln. Auf Basis der ermittelten Bedürfnisse richteten die Gemeinschaften Nahrungs- und Futtermittellager sowie ein Pfandkreditsystem ein. Dabei handelt es sich um ein System zur Vergabe von Krediten an Bäuerinnen und Bauern in Höhe ihrer eingelagerten Nahrungs- und Futtermittelvorräte, um die Verfügbarkeit von und den Zugang zu Nahrungs- und Futtermitteln während der mageren Jahreszeit zu verbessern. Die in Zeiten relativen Überflusses angelegten Nahrungsmittelund Futtervorräte werden später zu Preisen verkauft, die von den Gemeinschaften in eigener Regie auf Mitgliederversammlungen, an denen alle beteiligten Haushalte teilnehmen, festgelegt werden. In der mageren Jahreszeit oder in schwierigen Situationen wie der aktuellen Nahrungsmittelpreiskrise werden die Vorräte an die Gemeinschaften zurück verkauft, um diese vor Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln und Viehfutter zu schützen. Auf diese Weise erhalten vulnerable Haushalte Zugang zu Getreide für die Ernährung ihrer Familien und zu Viehfutter.

Das Projekt mit dem Fokus auf Gemeinschaften wurde in enger Zusammenarbeit zwischen regionalen und Bezirksbehörden sowie humanitären Organisationen durchgeführt. Die Gemeinschaften selbst errichten und unterhalten die Nahrungs- und Futtermittellager, verkaufen aus den Vorräten, bevor sie diese wieder auffüllen, und sie organisieren die Mitgliederversammlungen. Die für die Lagerverwaltung zuständigen Gremien stehen in regelmäßigem Kontakt mit den lokalen Behörden, die fachliche Unterstützung und Schulungen, etwa zur Finanz- und Lagerverwaltung, anbieten. Im Rahmen des Projekts wurden überdies zusammen mit dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (OCHA) und Regierungsbehörden geeignete Pläne für humanitäre Hilfe und Unterstützung für die lokalen Gemeinschaften entwickelt. Dabei trafen sich Arbeitsgruppen für Ernährungssicherheit, Wasser, Sanitärversorgung und Hygiene, um die Abstimmung und Koordinierung der Projektaktivitäten mit dem Gesamtplan für humanitäre Hilfe sicherzustellen.

Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen konnten mit dieser Initiative rund 28.000 Menschen aus 4.000 Haushalten, die von der Sicherheitskrise in der Region Diffa betroffen sind, langfristig in die lokale Volkswirtschaft integriert werden. Neben einem stärkeren sozialen Zusammenhalt und einer inklusiveren lokalen Governance wurde zudem eine erhebliche Verbesserung der Ernährungssicherheit erreicht und ein nachhaltiger Zugang zu grundlegenden Sozialleistungen geschaffen.

Das sind nicht die einzigen vielversprechenden Wirkungen des Projekts: Kommunen und Bezirksbehörden haben ihre Vernetzung, Koordination und ihren Wissenstransfer optimiert. Durch Erfahrungsaustausche konnten gefährdete Haushalte und Gemeinschaften ihre negativen Bewältigungsstrategien reduzieren und ihre Lebensbedingungen verbessern. Es sind verschiedene kollektive Einrichtungen entstanden, die finanzielle, landwirtschaftliche und andere Dienstleistungen oder Produkte anbieten, wie beispielsweise dörfliche Spar- und Kreditvereine, Geschäfte für landwirtschaftliche Betriebsmittel, Betriebe für die Verarbeitung und Vermarktung von Nahrungsmitteln, Futtermittellager, Herstellerfirmen von Multinährstoffblöcken, einem verdichteten Tierfutter, sowie Tierpflegende, die in den Gemeinschaften arbeiten. Diese Aktivitäten haben dazu beigetragen, lokale Entwicklungsinitiativen mit privatwirtschaftlichen Stakeholdern, die in dem Gebiet tätig sind, zu vernetzen und gleichzeitig den sozialen Zusammenhalt zu stärken.

Darüber hinaus ermöglichte das Pfandkreditsystem den Mitgliedern der Gemeinschaften nicht nur den lokalen Zugang zu Krediten, was über die örtlichen Banken nicht möglich gewesen wäre, sondern auch die Maximierung ihrer Gewinne durch den Verkauf ihrer Vorräte in Zeiten höherer Preise. Mit den erzielten Einnahmen konnten die Teilnehmenden die magere Jahreszeit überstehen, indem sie auf die in den Speichern gelagerten Nahrungsmittelreserven zurückgriffen. Das System bietet in zweierlei Hinsicht Vorteile: Es sichert den Haushalten die Verfügbarkeit von Nahrungs- und Futtermitteln in der mageren Jahreszeit und verschafft ihnen zugleich Zugang zu Einnahmen, mit denen sie eine wirtschaftliche Tätigkeit aufnehmen können, um ihre über den Nahrungsmittelbedarf hinausgehenden Bedürfnisse zu decken. Dank der Darlehen und der Vorräte konnten die Begünstigten ihre Nahrungsaufnahme sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht steigern, was in einer insgesamt gestiegenen Ernährungssicherheit in der Region resultierte (INTES 2021).

