Über 2030 Hinaus: Jugend Für Eine Ernährungssouveräne Zukunft
Wendy Geza und Mendy Ndlovu
Centre for Transformative Agricultural and Food Systems, School of Agricultural, Earth, und Environmental Sciences, University of KwaZulu-Natal, Südafrika
Oktober 2023
Anmerkung: Dieses Kapitel gibt die Meinung der Autorinnen wieder und entspricht nicht notwendigerweise den Ansichten der Welthungerhilfe oder von Concern Worldwide.
Kernbotschaften
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In vielen Ländern wachsen junge Menschen in ungleichen und nicht nachhaltigen Ernährungssystemen auf, die keine Ernährungssicherheit bieten und sehr anfällig gegenüber Klimawandel und Umweltzerstörung sind. Sie leiden nicht nur unter dem Versagen der gegenwärtigen Ernährungssysteme, sondern werden auch deren sich abzeichnende Herausforderungen erben.
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Besonders in Südasien und Afrika südlich der Sahara, den Weltregionen mit dem größten Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung, herrschen Ernährungsunsicherheit und Unterernährung. Dort betrachten zudem viele junge Leute die Landwirtschaft als unattraktiv und unrentabel.
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Die derzeitigen Ernährungssysteme garantieren keine Ernährungssouveränität. Darunter wird das Recht aller Völker auf gesunde und kulturell angepasste Nahrung verstanden, die nachhaltig und selbstbestimmt produziert wird. Dadurch sind indigene und lokale Landwirtschafts- und Wissenssysteme in hohem Maße bedroht.
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Die Beteiligung von Jugendlichen an Entscheidungsprozessen, die ihre Zukunft betreffen, ist begrenzt. Obwohl politische Entscheidungsträger*innen begonnen haben, Perspektiven junger Menschen einzuholen, ist deren Anteil in formellen Entscheidungsgremien verschwindend gering und hat in der politischen Umsetzung kaum Wirkung gezeigt.
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Das Streben nach Ernährungssouveränität bietet die Chance, junge Menschen für die Umgestaltung der Ernährungssysteme zu mobilisieren, damit diese nicht nur nachhaltiger und gerechter werden, sondern auch die Bedürfnisse aller Menschen, insbesondere der vulnerabelsten, besser erfüllen. Junge Menschen können mit ihrer Energie und Innovationskraft dazu beitragen, kontextbezogene Ernährungssouveränität zurückzugewinnen, die Ernährungsqualität zu verbessern und gleichzeitig die Widerstandsfähigkeit lokaler Ernährungssysteme gegen ökologischen und klimatischen Stress zu stärken. Eine derartige Transformation kann der Jugend faire und attraktive Beschäftigungsmöglichkeiten bieten.
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Entscheidungsträger*innen müssen eine langfristige Perspektive einnehmen und in Sektoren wie Gesundheit und Bildung investieren, um das Wohl junger Menschen zu verbessern. Zugleich müssen sie die Jugend in politische Entscheidungsprozesse einbeziehen, um Inklusivität, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit zu fördern. Junge Menschen hingegen müssen sich proaktiv in die Gestaltung gerechter, nachhaltiger Ernährungssysteme für alle einbringen.
ABBILDUNG 2.1
WO JUNGE MENSCHEN LEBEN: DURCHSCHNITTSALTER NACH LAND, 2021
Quelle: Ritchie and Roser (2022), basierend auf Daten der UN DESA, Population Division (2022).Die weltweiten Ernährungssysteme sind überholt, nicht nachhaltig, krisenanfällig und oftmals weder inklusiv noch gerecht (Nguyen 2018; Mabhaudhi et al. 2019; Sampson et al. 2021; Bjornlund et al. 2022). Sie sind nicht in der Lage, gemäß den Menschenrechten und innerhalb der Belastbarkeitsgrenzen unseres Planeten alle Menschen, insbesondere die marginalisierten in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, mit adäquater Nahrung zu versorgen. Aktuelle Diskussionen zur Bewältigung globaler Herausforderungen und zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung haben oft einen Zeithorizont bis 2030, wenn die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs) ihr Zieldatum erreichen – das sind nur noch sieben Jahre! Für die Jugend der Welt ist diese Perspektive zu kurzsichtig.
Auf der Welt leben derzeit ca. 1,2 Milliarden junge Menschen, ein historischer Höchstwert (siehe Box 2.1). Die Mehrheit von ihnen lebt in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen in Südasien, Ostasien und Afrika (siehe Abbildung 2.1; Glover and Sumberg 2020). Diese jungen Menschen haben mit am meisten unter den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf ihre Existenzgrundlagen gelitten (HLPE 2021). Gleichzeitig wachsen sie in inhärent ungleichen und nicht nachhaltigen Ernährungssystemen auf, die keine Ernährungssicherheit bieten und sich als sehr anfällig gegenüber Klimawandel und Umweltzerstörung erwiesen haben. Wir, als junge Menschen in unseren 20ern, sind uns der Tatsache bewusst, dass wir nicht nur unter dem Versagen der derzeitigen Ernährungssysteme leiden, sondern diese samt der sich abzeichnenden Herausforderungen erben werden. Das bedroht unser Recht auf Nahrung sowie andere Menschenrechte wie Gesundheit, Bildung und ein würdiges Leben.
Junge Menschen haben ein Recht auf eine lange und gesunde Zukunft. Als Erbende der gegenwärtigen Ernährungssysteme verdienen wir ein stärkeres Mitspracherecht bei deren Umgestaltung, damit sie unseren aktuellen und zukünftigen Bedürfnissen gerecht werden. Dies erfordert insbesondere eine Fokussierung auf Ernährungssouveränität, damit alle Menschen ermächtigt werden, ihre Ernährungssysteme im Einklang mit ihren kulturellen, sozioökonomischen, entwicklungspolitischen und ökologischen Werten zu gestalten.
Derzeitige Ernährungssysteme werden der Jugend nicht gerecht
Junge Menschen haben ein Recht auf eine lange und gesunde Zukunft. Als Erbende der gegenwärtigen Ernährungssysteme verdienen wir ein stärkeres Mitspracherecht bei deren Umgestaltung, damit sie unseren aktuellen und zukünftigen Bedürfnissen gerecht werden.
Die Jugend der Welt wird Ernährungssysteme erben, die an vielen Fronten versagen. Das beginnt bereits damit, dass sie nicht imstande sind, alle Menschen mit ausreichend nahrhafter Nahrung zu versorgen. Im Jahr 2022 waren etwa 735 Millionen Menschen von Hunger betroffen, und mehr als 3,1 Milliarden Menschen konnten sich keine nährstoffreiche Ernährung leisten (FAO et al. 2023a). Während spezifische Daten für junge Menschen fehlen, wissen wir, dass besonders in Südasien und Afrika südlich der Sahara, den Weltregionen mit dem größten Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung, Ernährungsunsicherheit und Unterernährung weitverbreitet sind (Glover and Sumberg 2020; FAO et al. 2023a).
Auch das Geschlecht spielt dabei eine Rolle. Frauen und Mädchen machen etwa 60 Prozent der stark hungernden Menschen aus (WFP 2023c). In vielen Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen sind Frauen, insbesondere in den unteren Einkommensgruppen, für die Erzeugung und Zubereitung von Nahrungsmitteln sowie für die Beschaffung von Wasser und Brennholz zuständig. In Zeiten von Nahrungsmittelknappheit essen Frauen und Mädchen oft zuletzt und am wenigsten (Botreau and Cohen 2020).