Durch die Zusammenarbeit mit lokalen Behörden, die Einbindung zivilgesellschaftlicher Organisationen wie etwa Frauen- und Jugendverbänden sowie die Nutzung von Synergien mit Forschungsinstituten, zum Beispiel durch anwendungsbezogene Forschung und Befragungen von Haushalten in Kooperation mit der Universität Diffa und Nigers staatlichem landwirtschaftlichen Forschungsinstitut, hat das Projekt außerdem einen Dialog über resiliente und nachhaltige Ernährungssysteme in Gang gesetzt und die Resilienz der von überlappenden Krisen betroffenen Gemeinschaften gestärkt.

Jean-Patrick Masquelier ist Länderdirektor, Concern Worldwide Niger. Marilena Bachmeier ist Projektassistentin, Deutsche Welthungerhilfe e. V.

Die Instrumente der Rechenschaftspflicht allein tragen möglicherweise nicht unmittelbar zur Verbesserung der Ernährungssicherheit bei. Doch wie in diesem Essay dargelegt, haben viele Gemeinschaften und zivilgesellschaftliche Organisationen mit der Überprüfung staatlicher Leistungen und Multi-Stakeholder-Plattformen durchaus messbare Erfolge erzielt, die sich alle mittelbar auf den Zugang zu Nahrungsmitteln und deren Qualität auswirken. Beispielweise die Verabschiedung eines neuen Kommunalgesetzes in Bolivien, inklusivere Haushaltsverfahren in Nepal und verbesserte öffentliche Leistungen in Malawi. Darüber hinaus ermächtigen die Ausübung von Kontrolle und die aktive Beteiligung an Prozessen die Gemeinschaften dazu, von den Regierungen entsprechendes Handeln einzufordern, und sensibilisiert sie für ihre Rechtsansprüche sowie die jeweiligen Mittel, diese Rechte geltend zu machen. Diese Maßnahmen reichen zwar nicht aus, sind für den Einsatz für eine bessere Ernährungssicherheit aber zweifellos notwendig.

Aus diesen Erfahrungen lassen sich mehrere wichtige Lehren ziehen:

Erstens muss man sich darüber im Klaren sein, dass Lokalregierungen oft über weniger Ressourcen und Fachpersonal verfügen als Zentralregierungen. Des Weiteren muss angesichts unterschiedlicher lokaler Kontexte sichergestellt werden, dass Governance-Maßnahmen gut auf die Bedingungen und Kapazitäten vor Ort abgestimmt und entsprechende Instrumente sinnvoll anwendbar sind. In Gebieten mit stärkerer Dezentralisierung können Bürger*innen möglicherweise schon auf etablierte Planungsund Haushaltsstrukturen, regelmäßig erfasste Verwaltungsdaten und qualifizierte lokale Staatsbedienstete zurückgreifen, um die Ernährungspolitik voranzutreiben. In Ländern, die erst seit Kurzem dezentralisiert sind, muss die Bevölkerung die Praktiken lokaler Demokratie erst noch verinnerlichen und Verfahren etablieren, die sicherstellen, dass sich Interessierte an der Umsetzung und Überprüfung von Entwicklungsprojekten beteiligen können. In fragilen und eher autokratischen Settings sind Aktivitäten, die organisch aus der Gemeinschaft entstehen, möglicherweise der einzig realistische Weg zur Einflussnahme auf die lokale Governance von Ernährungssystemen. Von solchen Aktivitäten können Partnerorganisationen lernen und anschließend andere Gemeinschaften dabei unterstützen, sie in ähnlicher Weise umzusetzen.

Zweitens ist die lokale Führung von zentraler Bedeutung für die Nachhaltigkeit der lokalen Maßnahmen. Weil die beiden Nichtregierungsorganisationen Consorcio Agroecológico Peruano (CAP) und Red de Agricultura Ecológica del Perú fürchteten, dass die peruanischen Kommunalwahlen im Oktober 2022 das Momentum der Selbstverpflichtungen zur Ernährungssicherung beeinträchtigen könnten, haben sie alle Kandidat*innen für das Bürgermeisteramt über die Arbeit der Multi-Stakeholder-Plattformen in den Tälern von Lurín und Chillón informiert. In Nepal hingegen haben neue, motivierte lokale Führungskräfte, die im Mai 2022 gewählt wurden, Aasaman Nepal die Möglichkeit gegeben, ihre Aktivitäten auszuweiten. Ähnlich verhält es sich mit der Lokalverwaltung der Hauptstadt von Madagaskar, Antananarivo, die seit der Gründung des Rates für Ernährungspolitik im Jahr 2016 ein Partner des Rates ist. Dort werden alle Projekte von führenden Nichtregierungsorganisationen geleitet, die sicherstellen können, dass das Momentum in der Ernährungspolitik auch bei einem Wechsel im Bürgermeisteramt anhält (Andrianarisoa et al. 2019).