In vielen Ländern haben junge Menschen, insbesondere Frauen, zunehmend Schwierigkeiten, eine angemessene Beschäftigung zu finden (ILO 2020). Im Jahr 2020 wurde die weltweite Jugendarbeitslosenquote auf 18,4 Prozent geschätzt. Das ist mehr als das Dreifache der Quote bei Erwachsenen (Abbildung 2.2). Weltweit befindet sich mehr als ein Fünftel der Jugend weder in einer schulischen oder beruflichen Ausbildung noch in einem Studium oder Beschäftigungsverhältnis (ILO 2022). Die COVID-19-Pandemie hat zu Millionen Arbeitsplatzverlusten geführt. Dies betraf in hohem Maße junge Arbeitskräfte, die allgemein ein höheres Risiko haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren, vor allem in Krisenzeiten (HLPE 2021). Darüber hinaus ist die Wahrscheinlichkeit, dass junge Arbeitnehmende in extremer Armut leben – mit weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag –, doppelt so hoch wie bei Erwachsenen. Die Wahrscheinlichkeit einer informellen Beschäftigung ist ebenfalls viel größer (ILO 2022). Die Last unbezahlter Sorgearbeit begrenzt die Zeit, Energie und Möglichkeiten junger Frauen, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Unbezahlte Sorgearbeit zementiert zudem Geschlechterungleichheit und ist eine Grundursache für Armut und Hunger (Action Against Hunger 2021).
Für Jugendliche in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen ist eine Beschäftigung in Agrar- und Ernährungssystemen leichter zu erlangen als in anderen Sektoren, da die Einstiegsvoraussetzungen in Bezug auf Kapital und Fertigkeiten eher gering sind (Christiaensen et al. 2021). In Afrika südlich der Sahara werden Prognosen zufolge die erhöhte Nachfrage nach Nahrungsmitteln und die steigenden Nahrungsmittelpreise außerdem neue Beschäftigungs- und Geschäftsmöglichkeiten in diesem Bereich bieten (Chipfupa and Tagwi 2021). Für viele junge Menschen ist eine Beschäftigung in der Landwirtschaft jedoch nur der „letzte Ausweg, verbunden mit geringer Produktivität“ (Filmer and Fox 2014). Aufgrund des Mangels an Unterstützung, Innovation und Ausbildung, und weil sie glauben, dass die Landwirtschaft keine Möglichkeiten für Wohlstand oder Selbstverwirklichung biete, haben sie kaum Interesse daran (Chipfupa and Tagwi 2021; Girdziute et al. 2022). Viele junge Beschäftigte, die im Ernährungssektor arbeiten, haben informelle Jobs mit minimaler Arbeitsplatzsicherheit, geringem Einkommen und Geschlechterungleichheit (Dolislager et al. 2020; Fox and Gandhi 2021). In einigen Ländern Afrikas südlich der Sahara ist die Zahl der Arbeitsstunden, die Jugendliche in der Landwirtschaft leisten, im Laufe der Zeit zurückgegangen; viele steigen sogar ganz aus der Landwirtschaft aus (Chipfupa and Tagwi 2021).
Die Herausforderungen innerhalb der Ernährungssysteme werden in Zukunft noch wachsen, vor allem wegen des Klimawandels, der für die Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen und deren junge Bevölkerung eine besonders große Gefährdung darstellt. Wenn nicht sofort gehandelt wird, werden noch mehr Menschen in vulnerablen Ländern mit einer Verschlechterung ihrer Ernährungssituation zu kämpfen haben. Obwohl junge Menschen weltweit sofortige Klimaschutzmaßnahmen fordern, gibt es kaum Fortschritte.
Verlust von Ernährungssouveränität schwächt Ernährungssysteme
Junge Engagierte gründen weltweit ihre eigenen Organisationen und Initiativen. Dadurch verändern sie die Sichtweise auf globale Herausforderungen, treiben soziale Innovationen voran und zeigen ihre Bereitschaft, Teil der Lösung zu sein.
Als Jugendliche betrachten wir die fehlende Ernährungssouveränität als eine der größten Schwächen der derzeitigen Ernährungssysteme. Wir sehen in dem Streben nach Ernährungssouveränität eine vielversprechende Möglichkeit, junge Menschen für die Umgestaltung von Ernährungssystemen zu mobilisieren. Ziel ist, dass diese nachhaltiger und gerechter werden und die Bedürfnisse aller Menschen, insbesondere der vulnerabelsten, besser erfüllen.
Das Konzept der Ernährungssouveränität umfasst vier zentrale Punkte: die Menschen und ihre Rechte, die Qualität der erzeugten Nahrungsmittel, kulturelle Aspekte von Ernährungssystemen und das Wohl der Umwelt. Auf dem globalen Forum im Dorf Nyéléni, Mali, wurde 2007 eine Erklärung verfasst, in der Ernährungssouveränität wie folgt definiert ist: „Das Recht aller Völker auf gesunde und kulturell angepasste Nahrung, nachhaltig und unter Achtung der Umwelt hergestellt, sowie das Recht der Bevölkerung, ihre Ernährung und Landwirtschaft selbst zu bestimmen“ (Declaration of Nyéléni 2007).
Der Verlust der Ernährungssouveränität, vor allem in den Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, wurde durch mehrere Umstände befeuert, darunter Kolonialismus, schlechte Regierungsführung, intensive Kapitalisierung von Ernährungssystemen, weitverbreitete Zunahme von Monokulturen und einige Auswirkungen der Grünen Revolution (Weiler et al. 2015; Shilomboleni 2017). Infolgedessen sind indigene und lokale Landwirtschafts- und Wissenssysteme in hohem Maße bedroht. Sie wurden nicht nur in Forschung und Politik vernachlässigt, sondern auch weil ältere Menschen häufig auf dem Land zurückbleiben und das Wissen nicht mehr an junge Menschen weitergeben können (Gunaratne et al. 2021).
In vielen Gebieten sind lokale Landwirt*innen von Saatgutsystemen ausgeschlossen und können nur begrenzt beeinflussen, was sie anbauen. Das führt dazu, dass indigene Kulturpflanzen in Vergessenheit geraten (Mabhaudhi et al. 2018; Sidibé et al. 2020; Mudau et al. 2022).
In Afrika, Asien und Südamerika wurden mittlerweile zahlreiche saatgutbezogene Gesetze verabschiedet. Artikel 326 des kenianischen Gesetzes über Saatgut und Pflanzensorten von 2012 beispielsweise stellt die Nutzung aller „nicht registrierten Pflanzensorten“ – das sind häufig traditionelle Sorten – unter Strafe und schränkt damit die Wahlmöglichkeiten der Landwirt*innen ungemein ein (GRAIN and La Via Campesina 2015; Dena 2022). Solche Gesetze bedrohen die Existenzgrundlage und Ernährungssicherheit der betroffenen Menschen.
Der daraus resultierende Mangel an Ernährungssouveränität hat zu zahlreichen Problemen beigetragen, darunter weitverbreitete Ernährungsunsicherheit und schlechte Gesundheit (Gunaratne et al. 2021; Sampson et al. 2021; Bjornlund et al. 2022). Der weltweite Hunger hat sich zwar zwischen 1990 und 2017 durch Maßnahmen wie die Förderung des Anbaus großer, ertragreicher Kulturpflanzen verringert. Aber sowohl der Anteil als auch die absolute Zahl der unterernährten Menschen stagniert beziehungsweise steigt seit 2017 (FAO et al. 2023a). Dies unterstreicht die dringende Notwendigkeit einer Transformation der Ernährungssysteme.