Drittens können lokale Gemeinschaften, die am stärksten von Hunger betroffen sind, am meisten von einer verbesserten Rechenschaftspflicht profitieren. Leider sind jedoch in solchen Fällen wegen einer schwachen oder schlechten Governance, eines hohen Maßes an Vertreibung und mangelnder Sicherheit Initiativen zur Verbesserung der Rechenschaftspflicht einem höheren Risiko zu scheitern ausgesetzt. Partner der Entwicklungszusammenarbeit müssen sich also auf diese mögliche Problematik einstellen und bei ihrer Planung und der Zusammenarbeit mit den Gemeinschaften auf einen ausreichend langen Zeitraum und eine flexible Mittelverwendung achten. In extrem fragilen Kontexten, die von anhaltenden Krisen betroffen sind und von humanitären Koordinationsstrukturen dominiert werden, sollten alle Maßnahmen zum Empowerment lokaler Gemeinschaften zur Gestaltung ihrer Ernährungssysteme auch auf dem Core Humanitarian Standard für Qualität und Rechenschaftspflicht aufbauen. Dieser beinhaltet neun Selbstverpflichtungen, mit denen humanitäre Organisationen gegenüber der betroffenen Bevölkerung vor Ort Rechenschaft ablegen (CHS Management Group 2022).

Insgesamt lässt sich festhalten, dass es selbst in fragilsten Kontexten innovative Mechanismen und Instrumente gibt, mit denen lokale Gemeinschaften ermächtigt (empowert) werden können, ihre Ernährungssysteme so zu gestalten, dass Hunger, Ernährungsunsicherheit und damit verbundene Probleme angegangen werden, auch wenn die Governance von Ernährungssystemen auf mehreren Ebenen stattfindet. An Orten mit einer relativ jungen lokalen Demokratie erfordert die Förderung einer Kultur der Einbeziehung und Rechenschaftspflicht zwangsläufig ein hohes Maß an Übung, Geduld und Realismus.

Am wichtigsten für den Kontakt zwischen Staat und Bürger*innen ist die lokale Ebene, sei es das Dorf, der Stadtteil oder die Gemeinde, da Bürger*innen dort am unmittelbarsten von der Ernährungspolitik und der Qualität staatlicher Dienstleistungen betroffen sind. Die Nutzung ihrer Erfahrungen und die Mobilisierung ihrer Stimmen sind daher von zentraler Bedeutung für eine wirkungsvolle Transformation der Ernährungssysteme, von der letztlich alle Menschen profitieren, insbesondere die vulnerabelsten.

Fußnoten

  1. „Lokal“ bezieht sich hier auf subnationale Stakeholder, Institutionen und Prozesse, wie etwa Stadtoberhäupter, Gemeinderäte, traditionelle Autoritäten, gemeinschaftsbasierte Vereinigungen, Nichtregierungsorganisationen und Nachbarschaftsgruppen. In diesem Essay liegt der Schwerpunkt auf staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen, nicht auf humanitären Gruppen, die in den betroffenen Gebieten womöglich tätig sind. Lokale Governance bezieht sich auf die Art und Weise, wie diese Akteur*innen zusammenarbeiten, um Entscheidungen zu treffen, Ressourcen zu verteilen und Güter und Dienstleistungen bereitzustellen.  
  2. Die Welthungerhilfe und Concern Worldwide arbeiten mit mehreren der in diesem Essay erwähnten Organisationen zusammen, darunter die Community Initiative for Self Reliance (CISER) und das Civil Society Agriculture Network (CISANET) in Malawi, Aasaman in Nepal, die High Commission for Nigeriens Nourishing Nigeriens (HC3N) Initiative, das Sierra Leone Network on the Right to Food (SiLNoRF), Fundación Alternativas in Bolivien sowie Consorcio Agroecológico Peruano (CAP) und Red de Agricultura Ecológica (RAE) in Peru.  
  3. Die vollständige Bezeichnung dieses Projekts lautet: „Integrated Resilience Support Project for Vulnerable Refugee, Displaced, Returnee and Host Populations in the Diffa Region (Lake Chad Basin)“.  
  4. Die Beschreibung der Projektdurchführung und -ergebnisse in diesem Blickpunkt basiert auf einem von den Durchführenden und Geberorganisationen erstellten Bericht. Eine unabhängige Bewertung wurde noch nicht vorgenommen.