Seit dem Welternährungsgipfel von 1996 wurden kaum konkrete politische Maßnahmen zur Wiederherstellung der Ernährungssouveränität ergriffen; gleichwohl gibt es weltweit einen verstärkten Fokus auf soziale Gerechtigkeit und die Notwendigkeit, das Menschenrecht auf Nahrung sicherzustellen und zu schützen (La Via Campesina 2021; Sampson et al. 2021; Bjornlund et al. 2022; GFFA 2023). Größere Ernährungssouveränität bedarf einer Wiederbelebung indigener und vernachlässigter Kulturpflanzen4 sowie bäuerlicher Mischbetriebe mit Ackerbau und Viehzucht, um die derzeitigen globalisierten Ernährungssysteme diverser und lokaler zu gestalten und damit zugänglicher, nachhaltiger, inklusiver und klimaresilienter zu machen. Dies erfordert darüber hinaus ein inklusiveres und ganzheitlicheres Saatgutsystem (Mabhaudhi et al. 2018, 2019; Akinola et al. 2020; Wijerathna-Yapa and Pathirana 2022).
Sofern sie gefördert werden, können lokal widerstandsfähige, vielfältige, innovative und weniger ressourcenintensive kleinbäuerliche Bewirtschaftungssysteme eine nachhaltige Lösung für die aktuellen Ernährungsprobleme darstellen und somit für vulnerable Bevölkerungsgruppen einen Weg aus der Armut und dem Hunger bedeuten (Mabhaudhi et al. 2018; Mudau et al. 2022; Wijerathna-Yapa and Pathirana 2022). Ein solcher Ansatz stärkt überdies die Menschenrechte marginalisierter Gruppen, die durch die derzeitige Gestaltung der Ernährungs- und Saatgutsysteme ausgegrenzt werden. Um inklusive, nachhaltige Ernährungssysteme und Ernährungssouveränität für alle innerhalb der Belastbarkeitsgrenzen unseres Planeten zu erreichen, braucht es Innovationen. Die Jugend als Erbende der Ungerechtigkeit hat das Potenzial, diese Innovationen hervorzubringen.
Jugendliche haben wenig Mitsprache in politischen Prozessen
In der Praxis beinhaltet Ernährungssouveränität die Interaktion zwischen Interessenvertretenden aus nationalen, lokalen und gemeindebasierten Institutionen einerseits sowie Wissensträger*innen wie lokalen Ältesten andererseits. Dort könnten junge Menschen ihre Energie und Innovationskraft einbringen.
Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg. Auf formeller, staatlicher Ebene ist der Anteil der Jugend in Entscheidungsgremien verschwindend gering. In den meisten Weltregionen liegt das Durchschnittsalter der Parlamentsabgeordneten bei mindestens 50 Jahren (Stockemer and Sundström 2022). Weltweit ist der Anteil aller jungen Parlamentsmitglieder bis zum Alter von 30 Jahren sehr klein (Tabelle 2.1), und noch geringer bei weiblichen Abgeordneten bis 30, insbesondere in Asien, der Pazifik-Region, dem Nahen Osten und Nordafrika, Afrika südlich der Sahara und Westeuropa. Weil die Jugend nicht ausreichend an der Gesetzgebung beteiligt ist, werden ihre Prioritäten und Bedürfnisse oft nicht berücksichtigt (Stockemer and Sundström 2022).
Zunehmend werden in der Politik die Perspektiven der Jugend zur Bewältigung globaler Herausforderungen einbezogen, etwa durch die Teilnahme an Workshops, Konferenzen und Arbeitsgruppen. Darüber hinaus gründen junge Engagierte weltweit ihre eigenen Organisationen und Initiativen. Dadurch verändern sie die Sichtweise auf globale Herausforderungen, treiben soziale Innovationen voran und zeigen ihre Bereitschaft, Teil der Lösung zu sein. Beispiele hierfür sind Act4Food Act4Change, die Asian Indigenous Youth Platform, das Global Youth Innovation Network (GYIN), Innovative Food Systems Solutions (IFSS), Nutrition Connect, das Slow Food Youth Network, die Youth Working Group des International Planning Committee for Food Sovereignty und Young Leaders for Nutrition. Diese Jugendinitiativen setzen sich derzeit für die Umgestaltung von Ernährungssystemen ein, indem sie das Bewusstsein für Themen wie Ernährungssouveränität, nachhaltige Nahrungsmittelerzeugung, Ernährung und Umweltschutz schärfen.
Der Fokus auf die Jugend in Politikdiskursen hat jedoch wenig Resultate gezeigt. Ihre Beteiligung an Entscheidungsprozessen scheint oberflächlich und begrenzt zu sein (siehe Box 2.3). Obwohl sich junge Menschen beispielsweise für Klimaschutz und die Umgestaltung der Ernährungssysteme einsetzen, sind die Fortschritte immer noch zu langsam. Die von ihnen geäußerten Meinungen und Ideen haben nur minimale handfeste Folgen, und ihre Perspektiven werden nicht in die Gestaltung oder Umsetzung politischer Maßnahmen einbezogen (Yunita et al. 2018; Macauley et al. 2022; Orsini and Kang 2023).
BOX 2.3
„ES HAT KEINEN SINN, DASS WIR IN BEREICHEN MITWIRKEN, DIE KEINEN AKTIONSPLAN HABEN, DER DIE JUGEND EINBEZIEHT“
Sophie Healy-Thow (23 Jahre) aus Irland ist eines der Gründungsmitglieder von Act4Food Act4Change. Außerdem ist sie Koordinatorin der globalen Jugendkampagnen der Global Alliance for Improved Nutrition (GAIN), Mitglied der Lead Group der Bewegung Scaling Up Nutrition (SUN) und Vorstandsmitglied von ActionAid UK. Sie war zudem Co-Vorsitzende der Jugend-Liaison-Gruppe beim UN-Gipfel zu Ernährungssystemen. In einem Interview vom Mai 2023 betonte sie, wie wichtig es ist, junge Menschen einzubeziehen:
Investitionen in die Jugend sind unerlässlich; ihre Einbindung muss ernsthafter und nachhaltiger sein. Das darf nicht einfach als Trend betrachtet werden. Aktivitäten zur Integration von Jugendlichen sind oftmals nicht mehr als eine Pflichtübung, und am Ende kommt nach Konferenzen, Seminaren oder Workshops nichts Greifbares heraus. Das müssen wir ändern.
Es sollte nicht nur zu jungen Menschen gesprochen werden, sondern mit ihnen. Junge Menschen müssen in Vorständen von Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen vertreten sein, denn wir bringen andere Perspektiven ein und sind nicht durch Erwartungen eingeschränkt. Ferner muss die Jugend als Mitgestalterin der Politik einbezogen werden, um die Entwicklung einer reaktionsfähigen und nachhaltigen Politik anzukurbeln. Entscheidungen über unsere Zukunft zu treffen, ohne uns in die Entscheidungsfindung einzubeziehen, ergibt keinen Sinn. Regierungen müssen in allen Bereichen in die Entwicklung der Jugend investieren, zum Beispiel in schulische Ernährungsprogramme, um die Ernährungssicherheit von der frühen Kindheit bis zur Universität zu gewährleisten. Das wird den Bildungserfolg steigern und die Möglichkeiten junger Erwachsener verbessern, einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten.
Stärkung der Jugend durch Förderung der Ernährungssouveränität
Für Entscheidungsträger*innen auf allen Ebenen ist es ein Gebot der Moral und wirtschaftlichen Vernunft, die Energie, Kreativität und Dynamik junger Menschen zur Transformation von Ernährungssystemen zu nutzen. Ihre Einbindung in die Governance und Umgestaltung von Ernährungssystemen ist strategisch wichtig, damit Innovationen für mehr Ernährungssicherheit angepasst und übernommen werden, insbesondere im Rahmen einer Entwicklung mit dem Ziel der Ernährungssouveränität (Abbildung 2.3). Das Recht auf Nahrung wird zunehmend anerkannt, und eine wachsende Ernährungssouveränität wird es den Menschen ermöglichen, dieses Recht auf eine sozial, kulturell und ökologisch bewusste Weise zu verwirklichen (Blue Bird Jernigan et al. 2021; Sampson et al. 2021). Die Jugend kann die schrittweise Verwirklichung des Rechts auf Nahrung auf unterschiedliche Weise vorantreiben. Sie kann Innovationen hervorbringen, die Ernährungssysteme an ihre lokalen Kontexte anpassen und eine bessere Ernährungssicherheit gewährleisten. Sie kann dazu beitragen, dass indigene und traditionelle Anbausysteme und Kulturpflanzen, die derzeit bedroht sind, wieder aufleben. So können resilientere, kontextspezifische Ernährungssysteme geschaffen werden.
Entscheidungsträger*innen müssen in Sektoren investieren, die das Wohl junger Menschen verbessern können, darunter Gesundheit, Bildung, Kompetenzentwicklung und soziale Vernetzung. Gleichzeitig muss die Jugend dies einfordern. Ausbildungen ermöglichen es ihr, produktiver und qualifizierter zu werden, und sind Grundlage für die persönliche Entwicklung und das Wohlergehen. Dies hilft bei der Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit, fördert Gleichberechtigung und wirkt sich positiv auf einzelne Lebensläufe sowie die Gesellschaft aus (Idris et al. 2012). Rigorose Evaluationen landwirtschaftlicher Ausbildungsprogramme für Jugendliche sind notwendig, um ihre Wirkung auf die Beschäftigung nachzuweisen. Dies könnte ein Anreiz für Regierungen und Geber sein, solche Programme auszuweiten (Maïga et al. 2020).
Eine Transformation hin zu nachhaltigen, resilienten und gerechten Ernährungssystemen kann der heutigen Jugend und künftigen Generationen Beschäftigungsmöglichkeiten bieten, die fair, attraktiv und nachhaltig sind (Nguyen 2018; Mabhaudhi et al. 2019). Sie kann Wahlfreiheit und Innovationen in der Agrar- und Ernährungswirtschaft ermöglichen, die Kreativität stimulieren und junge Menschen motivieren, eine lohnende Nischenproduktion aufzubauen. Um diese Vision zu verwirklichen, muss der Zugang junger Menschen zu Grünen Jobs, Ackerflächen, jugendspezifischen Krediten und Finanzdienstleistungen, Produktionsmitteln und -geräten sowie Märkten verbessert werden.
Jungen Erwachsenen müssen anspruchsvolle Karrierewege in landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten ermöglicht werden. Junge Arbeitskräfte, die nicht in der Landwirtschaft arbeiten möchten, einschließlich derer, die keinen Zugang zu Land oder Produktionsmitteln haben, könnten von Behörden oder dem Privatsektor dabei unterstützt werden, verwandte Tätigkeiten auszuüben, die zum Wandel in der Landwirtschaft beitragen, etwa zur Förderung ländlicher Märkte und ökologischer Nachhaltigkeit (Geza et al. 2021). Dies würde nicht nur Investitionen in die Infrastruktur für Transport, Wasser, Strom sowie Logistik und Lagerung von Erntegut erfordern, sondern auch Investitionen in der nachgelagerten Wertschöpfungskette. Erleichtert werden könnten solche Initiativen, indem Jugendliche von Anfang an in die Umsetzung bestehender globaler Strategien – wie die globalen Nachhaltigkeitsziele und das Pariser Abkommen zum Klimawandel – einbezogen werden, und zwar durch einen Ausbau der Zusammenarbeit mit internationalen Jugendorganisationen und -foren, die daran bereits beteiligt sind.
Um jugendspezifische und -inklusive Strategien zu entwickeln, benötigen Entscheidungsträger*innen zeitnahe, verlässliche Daten über die aktuelle Rolle von Jugendlichen bei Aktivitäten und in politischen Prozessen in Bezug auf Ernährungssysteme (HLPE 2021). Um junge Menschen als Gestalter*innen des Wandels bei der Transformation von Ernährungssystemen zu stärken, müssen Diversität, Intersektionalität und Kontextspezifität der Bedürfnisse, Herausforderungen und Wünsche von Jugendlichen berücksichtigt werden.
Fazit
Wir Jugendlichen haben erkannt, dass die derzeitigen Ernährungssysteme weder nachhaltig noch gerecht oder inklusiv sind. Sie sind anfällig für externe Schocks und Risiken. Unsere Generation, die diese Ernährungssysteme erben und noch jahrzehntelang mit ihnen leben wird, hat ein großes Interesse daran, die Ernährungssysteme des 21. Jahrhunderts inklusiv, gerecht, nachhaltig, resilient und lokal umzugestalten. Dieser Umbau ist sowohl für die Gesundheit des Planeten als auch das menschliche Wohlergehen unumgänglich. Er wird mehr wirtschaftliche, soziale und ökologische Nachhaltigkeit hervorbringen sowie zu einer Verringerung der Treibhausgasemissionen und zu mehr Effektivität bei Klimaschutz und -anpassung beitragen.
Die meisten jungen Menschen, die direkt oder indirekt in Ernährungssysteme involviert sind, leben in ländlichen Gebieten. Für eine stärkere Beteiligung junger Menschen an Ernährungssystemen ist daher ein ganzheitlicher Ansatz notwendig, der auf eine allumfassende Verbesserung der ländlichen Wirtschaft, des sozialen Wohlergehens und von Dienstleistungen im ländlichen Raum ausgerichtet ist. Es müssen unterstützende Umfelder für Jugendliche geschaffen werden, damit sie Karrieren und Interessen in Ernährungssystemen verfolgen können. Die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität sowie Investitionen in Innovationen wie Mechanisierung, Beratung und Bewässerung, um die Arbeit profitabler und weniger beschwerlich zu gestalten, versprechen vielfältige Beschäftigungsmöglichkeiten. All dies könnte die Landwirtschaft für die Jugend wieder attraktiver machen.
Um die beschriebenen Ernährungssysteme zu schaffen und die Jugend einzubinden, müssen die Verantwortlichen auf allen Ebenen sicherstellen, dass die Ausrichtung und die Ziele ihrer Strategien weit über das Jahr 2030 sowie auch 2050 hinausgehen. Auf diesem langen Weg müssen sie mehr tun, als nur mit der Jugend ins Gespräch zu kommen. Sie müssen sie in die Politikgestaltung einbeziehen, um Inklusivität, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit voranzubringen. Gleichzeitig müssen junge Menschen die sich bietenden Gelegenheiten ergreifen und sich an der Governance von Ernährungssystemen beteiligen, für soziale Gerechtigkeit ebenso wie für Geschlechtergerechtigkeit eintreten, das Recht aller Menschen auf Nahrung und Ernährungssouveränität schützen, Klimaschutz vorantreiben und ihre Perspektiven in die Politik einbringen, um gerechte, nachhaltige Ernährungssysteme für alle zu ermöglichen.
Fußnoten
- Das Konzept der Ernährungssouveränität wurde auf dem Welternährungsgipfel 1996 von La Via Campesina, einer internationalen kleinbäuerlichen Bewegung, vorgestellt. Die Bewegung formulierte sieben Grundsätze der Ernährungssouveränität: Nahrung als grundlegendes Menschenrecht, die Notwendigkeit einer Agrarreform, Schutz der natürlichen Ressourcen, Umgestaltung des Nahrungsmittelhandels zur Unterstützung einer lokalen Nahrungsmittelproduktion, Verringerung der multinationalen Machtkonzentration, sozialer Frieden und umfassendere demokratische Kontrolle des Ernährungssystems (Sampson et al. 2021).